T 0831/21 (Erzeugen und Speichern von (verschränkten) Spin-Zuständen/JACOBY) 25-04-2025
Download und weitere Informationen:
VORRICHTUNG ZUR SPEICHERUNG ODER MANIPULATION VON QUANTENINFORMATIONEN VERSCHRÄNKTER TEILCHEN
Jacoby, Prof. Dr. Heinz Joachim
Jacoby, Dorothea Hedwig Agnes
Neuheit - Hauptantrag (ja)
Wesentlicher Verfahrensmangel - angefochtene Entscheidung ausreichend begründet (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - entspricht der Billigkeit wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels
Zurückverweisung an die erste Instanz
Zurückverweisung - (ja)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäischen Patentanmeldung Nr. 17729805.6 zurückzuweisen.
II. Im Ladungsbescheid der Prüfungsabteilung wurde als Zeitpunkt gemäß Regel 116 EPÜ, bis zu dem Schriftsätze und/oder Unterlagen eingereicht werden können, der 18. Dezember 2020 festgelegt. An diesem Tag, also noch innerhalb dieser Frist, reichten die Anmelder (Beschwerdeführer) einen geänderten Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 7 ein. In einem Telefongespräch am 12. Januar 2021informierte die Prüfungsabteilung die Anmelder unter anderem über ihre Absicht, die Hilfsanträge 2, 3, 6 und 7 unter Regel 137(3) EPÜ nicht zuzulassen. Mit Schreiben vom 14. Januar 2021 reichten die Anmelder Hilfsanträge 8 bis 14 ein und teilten mit, aus Kostengründen nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu wollen. Die mündliche Verhandlung vor der Prüfungsabteilung fand in Abwesenheit der Anmelder am 18. Januar 2021 statt.
III. Im internationalen Recherchenbericht wurden folgende zwei Dokumente zitiert:
D1: Rustam Berezov: "Investigation to observe spin entanglement from elastic scattering of electrons", 3. August 2010, Seiten 1-125, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
D2: R. Berezov, J. Jacoby, J. Schunk, Spin coincidence measurements for a symmetric scattering of electrons with electrons, Nuclear Instruments and Methods in Physics Research Section A: Accelerators, Spectrometers, Detectors and Associated Equipment, Volume 621, Issues 1-3, 2010, Pages 673-677, ISSN 0168-9002, https://doi.org/10.1016/j.nima.2010.04.147.
Die Entscheidung kommt zum Ergebnis, dass Anspruch 1 des Hauptantrags nicht neu ist gegenüber D1 und Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 nicht erfinderisch gegenüber D1 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen. Zudem wurden die Hilfsanträge 1 bis 4 und 6 bis 14 unter Regel 137(3) EPÜ nicht zugelassen.
Zum Hauptantrag wird in den Entscheidungsgründen unter anderem angenommen, dass sich Quanten- oder Spininformationen "auch im aus D1 bekannten Verfahren identifizieren [lassen], nämlich in Form von registrierten Messsignalen, welche mittels Mott-Detektoren erzeugt werden und mittels 'Recorder' gespeichert werden" (siehe Punkt 15.2).
Die Nichtzulassung der Hilfsanträge 8 bis 14 wurde wie folgt begründet (siehe Punkt 21 der Entscheidung):
"Die Hilfsanträge 8 bis 14 wurden verspätet eingereicht, und zwar mit dem Schreiben vom 14. Januar 2021 lediglich zwei Werktage vor der anberaumten mündlichen Verhandlung.
Entgegen der Angabe des Anmelders in seinem Schreiben vom 14. Januar 2021 (Seite 1, Punkt 1) wurde ihm seitens der Prüfungsabteilung nicht nahegelegt, weitere Anträge einzureichen.
Zudem hat der Anmelder gleichzeitig bekanntgegeben, diese Anträge und die bereits mit Schreiben vom 18. Dezember 2020 eingereichten Anträge nicht im Rahmen der mündlichen Verhandlung diskutieren zu wollen."
IV. Die Beschwerdeführer beantragen, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent "basierend auf den Ansprüchen des Hauptantrags zu erteilen".
