T 0808/19 19-12-2023
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ABGASANLAGE FÜR EIN KRAFTFAHRZEUG SOWIE VERFAHREN ZUR REGENERATION EINES PARTIKELFILTERS IN EINER KFZ-ABGASANLAGE
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, in der festgestellt wurde, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Europäischen Übereinkommens genügen.
II. Die Parteien wurden zur mündlichen Verhandlung geladen. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) hat die Kammer den Parteien ihre vorläufige Meinung mitgeteilt.
III. Am 19. Dezember 2023 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents im Umfang der Ansprüche 1 bis 3 jener Fassung, die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde lag.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage des Hilfsantrags, der in der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2023 eingereicht wurde, samt der Figuren der Patentschrift.
V. Das folgende Dokument ist für die hier zu treffende Entscheidung relevant:
D11 M. Ranalli, S. Schmid "Dieselkraftstoffverdampfer", in MTZ Motortechnische Zeitschrift, 65 (9), 2004, S. 658 - 663
VI. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet (Merkmalsgliederung entsprechend Seiten 5 und 6 der angefochtenen Entscheidung):
"M1: Abgasanlage für ein Kraftfahrzeug mit Diesel-Verbrennungsmotor, mit
M1.1: einer Abgasleitung (14), die zu einem Partikelfilter (16) führt,
M1.2: dem ein Oxidationskatalysator (18) vorgeschaltet ist, und
M1.3: einer Regenerationsvorrichtung für den Partikelfilter (16), die eine stromaufwärts des Oxidationskatalysators angeordnete Verdampfungseinheit (20) zur Einbringung eines aus einer oxidierbaren Flüssigkeit erzeugten Dampfes in den Abgasstrom vor dem Oxidationskatalysator (18) umfasst,
M1.3.1: wobei die Verdampfungseinheit (20)
M1.3.1 i): ein in einem Gehäuse (22) angeordnetes Heizelement (24) sowie
M1.3.1 ii): eine Flüssigkeitszuführung (26) mit einer regelbaren Flüssigkeitspumpe (28) aufweist,
M1.3.1 iii): wobei es sich bei der Flüssigkeitszuführung (26) um eine Kraftstoffleitung und bei der Flüssigkeitspumpe (28) um eine Kraftstoffpumpe mit Anschluss zum Kraftstofftank des Fahrzeugs oder zur Kraftstoffrücklaufleitung handelt,
M1.4: wobei eine Regelvorrichtung (30) zur Regelung der Flüssigkeitspumpe (28) vorgesehen ist,
M1.5: wobei die Abgasanlage mehrere Temperatursensoren aufweist, die mit der Regelvorrichtung (30) verbunden sind und die Temperatur vor und nach dem Oxidationskatalysator sowie die Temperatur nach dem Partikelfilter (16) bestimmen,
M1.6 wobei die Verdampfungseinheit (20) den stromabwärts des Partikelfilters (16) angeordneten Temperatursensor aufweist,
M1.7: wobei das Heizelement (24) mit der Regelvorrichtung (30) in Verbindung steht und durch dieses angesteuert werden kann."
Die Ansprüche des Hauptantrags umfassen auch noch einen weiteren unabhängigen Anspruch 4 und die von ihm abhängigen Ansprüche 5 bis 14, die aber vom Umfang der Beschwerde nicht umfasst sind und auf deren Wiedergabe hier verzichtet werden kann.
Die Ansprüche des in der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2023 eingereichten Hilfsantrags entsprechen den mit der Beschwerde nicht angegriffenen Ansprüchen.
VII. Der entscheidungsrelevante Vortrag der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
D11 offenbare alle Merkmale des Anspruchs 1 bis auf Merkmal M1.5.
Die objektive Aufgabe bestehe darin, die einzelnen Komponenten der Abgasanlage zu überwachen sowie eine Notabschaltung bei Fehlfunktion einzuleiten (siehe entsprechend im Übergang der mittleren und rechten Spalten auf Seite 660 der D11).
D11 offenbare bereits die Aufzeichnung weiterer Parameter. Für eine Notabschaltung sei es für den Fachmann naheliegend, weitere Parameter in die Auswertung einzubeziehen. Für den Fachmann sei es daher naheliegend, alle drei Temperatursensoren mit der Regelvorrichtung zu verbinden.
VIII. Der entscheidungsrelevante Vortrag der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.
D11 offenbare nicht das Merkmal M1.5.
