T 2635/22 28-03-2025
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SENSORSYSTEM FÜR EIN LENKRAD EINES KRAFTFAHRZEUGS, LENKRAD MIT EINEM SOLCHEN SENSORSYSTEM UND VERFAHREN ZUM BETRIEB EINES SOLCHEN SENSORSYSTEMS
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Spät eingereichte Tatsachen - wären bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorzubringen gewesen (ja)
Spät eingereichte Tatsachen - Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen Zulassung (nein)
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 3 227 161 in geänderter Fassung aufrechterhalten worden ist, Beschwerde eingelegt.
Die Einspruchsabteilung stellte fest, dass der geltend gemachte Einspruchsgrund gemäß Artikel 100(a) in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents in erteilter Fassung entgegen stehe und entschied, das Patent auf der Grundlage des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 1 aufrechtzuerhalten. Die Neuheit und das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes der unabhängigen Ansprüche 1 und 14 gemäß Hilfsantrag 1 wurden, unter anderem, unter Berücksichtigung des folgenden Standes der Technik anerkannt:
E2: US2014/0151356 Al
E15: US2010/0038351 Al
D16: WO2014/184743 Al
E17: DE 11 2012 000923 T5
E18: EP 3082377 Al
II. In einer am 21. November 2024 versandten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK legte die Kammer ihre vorläufige Meinung dar.
Eine mündliche Verhandlung fand am 28. März 2025 vor der Kammer per Videokonferenz statt.
III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, das Patent aufrechtzuerhalten wie in der angefochtenen Entscheidung, jedoch mit den zusätzlichen Anpassungen der Beschreibung wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 4, wie eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung.
Die weitere Verfahrensbeteiligte (Einsprechende 1) wurde zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geladen, ist aber nicht erschienen. Sie hat sich während des Beschwerdeverfahrens nicht geäußert.
IV. Der unabhängige Anspruch 1 des Streitpatents in aufrechterhaltener Fassung lautet wie folgt (Merkmalsgliederung gemäß der angefochtenen Entscheidung):
(a) "Sensorsystem (100, 200, 300) für ein Lenkrad (10, 20) eines Kraftfahrzeugs
(b) mit wenigstens einer kapazitiven Sensoreinrichtung,
(c) wenigstens einer Heizeinrichtung und
(d) mit wenigstens einer Steuereinrichtung
(e) wobei die kapazitive Sensoreinrichtung wenigstens eine elektrisch leitfähige Sensorstruktur (11) aufweist und zur Erkennung einer Anwesenheit einer menschlichen Hand in einem Greifbereich eines Lenkrads (10, 20) ausgebildet ist,
(f) wobei das Sensorsystem (100, 200, 300) derart ausgebildet ist, dass die Anwesenheit einer menschlichen Hand in einem Detektionsbereich der Sensorstruktur (11) jeweils eine erfassbare, der Sensorstruktur (11) zugeordnete Änderung einer kapazitiven Kopplung der Sensorstruktur (11) mit der Umgebung und/oder einer Referenzelektrode gegenüber einem Referenzzustand ohne Anwesenheit einer Hand im Detektionsbereich der Sensorstruktur (11) bewirkt,
(g) wobei die Heizeinrichtung wenigstens eine elektrisch leitfähige Heizstruktur (12) zur Heizung des Lenkrads (10, 20) aufweist, und
(h) wobei die Steuereinrichtung zur Ansteuerung der Sensoreinrichtung und/oder zur Ansteuerung der Heizeinrichtung ausgebildet ist, wobei
(i) das Sensorsystem (100, 200, 300) dazu ausgebildet ist, die Sensoreinrichtung und die Heizeinrichtung aufeinander abgestimmt anzusteuern, insbesondere zeitlich aufeinander abgestimmt,
(j) die Sensoreinrichtung und die Heizeinrichtung derart aufeinander abgestimmt ansteuerbar sind, dass eine störende kapazitive Kopplung der Sensoreinrichtung mit der Heizeinrichtung und/oder in einem funktionsgemäßen Einbauzustand des Sensorsystems (100, 200, 300) in einem Lenkrad (10, 20) mit Komponenten des Lenkrads (10, 20) während der Erfassung einer Änderung der kapazitiven Kopplung der Sensorstruktur (11) mit der Umgebung und/oder einer Referenzelektrode reduziert wird, insbesondere vermieden wird,
(k) wobei während der Erfassung einer Änderung der kapazitiven Kopplung der Sensorstruktur (11) mit der Umgebung und/oder einer Referenzelektrode wenigstens eine Heizstruktur (12) allpolig abschaltbar ist,
(l) wobei das Sensorsystem (100, 300) eine Heizeinrichtung mit wenigstens einer, von der Sensorstruktur (11) verschiedene [sic] Heizstruktur (12) aufweist, die mittels einer Pulsweitenmodulation mit einem Pulsweitenmodulationssignal (70) ansteuerbar ist, wobei die Heizeinrichtung und die Sensoreinrichtung derart aufeinander abgestimmt ansteuerbar sind, dass die Erfassung einer Änderung (80) der kapazitiven Kopplung der Sensorstruktur (11) mit der Umgebung und/oder einer Referenzelektrode erfolgt, während das Pulsweitenmodulationssignal (70) konstant ist."
