T 0379/22 05-09-2024
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PLANETENGETRIEBE
Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Neuheit - (ja)
I. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des damaligen Hilfsantrags 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, legten beide Parteien Beschwerde ein.
Die Einspruchsabteilung hatte insbesondere entschieden, dass das Patent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne, der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung gegenüber D8 jedoch nicht neu sei.
II. Am 5. September 2024 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
III. Die Einsprechende zog am Ende der mündlichen Verhandlung ihre Beschwerde zurück. Sie wurde somit Beschwerdegegnerin.
IV. Die für die Entscheidung relevanten Anträge sind wie folgt:
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung (Hauptantrag) oder hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 6.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
V. Anspruch 1 des Hauptantrags (erteilte Fassung), mit Merkmalsbezeichnungen der angefochtenen Entscheidung, lautet:
1.1 |"Planetengetriebe (1), insbesondere für eine Windkraftanlage, |
1.2 |mit einem Getriebegehäuse (2), |
1.3 |einem zentralen Sonnenrad (5), das in dem Getriebegehäuse (2) um eine zentrale Getriebedrehachse (Z) rotierbar gehalten ist und eine Außenverzahnung (6) trägt, |
1.4 |einem Hohlrad (7), das konzentrisch zu der zentralen Getriebedrehachse (Z) in dem Getriebegehäuse (2) angeordnet ist und eine Innenverzahnung (8) aufweist, |
1.5 |einem Planetenträger (9), der in dem Getriebegehäuse (2) um die zentrale Getriebedrehachse (Z) drehbar gelagert ist, |
1.6 |und mehreren Planetenrädern (13), |
1.7 |die mittels als Gleitlager ausgestalteter Planetenradlager (12) an dem Planetenträger (9) um Planetenraddrehachsen (A) drehbar gelagert sind |
1.8 |und Außenverzahnungen (14) aufweisen, |
1.9 |die mit der Innenverzahnung (8) des Hohlrads (7) und der Außenverzahnung (6) des Sonnenrads (5) in Eingriff stehen, |
|dadurch gekennzeichnet, |
1.10|dass jedes Planetenradlager (12) zwei ringförmige Lagerkörper (12a, 12b) umfasst, die von einer Planetenradachse (11) durchsetzt und an dieser drehfest gehalten sind, |
1.11|wobei an den äußeren Umfangsflächen der Lagerkörper (12a, 12b) kegelmantelförmige Gleitflächen (16) derart ausgebildet sind, dass die verjüngten Enden der Lagerkörper (12a, 12b) zueinander weisen,|
1.12|und wobei an inneren Umfangsflächen des Planetenrads (13) zu den Gleitflächen (16) des Planetenradlagers (12) korrespondierende Laufflächen (20) ausgebildet sind." |
VI. Die folgenden Entgegenhaltungen sind für die Entscheidung relevant:
D1|WO 01/57398 A1 |
D8|EP 2 662 598 A1|
VII. Die Einsprechende argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Ausführbarkeit
Das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Es beschreibe nämlich nicht, wie die Erfindung mit hydrodynamischen Gleitlagern auszuführen sei, was einen großen Teil des beanspruchten Bereichs ausmache.
Neuheit gegenüber D8, Figur 9
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei gegenüber dem in Figur 9 der D8 offenbarten Getriebe nicht neu. Die Lagerkörper 12 entsprächen nämlich dem Merkmal M1.11.
Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D8, Figur 9
Das Merkmal M1.11 löse die Aufgabe, das Getriebe in Figur 9 der D8 zu vereinfachen. Für den Fachmann sei es aufgrund seines Fachwissens naheliegend, die dreiteilige Lagerkonstruktion dieses Getriebes durch zwei Kegelgleitlager zu ersetzen. Somit gelange er ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1.
Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D1
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von dem Getriebe gemäß den Figuren 1, 3 und 4 der D1 im Wesentlichen dadurch, dass die Planetenradlager als Gleitlager ausgebildet sind. Es liege für den Fachmann nahe, die Wälzlager in D1 durch Gleitlager zu ersetzen, um die Tragfähigkeit und Robustheit zu erhöhen und gleichzeitig den Bauraum der Planetenradlager zu verringern. Damit würde er ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.
VIII. Die Patentinhaberin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Ausführbarkeit
Der Fachmann sei mit seinem Fachwissen in der Lage, die Erfindung auszuführen.
Neuheit gegenüber D8, Figur 9
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei gegenüber D8 neu. Denn die Lagerkörper in Figur 9 weisen keine Gleitflächen und Enden gemäß dem Merkmal M1.11 auf.
Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D8, Figur 9
Der Fachmann hatte keine Veranlassung, die in der D8 in Axial- und Radiallager unterteilte Lageranordnung zu ersetzen. Wenn er die Lagerung in Figur 9 vereinfachen wolle, gebe es bereits in der D8 einfachere Lageranordnungen.
Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D1
Der Fachmann würde das Wälzlager im Getriebe der D1 nicht durch Gleitlager ersetzten, da dies ein völlig neues Schmierkonzept erfordern und den Wartungsaufwand erhöhen würde.
1. Ausführbarkeit
Der Einspruchsgrund unter Artikel 100 b) EPÜ steht einer Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung nicht entgegen.
1.1 Die Einsprechende machte geltend, das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Denn er könne die beanspruchte Erfindung bei einem Einsatz von hydrodynamischen Gleitlagern - also über einem großen Teil des Schutzbereichs - nicht ohne unzumutbaren Aufwand ausführen.
Bei einem hydrodynamisch geschmierten Gleitlager werde nämlich das Schmiermittel durch die unterschiedlichen Umlaufgeschwindigkeiten an den Enden der kegelförmigen Gleitflächen aus dem Lager herausgezogen, sodass der Schmierspalt letztlich trocken laufe.
Das Streitpatent beschreibe keine Maßnahmen, die diesem Effekt entgegenwirken könnten. Solche Maßnahmen gehörten auch nicht zum Fachwissen und insbesondere sei die bloße Zugabe von Schmiermittel keine ausreichende Gegenmaßnahme.
1.2 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern setzt ein erfolgreicher Einwand unzureichender Offenbarung ernsthafte Zweifel voraus, die durch nachprüfbare Tatsachen zu untermauern sind.
So behauptet die Einsprechende zwar, dass die Zugabe von Schmiermittel nicht ausreiche, um den Trockenlauf eines hydrodynamischen Gleitlagers zu verhindern. Diese Behauptung reicht aber nicht aus, um ernsthafte Zweifel an der Ausführbarkeit zu belegen. Die Einsprechende hat nämlich nicht näher dargelegt, warum der Fachmann nicht in der Lage sei, das in Anspruch 1 definierte Getriebe auch mit hydrodynamischen Gleitlagern und einem dafür ausgelegten Schmiersystem, das zum Beispiel das herausgezogene Schmiermittel rezirkuliert, ohne unzumutbaren Aufwand zu realisieren.
2. Neuheit gegenüber D8, Figur 9
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu gegenüber D8 (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ). Somit steht der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) i. V. m. 54 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen.
2.1 Das Merkmal M1.11 lautet: "wobei an den äußeren Umfangsflächen der Lagerkörper kegelmantelförmige Gleitflächen derart ausgebildet sind, dass die verjüngten Enden der Lagerkörper zueinander weisen".
2.2 Die Einsprechende argumentierte, dass die in Figur 9 der D8 gezeigten Lagerkörper 12 mit verjüngten Gleitflächen 14 und dünneren zueinander weisenden Enden dem Merkmal M1.11 entsprächen. Denn der im Merkmal M1.11 verwendete Wortlaut "... die verjüngten Enden ..." verlange keineswegs, dass der jeweilige Lagerkörper bis einschließlich seiner Enden verjüngt sein müsse. Dies wäre sprachlich nur bei "sich verjüngenden Enden" erfordert gewesen. Das Merkmal besage daher nichts anderes, als dass die zueinander weisenden Enden der Lagerkörper dünner seien als die voneinander abgewandten Enden und dass der Dickenunterschied zumindest teilweise auf eine Verjüngung an irgendeiner Stelle an den Umfangsflächen zurückzuführen sei. Die Endbereiche der Lagerkörper könnten dagegen eine konstante Dicke aufweisen, genauso wie die in Figur 9 der D8 gezeigten Lagerkörper.
2.3 Die Formulierung des Merkmals M1.11 "... die verjüngten Enden der Lagerkörper ..." legt jedoch entgegen der Auffassung der Einsprechenden eindeutig fest, dass es die Enden der Lagerkörper sind, die verjüngt sind, und nicht etwa der Lagerkörper als solcher. Die jeweilige Verjüngung, die durch die kegelmantelförmige Gleitfläche ausgebildet wird, muss sich daher bis zu den zueinander weisenden Enden der Lagerkörper erstrecken.
Dies ist bei den Lagerkörpern 12 in Figur 9 der D8 nicht der Fall, da sich die verjüngten Gleitflächen 14 nicht bis zu den zueinander weisenden Enden der Lagerkörper erstrecken und die Enden nicht verjüngt sind. Das Merkmal M1.11 ist daher in der D8 nicht offenbart.
3. Erfinderische Tätigkeit
Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) i. V. m. 56 EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen.
3.1 Ausgehend von D8, Figur 9
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht ausgehend von dem Getriebe in Figur 9 der D8 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3.1.1 Wie bereits zur Neuheit ausgeführt, unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von diesem Getriebe durch das Merkmal M1.11.
3.1.2 Die Einsprechende argumentierte, dass dieses Getriebe durch das Vorsehen von zwei Kegellagern gemäß dem Merkmal M1.11 anstelle der dreiteiligen, in Radial- und Axiallager unterteilten Lagerbaugruppe vereinfacht werde. Die zu lösende technische Aufgabe bestehe daher darin, ein vereinfachtes Getriebe bereitzustellen.
