T 1963/22 13-03-2025
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VORRICHTUNG ZUM SPERREN UND FREIGEBEN EINES FUNKTIONSWESENTLICHEN BAUTEILS EINES KRAFTFAHRZEUGES
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Kombination bekannter Merkmale
Spät eingereichter Antrag - im erstinstanzlichen Verfahren zugelassen (nein)
Spät eingereichter Antrag - Ermessensfehler in erster Instanz (nein)
Spät eingereichter Antrag - zugelassen (nein)
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 3392095 in geändertem Umfang auf Basis des Hilfsantrags 1.
II. Die angefochtene Entscheidung nimmt unter anderem Bezug auf die folgenden, auch in dieser Entscheidung genannten Entgegenhaltungen
D1: EP 1 150 447
und
D3: EP 2 653 356.
III. In ihrer Entscheidung ist die Einspruchsabteilung u.a. zu der Auffassung gelangt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt (Hauptantrag) nicht erfinderisch gegenüber D1 kombiniert mit D3 ist. Die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 1 Neu, 1.1 Neu und 1.2 Neu, die dem im schriftlichen Verfahren eingereichten Hilfsantrag 1 vorgeordnet wurden, hatte die Einspruchsabteilung nicht ins Verfahren zugelassen.
IV. Am 13. März 2025 fand eine als Videokonferenz durchgeführte mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts statt.
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis eines der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsanträge 1 Neu, 1.1 Neu und 1.2 Neu. Zusätzlich wurde wegen wesentlicher Verfahrensmängel die Rückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt.
Der Beschwerdegegner (Einsprechende) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
V. Anspruch 1 wie erteilt (Hauptantrag) in der von den Parteien verwendeten Merkmalsgliederung lautet:
1.1 Vorrichtung (100) zum Sperren und Freigeben eines funktionswesentlichen Bauteils eines Kraftfahrzeuges, insbesondere einer Lenksäule oder eines Gangschalthebels, aufweisend
1.2 einen zwischen einer Verriegelungsposition (VP) zum Verriegeln des funktionswesentlichen Bauteils und einer Entriegelungsposition (EP) zum Entriegeln des funktionswesentlichen Bauteils bewegbar gelagerten Sperrbolzen (10),
1.3 ein Getriebe (20),
1.3.1 welches mit dem Sperrbolzen (10) in mechanischer Wirkverbindung steht,
1.3.1.1 um den Sperrbolzen (10) zwischen der Verriegelungsposition (VP) und der Entriegelungsposition (EP) zu überführen.
1.4 und eine Detektionseinheit (30),
1.4.1 welche ein Schieberelement (31) zum Bewegen eines Signalgebers (32)
1.4.2 und mindestens ein erstes ortsfestes Sensorelement (33) zum Detektieren mindestens einer Stellung (RS, DS) des Schieberelementes (31) aufweist,
1.5 wobei das Getriebe (20) eine kurvenartige, drehbar angetriebene Führungskulisse (24) aufweist,
1.5.1 die mit einem korrespondierenden Führungspin (36) des Schieberelementes (31) zusammenwirkt,
1.5.1.1 um das Schieberelement (31) zwischen einer Ruhestellung (RS), in welcher sich der Signalgeber (32) beabstandet vom ersten Sensorelement (33) befindet, und einer Detektionsstellung (DS), in welcher sich der Signalgeber (32) im Detektionsbereich des ersten Sensorelementes (33) befindet, zu überführen,
1.5.2 wobei die Führungskulisse (24) zumindest zu einem Teil radial einseitig offen ausgebildet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
1.6 die Führungskulisse (24) mit einem wachsenden Abstand (r) zu einer Drehachse (D) des Getriebes (20)
1.6.1 zuerst einen entlang der Führungskulisse (24) beidseitig geschlossenen Führungsbereich (I)
1.6.2 danach einen sich zu einer Seite der Führungskulisse (24) öffnenden und breiter werdenden Eintrittsbereich (II)
1.6.3 und danach einen entlang der Führungskulisse (24) radial einseitig offenen Stützbereich (III) für den Führungspin (36) des Schieberelementes (31) aufweist.