Anspruch 13 des Streitpatents in aufrechterhaltener Fassung betrifft ein Lenkrad (10, 20) mit einem Sensorsystem nach Anspruch 1.
Anspruch 14 des Streitpatents in aufrechterhaltener Fassung betrifft ein Verfahren zum Betrieb eines Sensorsystems mit den Merkmalen des Anspruchs 1.
NEUHEIT - ARTIKEL 52(1) und 54 EPÜ
1. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 des Streitpatents in aufrechterhaltener Fassung ist neu im Sinne der Artikel 52(1) und 54 EPÜ wie von der Einspruchsabteilung festgestellt wurde.
1.1 Entgegen der Einschätzung der Einspruchsabteilung hielt die Beschwerdeführerin daran fest, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 des Streitpatents in aufrechterhaltener Fassung nicht neu gegenüber den Entgegenhaltungen E16, E12 und E18 sei.
1.2 Gemäß dem Vortrag der Parteien wurde Merkmal (l) des aufrechterhaltenen, unabhängigen Anspruchs 1 in drei Teilmerkmale (l.1) bis (l.3) aufgeteilt:
(l.1) "..wobei das Sensorsystem eine Heizeinrichtung mit wenigstens einer, von der Sensorstruktur verschiedenen Heizstruktur aufweist,"
(l.2) "die mittels einer Pulsweitenmodulation mit einem Pulsweitenmodulationssignal ansteuerbar ist,"
(l.3) "wobei die Heizeinrichtung und die Sensoreinrichtung derart aufeinander abgestimmt ansteuerbar sind, dass die Erfassung einer Änderung der kapazitiven Kopplung der Sensorstruktur mit der Umgebung und/oder einer Referenzelektrode erfolgt, während das Pulsweitenmodulationssignal konstant ist."
Neuheit gegenüber E16
1.3 Es ist unbestritten, dass die Ansteuerung der Heizstruktur des aus der E16 bekannten Sensorsystems mittels einer Pulsweitenmodulation (im Folgenden PWM genannt) mit einem Pulsweitenmodulationssignal (im Folgenden PWM Signal genannt) gemäß Teilmerkmal l.2 des Anspruchs 1 erfolgt (vgl. z.B. Anspruch 5). Zur Debatte stand aber, unter anderen, ob das darauffolgende Teilmerkmal l.3 dieser Entgegenhaltung unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist.
