T 2389/19 (SPALTTOPF FUER MAGNETGEKUPPELTE PUMPEN/Klaus Union) 25-11-2022
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SPALTTOPF FUER MAGNETGEKUPPELTE PUMPEN SOWIE HERSTELLUNGSVERFAHREN
I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent EP 2 932 102 B1 in geändertem Umfang aufrecht zu erhalten. Die ebenso gegen die Zwischenentscheidung gerichtete Beschwerde der Patentinhaberin wurde in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Die Patentinhaberin verblieb als Beschwerdegegnerin im Verfahren.
II. Die folgenden Dokumente sind hier von Relevanz:
D1 |US 4,850,818 A |
D4 |Nicrofer® 5219 - alloy 718; Werkstoffdatenblatt Nr. 4127, ThyssenKrupp, 2004|
LSG6|Wikipedia Eintrag "Härten (Eisenwerkstoff)", 2019|
AP1 |Klein, D.: "Berücksichtigung des inneren Werkstückzustands bei der Arbeitsplanung am Beispiel des Bauteilverzugs von hochfesten Stahlbauteilen der Antriebstechnik", Diss., Universität Bremen, 2015|
AP2 |Reese, U.: "Wärmebehandlungen und Verzug - Überblick und Ursachenbetrachtung", Härterei Reese Chemnitz GmbH & Co. KG, 2018|
III. Der für die Entscheidung relevante Anspruch 4 des Hilfsantrags II, welcher dem durch die Einspruchsabteilung aufrecht erhaltenen Patent entspricht, lautet wie folgt:
"4. Verfahren zum Herstellen eines Spalttopfes (1), mit den Schritten:
- Ausbilden eines Flanschteils (4) des Spalttopfes (1)
- Ausbilden eines Bodens (2) des Spalttopfes;
- Ausbilden einer in montiertem Zustand des Spalttopfes in einem Spalt anordenbaren Seitenwandung (3) zumindest teilweise aus einem Werkstoff mit einem Nickelbestandteil, wobei die Seitenwandung (3) durch einen Umformschritt in eine Sollgeometrie gebracht wird, dadurch gekennzeichnet,
dass für den Werkstoff eine Nickel-Chrom-Legierung in einem lösungsgeglühten Zustand gewählt wird, welche enthält:
- Nickel zwischen 50 und 55 Gewichtsprozent;
- Chrom zwischen 17 und 21 Gewichtsprozent;
- Molybdän zwischen 2,8 und 3,3 Gewichtsprozent;
- Niob zwischen 4,75 und 5,5 Gewichtsprozent;
- Aluminium zwischen 0,2 und 0,8 Gewichtsprozent;
- Titan zwischen 0,65 und 1,15 Gewichtsprozent;
- einen Rest Eisen, wobei nach dem Umformen ein Härten durch eine Wärmebehandlung erfolgt."
Die unabhängigen Verfahrensansprüche der Hilfsanträge III und IV sind wortgleich.
IV. In der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung mit, dass das Patent widerrufen werden sollte.
V. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Parteien können wie folgt zusammengefasst werden:
a) Der Beschwerdegegnerin zufolge offenbare die D1, ein Patent aus dem Jahre 1987, zwar einen Spalttopf und erwähne auch dafür Inconel und Hastelloy zu verwenden, allerdings ohne die diesen Handelsnahmen zugrundeliegenden Produkte weiter zu spezifizieren. Ein Hinweis darauf, eine härtbare Nickelbasislegierung zu verwenden, fehle in der D1 und sei auch nicht aus den weiteren zitierten Dokumenten ableitbar.
Darüber hinaus wisse die Fachperson, dass das starke Umformen beim Herstellen des Spalttopfes zu inneren Spannungen führe, die bei der Wärmebehandlung einen Verzug des Bauteils bewirkten. Dabei spiele es keine Rolle, ob es sich beim Härten um ein Ausscheidungshärten oder ein Umwandlungshärten handle, da beide Härteverfahren hohe Temperaturen benötigten. Dieser Effekt trete insbesondere, wie vorliegend, bei hochgradig umgeformten, dünnwandigen Bauteilen auf. Angesichts der hohen Anforderungen an die Maßhaltigkeit würde die Fachperson deshalb von einer Wärmebehandlung absehen und Inconel 718 nur im ungehärteten Zustand verwenden, weil bereits ungehärtet die Festigkeit ausreichend hoch sei.