Hilfsweise beantragen sie, ein Patent basierend auf den Hilfsanträgen 1 bis 17 zu erteilen und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Auch wird "aufgrund der beschriebenen Verfahrensfehler um Rückzahlung der Beschwerdegebühr ersucht" (siehe Punkt IX der Beschwerdebegründung).
V. Der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 14 entsprechen den im Prüfungsverfahren anhängigen Anträgen, Hilfsanträge 15 bis 17 wurden mit der Beschwerdebegründung neu eingereicht.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag lautet (Merkmalsgliederung wie in der Beschwerdebegründung auf Seite 31 und 32):
M1 |Verfahren zur Informationsübertragung |
M1.1|mittels Quanten- oder Spininformation, umfassend die Schritte: |
M1.2|Bereitstellen von zumindest einem Paar bestehend aus einem ersten und einem zweiten quantenphysikalisch verschränkten Teilchen (20, 20'), |
M1.3|Erfassen der Quanten- oder Spininformation aus dem ersten und/oder zweiten verschränkten Teilchen (20, 20') mittels elektromagnetischer Wechselwirkung, |
M1.4|Speichern der Quanten- oder Spininformation des ersten und/oder zweiten verschränkten Teilchens in einem Quanten- oder Spininformationsspeicher (60), |
M1.5|wobei durch das Speichern der Quanten- oder Spininformation ein Quantenzustand eines Speichermedium-Teilchens jedenfalls teilweise modifiziert wird, |
M1.6|koinzidentes Nachweisen des zumindest einen Paares quantenphysikalisch verschränkter Teilchen (20, 20'), |
M1.7|Festlegen einer Kenngröße, wobei die Kenngröße eine äußere Variable mit der Koinzidenz des zumindest einen Paares verschränkter Teilchen oder mit deren Koinzidenzrate in Verbindung setzt,|
M1.8|Manipulation der gespeicherten Quanten- oder Spininformation des ersten und/oder zweiten verschränkten Teilchens in Abhängigkeit von der Kenngröße. |
VII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 fügt nach dem Merkmal M1.5 folgendes Merkmal M1.5' hinzu:
M1.5'|Aufbewahren des ersten verschränkten Teilchens oder des Speichermedium-Teilchens in einer Potentialfalle, die Potentialfalle ferner umfassend ein Isolatormaterial (64) in der Potentialfalle.|
Der Wortlaut der Ansprüche gemäß den übrigen Anträgen ist für diese Entscheidung ohne Belang.
VIII. In der Beschwerdebegründung befassen sich die Beschwerdeführer hauptsächlich mit dem Neuheitseinwand und der Nichtzulassung der Hilfsanträge. Die wesentlichen Argumente werden im Folgenden jeweils im Zusammenhang mit den Entscheidungsgründen der Kammer wiedergegeben.
1. Hintergrund der Erfindung
1.1 Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Erzeugung, Übertragung, Speicherung und Manipulation von Quanteninformationen, insbesondere von Spininformationen (siehe Seite 13, Zeilen 21 bis 24 der ursprünglichen Anmeldung).
1.2 Durch Möller-Streuung werden verschränkte Elektronenpaare erzeugt. Die Verschränkung wird mittels Koinzidenzmessung an zwei Mott-Polarimetern nachgewiesen - siehe Abbildung 2.
1.3 Die Spininformation eines der verschränkten Teilchen wird erfasst und in einem Speichermedium gespeichert (Seite 16, Zeile 29 bis Seite 17, Zeile 4 und Seite 20, Zeilen 12 bis 30). In einem weiteren Schritt wird eine Kenngröße basierend auf einer gemessenen Koinzidenzrate bestimmt, und die Spininformation wird in Abhängigkeit dieser Kenngrösse manipuliert (siehe Seite 6, Zeilen 14 bis 28).
1.4 Gegenstände der Erfindung sind u.a. ein Quantencomputer und ein System zur Informationsübertragung "in die Vergangenheit"(siehe Seite 14, Zeilen 6 bis 21).
2. Hauptantrag und Hilfsantrag 5, Neuheit und erfinderische Tätigkeit
2.1 Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdeführer, dass Anspruch 1 des Hauptantrags gegenüber D1 neu ist.
