T 0600/21 (Geschirrspülmittel/Henkel) 16-11-2023
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MASCHINELLES GESCHIRRSPÜLMITTEL
Clariant Produkte (Deutschland) GmbH
THE PROCTER & GAMBLE COMPANY
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Alternative (Hauptantrag)
Ermessen Vorbringen nicht zuzulassen - Voraussetzungen des Art. 12 (3) VOBK 2020 nicht erfüllt (Hilfsanträge)
Änderung des Vorbringens - nicht zugelsassen (Hilfsanträge)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden 2 richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 1 735 419 in geänderter Form auf Basis des zweiten Hilfsantrags aufrecht zu erhalten. Das spät eingereichte Dokument D25 (WO2004/003124) wurde nicht zum Verfahren zugelassen.
II. Anspruch 1 der für gewährbar erachteten Fassung hat den folgenden Wortlaut:
"1. Maschinelles Geschirrspülmittel, umfassend
a) 0,01 bis 1 Gew.-% .-% mindestens eines Polymers mit
einer Molmasse von 2000 gmol**(-1) oder darüber, das
mindestens eine positive Ladung aufweist;
b) 2,0 bis 10 Gew.-% 1-Hydroxyethan-1,1-
diphosphonsäure (HEDP) und/oder deren Salze,
wobei Phosphor-haltige Komplexbildner aus der Gruppe der Phosphonate und/oder der kondensierten Phosphate der allgemeinen Formel (MPO3)x, Mx+2PxO3x+1 und/oder MxH2PxO3x+1, in der M für ein Kation und x für eine Zahl größer oder gleich 5 steht, insgesamt in einer Menge von 2,0 bis 10 Gew.-% enthalten sind."
III. Mit der Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin unter anderem die Zulassung von D25 und brachte vor, der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber D14 (WO 99/49009) sowie nicht erfinderisch gegenüber D12 (WO 02/074891) und D25.
IV. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung reichte die Beschwerdegegnerin drei als Hilfsantrag 3, 4 und 5 bezeichnete Hilfsanträge ein und machte Angaben zur ursprünglichen Offenbarung der Änderungen. Außerdem beantragte sie die Nichtzulassung von D25.
V. In einem weiteren Schriftsatz beantragte die Beschwerdeführerin unter anderem die Nichtzulassung der Hilfsanträge wegen mangelnder Substanziierung.
VI. Nach dem Erhalt der vorläufigen Meinung der Kammer brachte die Patentinhaberin unter anderem Argumente zur Zulassung der Hilfsanträge vor.
VII. Die Einsprechende 1 hat sich am Verfahren nicht beteiligt.
VIII. Am 16. November 2023 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Die abschließenden Anträge der Parteien waren wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage der Ansprüche einer der mit der Antwort auf die Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 3 bis 5.
1. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
Die Kammer ist zu dem Schluss gekommen, dass der Gegenstand von Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht.
1.1 Die Erfindung ist auf maschinelle Geschirrspülmittel mit Klarspülfunktion gerichtet ([0006], [0011]). D12 beschäftigt sich mit einer ähnlichen Aufgabe (Seite 1 und Seite 4, jeweils Absatz 1) und die Parteien stimmen darin überein, dass das Dokument einen geeigneten Ausgangspunkt für die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit darstellt. Beispiel 8 dieses Dokuments offenbart ein Geschirrspülmittel, das bis auf die verwendeten Mengen an HEDP-Salz (1,9 Gew.-%, d.h. weniger als beansprucht) und positiv geladenem Polymer (1,4 Gew.-%, d.h. mehr als beansprucht) alle Merkmale des Anspruchs offenbart.
1.2 Ein technischer Effekt, der durch die unterscheidenden Merkmale bewirkt würde, wurde nicht gezeigt, so dass die Aufgabe als die Bereitstellung eines alternativen Geschirrspülmittels formuliert werden muss. Ein technisches Zusammenwirken der beiden Unterscheidungsmerkmale ist ebenso wenig gezeigt bzw. wurde auch nicht behauptet, so dass diese bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit getrennt behandelt werden dürfen.