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) - soweit es für die Entscheidung wesentlich war - lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Erfinderische Tätigkeit: D1 mit D3
Anspruch 1 unterscheide sich von der D1 zumindest durch die Einheit zur Detektion einer Position des Sperrbolzens (Merkmale 1.4, 1.5.1 und 1.5.1.1).
Die Einspruchsabteilung habe sich geirrt, dass die Vorrichtung nach Anspruch 1 ausgehend von D1 kombiniert mit D3 nahegelegt sei.
Auch wenn D3 eine Detektionseinheit zeige, seien die Vorrichtungen der D1 und der D3 konstruktiv so unterschiedlich, dass sie nicht kompatibel seien.
Weiterhin offenbare auch die Kombination von D1 mit D3 nicht alle Merkmale des Anspruchs, insbesondere nicht Merkmal 1.5.1.
Zulassung der Hilfsanträge 1 Neu, 1.1 Neu und 1.2 Neu
Die Einspruchsabteilung habe ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Die Nicht-Zulassung der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge beruhe auf rechtswidrigen Schlussfolgerungen der Einspruchsabteilung. Hieraus ergebe sich ein wesentlicher Verfahrensmangel, der die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertige.
VII. Das Vorbringen des Beschwerdegegners (Einsprechenden) - soweit es für die Entscheidung wesentlich war - lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Erfinderische Tätigkeit: D1 mit D3
Die Einspruchsabteilung habe korrekt entschieden, dass die Kombination von D1 mit D3 auf naheliegende Weise zu einer Vorrichtung gemäß Anspruch 1 führe. Anspruch 1 unterscheide sich von der Vorrichtung der D1 nur durch die Detektionseinheit, die jedoch z.B. aus D3 bekannt sei. Ausgehend von der D1 würde der Fachmann die Detektionseinheit aus D3 derart in D1 implementieren, dass er einen Magneten am Schieberelement ("hanger 52" in D1, Figur 1) und eine Sensorelement in der Nähe des Magneten ortsfest anordnen würde. Damit gelange der Fachmann auf naheliegende Weise zu einer Anordnung gemäß Anspruch 1.
Zulassung der Hilfsanträge 1 Neu, 1.1 Neu und 1.2 Neu
Die Einspruchsabteilung habe die richtigen Kriterien bei der Ausübung ihres Ermessens angewendet. Insbesondere wurde die Komplexität in Verbindung mit dem extrem späten Zeitpunkt als Kriterium herangezogen. Daran sei nichts zu beanstanden. Daher gebe es auch keinen Anlass die Ermessensentscheidung inhaltlich zu überprüfen bzw. aufzuheben.
1. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit: D1 mit D3
1.1 Die Kammer bestätigt die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass der Hauptantrag (Patent wie erteilt) nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ erfüllt.
1.2 D1 offenbart ein Lenkradschloss mit einem Sperrbolzen ("lock body 51"), der mit einem Schieberelement ("hanger 52") gekoppelt ist, wobei das Schieberelement 52 einen Führungspin ("projection 52e") aufweist, der in einer Führungskulisse ("groove 42") zum Sperren und Entsperren geführt wird (siehe folgende Figuren 1 und 2, wobei Figur 2 mit markierten Bauteilen der Erwiderung der Einsprechenden, Seite 8, entnommen wurde).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIKFORMEL/TABELLE/GRAPHIK
1.3 Der D1 ist unstrittig keine eindeutige und unmittelbare Offenbarung einer Detektionseinheit zu entnehmen (Merkmal 1.4). Insbesondere ist keine Detektionseinheit mit einem an einem Schieberelement angeordneten Signalgeber und einem ortsfesten Sensorelement offenbart (Merkmale 1.4.1 und 1.4.2).
1.4 Weiterhin unstrittig ist die von der Einspruchsabteilung zugrunde gelegte Aufgabe, eine zuverlässige Erkennung mindestens einer Position des Sperrbolzens zu ermöglichen. Dies entspricht auch der in Absatz [0004] des Streitpatents formulierten Aufgabe.
1.5 Die Kammer sieht die Vorrichtung gemäß Anspruch 1 wie erteilt aus folgenden Gründen ausgehend von D1 in Zusammenschau mit D3 nahegelegt.