Aus ihrer Sicht wäre es für den Fachmann aufgrund seines Fachwissens über Kegelgleitlager naheliegend, zur Lösung dieser Aufgabe die Lageranordnung des Getriebes in Figur 9 der D8 durch zwei Kegelgleitlager zu ersetzen. Somit gelange er ohne erfinderisches Zutun zum beanspruchten Getriebe.
3.1.3 Wie von der Patentinhaberin vorgetragen, fehlt dem Fachmann jedoch ein Anlass dafür, die grundsätzliche Lagerkonstruktion der D8, die eine Aufteilung in Axial- und Radiallager vorsieht, zu ändern. Denn dies würde eine Neukonstruktion der Planetenräder und der Gleitlager bedeuten. Wenn er die Lagerkonstruktion in Figur 9 vereinfachen will, so bietet die Ausführung gemäß Figur 2 der D8, bestehend aus zwei L-förmigen Buchsen, bereits eine geeignete Lösung dieser Aufgabe. Er hat deshalb keinen Grund, nach einer anderen Lösung, wie z. B. das Vorsehen konischer Gleitlager, zu suchen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher ausgehend von dem Getriebe in Figur 9 der D8 nicht naheliegend und beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3.2 Ausgehend von D1
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht ausgehend von dem Getriebe der D1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3.2.1 Das in den Figuren 1, 3 und 4 der D1 dargestellte Getriebe offenbart unstrittig die Merkmale M1.1 bis M1.6 und M1.8 bis M1.10.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von diesem Getriebe im Wesentlichen dadurch, dass die Planetenradlager als Gleitlager ausgebildet sind. Aus diesem Grund sind das Merkmal M1.7 und die Merkmale M1.11 und M1.12, die Gleitflächen erwähnen, in D1 nicht vollständig offenbart.
3.2.2 Die Einsprechende machte geltend, dass die durch die Ausbildung der Planetenradlager als Gleitlager gelöste Aufgabe darin bestehe, die Tragfähigkeit und Robustheit zu erhöhen und gleichzeitig den Bauraum der Planetenradlager zu verringern.
Die Vor- und Nachteile von Gleitlagern gegenüber Wälzlagern seien dem Fachmann bekannt. Zur Lösung der gestellten Aufgabe liege es für ihn nahe, die in Figur 3 der D1 gezeigten Wälzlager 32 durch Gleitlager zu ersetzen. Dabei würde er an den Planetenrädern Gleitflächen entsprechend den in der Figur 3 gezeigten Stützflächen 36 vorsehen. An den Planetenradachsen würde er ringförmige Lagerkörper mit zu diesen Stützflächen parallel verlaufenden Gleitflächen vorsehen. Ohne Wälzkörper wären die in Figur 3 gezeigten Vorsprünge zur Abstützung der Wälzkörper 38 überflüssig. Bei der Umstellung auf Gleitlager würde der Fachmann daher keine derartigen Vorsprünge vorsehen, sondern die Gleitflächen so ausbilden, dass sie sich bis zum Ende der zueinander weisenden Enden der Lagerkörper reichen und somit die Lagerkörper (wie von Merkmal 1.11 verlangt) derart ausgebildet sind, dass die verjüngten Enden zueinander weisen.
Auf diese Weise gelange der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1.
Die bei dieser Umstellung erforderlichen Anpassungen, z. B. bei der Schmierung, gehörten zu seinem Fachwissen und würden ihn nicht von der Verwendung von Gleitlagern abhalten.
3.2.3 Wie von der Patentinhaberin vorgetragen, haben Gleitlager gegenüber Wälzlagern nicht nur die von der Einsprechenden angeführten Vorteile, sondern auch Nachteile. Diese sind unbestritten ebenfalls Teil des Fachwissens.
Gleitlager haben ein anderes Anlaufverhalten als Wälzlager, insbesondere ist die Anlaufreibung zu berücksichtigen. Dieser Reibung und dem damit verbundenen Verschleiß muss durch eine geeignete Schmierung entgegengewirkt werden. Der Aufwand für die Schmiermittelversorgung sowie der dazugehörige Wartungsaufwand sind daher höher als bei den Wälzlagern im Getriebe der D1.
Eine Ausführung der Planetenradlager als Gleitlager würde die gestellte Aufgabe zweifellos lösen. Allerdings fehlt es an einem konkreten Anlass, warum der Fachmann die Aufgabe anspruchsgemäß gelöst hätte. Denn dem Fachmann ist auch bekannt, dass das gesamte Schmierkonzept des Getriebes der D1 neu konzipiert werden müsste, um eine ausreichende Schmierung der Planetenradlager zu gewährleisten. Dieser Aufwand sowie der erhöhte Wartungsaufwand würden den Fachmann davon abhalten, die Wälzlager im Getriebe der D1 durch Gleitlager zu ersetzen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher ausgehend vom Getriebe der D1 für den Fachmann nicht naheliegend und beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.