T 2229/22 04-04-2025
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VERFAHREN ZUM BETREIBEN EINES EINEN AUTONOMEN FAHRMODUS AUFWEISENDEN FAHRZEUGS, STEUEREINHEIT FÜR EINE FESTSTELLBREMSEINRICHTUNG DES FAHRZEUGS SOWIE FESTSTELLBREMSEINRICHTUNG, BREMSANLAGE UND FAHRZEUG DAMIT
Knorr-Bremse
Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtete sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2934971 aufgrund des Artikels 101(2) EPÜ zurückzuweisen.
II. Die angefochtene Entscheidung nimmt unter anderem Bezug auf die folgenden Entgegenhaltungen, die auch der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegen.
ED1: WO 03/029060 A2
ED2: EP 2 055 541 A1
III. In ihrer Entscheidung ist die Einspruchsabteilung unter anderem zu der Auffassung gelangt, dass der Verfahrensanspruch 1 und der Produktanspruch 8 wie erteilt neu gegenüber ED2 und erfinderisch gegenüber den Kombinationen ED2 mit Fachwissen bzw. Fachwissen mit ED2 und gegenüber der Kombination ED1 mit ED2 sind.
IV. Am 4. April 2025 fand eine als Videokonferenz durchgeführte mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts statt.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents in vollem Umfang.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag). Hilfsweise wird die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage eines der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 6 beantragt.
V. Das Patent wie erteilt (Hauptantrag) umfasst die beiden unabhängige Ansprüche 1 und 8.
Anspruch 1 ist ein Verfahrensanspruch und lautet in der von den Parteien verwendeten Merkmalsgliederung:
Ml.l Verfahren zum Betreiben eines Fahrzeugs (100), das in einem autonomen Fahrmodus betreibbar ist,
Ml.2 wobei eine Steuereinheit (20, 20') einer Feststellbremseinrichtung (4, 4') des Fahrzeugs (100) eine Ventileinheit (28, 28') der Feststellbremseinrichtung (4, 4') ansteuert, um einen mit einem Federspeicherteil (10) wenigstens eines Federspeicherbremszylinders (8) des Fahrzeugs (100) druckübertragend verbundenen ersten Ausgang (12) der Feststellbremseinrichtung (4, 4) im regulären Fahrbetrieb des Fahrzeugs (100) gegen eine Drucksenke (32, 58) abzusperren,
M1.3 dadurch gekennzeichnet dass eine Steuerschaltung (26, 26') der Steuereinheit (20, 20) die Ventileinheit (28, 28') derart ansteuert, dass in Erwiderung auf einen Stromausfall an der Feststellbremseinrichtung (4, 4) im regulären Fahrbetrieb im autonomen Fahrmodus der erste Ausgang (12) durch automatisches Umschalten eines monostabilen Absperrventils (A) mit der Drucksenke (32, 58) druckübertragend verbunden wird, um den Federspeicherbremszylinder (8) zum Abbremsen des Fahrzeugs (100) zu betätigen, wobei
M1.4 - eine Eingangsschaltung (22) der Steuereinheit (20, 20') ermittelt, ob sich das Fahrzeug (100) in einem manuellen Fahrmodus oder im autonomen Fahrmodus befindet,
M1.5 - eine Wechselschaltung (24) der Steuereinheit (20, 20') automatisch zwischen einem manuellen Betriebsmodus der Steuereinheit (20, 20') bei ermitteltem manuellen Fahrmodus und einem autonomen Betriebsmodus der Steuereinheit (20, 20') bei ermitteltem autonomen Fahrmodus umschaltet und
M1.6 - die Steuerschaltung (26, 26') die Ventileinheit (28,28) im regulären Fahrbetrieb im autonomen Betriebsmodus gegenüber dem manuellen Betriebsmodus auf derart unterschiedliche Weise ansteuert, das in Erwiderung auf einen Stromausfall an der Feststellbremseinrichtung (4, 4) im regulären Fahrbetrieb im manuellen Betriebsmodus der erste Ausgang (12) gegen die Drucksenke (32, 58) abgesperrt bleibt und im autonomen Betriebsmodus der erste Ausgang (12) mit der Drucksenke (32, 58) verbunden wird.