1.3.1 Zur Auslegung dieses Merkmals verwies die Beschwerdeführerin auf den Absatz [0052] des Streitpatents. Hier sei die PWM als ein Modulationsverfahren beschreiben, bei welchem das generierte elektrische Steuersignal zwischen zwei Werten wechsele, die beispielsweise mit "on" und "off" bezeichnet werden können. Vor diesem Hintergrund führte die Beschwerdeführerin aus, dass das Streitpatent nicht ausschließe, dass die beanspruchte Erfassung einer Änderung der kapazitiven Kopplung der Sensorstruktur (11) mit der Umgebung und/oder einer Referenzelektrode auch bei elektrischem Steuersignal "off" stattfinden könne. Eine solche von Anspruch 1 umfasste Erfassungsart sei im Anspruch 12 der E16 offenbart. Die Beschwerdeführerin erklärte, dass die Fachperson dem Absatz [0073] der E16 zwei Optionen entnehme, nämlich (1) eine Erfassung während einer Unterbrechung des PWM Signals oder (2) eine Erfassung während das PWM Signal konstant ist, wie vom strittigen Merkmal l.3 verlangt werde. Im Hinblick auf die Lehre des Absatzes [0073] und unter Berücksichtigung der Informationen des Absatzes [0064] der E16 sei somit Merkmal l.3 des Anspruchs 1 in dieser Entgegenhaltung unmittelbar und eindeutig offenbart.
1.3.2 Die Kammer ist nicht überzeugt:
Wie von der Einspruchsabteilung zutreffend ausgeführt wurde, entnimmt die Fachperson den Figuren 12 und 13 der E16 und der zugehörigen Beschreibung (vgl. Absätze [0095] und [0096]), dass die Transistoren/Schalter Q1 und Q2 während der Erfassungsphase durch die PWM Ansteuerung ausgeschaltet werden bzw. bleiben. Im ausgeschalteten Zustand der Transistoren kann kein PWM Signal anliegen und somit auch nicht beobachtet werden. Wenn aber überhaupt kein PWM Signal bei der Erfassung einer Änderung der kapazitiven Kupplung der Sensorstruktur mit der Umgebung existiert, dann kann ein nicht existierendes Signal auch nicht als konstant betrachtet werden, wie es hingegen Teilmerkmal l.3 des Anspruchs 1 fordert. Allein aus diesem Grund ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents in erteilter Fassung neu gegenüber E16.
1.3.3 Ergänzend wird von der Kammer zum strittigen Teilmerkmal l.1 des Anspruchs 1 folgendes angemerkt:
Die Auslegung des Merkmals l.1 des Anspruchs 1 und die möglichen Einschränkungen gegenüber dem Offenbarungsgehalt der E16, die insbesondere aus dem Wortlaut "von der Sensorstruktur (11) verschiedene Heizstruktur (12)" hervorgehen, wurden während der mündliche Verhandlung ausführlich erörtert. Die Beschwerdegegnerin vertrat die Auffassung, dass sich aus dem Wortlauts des Merkmals l.1 eine Heizstruktur und eine Sensorstruktur ergeben, die separat ausgeführt seien, wohingegen die E16 lediglich eine kombinierte Heiz- und Sensorstruktur offenbare. Um einen von der Kammer und der Beschwerdeführerin beanstandeten Widerspruch zwischen der Beschreibung und der von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagenen Auslegung zu beseitigen, überreichte sie während der mündlichen Verhandlung ergänzende Anpassungen der Beschreibung über die im Einspruchsverfahren bereits vorgenommenen Änderungen hinaus. Aber selbst wenn die Auslegung der Beschwerdegegnerin zugrunde gelegt werden sollte, folgt die Kammer der Auffassung der Beschwerdeführerin, dass - entgegen der Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung - Merkmal l.1 im aus der E16 bekannten Sensorsystem, insbesondere im Ausführungsbeispiel des Absatzes [0064], unmittelbar und eindeutig vorhanden ist. Dort wird nämlich die Möglichkeit offenbart, zwei verschiedene Heizstrukturen zu verwenden (two or more heating layers that are placed side by side), wobei eine als Heizeinrichtung und die andere als Sensoreinrichtung dienen kann (one heater/sensor may heat and one sensor/heater may sense). Es ist aber hier nicht erforderlich, näher auf diesen Punkt einzugehen, da die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Streitpatents in erteilter Fassung gegenüber E16 bereits durch das oben festgestellte unterscheidende Merkmal l.3 gegeben ist.