1.5.1 D3 offenbart eine gattungsgemäße Vorrichtung zum Sperren und Freigeben von z.B. einer Lenksäule. D3 befasst sich gemäß den Absätzen [0001] und [0005] mit einer ähnlichen Aufgabe wie das Streitpatent, nämlich mit einer Bauraum sparenden Anordnung eine zuverlässige Bestimmung der Position des Sperrbolzens zu ermöglichen.
1.5.2 In Absatz [0001] nennt D3 bereits eine Detektionseinheit mit einem einen Signalgeber ("magnet 19") tragenden Schieberelement ("slider 18") und einem ortsfesten Sensorelement ("magnetic sensor") zur Detektion mindestens einer Position des Sperrbolzens ("lock member 16"). Aus D3, Absatz [0002] geht hervor, dass derartige Detektionseinheiten, z.B. mit einem Magneten als Signalgeber und einem Hall-Sensor als Sensorelement, aus dem Stand der Technik bekannt sind.
Selbst das Streitpatent setzt solche Detektionseinheiten im Allgemeinen als bekannt voraus, wie aus Absatz [0002] - worin bekannte, gattungsgemäße Vorrichtungen zum Sperren und Freigeben von z.B. Lenksäulen beschrieben werden (Zeilen 10 bis 27) - hervorgeht.
Weiterhin ist - wie vom Beschwerdegegner in seiner Erwiderung (Seite 28, unten) vorgetragen - der D3 in den Absätzen [0037] und [0038] zu entnehmen, dass sich der Hall-Sensor ortsfest auf der Leiterplatte 68 einer Steuereinheit 67 zur Steuerung des Motors befindet.
1.5.3 Der Fachmann würde zur Lösung der gestellten Aufgabe versuchen, die ohnehin bekannte Detektionseinheit - aufweisend einen an einem verschieblichen Bauteil angeordneten Signalgeber und ein ortsfestes Sensorelement - in D1 zu implementieren.
1.5.4 Hierzu entnimmt der Fachmann der D1, Figur 1 oder Figur 2, dass sich an dem Schieberelement ("hanger 52") ein Bauteil (ohne Referenzzeichen) befindet, das sich in verbautem Zustand in unmittelbarer Nähe gegenüber der Platte ("control substrate 35") befindet (vgl. hierzu die Figuren 2, 3 und 8). Aus D1, Absatz [0039] erfährt der Fachmann, dass es sich bei der Platte 35 um ein elektronisches Bauteil handelt ("The control substrate 35 suplies the eletric motor 51 with external electric power and executes the controls of forward rotation, reverse rotation and rotation stop of the electric motor 51".).
Die gezeigte Lage des nicht weiter benannten Bauteils am Schieberelement 52 in D1 wird vom Fachmann als für einen Magneten als Signalgeber geeignet erkannt - insbesondere die Lage in unmittelbarer Nähe zum elektronische Bauteil 35, das vergleichbar zur Leiterplatte 67 der D3 und damit zur Anordnung des ortsfesten Sensorelements geeignet ist. Aufgrund der kleinen Bauform der Detektionseinheit ist deren Implementierung in die Vorrichtung der D1 auch hinsichtlich des Bauraums möglich.
1.5.5 Somit liegt es für den Fachmann nahe, durch Anordnung eines Magneten am "hanger 52" der D1 und eines Hall-Sensors am elektronischen Bauteil 35 eine Detektionseinheit gemäß der Merkmale 1.4.1 und 1.4.2 in der Vorrichtung der D1 vorzusehen.
Dadurch gelangt der Fachmann zu einer Vorrichtung gemäß Anspruch 1, in der durch das Zusammenwirken des Führungspins 52e des "hanger 52" (Merkmal 1.5.1) mit der Führungskulisse 42 das Schieberelement 52 gemäß Merkmal 1.5.1.1 zwischen einer Ruhestellung, in welcher sich der Signalgeber beabstandet vom ersten Sensorelement befindet, und einer Detektionsstellung, in welcher sich der Signalgeber im Detektionsbereich des ersten Sensorelementes befindet, bewegt. Somit kann mit dem Magneten als Signalgeber mindestens einer Stellung des Schieberelements ("hanger 52") detektiert werden wie in Merkmal 1.4.2 gefordert.