2.2 D1 ist eine Dissertation über Spin-Verschränkung durch elastische Elektronenstreuung und beschreibt einen Versuchsaufbau zur Messung verschränkter Elektronenpaare mittels Mott-Polarimeter (siehe Seite 3). Wie von den Beschwerdeführern argumentiert, stellt dieser Aufbau offenbar eine Voruntersuchung zum Gegenstand der Patentanmeldung dar (man vergleiche Abbildung 2 der Anmeldung mit Abbildung 5-10 auf Seite 83 der D1). Insbesondere offenbart D1 die Messung von Koinzidenzen zwischen den Mott-Polarimetern, wobei die entsprechenden Messsignale mit einem Oszilloskop aufgezeichnet und mittels eines herkömmlichen Computers gespeichert werden (siehe Brückenabsatz auf Seite 5 und 6 oder vorletzter Absatz auf Seite 83).
Entgegen der Auffassung der Prüfungsabteilung enthält D1 jedoch keinen Hinweis darauf, dass eine Quanten- oder Spininformation eines Elektrons "in einem Quanten- oder Spininformationsspeicher (60)" gespeichert wird, "wobei durch das Speichern der Quanten- oder Spininformation ein Quantenzustand eines Speichermedium-Teilchens jedenfalls teilweise modifiziert wird", und dass diese Information in einem weiteren Schritt manipuliert wird.
Für einen Fachmann auf dem Gebiet des Quantencomputings ist klar, was unter einer Quanten- oder Spininformation zu verstehen ist. Ebenso klar ist, dass die Speicherung und Manipulation einer solchen Information in einem Quanten- oder Spininformationsspeicher nicht mit dem Speichern einer Zahl in einem herkömmlichen Computerspeicher gleichzusetzen ist.
Während ein klassischer Speicher lediglich den Wert eines Messergebnisses (z.B. 0 oder 1) speichert, erfordert ein Quantenspeicher die Erhaltung des gesamten Quantenzustands, etwa eines verschränkten Zustands. Es geht also nicht darum, das Ergebnis einer Messung zu speichern, sondern den (verschränkten) Zustand selbst. Dies erfordert, dass die Quanten- oder Spininformation auf ein geeignetes Speichermedium übertragen wird, dessen quantenmechanischer Zustand diese Information widerspiegelt und über eine gewisse Zeit stabil bewahrt. Nur so ist eine spätere Weiterverarbeitung oder Manipulation im Sinne des Quantencomputings möglich. Der Feststellung dieses Unterschieds zwischen Anspruch 1 und D1 steht nicht entgegen, dass der Anspruch nicht festlegt, um welche Quanten- oder Spininformation es sich im Einzelnen handelt.
Die Kammer stimmt den Beschwerdeführern zu, dass auch die weiteren Merkmale M1, M1.1 und M1.7 nicht in D1 offenbart sind - siehe dazu die Ausführungen in der Beschwerdebegründung, Seiten 31, 32, 37 und 38.
2.3 Für Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 scheint die Prüfungsabteilung anzuerkennen, dass die Teilchen für einen Quantencomputer verwendet werden und somit in einem Quantenspeicher - einer Potentialfalle, die ein Isolatormaterial umfasst (Merkmal M1.5') - aufbewahrt werden. Sie formuliert die technische Aufgabe als "das aus D1 bekannte Verfahren zur Verwendung in einem Quantencomputer anzupassen" (siehe Punkt 20.2 der Entscheidung).
Die Kammer stimmt der Prüfungsabteilung zwar zu, dass dem Fachmann bekannt ist, dass eine Potentialfalle (z.B. eine Ionenfalle) eine von mehreren Möglichkeiten zur Speicherung von Quanteninformation darstellt. Aufgrund der fehlerhaften Merkmalsanalyse - siehe Punkt 2.2 oben - ist jedoch die Schlussfolgerung der Prüfungsabteilung nicht zutreffend. Insbesondere wird in der Entscheidung der wesentliche Einwand der Beschwerdeführer nicht berücksichtigt, wonach D1 keine Hinweise auf die Verwendung eines Quantenspeichers liefert.