Neuheit gegenüber E2
1.4 Die Beschwerdeführerin entnahm insbesondere der Zusammenschau der Absätze [0023], [0026] und [0028] der E2 zumindest implizit eine PWM Ansteuerung der Heizstruktur, sowie dass die Erfassung einer Änderung der kapazitiven Kopplung der Sensorstruktur mit der Umgebung und/oder einer Referenzelektrode erfolgt, während das PWM konstant ist. Somit seien Teilmerkmale l.2 und l.3 in dieser Entgegenhaltungen eindeutig und unmittelbar offenbart.
1.4.1 Dies hat die Kammer nicht überzeugen können:
Wie von den Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin zutreffend vorgetragen, wird das abwechselnde Heizen und Detektieren im Sensorsystem des Dokuments E2 über ein Zeitmultiplex-Verfahren durchgeführt (vgl. Absatz [0027]), was nicht mit einer PWM-Regelung gemäß Teilmerkmalen l.2 und l.3 des Anspruchs 1 gleichzusetzen ist. Bei einem Zeitmultiplexverfahren (Time-Division Multiplexing, auch TDM genannt) handelt es sich bekanntlich um ein Verfahren zur Übertragung voneinander getrennter Signale über einen gemeinsamen Übertragungskanal, sodass die Signale den Kanal jeweils für kurze Zeit abwechselnd nutzen. Wie von der Einspruchsabteilung zutreffend ausgeführt, lässt E2 aber vollkommen offen, welche Art von Signalen übertragen wird, wobei eine Ansteuerung der Heizstruktur des aus dieser Entgegenhaltung bekannten Sensorsystems mittels PWM gemäß Merkmal l.2 und somit eine Erfassung gemäß Merkmal l.3 des Anspruchs 1 nicht offenbart sind. Aus diesem Grund ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu gegenüber E2, und dies unabhängig von der Einschätzung der Offenbarung der restlichen strittigen Merkmale des Anspruchs 1 in diesem Stand der Technik.
Neuheit gegenüber E18
1.5 Zur Offenbarung der Teilmerkmale l.2 und l.3 des Anspruchs 1 machte die Beschwerdeführerin geltend, dass die Fachperson der Figur 3 der E18 mit den zugehörigen Absätzen [0045] bis [0049] der Beschreibung ein Einschalten der Heizstruktur durch ein periodisch wiederkehrendes Rechtecksignal entnehme, das mit der beanspruchten Ansteuerung mittels einem PWM Signal im Sinne des Teilmerkmal l.2 gleichzusetzen sei. Dass die Erfassung einer Änderung der kapazitiven Kopplung der Sensorstruktur mit der Umgebung und/oder einer Referenzelektrode gemäß Teilmerkmal l.3 des Anspruchs 1 auch im Rahmen von E18 bei einem konstanten PWM Signal erfolgt, ergebe sich ebenfalls unmittelbar und eindeutig der Figur 3 und der zugehörigen Beschreibung; insoweit sei zu berücksichtigen, dass nach dem Kern der Lehre der E18 das Sensieren nicht an den Flanken des Signals erfolge.
1.5.1 Die Kammer ist von der Ausführungen der Beschwerdeführerin nicht überzeugt:
Figur 3 zeigt lediglich ein alternierendes Signal mit konstantem Tastverhältnis. Wie von der Beschwerdegegnerin zutreffend angemerkt wurde, lehrt E18 lediglich, dass die Heizeinrichtung je nach Temperatur ein- und ausgeschaltet wird (vgl. Absatz [0074]). Es handelt sich hier um eine sogenannte Zweipunktregelung, die mit einer PWM, bei welcher das Tastverhältnis zwischen ein- und ausgeschaltetem Zustand variabel zur Temperaturregulierung eingestellt werden kann, nicht gleichzusetzen ist. Es folgt, dass eine Ansteuerung der Heizstruktur mittels einer PWM mit einem PWM Signal und somit einer Erfassung bei konstantem PWM Signal im Sinne der Teilmerkmale l.2 und l.3 des Anspruchs 1 in aufrechterhaltener Fassung in E18 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart ist. Aus diesem Grund ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu auch gegenüber E18, und dies unabhängig von der Einschätzung der Offenbarung der restlichen strittigen Merkmale des Anspruchs in dieser Entgegenhaltung.