Überraschenderweise trete dieses Verhalten entgegen der Erwartungen der Fachperson bei Inconel 718 nicht auf, was eine Anerkennung eines erfinderischen Schrittes rechtfertige.
Die D1 offenbare zudem eine Seitenwandung aus einem Verbundwerkstoff mit Stahlblech und Kunststoff. In das Stahlblech würden Löcher gestanzt, anschließend werde das Metallblech in eine zylindrische Form gebogen und mit Kunststoff zu einem Verbund verarbeitet. Ein Härten des Spalttopfes sei wegen der dafür nötigen hohen Temperaturen nicht möglich, weil der Kunststoff diesen Temperaturen nicht standhalte.
Zudem verbessere das Härten zwar die 0.2% Dehngrenze substanziell, die Zugfestigkeit werde jedoch nur in wesentlich geringerem Ausmaß verbessert und die Bruchdehnung verkleinere sich sogar. Die geringe Bruchdehnung sei für den Einsatz als Druckbehälter bereits als grenzwertig anzusehen, so dass die Fachperson vom Härten weggeleitet werde. Ein Fokus auf die 0.2% Dehngrenze entstehe nur durch die rückschauende Betrachtungsweise.
Die Fachperson werde daher vom Härten weggeleitet.
Die nach der Mitteilung nach Artikel 15(2) VOBK eingereichten Dokumente belegten, dass sich Stahl beim Härten, insbesondere nach dem Umformen verziehe. Dieses Wissen der Fachperson sei bisher nie in Zweifel gezogen worden, so dass die Zulassung dieser Dokumente auch in diesem späten Stadium des Verfahrens gerechtfertigt sei.
b) Der Beschwerdeführerin zufolge sei der Fachperson bekannt, dass Inconel 718 in den Sechzigerjahren entwickelt wurde. Es sei daher zum Prioritätsdatum der D1 lange bekannt gewesen.
Inconel 718 härte nicht durch Umwandlungshärten, wie die meisten Härtemechanismen von Stahl, sondern durch Ausscheidungshärten.
Es sei durch nichts belegt, dass nach einem beliebigen Umformverfahren ein Ausscheidungshärten zu Verzug führe.
Der wesentliche Vorteil von Inconel 718 sei die Härtbarkeit und die Fachperson ziehe ein Härten, angesichts der möglichen erheblichen Festigkeitssteigerungen auf jeden Fall in Betracht.
Anspruch 4 ließe sich zwanglos auf den in Fig. 8 dargestellten und ab Spalte 7, Zeile 19 beschriebenen Spalttopf der D1 lesen.
Ausgehend von der D1 würde die Fachperson daher ein Härten in Betracht ziehen.
Die nach der Mitteilung nach Artikel 15(2) VOBK eingereichten Dokumente seien nicht zuzulassen, denn die Zweifel am Auftreten des geltend gemachten Materialverzugs und das Fehlen von Beweisen, die die Behauptung der Beschwerdegegnerin belegten, seien bereits im Einspruchsverfahren aber auch in der Beschwerdebegründung der Einsprechenden auf Seite 15, zweiter Abs geäußert worden.
VI. Die am Ende der mündlichen Verhandlung vorliegenden Anträge in der Sache stellen sich wie folgt dar:
Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte, die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen. Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf der Basis der mit Schreiben vom 24. Oktober 2022 eingereichten Hilfsanträge III und IV.
1. Hilfsantrag II (von der Einspruchsabteilung aufrecht erhaltene Fassung), Anspruch 4: erfinderische Tätigkeit
1.1 Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Herstellen eines Spalttopfes, welcher zwischen einem Treiber und einem Läufer einer magnetgekuppelten Pumpe angeordnet wird.
1.2 Die Patentschrift D1 wurde als nächstliegender Stand der Technik genannt. Sie offenbart eine magnetgekuppelte Pumpe mit einem Spalttopf (Spalte 1, Zeilen 5 bis 22, Figur 1) und eignet sich daher als Startpunkt für einen Einwand unter Artikel 56 EPÜ.
1.3 Der Beschwerdegegnerin zufolge stelle sich die zu lösende technische Aufgabe als das Bereitstellen eines Verfahrens zum Herstellen eines Spalttopfes dar, bei welchem neben guten strukturellen Werkstoffeigenschaften auch eine hohe Korrosionsbeständigkeit des Spalttopfes sichergestellt werden kann (siehe auch Abschnitt [0006] des Streitpatents).