2.4 Die Beschwerdeführer bemängeln bezüglich der Merkmalsanalyse, dass "im Prüfungsverfahren vielfach darauf hingewiesen [wurde], dass im vorliegenden Verfahren nur klassische Informationsspeicher als Stand der Technik zitiert werden" (Seite 53, zweiter und dritter Absatz der Beschwerdebegründung). Die Prüfungsabteilung habe nicht auf nachvollziehbare Weise dargelegt, warum sie die Argumente des Anmelders nicht akzeptiere. Der Neuheitseinwand stelle deshalb eine unbegründete Behauptung dar und sei "nicht im Einklang mit den Richtlinien Teil E, Kapitel X, Ziffer 2.6 bzw. mit Art. 113(1) EPÜ und Regel 111(2) EPÜ" (ebd., Seite 41, dritter Absatz).
2.5 D1 und D2 (ein Fachartikel zum Thema der Dissertation) sind die einzigen zitierten Dokumente. Beide befassen sich mit Spin-Korrelationsmessungen und verwenden, wie die Beschwerdeführer zutreffend bemerken, ausschließlich einen herkömmlichen Computer zur Speicherung der Messergebnisse.
Auf diese Tatsache haben die Anmelder (Beschwerdeführer) bereits in ihrer Stellungnahme zur Mitteilung gemäß Regel 161 und 162 EPÜ hingewiesen (datiert vom 17. Juli 2019, siehe z.B. zweiter Absatz auf Seite 4) und diesen Einwand in allen weiteren Eingaben wiederholt - insbesondere in Punkt 5 ihrer Eingaben vom 18. Dezember 2020 und 15. Januar 2021.
Dennoch hielt die Prüfungsabteilung konsequent an der Auffassung fest, dass die Begriffe "Quanten- und Spininformation" keine allgemein anerkannte spezifische technische Bedeutung hätten und dass D1 das Speichern und Manipulieren einer solchen Information offenbare (siehe Punkte 15.2 bis 15.5 der Entscheidung).
Die Kammer gewinnt den Eindruck, dass sich die Prüfungsabteilung bei ihrer Entscheidungsfindung nicht inhaltlich mit diesem zentralen Argument der Anmelder auseinandergesetzt hat. Darauf deutet unter anderem hin, dass die gesamte Merkmalsanalyse in der Entscheidung wortgleich aus dem Ladungsbescheid übernommen wurde - und im Wesentlichen bereits aus dem ersten Prüfungsbescheid vom 18. Dezember 2019 (siehe Punkt 5.1 des Prüfungsbescheids).
Der Kammer scheint es daher auch so, dass der Recherche ein falsches Verständnis der beanspruchten und beschriebenen Erfindung zugrunde gelegen hat und die Recherche daher möglicherweise unvollständig war. Zudem weist die Entscheidungsbegründung die oben genannten Mängel auf (Regel 111(2) EPÜ).
3. Hilfsanträge 1 bis 4 und 6 bis 14, Regel 137(3) EPÜ
3.1 Die Prüfungsabteilung befand, dass die Hilfsanträge 1, 3, 6 und 7 prima facie unklar seien, Hilfsantrag 2 prima facie nicht ausreichend offenbart und Hilfsantrag 4 prima facie nicht neu sei. Auf dieser Grundlage lehnte sie die Zulassung dieser Anträge nach Regel 137(3) EPÜ ab. Darüber hinaus stellte die Prüfungsabteilung fest, dass die Hilfsanträge 8 bis 14 verspätet eingereicht wurden, den Anmeldern deren Einreichung nicht nahegelegt worden sei und sie diese in der mündlichen Verhandlung nicht diskutieren wollten. Aus diesen Gründen wurden auch diese Anträge gemäß Regel 137(3) EPÜ nicht in das Verfahren zugelassen.
3.2 Die Beschwerdeführer machen geltend, dass die Nichtzulassung der Hilfsanträge, insbesondere der Hilfsanträge 8 bis 14, einen Verfahrensfehler darstelle, der eine Rückerstattung der Beschwerdegebühr rechtfertige.
