T 2396/22 18-02-2025
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BLECHVERBUND, VERFAHREN ZUM FÜGEN VON BLECHEN UND FÜGEVORRICHTUNG
Angefochtene Entscheidung - ausreichend begründet (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - entspricht der Billigkeit wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels (ja)
Zurückverweisung - wesentlicher Mangel im Verfahren vor der ersten Instanz (ja)
I. Die Einspruchsabteilung entschied in einer Zwischenentscheidung die Aufrechterhaltung des europäischen Patents in geändertem Umfang auf Grundlage der Ansprüche gemäß Hilfsantrag 2.
II. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte gegen die Entscheidung Beschwerde ein. Sie beantragte in ihrer Beschwerdebegründung unter anderem die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels, sowie die Zurückverweisung der Akte an die Einspruchsabteilung aufgrund von wesentlichen Verfahrensmängeln.
Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte in ihrer Erwiderung die Zurückweisung der Beschwerde.
III. Die Beschwerdeführerin machte unter anderem geltend, dass der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachtete Anspruch 1 vom Hilfsantrag 2 zwei Alternativen umfasse und dass es in den Entscheidungsgründen an einer Argumentation und Begründung zur erfinderische Tätigkeit hinsichtlich der ersten Alternative fehle. Dies stelle einen Verfahrensmangel dar.
Die Beschwerdegegnerin machte geltend, sie könne sich nicht erinnern, dass die Beschwerdeführerin in Bezug auf die erste Alternative einen Vortrag zu dem neu hinzugefügten Merkmal e13 geliefert habe.
IV. In einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK führte die Kammer aus, dass sie in der unvollständigen Begründung der erfinderischen Tätigkeit des von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 einen wesentlichen Verfahrensmangel sehe. Die Entscheidung sei insoweit entgegen Regel 111 (2) Satz 1 EPÜ nicht begründet. Die Kammer beabsichtige daher, die Angelegenheit ohne weitere Prüfung in der Sache an die Einspruchsabteilung zur Behebung dieses Begründungsmangels zurückzuverweisen und die Rückerstattung der Beschwerdegebühr anzuordnen.
Die Kammer wies ferner darauf hin, dass eine Entscheidung über den wesentlichen Verfahrensmangel und die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung im schriftlichen Verfahren ergehen könne, wenn die Verfahrensbeteiligten ihre Anträgen auf mündliche Verhandlung zurücknähmen.
V. Daraufhin nahmen sowohl die Beschwerdeführerin als auch die Beschwerdegegnerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und erklärten sich mit einer Weiterführung im schriftlichen Verfahren einverstanden.
VI. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (Hilfsantrag 2 im Einspruchsverfahren) lautet:
"Blechverbund, der Bestandteil eines beweglichen oder nicht beweglichen Anbauteils, nämlich einer Tür, eines Schiebedachs, einer Heckklappe, eines Kofferraumdeckels, einer Motorhaube oder eines angebauten Kotflügels für ein oder an einem Fahrzeug, oder Bestandteil einer Karosserie des Fahrzeugs ist, der Blechverbund umfassend:
a) ein Außenblech (1) mit einem durch Roll- oder Gleitbördeln um eine Bördelkante (1b) umgelegten Flansch (1c; 1d),
b) ein Innenblech (2), das mit dem Flansch (1c; 1d) einen Stoß (3; 8) bildet,
c) und eine an oder in dem Stoß (3; 8) erzeugte, die Bleche (1; 2) fest miteinander verbindende Schweiß- oder Lötnaht,
d) wobei das Außenblech (1) mit seinem Flansch (1c; 1d) eine Tasche bildet,
dadurch gekennzeichnet, dass
e11) das Innenblech (2) in die Tasche ragt, um mit dem Flansch (1d) einen Überlappstoß (3) an einer in Bezug auf die Tasche innenliegenden Seite des Flansches zu bilden,
e12) wobei der Flansch (1d) mit einer Neigung von einem zugewandt gegenüberliegenden Bereich (1a) des Außenblechs (1) weg weist, so dass sich die Tasche in Richtung auf einen die Bördelkante (1b) umfassenden Bördelgrund trichterförmig verengt,
e13) und wobei das Innenblech (2) mit seinem freien Flanschrand bis gegen die innenseite des zugewandt gegenüberliegenden Blechbereichs (1a) ragt,
oder dass
e21) der Flansch (1c; 1d) und das Innenblech (2) einen Überlappstoß (8) an der von der Tasche abgewandten Außenseite des Flansches (1c; 1d) bilden
e22) und die Schweiß- oder Lötnaht eine Schweißnaht (4) ist, die sich längs der Außenseite des Flansches (1c; 1d) erstreckt."
1. Die Entscheidung ist aus den nachstehenden Gründen entgegen Regel 111 (2) Satz 1 EPÜ in einem entscheidungserheblichen Teil nicht begründet.
Dieser Begründungsmangel stellt einen wesentlichen Mangel im Sinne von Artikel 11 Satz 2 VOBK und einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne von Regel 103 (1) (a) EPÜ dar.
2. Der kennzeichnende Teil von Anspruch 1 des von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Hilfsantrags 2 enthält zwei Alternativen, nämlich einerseits die Merkmale e11, e12 und e13 und andererseits die Merkmale e21 und e22.
3. Nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung wurde die erfinderische Tätigkeit beider Alternativen ausgehend von E1 getrennt voneinander erörtert und von der Einspruchsabteilung auch jeweils gesondert entschieden (siehe Niederschrift, Seiten 3 und 4). Insoweit gab es - anders als von der Beschwerdegegnerin in Punkt 1.4.2 der Beschwerdeerwiderung vorgetragen - auch einen Vortrag der Beschwerdeführerin zur ersten Alternative und damit zu dem im Hilfsantrag 2 neu hinzugefügten Merkmal e13.
4. In der Entscheidung wird jedoch nur begründet, warum die zweite Alternative mit den Merkmalen e21 und e22 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, nicht aber, warum die erste Alternative mit den Merkmalen e11, e12 und e13 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
5. Die Entscheidung befasst sich hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrags und des vorrangigen Hilfsantrags 1 ausschließlich mit der ersten Alternative. Die erfinderische Tätigkeit wurde diesbezüglich von der Einspruchsabteilung verneint. Daher hätte für die Aufrechterhaltung eines Patents auf der Grundlage des Hilfsantrags 2 die Änderung der ersten Alternative in diesem Hilfsantrag (Hinzufügung von Merkmal e13) die erfinderische Tätigkeit für diese Alternative begründen müssen. Diese Begründung fehlt jedoch in der Entscheidung.
6. Die Entscheidung ist daher entgegen Regel 111 (2) Satz 1 EPÜ insoweit nicht begründet. Dieser Begründungsmangel ist auch wesentlich. Insbesondere konnte die Beschwerdeführerin der Entscheidung nicht entnehmen, welche tragenden Gründe für die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hilfsantrags 2 sprechen und sie konnte daher ihr Beschwerdevorbingen auch nicht hiergegen richten.
7. Die Kammer übt ihr Ermessen nach Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ und Artikel 11 Satz 2 VOBK dahingehend aus, die Angelegenheit ohne weitere Prüfung in der Sache an die Einspruchsabteilung zur Behebung des Begründungsmangels zurückzuverweisen.
8. Ferner entspricht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wegen des vorliegenden Verfahrensmangels der Billigkeit gemäß Regel 103 (1) (a) EPÜ.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.