2. Dieselbe Schlussfolgerung gilt aus denselben Gründen für den Gegenstand der Ansprüche 13 und 14 des Streitpatents in aufrechterhaltener Fassung, weil sie den Gegenstand des Anspruchs 1 enthalten bzw. verwenden.
Erfinderische Tätigkeit - Artikel 52(1) und 56 EPÜ
3. Mit ihrer Beschwerdebegründung hielt die Beschwerdeführerin daran fest, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents in aufrechterhaltener Fassung - entgegen der Einschätzung der Einspruchsabteilung - nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Das Sensorsystem des Anspruchs 1 sei von den E15 oder E17 als nächstliegender Stand der Technik in Kombination mit E16 oder E2 nahegelegt. Während der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin, eine weitere Angriffslinie - basierend auf E16 als nächstliegendem Stand der Technik - ins Beschwerdeverfahren zuzulassen. Die Beschwerdegegnerin beantragte alle vorgelegten Angriffslinien unter Artikel 12(6) bzw. unter Artikel 13(2) VOBK ins Beschwerdeverfahren nicht zuzulassen.
Nicht-Zulassung der Angriffslinien ausgehend von E15 und E17
3.1 Hinsichtlich dieser Zulassungsfrage verwiesen die Parteien in der mündlichen Verhandlung auf ihren schriftlichen Vortrag und machten keine weiteren Ausführungen. Die Kammer sieht somit keinen Grund von ihrer vorläufigen Auffassung hinsichtlich der umstrittenen Zulassung dieser Angriffslinien abzuweichen, die hiermit bestätigt wird und wie folgt lautet:
3.1.1 Es ist unbestritten, dass die Angriffslinien ausgehend von E15 und E17 nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung sind. Während der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 tatsächlich nur ausgehend von der E16 in Frage gestellt . Mit der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin nicht begründet, warum diese neuen Angriffe nicht bereits vor der ersten Instanz hätten vorgelegt werden können. Umstände des erstinstanzlichen Verfahrens , die die Einreichung dieser neuen Angriffslinien erstmals mit der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin rechtfertigten könnten, wurden nicht vorgetragen und sind der Kammer nicht ersichtlich.
3.1.2 Aus diesen Gründen kam die Kammer zu dem Schluss, diese neuen Angriffslinien unter Artikel 12(6) VOBK, zweiter Satz, nicht zu berücksichtigen, weil sie spätestens während der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung hätten vorgelegt werden können und müssen.
Nicht-Zulassung der Angriffslinie ausgehend von E16
3.2 Die Beschwerdeführerin machte folgendes geltend:
Die unerwartete Schlussfolgerung der Kammer während der mündlichen Verhandlung, dass das Teilmerkmal l.1 des Anspruchs 1 - entgegen der Einschätzung der Einspruchsabteilung und der schriftlichen vorläufigen Auffassung der Kammer - als in E16 offenbart anzusehen sei, mache diese Entgegenhaltung zum vielversprechendsten Ausgangspunkt für den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 in aufrechterhaltener Fassung. Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, dass allein die Änderung der Auffassung der Kammer hinsichtlich der Offenbarung dieses Merkmals in E16 die Zulassung diese Argumentationslinie ins Beschwerdeverfahren rechtfertigte. Darüber hinaus beschäftige sich die Entscheidung der Einspruchsabteilung bereits mit Angriffslinien ausgehend von E16, die daher bereits Teil des Einspruchsverfahrens waren, was ebenfalls für die Zulassung dieser Argumentationslinie sprach.