Insbesondere argumentieren sie, dass die nicht verspätet eingereichten Hilfsanträge 1 bis 7 unbegründet "nicht in der notwendigen Sachtiefe geprüft" worden seien und nach dem Maßstab der "eindeutigen Gewährbarkeit" zurückgewiesen wurden - einem Kriterium, das eigentlich nur für verspätet eingereichte Anträge gelte (siehe Seite 19, Punkt 3.5 der Beschwerdebegründung). Zudem basiere das in Hilfsantrag 2 beanstandete Merkmal auf Anspruch 6 des Hauptantrags, der zuvor im Verfahren nicht als unzureichend offenbart im Sinne von Artikel 83 EPÜ angesehen worden sei.
Hinsichtlich der verspätet eingereichten Hilfsanträge 8 bis 14 kritisieren die Beschwerdeführer, dass nicht einmal eine prima facie-Prüfung durchgeführt wurde. Darüber hinaus seien diese Anträge der Verfahrensökonomie nicht abträglich gewesen.
3.3 Die Kammer stimmt den Beschwerdeführern wenigstens teilweise zu.
Zunächst scheinen die hinzugefügten Merkmale einen ernsthaften Versuch darzustellen, den Neuheitseinwand auszuräumen.
Die Prüfungsabteilung hat die Nichtzulassung des Hilfsantrags 2 damit begründet, dass Anspruch 1 wenigstens prima facie nicht ausreichend offenbart sei. Dieses neue Merkmal geht jedoch auf den ursprünglichen Anspruch 11 zurück, gegen den zwar ein Neuheitseinwand, nicht jedoch ein Einwand unter Artikel 83 EPÜ erhoben worden war. Für die Beschwerdeführer war daher nicht zu vermuten, dass dieser Einwand nun gegen den Hilfsantrag 2 erhoben werden könnte. Die Kammer ist der Ansicht, dass die Nichtzulassung des Hilfsantrags 2 nicht allein auf diesen neuen Einwand gegen ein schon zuvor beanspruchtes Merkmal gestützt werden durfte, ohne die Beschwerdeführer dazu zu hören. Zudem stellt die Prüfungsabteilung den Ausführungsmangel nur fest, ohne ihn auch nur andeutungsweise zu begründen. Die Kammer hält das selbst bei einem prima facie Einwand für unzureichend.
Die Nichtzulassung der Hilfsanträge 8 bis 14 begründet die Prüfungsabteilung allein mit deren Verspätung und der Tatsache, dass die Beschwerdeführer zu ihnen nicht vortragen wollten. Allerdings stellt die bloße Tatsache, dass Anträge verspätet eingereicht wurden, für sich genommen noch keinen ausreichenden Grund für deren Nichtzulassung dar, auch wenn die Prüfungsabteilung zu solchen Änderungen nicht aufgefordert oder ermuntert haben sollte. Dies gilt unabhängig davon, ob die Anmelder an einer anberaumten mündlichen Verhandlung teilnehmen oder nicht. Die Verspätung eröffnet ein Ermessen zur Nichtzulassung, das ausgeübt und begründet werden muss. An einer solchen Begründung fehlt es in der Entscheidung.
Die Kammer ist daher der Auffassung, dass die Prüfungsabteilung ihr Ermessen jedenfalls teilweise unrichtig ausgeübt und insbesondere die Nichtzulassung der Anträge 2 und 8 bis 14 nicht ausreichend begründet hat. Dies stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (vgl. auch T 309/09 derselben Kammer in anderer Besetzung, Entscheidungsgründe, Punkt 8).
Die Kammer weist zudem darauf hin, dass der Sachverhalt in der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf Hilfsantrag 4 (Nichtzulassung gemäß Regel 137(3) EPÜ, siehe Punkt 18 der angefochtenen Entscheidung) nicht mit dem Inhalt der Niederschrift der mündlichen Verhandlung übereinstimmt (siehe Seite 3, erster Satz der Niederschrift).
4. Zurückverweisung, Rückzahlung der Beschwerdegebühr und mündliche Verhandlung
4.1 Die Entscheidung ist aufzuheben, weil Anspruch 1 gegenüber dem zitierten Stand der Technik neu ist. Eine weitere Prüfung der Anmeldung im Rahmen der Beschwerde auf Grundlage des vorliegenden Standes der Technik ist schon wegen Zweifels an der Vollständigkeit der Recherche nicht angezeigt. Daher hat die Kammer entschieden, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen (vgl. Artikel 111 EPÜ und Artikel 11 VOBK).