1.3 Was das erste Unterscheidungsmerkmal angeht, nämlich den Gehalt an positiv geladenem Polymer, so stimmt die Kammer der Einspruchsabteilung zu, dass die Einstellung eines Polymergehaltes im beanspruchten Bereich vor dem Hintergrund der Lehre auf Seite 17, Zeile 11-19 von D12 naheliegend ist, denn dort wird ein Polymergehalt von 0,3-5 Gew.-% als besonders bevorzugt genannt. Ausgehend von Beispiel 8 gelangt der Fachmann somit zu dem unterscheidenden Merkmal, indem der Polymergehalt von einem Wert aus dem besonders bevorzugten Bereich (1,4 Gew.-%) auf einen anderen besonders bevorzugten Wert, nämlich auf einen Wert zwischen 0,3 und 1 Gew.-%, abgesenkt wird. In Abwesenheit eines technischen Effekts stellt eine derartige Maßnahme eine willkürliche Änderung dar, die innerhalb der expliziten Lehre von D12 bleibt und für die keine erfinderische Tätigkeit nötig ist.
Die Beschwerdegegnerin hat vorgebracht, für eine Erniedrigung des Polymergehaltes gäbe es keinen Hinweis in D12. Vielmehr hätte der Fachmann ausgehend von Beispiel 8 und unter Berücksichtigung der Lehre von Seite 17 den Polymergehalt auch erhöhen können.
Dieses Argument ist jedoch nicht überzeugend, denn eine naheliegende Alternative, die zum beanspruchten Gegenstand führt, wird nicht dadurch nicht naheliegend, dass es andere, ebenfalls naheliegende Alternativen gibt, die nicht zum beanspruchten Gegenstand führen.
Das weitere Argument der Beschwerdegegnerin, nach dem die o.g. Passage aus D12 lediglich bevorzugte Mengen des Polymers nenne, ohne diese jedoch explizit für alle Zusammensetzungen zu empfehlen, ist ebenfalls nicht überzeugend, denn die Passage bezieht sich auf die Erfindung im Allgemeinen und damit auch auf Beispiel 8.
1.4 Entgegen der Entscheidung der Einspruchsabteilung ist auch das zweite Unterscheidungsmerkmal naheliegend. Die Gründe sind im Wesentlichen die gleichen, wie zum Polymergehalt ausgeführt: Laut D12 weist das erfindungsgemäße Spülmittel zwei wesentliche Komponenten auf, nämlich ein positiv geladenes Polymer (im Falle von Beispiel 8: Merquat 3331, siehe Seite 17, Zeile 7) und eine Verbindung, die Carbonat- und Phosphatrückstände reduziert. Beispiel 8 enthält als Vertreter dieser Verbindungsgruppe Na HEDP, siehe Seite 20, Zeile 13. Auf der gleichen Seite wird offenbart, dass der Gehalt dieser Substanzen in den erfindungsgemäßen Spülmitteln besonders bevorzugt im Bereich von 0,2 bis 5 Gew.-% liegt. Die Erhöhung der HEDP Menge von 1,9 auf einen Wert von größer 2 Gew.-% stellt somit auch hier eine willkürliche Maßnahme dar, bei der der Fachmann lediglich die Zusammensetzung des Spülmittels innerhalb des laut D12 besonders bevorzugten Bereichs variiert. Eine solche Maßnahme ist jedoch nicht erfinderisch.
Das Argument der Beschwerdegegnerin, es bestehe kein Grund, aus der langen Liste von Verbindungen HEDP auszuwählen, greift nicht durch, denn eine solche Auswahl ist nicht nötig, da HEDP bereits in Beispiel 8 verwendet wird. Der Fachmann muss somit die Verbindung nicht gesondert auswählen, sondern er geht bereits von einem HEDP-haltigen Spülmittel aus.
1.5 Schließlich hat die Beschwerdegegnerin noch vorgebracht, im vorliegenden Fall lägen gleich zwei Änderungen vor und D12 enthalte keine Hinweise darauf, den Polymergehalt abzusenken und gleichzeitig den HEDP-Gehalt zu erhöhen. Der Gegenstand von Anspruch 1, der diese beiden Änderungen kombiniere, sei somit nicht naheliegend.