Anspruch 8 ist ein Produktanspruch und lautet in der von den Parteien verwendeten Merkmalsgliederung:
M8.1 Steuereinheit für eine Feststellbremseinrichtung (4,4') eines Fahrzeugs (100), das in einem autonomen Fahrmodus betreibbar ist,
M8.2 wobei die Steuereinheit (4, 4') zur Ansteuerung einer Ventileinheit (28, 28') der Feststellbremseinrichtung (4, 4') derart ausgebildet ist, um einen mit einem Federspeicherteil (10) wenigstens eines Federspeicherbremszylinders (8) des Fahrzeugs (100) druckübertragend verbindbaren ersten Ausgang (12) der Feststellbremseinrichtung (4, 4') im regulären Fahrbetrieb des Fahrzeugs (100) gegen eine Drucksenke (32, 58) abzusperren,
M8.3 gekennzeichnet durch eine Steuerschaltung (26, 26), mittels welcher die Ventileinheit (28, 28') derart ansteuerbar ist, dass in Erwiderung auf einen Stromausfall an der Feststellbremseinrichtung (4, 4) im regulären Fahrbetrieb im autonomen Fahrmodus der erste Ausgang (12) durch automatisches Umschalten eines monostabilen Absperrventils (A) mit der Drucksenke (32, 58) druckübertragend verbunden wird, um den Federspeicherbremszylinder (8) zum Abbremsen des Fahrzeugs (100) zu betätigen, mit
M8.4 - einer Eingangsschaltung (22) zum Ermitteln, ob sich das Fahrzeug (100) in einem manuellen Fahrmodus oder im autonomen Fahrmodus befindet,
M8.5 - einer Wechselschaltung (24) zum autonomen Umschalten zwischen einem manuellen Betriebsmodus der Steuereinheit (20, 20') bei ermittelten manuellen Fahrmodus und einem autonomen Betriebsmodus der Steuereinheit (20, 20') bei ermitteltem autonomen Fahrmodus und
M8.6 - einer Ausbildung der Steuerschaltung (26, 26') zum Ansteuern der Ventileinheit (28, 28') im regulären Fahrbetrieb im autonomen Betriebsmodus gegenüber dem manuellen Betriebsmodus auf derart unterschiedliche Weise, dass in Erwiderung auf einen Stromausfall an der Feststellbremseinrichtung (4, 4) im regulären Fahrbetrieb im manuellen Betriebsmodus der erste Ausgang (12) gegen die Drucksenke (32, 58) abgesperrt bleibt und im autonomen Betriebsmodus der erste Ausgang (12) mit der Drucksenke (32, 58) verbunden wird.
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Einsprechende) - soweit es für die Entscheidung wesentlich war - lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Neuheit gegenüber ED2
Die Einspruchsabteilung habe bzgl. des angeblichen Unterscheidungsmerkmals "autonomer Fahrmodus" in den Anspruchsgegenstand zusätzliche Merkmale hineingelesen, die nur in der Beschreibung in Verbindung mit dem Ausführungsbeispiel offenbart seien. Der Anspruch sei jedoch breit auszulegen.
In seiner breitesten Bedeutung sei jedwede Autonomiestufe, z.B. auch ein zugeschaltetes Notbremsassistenzsystem wie in der ED2 offenbart, bereits ein (teil)autonomer Fahrmodus. Merkmal 1.1 sei daher offenbart.
Mit dem Zuschalten, d.h. dem zur Verfügung stellen des Notbremsassistenten, das von einer Steuereinheit erkannt und damit ermittelt werde, sei Merkmal M1.4 offenbart.