1.6 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass der Fachmann D1 und D3 nicht kombinieren würde, weil darin unterschiedliche Problemstellungen behandelt würden. D1 richte sich auf den Schutz vor Vandalismus, D3 auf die Bestimmung der Position des Sperrbolzens beziehe (Entscheidung, Seite 7, erster Absatz).
Dem schließt sich die Kammer nicht an. Wie vom Beschwerdegegner vorgetragen, ist die zu lösende Aufgabe auf Basis der Unterscheidungsmerkmale zu formulieren. Diese betreffen die Detektionseinheit, die die Aufgabe lösen, die Position des Sperrbolzens zu bestimmen.
1.7 Laut Beschwerdeführerin liege ein weiterer Grund für die Nicht-Kombinierbarkeit der Entgegenhaltungen D1 und D3 in der konstruktiven Unvereinbarkeit der beiden Vorrichtungen.
Der Beschwerdeführerin ist zwar dahingehend zuzustimmen, dass das Schieberelement, der Führungspin und die Führungskulisse in D1 (Figur 1) und D3 (z.B. Figur 5) prinzipiell verschieden sind. Allerdings ist die Lösung der Aufgabe losgelöst von dem spezifischen Ausführungsbeispiels der Vorrichtung der D3, Figuren 1 und 5, zu sehen. Stattdessen geht es nur um die Anordnung einer an sich aus dem Stand der Technik bekannten Detektionseinheit innerhalb einer gattungsgemäßen Vorrichtung. Wie vom Beschwerdegegner vorgetragen, muss der Fachmann zur Anordnung eines mit einem Schieberelement bewegten Magneten und eines ortsfesten Hall-Sensors nur funktional vergleichbare Elemente identifizieren, die gemäß obigem Punkt 1.5.4 für den Fachmann offensichtlich sind. Die Kombinierbarkeit ist daher trotz konstruktiver Unterschiede der in D1 und D3 gezeigten Vorrichtungen gegeben.
1.8 Weiterhin konnte die Argumentation der Beschwerdeführerin nicht überzeugen, dass der "hanger 52" der D1 und der "slider 18" der D3 nicht mit dem beanspruchten Schieberelement vergleichbar seien. Das Argument der Beschwerdeführerin basiert darauf, dass im Streitpatent das Schieberelement 31 - im Unterschied zum "hanger 52" der D1 und dem "slider 18" der D3 - nicht dem Bewegen des Sperrbolzens diene. Im Streitpatent werde der Sperrbolzen stattdessen durch ein Steuermittel 11 und eine Steuerkurve 23 bewegt wie z.B. aus Anspruch 10 und der Offenbarung als Ganzes hervorgehe. Die Detektionseinheit mit dem Schieberelement und die Führungskulisse seien davon unabhängig.
Der Anspruchswortlaut schließt jedoch nicht aus, dass das zur Detektionseinheit gehörende Schieberelement (Merkmal 1.4.1) nicht auch den Sperrbolzen bewegen kann. Weder das genannte Steuermittel 11 noch die Steuerkurve 23 sind Teil des Anspruchs. Schieberelemente wie z.B. in D1, die den Sperrbolzen bewegen, werden vom Wortlaut des unabhängigen Anspruchs nicht ausgeschlossen.
1.9 Auch war die Beschwerdeführerin der Ansicht, dass weder D1 noch D3 das Merkmal 1.5.1 offenbare (Schieberelement mit einem Führungspin, wobei das Schieberelement Teil einer Detektionseinheit ist), so dass auch deren Kombination nicht zu einer anspruchsgemäßen Vorrichtung führen könne.
Das Schieberelement ("hanger 52") mit dem Führungspin 52e in D1 wirke zwar mit einer kurvenartigen Führungskulisse 42 zusammen, dieses Schieberelement sei entgegen Merkmal 1.4.1 jedoch kein Teil einer Detektionseinheit. Daher sei auch Merkmal 1.5.1 nicht offenbart.
In D3 sei das Schieberelement ("slider 18") zwar Teil einer Detektionseinheit, habe jedoch keinen Pin, der mit einer kurvenartigen Führungskulisse zusammenwirke. Der vom Beschwerdegegner angesprochene Pin 57 sei gemäß Figur 5 ein loses Bauteil. Eine kurvenartige, drehbar angetriebene Führungskulisse fehle gänzlich. Merkmal 1.5.1 sei somit ebenfalls nicht offenbart.