1.4 Als Lösung wird vorgeschlagen, für die Seitenwandung des Spalttopfes einen härtbaren Nickelbasiswerkstoff mit einer bestimmten Legierungszusammensetzung zu verwenden und diesen auch zu härten.
Der ausscheidungshärtbare Werkstoff, der unter dem Handelsnamen Inconel 718 erhältlich ist, weist die beanspruchte Legierungszusammensetzung auf.
1.5 Der Begriff "strukturelle Werkstoffeigenschaften" umfasst auch die Bruchdehnung, die sich bei der beanspruchten Legierungszusammensetzung durch das Härten verringert (D4, Tabelle 5) und die selbst die Beschwerdegegnerin im gehärteten Zustand als grenzwertig bezeichnet, wodurch sich unmittelbar ergibt, dass die Aufgabe nicht in der gesamten Breite gelöst angesehen werden kann.
Anm: Die in der D4 verwendete Bezeichnung Nicrofer 5219 Nb ist der Handelsname für einen Werkstoff von ThyssenKrupp, dem der Werkstoff von Special Metals Corporation mit dem Handelsnamen Inconel 718 entspricht.
1.6 Zudem lösen bereits die in der D1 nicht weiter spezifizierten Beispiele von Nickelbasislegierungen Hastelloy und Inconel (D1, Spalte 6, Zeilen 63-66) die von der Beschwerdegegnerin angegebene technische Aufgabe der hohen Korrosionsbeständigkeit (D4, Seite 10, rechte Spalte, erste beiden Absätze).
1.7 Die objektive technische Aufgabe stellt sich daher allenfalls als das Bereitstellen eines Verfahrens zum Herstellen eines Spalttopfes mit einer gegenüber der D1 weiter verbesserten Festigkeit bei vergleichbarer Korrosionsbeständigkeit dar.
Der Erfolg der Lösung dieses Teils der Aufgabenstellung ist nicht bestritten worden.
1.8 Im Hinblick auf die zu lösende objektive technische Aufgabe und der Offenbarung der D1 zieht die Fachperson Inconel 718 im gehärteten Zustand in Betracht, denn dieser Werkstoff zeigt im gehärteten Zustand eine Festigkeit (0.2% Dehngrenze), die etwa doppelt so hoch ist, wie im lösungsgeglühten Zustand (siehe D4, Tabelle 5 auf der Seite 5). Er erreicht auch etwa die doppelte Festigkeit von anderen, nicht härtbaren Nickelbasislegierungen. Wenn substanziell verbesserte strukturelle Werkstoffeigenschaften erreicht werden sollen, ist ein Härten somit alternativlos.
1.9 Die Beschwerdegegnerin macht ein technisches Vorurteil geltend, nämlich dass die Fachperson wegen des zu erwartenden inakzeptablen Verzugs durch das Härten von hochgradig umgeformtem Inconel 718 vom Härten abgehalten werde. Darüber hinaus sei die Reduktion der Bruchdehnung für drucktragende Bauteile wie den Spalttopf nicht akzeptabel.
1.10 Zunächst spiegeln sich mehrere Annahmen, auf denen dieses Argument aufbaut, nicht im Gegenstand von Anspruch 4 wider.
Der Gegenstand des Anspruchs 4 ist auf ein Herstellungsverfahren gerichtet, das weder Umformgrade noch ein Umformverfahren enthält. Geringere Umformgrade, wie das Biegen eines Blechs in Zylinderform gemäß D1 sind daher ebenso erfasst, wie das von der Beschwerdegegnerin erwähnte Drückwalzen, welches sehr hohe Umformgrade bewirkt. Das Herstellen eines Spalttopfes ist daher nicht notwendigerweise mit den von der Beschwerdegegnerin angeführten hohen Umformgraden verbunden. Auch sind in Anspruch 4 keine Anforderungen an den Druck enthalten, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Spalttopf die Anforderungen für einen Druckbehälter erfüllen muss.
Falls überhaupt ein technisches Vorurteil vorliegt, ist es daher nicht von der Art, die die Beschwerdegegnerin angibt.