4.2 Die Frage der Zulassung der Hilfsanträge, insbesondere der mit der Beschwerdebegründung neu eingereichten Hilfsanträge 15 bis 17, ist unter diesen Umständen nicht in der Beschwerde zu entscheiden.
4.3 Die Kammer weist darüber hinaus auf folgende Aspekte hin:
Der Kerngedanke der Erfindung besteht offenbar darin, durch eine bekannte Messapparatur erzeugte, verschränkte Elektronenpaare zu speichern und gegebenenfalls zu manipulieren.
Die Kammer hat Zweifel daran, dass das Erfassen und Speichern der Spininformation eines der verschränkten Teilchen in der Anmeldung klar und vollständig offenbart ist. So wird lediglich allgemein angegeben, dass die Erfassung mittels elektromagnetischer Wechselwirkung in einem Resonator erfolgen soll (Seite 5, Zeilen 11 bis 14). Es bleibt dabei unklar, welche Auswirkungen dies auf den verschränkten Zustand sowie auf die gemessene Koinzidenzrate hat.
Zudem erscheint es zweifelhaft, ob das Speichern von Quanteninformation über makroskopische Zeiträume hinweg in der Anmeldung hinreichend technisch offenbart ist. Das Gebiet stellt ein aktives Forschungsfeld dar, und auf den ersten Blick scheinen in der Anmeldung keine ausreichenden Angaben gemacht zu sein, die es dem Fachmann ohne unzumutbaren Aufwand ermöglichen würden, die Erfindung auszuführen. Der vorgeschlagene Quantenspeicher wird nur vage beschrieben (vgl. Seite 20), die angegebene Potentialfalle ist nicht näher charakterisiert (Seite 10, Zeilen 5 bis 13), und ein konkreter Mechanismus zur Übertragung der Spininformation vom Streuteilchen auf das Speichermedium wird nicht erläutert (Seite 18, Zeilen 17 bis 25). Auch die beanspruchte Kenngröße (Seite 6, Zeilen 14 bis 28) wird nicht klar definiert oder in ihrer technischen Bedeutung nachvollziehbar gemacht.
Auch ist der Kammer kein physikalisches System bekannt, das eine Informationsübertragung in die Vergangenheit (vgl. Anspruch 18 des Hauptantrags) ermöglichen würde. Die diesbezüglichen Angaben in der Beschreibung (Seite 14, Zeilen 9 bis 21; Seite 17, Zeilen 20 bis 24; Seite 18, Zeilen 20 bis 25) erscheinen ebenfalls nicht geeignet, eine ausreichende technische Lehre zu vermitteln.
Von der ersten Instanz mag daher zu prüfen sein, ob der Hauptantrag und die Hilfsanträge die Erfordernisse der Artikel 83 und 84 EPÜ erfüllen.
4.4 Die Beschwerdeführer haben beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, hilfsweise ein Patent auf der Basis des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge zu erteilen, hilfsweise mündliche Verhandlung. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist ein Beteiligter durch die Entscheidung, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung zurückzuverweisen, nicht beschwert. Folglich besteht keine Notwendigkeit, einem Hilfsantrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung stattzugeben (siehe auch RdBK 10. Auflage 2022, III.C.4.5.). Die Entscheidung erfolgt daher ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren.
4.5 Wie oben ausgeführt, kommt die Kammer zum Schluss, dass aus der angefochtenen Entscheidung nicht hervorgeht, dass sich die Prüfungsabteilung umfassend mit den Einwänden der Beschwerdeführer auseinandergesetzt und ihre Ermessensentscheidungen hinreichend begründet hat. Diese Umstände stellen einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, aufgrund dessen die Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Billigkeit entspricht, Regel 103(1)(a) EPÜ (vgl. dazu T 309/09, Entscheidungsgründe, Punkt 5.4 und 8).
5. Über die Zulassung der Hilfsanträge, soweit aufrecht erhalten, wird die Prüfungsabteilung nach Zurückverweisung angesichts einer möglicherweise geänderten Sachlage neu zu entscheiden haben.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.