Auch die Merkmale 1.5, 1.3 und 1.6 seien offenbart. Darin werde kein sofortiges, unmittelbares Umschalten in den autonomen Betriebsmodus nach Ermittlung des autonomen Fahrmodus gefordert. ED2 sei daher trotz der für das Umschalten erforderlichen, zusätzlichen und zeitlich versetzten Bedingung der Erfassung einer (bevorstehenden) Notbremssituation (Absatz [0033]) neuheitsschädlich für die Ansprüche 1 und 8.
Erfinderische Tätigkeit: ED2 und Fachwissen
Sollte die Kammer den Ausführungen zur Neuheit nicht folgen, unterscheide sich Anspruch 1 von der ED2 nur dadurch, dass das im Merkmal M1.5 geforderte Umschalten in den autonomen Betriebsmodus und das damit verbundene Ansteuern der Ventileinheit bei einem Stromausfall gemäß der Merkmale 1.3 und 1.6 unmittelbar nach ermitteltem autonomen Fahrmodus erfolge und nicht erst nach Abfrage einer weiteren Bedingung.
Dies sei jedoch ausgehend von ED2 kombiniert mit Fachwissen naheliegend, wenn der Fachmann die Aufgabe lösen wolle, das autonome Fahren in ED2 auszubauen.
Auch das Fachwissen, aus dem autonom betreibbare Fahrzeuge bekannt seien, kombiniert mit ED2 lege Anspruch 1 bzw. Anspruch 8 nahe, wenn der Fachmann die Aufgabe lösen wolle, die Betriebssicherheit im Falle eines Stromausfalls zu verbessern.
Erfinderische Tätigkeit: ED1 mit ED2
ED1 offenbare ein autonom fahrendes Fahrzeug, in dem auch das Problem eines Stromausfalls behandelt werde. ED1 offenbare in Figur 3 ein monostabiles Ventil 20, dass zum Offenhalten der Bremse dauerhaft bestromt werde und bei Stromausfall automatisch in eine Stellung falle, in der die Bremse entlüfte und eingreife. Die dauerhafte Bestromung sei ein Nachteil, den die Einspruchsabteilung verkannt habe.
Zur Lösung der Aufgabe, die Anordnung stromsparender auszulegen, lehre die ED2 ein bistabiles Ventil 44, dass nicht permanent bestromt werden müsse. Der Fachmann würde daher entgegen der Ansicht der Einspruchsabteilung das monostabile Ventil 20 in ED1 mit dem bistabilen Ventile 44 der ED2 ersetzen.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) - soweit es für die Entscheidung wesentlich war - lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Neuheit gegenüber ED2
Den Ausführungen der Einspruchsabteilung unter Punkt 2.1 der angefochtenen Entscheidung bzgl. Merkmal 1.1 sei zuzustimmen. Der Anspruchswortlaut erfordere eine klare Trennung zwischen dem manuellen Fahrmodus, in dem das Fahrzeug vom Fahrer geführt werde, und dem autonomen Fahrmodus, in dem das Fahrzeug eben nicht auf einen Fahrer angewiesen sei. So werde es im Streitpatent, Absätze [0001] und [0014] beschrieben. Ein Fahrmodus mit einem Unterstützungssystem wie dem Notbremsassistenten der ED2 sei immer auf einen Fahrer angewiesen und damit immer ein manueller Fahrmodus.
Die Steuereinheit 30 der Feststellbremseinrichtung in ED2 ermittle keinen Fahrmodus, sondern erhalte lediglich ein Signal von der Steuerung 24 des Notbremsassistenten, wenn diese eine unmittelbar bevorstehende Notbremssituation erfasst habe (Absatz [0033]). Dies entspreche nicht dem Merkmal M1.4.
Weiterhin sei dem Anspruchswortlaut klar zu entnehmen, dass das Umschalten in den autonomen Betriebsmodus unmittelbar nach Ermitteln des autonomen Fahrmodus erfolge. Eine zeitlich versetzte, zusätzliche Bedingung werde ausgeschlossen. Damit fehlten auch die Merkmale M1.5 und folglich M1.3 und M1.6.
Erfinderische Tätigkeit: ED2 und Fachwissen
Der Einspruchsabteilung sei zuzustimmen, dass weder ED2 mit Fachwissen noch Fachwissen mit ED2 die erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 oder 8 in Frage stellen könne.
Es gebe keinen Anlass, das nicht näher belegte Fachwissen zu herkömmlichen autonomen Fahrzeugen mit ED2 zu kombinieren. Insbesondere sei gar nicht klar, welche Merkmale das Fachwissen abdecke und ob es mit ED2 überhaupt kompatibel sei. Diese Argumentation beruhe daher auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.
Erfinderische Tätigkeit: ED1 mit ED2
Der Einspruchsabteilung sei zuzustimmen, dass auch die Kombination von ED1 mit ED2 das beanspruchte Verfahren bzw. die beanspruchte Steuereinheit nicht nahelege. ED1 betreffe zwar ein autonom fahrendes Fahrzeug, beziehe sich jedoch nicht auf einen Stromausfall in der Feststellbremse, sondern auf einen Defekt in der Betriebsbremse (Seite 14, zweiter Absatz, bis Seite 15, erster Absatz), der dann eine Notbremsung auslöse.
Die Argumentation der Beschwerdeführerin sei rückschauend, da die formulierte Aufgabe nicht auf allen Unterscheidungsmerkmalen des Anspruchs gegenüber ED1 basiere.
1. Neuheit gegenüber ED2 - Anspruch 1 und Anspruch 8
1.1 Die Kammer bestätigt die Entscheidung der Einspruchsabteilung (Punkte 2.4 und 2.5), dass Anspruch 1 und Anspruch 8 wie erteilt neu sind gegenüber ED2.
1.2 Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) war der Ansicht, das keines der Merkmale M1.1 und M1.3 bis M1.6 in ED2 offenbart sei. Die Kammer stimmt dem zumindest bzgl. der Merkmale M1.3, M1.5 und M1.6 zu.
1.3 M1.1: Autonomer Fahrmodus
1.3.1 Merkmal 1.1 bezieht sich auf ein Verfahren für ein Fahrzeug, das in einem autonomen Fahrmodus betreibbar ist. In ED2 wird ein Fahrzeug mit einem Fahrerassistenzsystem zur autonomen Auslösung einer Notbremsung offenbart (Zusammenfassung, Absatz [0012]).
1.3.2 Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin kann ein Fahrzeug, in dem der Notbremsassistent der ED2 grundsätzlich als verfügbares Assistenzsystem zugeschaltet ist, als anspruchsgemäßer autonomer Fahrmodus angesehen werden.
1.3.3 Auch wenn der Beschwerdegegnerin zuzustimmen ist, dass mit dieser Auslegung ein manueller Fahrmodus nur dann bestünde, wenn alle Fahrerassistenzsysteme in einem Fahrzeug ausgeschaltet sind, ist festzuhalten, dass der Anspruch den Begriff "autonom" nicht weiter definiert.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin kann der Begriff "autonom" nicht nur als "vollautonom" im Sinne von "nicht auf einen Fahrer angewiesen", sondern auch als "teilautonom" verstanden werden.
"Teilautonom" ist jedoch ebenfalls breit und kann sich auf einzelne oder mehrere Fahrsituationen beziehen.
1.3.4 In der ED2 wird ein Notbremsassistent beschrieben, der - wenn zugeschaltet - anhand von Sensordaten eine bevorstehende Notbremssituation erkennt und daraufhin die Ventileinheit der Feststellbremse von einer Betriebsstellung in eine Aktivierungsstellung bringt (Absätze [0022], [0023]). Letztlich entscheidet der Notbremsassistent autonom anhand der Sensordaten, ob tatsächlich eine Notbremsung eingeleitet wird oder nicht. Damit befindet sich das Fahrzeug mit einem zugeschalteten Notbremsassistenten in gewissem Sinne in einem (teil)autonomen Fahrmodus.
1.4 M1.4: Eingangsschaltung und Ermitteln des Fahrmodus
1.4.1 Gemäß dem Vortrag der Beschwerdeführerin erfolgt das Ermitteln des (teil)autonomen Fahrmodus in ED2 zum Zeitpunkt des Zuschaltens des Notbremsassistenten z.B. durch Umlegen eines einfachen Schalters oder/oder Setzen einer Flag in einer Software.
1.4.2 Dieses Verständnis legt die Kammer der weiteren Argumentation zugrunde. Ob dies auch impliziert, dass die Information des Zugeschaltet-Seins tatsächlich der Steuereinheit 30 der Feststellbremseinrichtung über eine Eingangsschaltung zur Verfügung gestellt bzw. von dieser abgerufen wird, kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, da auch unter der Annahme, dass dies der Fall und damit Merkmal 1.4 offenbart ist, die Entgegenhaltung ED2 die Neuheit des Anspruchs 1 nicht in Frage stellen kann.
1.5 Merkmale M1.5, M1.3 und M1.6: autonomer Betriebsmodus und Steuerung der Ventileinheit
1.5.1 Unter Zugrundelegen des von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Verständnisses, dass das Ermitteln des autonomen Fahrmodus in ED2 dann erfolgt, wenn der Notbremsassistent zugeschaltet wird, sind die Merkmale M1.5, M1.3 und M1.6 nicht offenbart.
1.5.2 Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass der Anspruchswortlaut keine zeitliche Abfolge festlege zwischen dem Ermitteln des autonomen Fahrmodus (M1.4) und dem Umschalten in den autonomen Betriebsmodus (M1.5). Der Anspruchswortlaut erlaube, dass eine weitere, gegebenenfalls zeitlich versetzte Bedingung abgefragt werden könne, bevor die Steuereinheit in den autonomen Betriebsmodus umschalte, um die Ventileinheit dann gemäß den Merkmalen M1.3 und M1.6 anzusteuern.
Die ED2 offenbare in den Absätzen [0033] und [0034] ein Umschalten in den autonomen Betriebsmodus, wenn die Steuerung 24 des Notbremsassistenten ein Bevorstehen oder Vorliegen einer Notbremssituation erfasst habe. Dann erhalte die Steuereinheit 30 der Feststellbremseinrichtung ein Signal von der Steuerung 24, wodurch die Steuereinheit 30 in den autonomen Betriebsmodus schalte und die Ventileinheit in die "Aktivierungsstellung" bringe, in der die Ventile wie in den Merkmalen M1.3 und M1.6 definiert angesteuert würden.
1.5.3 Die Kammer ist nicht überzeugt.
Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, fordert der Wortlaut des Merkmals M1.5, dass ein Umschalten der Steuereinheit auf einen autonomen Betriebsmodus unmittelbar erfolgt, sobald gemäß Merkmal M1.4 der autonome Fahrmodus ermittelt wurde. Dies wird dadurch deutlich, dass die Wechselschaltung "bei ermitteltem autonomen Fahrmodus umschaltet".
In der Auslegung der Beschwerdeführerin müsste die Steuereinheit im Anspruchswortlaut nur "umschaltbar" sein. Nur dann wäre es möglich, das Umschalten in den autonomen Betriebsmodus zeitlich vom Ermitteln des autonomen Fahrmodus zu entkoppeln.
1.5.4 Da Merkmal 1.5 nicht offenbart ist, sind auch die Merkmale M1.3 und M1.6 nicht offenbart.
Im Verständnis der Beschwerdeführerin erfolgt Merkmal M1.4 in ED2 bereits mit dem Zuschalten des Notbremsassistenten. Zu diesem Zeitpunkt wird in ED2 jedoch nicht in den (teil)autonomen Betriebsmodus gewechselt, in dem die Ventileinheit gemäß der Merkmale 1.3 und M1.6 angesteuert wird.
Stattdessen kann es in ED2 - trotz ermittelten (teil)autonomen Fahrmodus - zu überhaupt keinem Umschalten in den autonomen Betriebsmodus kommen. Dies erfolgt erst - und nur -, wenn die Steuerung 24 des Notbremsassistent aus den Sensordaten tatsächlich eine vorliegende oder unmittelbar bevorstehende Notbremssituation ermittelt.
Folglich sind die Merkmale M1.3 und M1.6 im regulären Fahrbetrieb im (teil)autonomen Fahrmodus in ED2 gar nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen erfüllt. Wie Merkmal 1.5 fordern die Merkmale M1.3 und M1.6 jedoch nicht, dass die Ventileinheit im regulären Fahrbetrieb im autonomen Fahrmodus in der definierten Weise "ansteuerbar" ist, sondern dass die Steuerschaltung die Ventileinheit dann tatsächlich "angesteuert". Daher müssen laut Anspruch die Merkmale M1.3 und M1.6 für den gesamten regulären Fahrbetrieb im (teil)autonomen Fahrmodus vorliegen. Dies ist in ED2 unstrittig nicht der Fall.
1.5.5 Ergänzend wird festgestellt, dass die Ventileinheiten im Streitpatent (Figur 1) und in ED2 (Figur 2) tatsächlich vergleichbar aufgebaut sind und die Ansteuerung der Ventileinheit bei Stromausfall im autonomen Betriebsmodus im Streitpatent im Vergleich zur Ansteuerung bei Stromausfall in der "Aktivierungsstellung" in der ED2 gleich ist. Dies wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten.
1.6 Da sich die Beschwerdeführerin bzgl. Anspruch 8 lediglich auf die Argumente zu Anspruch 1 berief, gilt das zu Anspruch 1 Gesagte mutatis mutantis auch für Anspruch 8.
1.7 Der Hauptantrag erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ.
2. Erfinderische Tätigkeit - ED2 und Fachwissen
2.1 Die Kammer bestätigt die Entscheidung der Einspruchsabteilung (Punkte 3.2 und 3.4), dass weder ED2 mit Fachwissen noch das Fachwissen mit ED2 das Verfahren nach Anspruch 1 bzw. die Steuereinheit nach Anspruch 8 nahelegt.
2.2 Ausgehend von ED2 sah die Beschwerdeführerin die zu lösende Aufgabe darin, die autonomen Fahrmöglichkeiten in der ED2 zu erweitern.
Ausgehend vom Fachwissen sei die zu lösende Aufgabe darin zu sehen, die Betriebssicherheit eines an sich bekannten, autonom betreibbaren Fahrzeugs im Falle eines Stromausfalls zu verbessern.
In beiden Fällen sei offensichtlich, dass in autonom betreibbaren Fahrzeugen, d.h. Fahrzeugen, die nicht auf einen Fahrer angewiesen seien, bei Stromausfall ein vollständiges Bremsen nicht nur nach Abfrage einer weiteren Bedingung (Bevorstehen einer Notbremssituation), sondern direkt nach Ermittlung des autonomen Fahrmodus erfolgen müsse. Der Fachmann würde daher auf diese, in ED2 offenbarte, zusätzliche Abfrage verzichten, direkt in den autonomen Betriebsmodus wechseln und so zum beanspruchten Verfahren bzw. dem beanspruchten Gegenstand gelangen ohne erfinderisch tätig zu werden.
2.3 Die Kammer stimmt jedoch der Beschwerdegegnerin zu, dass die Argumentation der Beschwerdeführerin auf einer rückschauenden Betrachtungsweise beruht.
2.3.1 Wie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht ist nicht klar, welche Merkmale das beliebig aus dem Stand der Technik herangezogene, autonom betreibbare Fahrzeug eigentlich aufweist. In der Argumentation der Beschwerdeführerin müsste der Fachmann zunächst den Begriff "autonom" im Sinne eines vollautonom betreibbaren Fahrzeugs verstehen. Dies ist jedoch gemäß der eigenen Auslegung der Beschwerdeführerin zu Merkmal 1.1 (vgl. obigen Punkt 1.3) nicht offensichtlich, da der Fachmann zahlreiche (teil)autonome Fahrmöglichkeiten kennt, z.B. in Form weiterer Fahrerassistenzsysteme (z.B. ABS, Spurassistent).
2.3.2 Möchte der Fachmann die autonomen Fahrmöglichkeiten in ED2 erweitern oder die Betriebssicherheit eines an sich bekannten, nicht weiter spezifizierten (teil)autonom betreibbaren Fahrzeug verbessern, ist es daher bereits nicht naheliegend aus der Vielzahl der möglichen (teil)autonom betreibbaren Fahrzeuge das auszuwählen, das nicht auf einen Fahrer angewiesen ist.
2.3.3 Weiterhin würde der Fachmann entgegen der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht einfach die in ED2 beschriebene Abfrage, ob eine Notbremssituation bevorsteht oder nicht, weglassen. Dies ist nämlich gerade Kern der Lehre der ED2 wie z.B. aus Anspruch 1 oder der Zusammenfassung hervorgeht.
2.3.4 Daher ist selbst wenn der Fachmann ein vollautonom betreibbares Fahrzeug heranziehen würde - sei es als sekundäre Entgegenhaltung oder als nächstliegenden Stand der Technik - der Einspruchsabteilung, Entscheidung, Punkt 3.2 zuzustimmen.
Das Ergebnis wäre in beiden Angriffen ein autonom betreibbaren Fahrzeug, bei dem im Falle einer von Sensoren detektierten und von der Steuerung 24 erkannten potentiellen Notbremssituation ein Notbremsassistent aktiviert wird - und zwar völlig unabhängig davon, ob sich das Fahrzeug im manuellen oder autonomen Fahrmodus befindet.
3. Erfinderische Tätigkeit - ED1 mit ED2
3.1 Die Kammer bestätigt die Entscheidung der Einspruchsabteilung (Punkte 3.3 und 3.4), dass die Kombination von ED1 mit ED2 das Verfahren des Anspruchs 1 und die Steuereinheit des Anspruchs 8 nicht nahelegt.
3.2 Die ED1 beschreibt ein Notbremssystem über die Feststellbremse für den Fall eines Defekts der Betriebsbremse beim fahrerlosen Fahren (Seite 2, letzter Absatz)
3.3 Ausgehend von ED1, Figur 3 (im Folgenden links eingeblendet) argumentierte die Beschwerdeführerin, dass der Fachmann das Problem erkenne, dass das bei Stromausfall umschaltende monostabile Ventil 20 dauerhaft bestromt werden müsse. Um diesen Nachteil zu beseitigen und das System stromsparender auszuführen, würde der Fachmann das monostabile Ventil 20 der ED1 durch das in ED2 offenbarte bistabile Ventil 44 (ein Ausschnitt der Figur 2 ist im Folgenden recht gezeigt) ersetzen.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
3.4 Die Kammer ist nicht überzeugt, da - ungeachtet der von der Beschwerdegegnerin aufgeworfenen Frage, ob der Fachmann ED1 und ED2 überhaupt kombinieren würde - bei der vorgetragenen Kombination von ED1 mit ED2 nicht alle Merkmale des Anspruchs 1 bzw. 8 offenbart wären.
3.4.1 Insbesondere fehlt bei Austausch des monostabilen Ventils 20 in der ED1 durch das bistabile Ventil 44 der ED2 dann gerade das in Merkmal 1.3 definierte monostabile Ventil. Somit würde eine entsprechende Steuereinheit auch keine Steuerschaltung aufweisen, mit der eine Ventileinheit gemäß Merkmal M1.3 bzw. M8.3 angesteuert wird bzw. ansteuerbar ist.
3.4.2 Folglich kann allein schon aus diesem Grunde die Kombination von ED1 mit ED2 das beanspruchte Verfahren bzw. den beanspruchten Gegenstand nicht nahelegen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.