Dieser Argumentation wird nicht gefolgt, da sich durch die naheliegende Anordnung des Magneten an dem "hanger 52" der D1 automatisch auch ein Schieberelement gemäß Merkmal 1.4.1 mit einem Führungspin gemäß 1.5.1 ergibt.
1.10 Zuletzt beanstandete die Beschwerdeführerin, dass der Vortrag der Beschwerdegegnerin hinsichtlich der Frage, wo der Fachmann die Detektionseinheit in D1 genau anordnen würde, erst in der mündliche Verhandlung und damit verspätet vorgetragen worden sei.
Die Kammer sieht in dem beanstandeten Vortrag des Beschwerdegegners jedoch lediglich weitere Argumente zur Stützung seiner bereits in der Beschwerdeerwiderung enthaltenen Argumentation, die in der vorläufigen Meinung der Kammer als "Argumentationslinie 2" (Punkt 1.5.4) bezeichnet wurde. Unter Punkt 1.5.6 sah es die Kammer vorläufig ausgehend vom Ausführungsbeispiel der D3, Figur 1 nicht als offensichtlich an, wie die Detektionseinheit der D3 in D1 genau anzuordnen sei. Die Ausführungen zu dieser Fragestellung stellen eine angemessene Reaktion auf den Bescheid der Kammer dar, wobei auf bereits in der Erwiderung genannte Figuren und Textstellen der Entgegenhaltungen Bezug genommen wurden.
1.11 Der Fachmann gelangt folglich durch die Kombination von D1 mit D3, ohne erfinderisch tätig zu werden, auf naheliegende Weise zu einer Vorrichtung gemäß Anspruch 1.
2. Zulassung der Hilfsanträge 1 Neu, 1.1 Neu und 1.2 Neu/ Rückzahlung der Beschwerdegebühr
2.1 Die Hilfsanträge 1 Neu, 1.1 Neu und 1.2 Neu wurden unter Artikel 12(6) VOBK 2020 nicht ins Beschwerdeverfahren zugelassen.
2.2 Die Hilfsanträge 1 Neu, 1.1 Neu und 1.2 Neu wurden im Laufe der mündliche Verhandlung vor der ersten Instanz eingereicht. Unter Ausübung ihres Ermessens hatte die Einspruchsabteilung diese Hilfsanträge nicht zugelassen (Entscheidung, Punkte 14 bis 16).
2.3 Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) war der Ansicht, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung ermessensfehlerhaft und aufgrund zahlreicher rechtswidriger Schlussfolgerungen mit wesentlichen Verfahrensmängeln behaftet sei.
2.3.1 Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass D1 mit D3 die Vorrichtung nach Anspruch 1 nahelege, sei eine überraschende Wendung im Verfahren gewesen. Alleine deshalb hätte ein in der mündliche Verhandlung eingereichter Hilfsantrag zugelassen werden müssen.
2.3.2 Der Hilfsantrag 1 Neu sei mit seinen vier unabhängigen Ansprüchen entgegen der Ansicht der Einspruchsabteilung nicht komplex, da nur erteilte Ansprüche kombiniert worden seien. Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern könne die Patentinhaberin ihr Patent immer durch erteilte, abhängige Ansprüche verteidigen.
Weiterhin habe der Beschwerdegegner (Einsprechende) bereits im Einspruch auch die abhängigen Ansprüche angegriffen, so dass deren Diskussion ohne erheblichen Aufwand möglich gewesen sei. Gleiches gelte für die Hilfsanträge 1.1 Neu und 1.2 Neu.
2.3.3 Bei der Anzahl von vier unabhängigen Vorrichtungsansprüchen in den Hilfsanträge 1 Neu oder 1.1 Neu handele es sich nach ständiger Rechtsprechung um eine vertretbare Anzahl nebengeordneter Ansprüche. Dies belege die T 2290/12. Folglich ergebe sich auch daraus keine unangemessene Komplexität, die eine Nicht-Zulassung rechtfertigen könne. Auch die T 0937/00 bestätige, dass im Einspruch Hilfsanträge mit mehreren unabhängigen Ansprüchen zulässig seien.