1.11 Zudem liegt die Beweislast über das Vorliegen eines technischen Vorurteils bei der Partei, die sich darauf beruft, vorliegend die Beschwerdegegnerin. Sie muss belegen, dass das geltend gemachte technische Vorurteil tatsächlich bestand. Zum Nachweis eines technischen Vorurteils werden in der Rechtsprechung Standardwerke und Lehrbücher aber in der Regel keine Schriften akzeptiert, denen möglicherweise besondere Voraussetzungen oder die persönliche Ansicht des Verfassers zugrunde liegen (Rechtsprechung, Ausgabe 2022, Kapitel I.D.10.2).
Keines der vorliegenden Dokumente ist ein Standardwerk oder eine vergleichbare Schrift, die das geltend gemachte Vorurteil belegen könnte. Dies gilt insbesondere auch für LSG6, ungeachtet der Berücksichtigung dieses Dokuments im Beschwerdeverfahren.
Daher ist die Beschwerdegegnerin ihrer Beweislast nicht nachgekommen und das Argument kann nicht überzeugen.
1.12 Die Beschwerdegegnerin vertritt des weiteren die Auffassung, dass die in D1, Spalte 7, Zeilen 19 bis 36 offenbarte Isolierungsschicht 241 ein Härten des Spalttopfes unmöglich mache, weil sie nicht die dafür nötige Temperaturbeständigkeit besitze.
Dass, wovon die Beschwerdegegnerin ausgeht, Anspruch 4 das Härten des gesamten Spalttopfes in einem Stück vorsieht, ist nicht ersichtlich.
Anspruch 4 fordert lediglich die im Spalt anordenbare Seitenwandung aus einem Werkstoff mit einem Nickelbestandteil nach dem Umformen zu härten.
Zudem umfasst Anspruch 4 lediglich die Schritte (1) Ausbilden eines Flanschteils, (2) Ausbilden eines Bodens und (3) Ausbilden einer Seitenwandung und somit auch das in der D1 offenbarte, getrennte Ausbilden dieser Elemente.
Anspruch 4 schließt insbesondere nicht aus, dass für die Seitenwandung mehrere Lagen aus einem Werkstoff mit einem Nickelbestandteil zur Anwendung kommen, wobei die Lagen nach dem jeweiligen Formen und Härten ergänzenden Verarbeitungsschritten unterworfen, wie z.B. dem in D1 gezeigten Einbetten in ein Harz, und erst dann in den Spalt eingesetzt werden.
Daher kann jede der Metallschichten 242 und 243 nach dem Biegen und vor dem Herstellen des Materialverbunds (D1, Spalte 7, Zeilen 31-36) gehärtet und als anspruchsgemäße Seitenwandung des Spalttopfes angesehen werden.
1.13 Der Gegenstand von Anspruch 1 ist daher nicht erfinderisch (Artikel 56 EPÜ)
2. Hilfsanträge III und IV
Auf die Frage der Zulassung der Hilfsanträge III und IV kommt es nicht an, weil sie identische Verfahrensansprüche wie Hilfsantrag II enthalten und somit die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ ebenfalls nicht erfüllen. Dies wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten, denn bezüglich der Hilfsanträge III und IV hatte sie nichts hinzuzufügen.
3. Zulassung der nach der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 zitierten Dokumente AP1 und AP2
Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin wurden Zweifel am geltend gemachten technischen Vorurteil, dass die Fachperson ein Härten angesichts des befürchteten Verzugs nicht in Betracht gezogen hätte, von der Beschwerdeführerin bereits im Einspruchsverfahren (Seite 7, Absatz 2 des Schreibens der Beschwerdeführerin vom 28. März 2019) geäußert und in der Beschwerdebegründung (Seite 15, zweiter Absatz) sowie der Antwort (Seite 11, zweiter Absatz) auf die, letztlich zurückgenommene Beschwerde der Beschwerdegegnerin aufgegriffen.
Spätestens auf die in der Beschwerde vorgetragenen Argumente der Beschwerdeführerin hätte die Beschwerdegegnerin unmittelbar reagieren können und müssen.
Außergewöhnliche Umstände, die eine Zulassung rechtfertigen, liegen daher nicht vor.
Daher bleiben die Dokumente AP1 und AP2 unberücksichtigt (Artikel 13(2) VOBK 2020).
4. Teilweise Erstattung der Beschwerdegebühr
Die ebenso gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung gerichtete Beschwerde der Patentinhaberin wurde zu Beginn der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
Eine Erstattung von 25% der Beschwerdegebühr ergibt sich unmittelbar aus Regel 103(4)(a) EPÜ.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.
3. Die Beschwerdegebühr der Patentinhaberin wird zu 25% zurückerstattet.