Die Beschwerdegegnerin konnte jedoch keinerlei Rechtsprechung anführen, die ihre Auffassung stützen würde und auch für die Kammer ist nicht ersichtlich, warum die Kombination zweier jeweils naheliegender Einzelmaßnahmen, die technisch nicht zusammenwirken, nicht naheliegend sein sollte.
2. Zulassung der Hilfsanträge
2.1 Die Kammer hat ihr Ermessen unter Artikel 12(5) VOBK dahingehend ausgeübt, die als Hilfsanträge 3-5 bezeichneten Hilfsanträge nicht zuzulassen.
Die Hilfsanträge wurden mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht. Die Beschwerdegegnerin hat darin zwar Angaben zur Stützung der Änderungen in den ursprünglichen Unterlagen gemacht, aber sie hat nicht ausgeführt, welche Einwände die jeweiligen Änderungen adressieren und warum die Änderungen geeignet sind, die gegen den Hauptantrag vorgebrachten Einwände auszuräumen. Ohne diese Angaben ist das Erfordernis von Artikel 12(3) VOBK, dass die Beschwerdeerwiderung das vollständige Beschwerdevorbringen der Beschwerdegegnerin enthalten muss, nicht erfüllt, es sei denn, die Änderungen wären in dieser Hinsicht selbsterklärend. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zum Beispiel gehören "feste" Geschirrspülmittel unbestritten zum Stand der Technik, so dass es nicht selbsterklärend ist, warum die Aufnahme dieses Merkmals den Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausräumt.
Das Nachreichen der entsprechenden Erläuterungen mit dem Schriftsatz vom 13. September 2023 könnte diesen Mangel nur heilen, wenn außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 13(2) VOBK vorliegen würden, die es rechtfertigen würden, dieses verspätete Vorbringen zu berücksichtigen. Das Vorliegen solcher Umstände ist jedoch weder ersichtlich noch vorgetragen.
2.2 Unabhängig davon hat die Kammer auch ihr Ermessen unter Artikel 12(4) VOBK dahingehend ausgeübt, die Hilfsanträge nicht zuzulassen.
Die Anträge wurden erstmalig mit der Beschwerdeerwiderung vorgelegt, so dass sie gemäß Artikel 12(4) VOBK als Änderung betrachtet werden, deren Zulassung im Ermessen der Kammer steht.
Laut Artikel 12(4) VOBK, letzter Satz, berücksichtigt die Kammer bei der Ausübung ihres Ermessens unter anderem das Gebot der Verfahrensökonomie, welches aus den folgenden Gründen im vorliegenden Fall der Zulassung der Anträge entgegen steht:
Die Zulassung der Hilfsanträge würde zu einer Änderung des Verfahrensgegenstandes führen, denn damit würden sich erstmalig Anträge im Verfahren befinden, die auf feste Mittel beschränkt sind. Die Beschwerdeführerin hat beantragt, dass in diesem Fall D25 zugelassen werden müsste, denn dieses Dokument sei im Gegensatz zu D12 explizit auf feste Mittel gerichtet und somit ein besserer Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.
D25 wurde erstinstanzlich nicht zugelassen. Nach Artikel 12(6) VOBK lässt die Kammer ein solches Dokument nur zu, wenn die Entscheidung, das Dokument nicht zuzulassen, ermessensfehlerhaft war, oder die Umstände der Beschwerdesache die Zulassung rechtfertigen. Die Kammer hat in ihrer vorläufigen Meinung ausgeführt, dass ein Ermessensfehler nicht vorliegt. Die Zulassung der Hilfsanträge, die erstinstanzlich nicht vorlagen, würde aber dazu führen, dass die zweite Ausnahme nach Artikel 12(6) VOBK greift, denn in diesem Fall würde die Änderung des Verfahrensgegenstandes im Beschwerdeverfahren die Zulassung des Dokuments rechtfertigen.
Die Zulassung der Hilfsanträge und die damit einhergehende Zulassung von D25 würde somit dazu führen, dass im Beschwerdeverfahren erstmalig die erfinderische Tätigkeit ausgehend von D25 diskutiert werden müsste, was sowohl dem vorrangigen Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen, als auch der Verfahrensökonomie zuwiderlaufen würde.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.