3.2.1 Die Kammer merkt an, dass die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerdebegründung und dem nachfolgenden Schreiben vom 13. März 2025 daran festhielt, dass alle Teilmerkmale 1.l bis l.3 des Anspruchs 1 der E16 unmittelbar und eindeutig zu entnehmen seien. In der angefochtene Entscheidung wurde von der Einspruchsabteilung nicht nur die Neuheit gegenüber E16, sondern auch die erfinderische Tätigkeit ausgehend von diesem Dokument insbesondere unter Heranziehung des Merkmals l.3 als Unterscheidungsmerkmal anerkannt. Die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E16 wurde mit der Beschwerdebegründung nicht in Frage gestellt. Ein Vorbringen zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E16 erfolgte seitens der Beschwerdeführerin auch nicht schriftlich nach der Erwiderung der Beschwerdegegnerin vom 13. Juli 2023, die u.a. das Vorhandensein des Merkmals l.3 in E16 bestritten hat. Somit stellt die erst in der mündliche Verhandlung vorgebrachte Argumentationslinie ausgehend von E16 eine Änderung des Beschwerdevorbringens dar, das gemäß Artikel 13(2) VOBK grundsätzlich nur berücksichtigt werden kann, wenn der betreffende Beteiligte stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt hat, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Hieran fehlt es vorliegend:
Die Tatsache, dass die Kammer während der mündlichen Verhandlung von der mit der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK bekanntgegebenen vorläufigen Einschätzung zur Offenbarung vom Merkmal l.1 in E16 abwich - nicht aber zur Offenbarung des Merkmals l.3 -, stellt grundsätzlich keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Artikels 13(2) VOBK dar, erst recht nicht im vorliegenden Fall, in dem die Änderung zu Gunsten der Beschwerdeführerin ging. Die Beschwerdeführerin hatte auch nach der Beschwerdebegründung mehrere Gelegenheiten gehabt, sich schriftlich zur Frage der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E16 zu äußern - hat diese aber versäumt. Eine (erneute) Vorlage eines Angriffes mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E16 zu diesem späten Zeitpunkt ist durch die Umständen der Beschwerdeverfahrens daher nicht gerechtfertigt.
3.2.2 Die Kammer entschied somit diese Angriffslinie unter Artikel 13(2) VOBK nicht zu berücksichtigen.
4. Die Kammer hat somit keinen Grund, von der Einschätzung der Einspruchsabteilung abzuweichen, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 des Streitpatents in aufrechterhaltener Fassung vom Stand der Technik nicht nahegelegt wird. Dasselbe gilt aus denselben Gründen für den Gegenstand der Ansprüche 13 und 14, die den Gegenstand des Anspruchs 1 enthalten bzw. verwenden.
5. Die Beschreibung entspricht der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Beschreibung bis auf die Absätze 99, 126, 127 und 134, die übereinstimmend geändert worden sind, um Widersprüche mit dem Wortlaut des Anspruchs 1 zu entfernen.
Die Beschwerdeführerin wendete ein, Absatz 49 stehe auch im Widerspruch mit dem Anspruch 1, da dort beschrieben werde, dass wenigstens eine Heizeinrichtung zumindest teilweise eine Sensorstruktur bilde; Anspruch 1 fordere jedoch, dass Sensorsystem und Heizeinrichtung verschieden seien. Die Beschwerdeführerin verwies auch auf den Absatz [0033], wonach - in angeblichem Widerspruch zum Merkmal l.1 des Anspruchs 1 - die Heizstrukturen entsprechend den Sensorstrukturen in einzelne Heizstrukturen unterteilt werden können.
Die Kammer kann aber keinen Widerspruch erkennen, weil gemäß dem Wortlaut des Anspruchs 1 das Sensorsystem eine Heizeinrichtung mit wenigstens einer, von der Sensorstruktur verschiedenen Heizstruktur aufweist:
Dies schließt nicht aus, dass zusätzlich eine Heizeinrichtung teilweise eine Sensorstruktur bildet, und dass die Heiz- und Sensorstrukturen separat aber gleich strukturiert werden können
6. Schließlich sieht die Kammer keine Notwendigkeit, das Verfahren im Hinblick auf das Verfahren G1/24 auszusetzen, da die in der mündlichen Verhandlung erörterte Frage der Auslegung des Anspruchs 1 unter Heranziehung der Beschreibung nur Merkmal 1.1 betraf und somit nicht entscheidungsrelevant ist, da - wie oben erklärt - die Neuheit bereits aufgrund Merkmal l.3 zu bejahen ist.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zurückverwiesen an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung, das Patent aufrechtzuerhalten wie in der angefochtenen Entscheidung, jedoch mit den zusätzlichen Anpassungen der Beschreibung wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht.