T 0810/21 (Verfolgung säumiger mautpflichtiger Fahrzeuge / TollCollect) 26-07-2023
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VERFAHREN ZUR VERFOLGUNG MAUTPFLICHTIGER FAHRZEUGE IN EINEM MAUTSYSTEM SOWIE MAUTSYSTEM
Patentansprüche - Klarheit nach Änderung (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nach Änderung
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Zurückverweisung an die erste Instanz
Zurückverweisung - (ja)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Anmeldung zurückzuweisen.
II. Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag nicht erfinderisch sei. Auch sei der Gegenstand der Ansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen - sofern zugelassen - nicht erfinderisch. Daher entschied die Prüfungsabteilung, die Anmeldung zurückzuweisen.
III. In ihrer Entscheidung berücksichtigte die Prüfungsabteilung das folgende Dokument:
D4 US 2014/201064 A1
IV. In der Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin, die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des Hauptantrags zu erteilen, hilfsweise auf Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 3, wobei alle Anträge mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurden.
V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer ihre vorläufige Auffassung mit.
Die Kammer äußerte, dass sie Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag für nicht klar hielt und der Auffassung der Prüfungsabteilung zustimme, dass dessen Gegenstand nicht erfinderisch gegenüber Dokument D4 sei (Artikel 56 EPÜ).
Dies treffe auch auf Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2 zu.
Demgegenüber sei Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 klar, dessen Gegenstand jedoch ebenfalls nicht erfinderisch gegenüber Dokument D4.
VI. Mit ihrem Schreiben vom 12. Juni 2023 reichte die Beschwerdeführerin Hauptantrag A, Hilfsantrag 1A und Hilfsantrag 2A ein.
VII. Die mündliche Verhandlung fand am 26. Juli 2023 als Videokonferenz statt. Die Beschwerdeführerin beantragte zuletzt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Basis des Hauptantrags (eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer um 10:50 Uhr), hilfsweise des Hilfsantrags 2A oder des Hilfsantrags 3 zu erteilen. Die Beschwerdeführerin nahm den ursprünglichen Hauptantrag, Hauptantrag A, Hilfsantrag 1 und Hilfsantrag 2 zurück.
VIII. Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag lautet wie folgt:
"Verfahren zur Verfolgung mautpflichtiger Fahrzeuge (102) in einem Mautsystem (200), welches mindestens eine mit einer Deliktdatenbank (208) in Kommunikation stehende Datenverarbeitungseinrichtung (205, 206) und mindestens eine ortsfeste, straßenseitige Kontrolleinrichtung (202) aufweist, wobei in der Deliktdatenbank (208) jeweils mit Kennzeichen von mautpflichtigen Fahrzeugen assoziierte erste Mautverstoßhinweise gespeichert sind, umfassend die Schritte:
- Erfassen mindestens eines Kennzeichens (104) eines mautpflichtigen Fahrzeugs (102) mittels der ortsfesten, straßenseitigen Kontrolleinrichtung (202),
- Bilden eines Kontrolldatensatzes, welcher das Kennzeichen (104) des erfassten mautpflichtigen Fahrzeugs (102) und dessen Erfassungszeitpunkt umfasst, durch die ortsfeste, straßenseitige Kontrolleinrichtung
- Ermitteln durch die Datenverarbeitungseinrichtung (205, 206), ob in der Deliktdatenbank (208) für das erfasste Kennzeichen (104) bereits ein vor dem Erfassungszeitpunkt erfasster erster Mautverstoßhinweis vorliegt, wobei die in der Deliktdatenbank (208) gespeicherten Mautverstoßhinweise durch vorheriges Erfassen mindestens eines Kennzeichens (104) eines mautpflichtigen Fahrzeugs (102) mittels einer straßenseitigen Kontrolleinrichtung (202) und dem vorherigen Ermitteln, ob ein Mautverstoß des mautpflichtigen Fahrzeugs (102) vorliegt, bestimmt werden,
- bei Vorliegen eines ersten Mautverstoßhinweises für das erfasste Kennzeichen (104) in der Deliktdatenbank (208), Assoziieren des ersten Mautverstoßhinweises mit dem Kontrolldatensatz durch die Datenverarbeitungseinrichtung, wobei
- der Kontrolldatensatz und wenigstens der damit assoziierte erste Mautverstoßhinweis an eine mobile Anzeigevorrichtung (212) übermittelt wird und der Kontrolldatensatz und wenigstens der damit assoziierte erste Mautverstoßhinweis auf der mobilen Anzeigevorrichtung (212) angezeigt werden,
- wobei die mobile Anzeigevorrichtung (212) von einem Kontrollfahrzeug zur Verfolgung erfasster mautpflichtiger Fahrzeuge umfasst ist, in diesem mitgeführt wird oder durch dieses bereitgestellt wird und/oder die mobile Anzeigevorrichtung von einem mobilen Gerät, bevorzugt Mobilcomputer, Tabletcomputer oder Smartphone, umfasst ist."
Der unabhängige Anspruch 12 bezieht sich auf ein korrespondierendes Mautsystem.
IX. Der Wortlaut der Ansprüche der weiteren Hilfsanträge 2A und 3 ist für diese Entscheidung nicht von Belang.
Die vorliegende Anmeldung hat ein Mautsystem zum Gegenstand, mit dem das Erkennen von Fahrzeugen mit ausstehenden Mautzahlungen möglich ist.
1. Hauptantrag
1.1 Zulassung (Artikel 13(2) VOBK)
Der Hauptantrag basiert auf Hilfsantrag 1A und wurde in Reaktion auf die von der Kammer erstmals in der mündlichen Verhandlung geäußerten Klarheitseinwände eingereicht. Somit liegen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Zulassung rechtfertigen.
1.2 Klarheit (Artikel 84 EPÜ)
Sowohl Anspruch 1 als auch Anspruch 12 betreffen nunmehr zweifelsfrei die Verfolgung mautpflichtiger Fahrzeuge. Somit wurden alle entsprechenden Einwände der Kammer behoben.
1.3 Unterschiedsmerkmale gegenüber Dokument D4
Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass Dokument D4 sich allgemein mit der Verfolgung säumiger Fahrzeuge befasse, nicht jedoch mit Mautprellern im speziellen. Da darin kein bestimmtes Mautsystem sondern nur "toll collection cameras" erwähnt würden, könne es sich auch um ein anderes als das von der Kammer in der vorläufigen Meinung angenommene Mautsystem handeln, welches dann auch andere implizite Merkmale aufweise. Auch sei in Dokument D4 insbesondere nicht offenbart, dass die Datenbank mit zu verfolgenden Fahrzeugen aus Daten des Mautsystems gespeist werde. Dies entspreche dem Merkmal des Anspruchs 1, dass:
"die in der Deliktdatenbank gespeicherten Mautverstoßhinweise durch vorheriges Erfassen mindestens eines Kennzeichens eines mautpflichtigen Fahrzeugs mittels einer straßenseitigen Kontrolleinrichtung und dem vorherigen Ermitteln, ob ein Mautverstoß des mautpflichtigen Fahrzeugs vorliegt, bestimmt werden"
Dokument D4 ist tatsächlich keinerlei Zusammenhang zwischen der Eingabe von Daten in die Datenbank und den "toll collection cameras" zu entnehmen. Daher unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von der Offenbarung des Dokuments D4 zumindest hinsichtlich des vorstehenden von der Beschwerdeführerin zitierten Merkmals.
Die gleichen Erwägungen treffen auch auf Anspruch 12 zu.
1.4 Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
Die Kammer merkt zunächst an, dass im Dokument D4 die "toll collection cameras" lediglich zum Auffinden von als gesucht gespeicherten Fahrzeugen verwendet werden, indem die erkannten Kennzeichen mit den in der bereits vorhandenen Datenbank hinterlegten Kennzeichen verglichen werden. Die Kameras werden jedoch nicht zum Erkennen von Verstößen verwendet, die dann zu einer Suche des betreffenden Fahrzeugs führen. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, kann die objektive technische Aufgabe allgemein formuliert werden als: Wie kann das aus Dokument D4 bekannte System für die Verfolgung weiterer Verstöße verwendet werden. Hierzu liefert Dokument D4 lediglich die Anregung, auch Fahrzeuge mit "outstanding parking violations" aufzufinden, siehe Absatz [0102]. Selbstverständlich könnte der Fachmann ferner auch Mautverstöße in Betracht ziehen. Hierzu müsste zusätzlich ein Datenpfad von der Mautüberwachung des Mautbetreibers zur Datenbank der D4 geschaffen werden, über den erkannte Mautverletzer gemeldet und so zum Gegenstand der Suche werden. Obgleich der Fachmann diese Schritte sicherlich ausführen könnte, ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass er dies ausgehend von der Offenbarung des Dokument D4 auch tun würde. Insbesondere werden die "toll collection cameras" auch nur als eine von vielen Datenquellen für die Suche nach Fahrzeugen genannt, vgl. Abb. 4 des Dokuments D4. Mautverstöße bleiben daher eine von vielen verschiedenen Optionen, die der Fachmann zu Lösung der objektiven technischen Aufgabe in Betracht ziehen könnte.
Somit kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht durch die Offenbarung des Dokuments D4 nahegelegt wird.
Die gleichen Erwägungen treffen auch auf Anspruch 12 zu.
2. Zurückverweisung (Artikel 11 VOBK)
Gemäß Artikel 11 VOBK verweist die Kammer die Angelegenheit nur dann zur weiteren Entscheidung an das Organ zurück, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wenn besondere Gründe dafür sprechen.
Im vorliegenden Fall basierte die Entscheidung der Prüfungsabteilung lediglich auf Dokument D4. Weitere Dokumente, die im Recherchenbericht genannt sind, wurden nicht betrachtet. Die Ansprüche wurden im Beschwerdeverfahren wesentlich geändert, wodurch sich der Anspruchsschwerpunkt hin zur Verfolgung mautpflichtiger Fahrzeuge bewegt und somit deutlich von der Offenbarung dieses Dokuments entfernt hat. Wie auch von der Beschwerdeführerin vorgetragen, befasst sich Dokument D4 nicht mit mautpflichtigen Fahrzeugen, ein Mautsystem wird darin nicht explizit offenbart. Die Kammer kommt daher zu der Auffassung, dass Dokument D4 nicht als nächstliegender Stand der Technik für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit der Ansprüche gemäß den vorliegenden Anträgen geeignet ist.
In Anbetracht dieser Erwägungen hält es die Kammer für nicht angebracht, abschließend über die erfinderische Tätigkeit der vorliegenden Ansprüche zu entscheiden. Sie kommt daher zu dem Schluss, dass besondere Gründe vorliegen, die eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung rechtfertigen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.