2.3.4 Der Zeitpunkt der Einreichung könne nicht beanstandet werden, da Hilfsantrag 1 Neu bereits in der Mittagszeit um 13:45h in der mündliche Verhandlung in Reaktion auf die Diskussion zum Hauptantrag vorgelegt worden sei.
2.4 Die Kammer sieht jedoch weder eine fehlerhafte Anwendung des Ermessens durch die Einspruchsabteilung noch einen wesentlichen Verfahrensfehler.
2.4.1 Die Schlussfolgerungen der Einspruchsabteilung zur fehlenden erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrags können nicht als überraschend angesehen werden. Tatsächlich war die Ansicht zur Kombination von D1 mit D3 in der vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung offen, so dass die Patentinhaberin - jetzt Beschwerdeführerin - in jedem Fall damit rechnen musste, dass die Entscheidung zu ihren Ungunsten ausfallen könnte.
Der Verlauf der mündlichen Verhandlung kann die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung daher nicht in Frage stellen.
2.4.2 Weiterhin sollte sich gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern die Kammer nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz das Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher Weise ausgeübt hat, vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, V.A.3.4.1 b).
Dies ist hier aus folgenden Gründen nicht der Fall.
a) Der angefochtenen Entscheidung, Punkt 14 ii) ist zu entnehmen, dass u.a. die Komplexität der Anträge in Verbindung mit dem Zeitpunkt der Einreichung als Kriterium herangezogen wurde. Dabei handelt es sich um valide Kriterien zur Ermessensausübung. Es ist dabei nicht Aufgabe der Beschwerdekammer, die Sachlage nochmals wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie das Ermessen in der selben Weise ausgeübt hätte.
b) Auch das Argument, dass die Hilfsanträge hätten zugelassen werden müssen, weil nur abhängige Ansprüche kombiniert worden seien, kann gerade in Verbindung mit dem Zeitpunkt des Einreichens nicht überzeugen. Insbesondere wurden keine Gründe vorgetragen, warum die Hilfsanträge 1 Neu, 1.1 Neu und 1.2 Neu nicht bereits vor der mündliche Verhandlung in Reaktion auf die offene, vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung zusammen mit dem Hilfsantrag 1 schriftlich am 23. Februar 2022 eingereicht wurden.
2.4.3 Auch die Beurteilung der T2290/12 und der T0937/00 der Einspruchsabteilung hinsichtlich der Zulassung eines Antrags mit mehreren unabhängigen Ansprüchen einer Kategorie ist nicht zu beanstanden (Entscheidung, Seite 11, Punkte 14 iv) und 14 v)). Im Gegensatz zur zitierten Rechtsprechung ist die Patentinhaberin im vorliegenden Fall mit nur einem unabhängigen Anspruch nicht gezwungen, einen potenziell zulässigen Gegenstand aufzugeben, da es sich bei den vier unabhängigen Ansprüchen nicht um sich gegenseitig ausschließende Alternativlösungen handelt.
In den unabhängigen Ansprüchen 1 bis 4 des Hilfsantrag 1 Neu wurde der erteilte Anspruch 1 mit dem erteilten Anspruch 2, 4, 6 bzw. 9 kombiniert. Keiner der Ansprüche 2, 4, 6 und 9 schließt sich jedoch gegenseitig aus. Die Merkmale sind auch alle in Kombination gezeigt, siehe z.B. Figuren 3, 4a und 4b, wobei die Figuren 4a und 4b eine Schnittdarstellung entlang Schnitt K-K aus Figur 3 zeigen (Anspruch 2: Einfangrippe 25, Anspruch 4: Schieberelement 31 translatorisch gelagert, Anspruch 6: Federelement 34, Anspruch 9: Schaltelement 22 mit Steuermittel 11).
2.5 Da die Kammer die Entscheidung der Einspruchsabteilung auch bzgl. der Hilfsanträge 1 Neu, 1.1 Neu und 1.2 Neu bestätigt und folglich die Beschwerde zurückzuweisen ist, ist gemäß Regel 103(1)(a) EPÜ auch der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr hinfällig.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird nicht stattgegeben.