Die in Merkmal M1.5 definierte Verbindung der drei Temperatursensoren mit der Regeleinrichtung impliziere zwangsläufig eine Verwendung der Messwerte der Sensoren in der Regelung. Somit sei die objektive Aufgabe eine genau angepasste Flüssigkeitsdosierung, die einer Beschädigung oder gar Zerstörung des Partikelfilters durch eine Notabschaltung vorbeuge (vgl. auch Spalte 4, Zeilen 1 bis 4 der Beschreibung des Streitpatents, Schritt g).
Selbst wenn man die objektive Aufgabe darin sehen würde, eine Abgasanlage zu schaffen, die die Erfassung weiterer Parameter der Abgasbehandlung ermöglicht, gebe es keinen Hinweis speziell die drei Temperaturen zu verwenden. D11 befasse sich vielmehr mit der Überwachung vieler anderer Parameter des Abgasstroms, wie zum Beispiel den Kohlenwasserstoffemissionen sowie dem Druckabfall über dem Partikelfilter. Darüber hinaus sei die Temperatur nach dem Partikelfilter in den Versuchsergebnissen überhaupt nicht erwähnt.
1. Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit
1.1 D11 offenbart eine Abgasanlage, die als nächstliegender Stand der Technik für den Gegenstand von Anspruch 1 angesehen werden kann. Insbesondere betreffen die Ausführungen in der D11, auf die sich die Beschwerdeführerin in ihrem Einwand unter Artikel 56 EPÜ stützt, eine auf einem Prüfstand untersuchte Abgasanlage. Es wurde nicht bestritten, dass diese Abgasanlage aus D11 alle Merkmale des Anspruchs 1 mit Ausnahme des Merkmals M1.5 offenbart. Die Regelung der Kraftstoffmenge, die zur vollständigen Regeneration des Partikelfilters benötigt und dieser Abgasanlage zugeführt wird, erfolgt in D11 entweder über die Abgastemperatur vor dem Filter oder über die Abgastemperatur vor dem Katalysator in Kombination mit dem Abgasmassenstrom (vgl. D11, S. 660, mittlere Spalte). Somit ist notwendigerweise nur der Temperatursensor vor dem Partikelfilter oder vor dem Katalysator mit der Regelvorrichtung verbunden.
Es ist aber nicht eindeutig und unmittelbar offenbart, dass die Steuereinheit mit beiden der in der mittleren Spalte auf Seite 660 als Alternativen offenbarten Temperatursensoren (gleichzeitig) verbunden sein muss.
1.2 Zur Ermittlung einer objektiven Aufgabe, die ausgehend von der Abgasanlage des nächstliegenden Stands der Technik zu lösen ist, ist der durch das unterscheidende Merkmal M1.5 erzielte technische Effekt zu untersuchen.
Die Beschwerdegegnerin macht geltend, dass die in Merkmal M1.5 definierte Verbindung der drei Temperatursensoren mit der Regelvorrichtung zwangsläufig eine Verwendung der erfassten Temperaturen bei der Regelung der Flüssigkeitszufuhr impliziere. Somit sei die objektive Aufgabe eine genau angepasste Flüssigkeitsdosierung, die einer Beschädigung oder gar Zerstörung des Partikelfilters durch eine Notabschaltung vorbeuge. Dabei stützt sich die Beschwerdegegnerin auf die Offenbarung in Spalte 4, Zeilen 1 bis 4 der Beschreibung des Streitpatents, insbesondere auf den dort erwähnten Schritt g) des im Patent offenbarten Regenerationsverfahrens.
Die Kammer ist von diesem Argument nicht überzeugt.
Abgesehen davon, dass die angenommene Verwendung der Temperaturen zur Regelung des Flüssigkeitspumpe nicht im Anspruch definiert ist, werden gemäß Schritt g des im Patent beschriebenen Regenerationsverfahrens des Partikelfilters nur die Temperaturen der Sensoren stromabwärts des Oxydationskalysators sowie stromabwärts des Partikelfilters zur Beeinflussung der eingebrachten Flüssigkeitsmenge verwendet (siehe Spalte 3, Zeilen 40 bis 48). Die Temperatur des dritten Sensors stromaufwärts des Oxidationskatalysators wird im Zusammenhang mit Schritt g nicht genannt. Eine andere Passage, die die Erfassung dieser Temperatur mit der Regelung der zuzuführenden Flüssigkeitsmenge in Zusammenhang bringt, wurde von der Beschwerdegegnerin nicht angegeben und die Kammer konnte eine solche auch nicht identifizieren.
Der von der Beschwerdegegnerin angenommenen Aufgabe kann somit nicht zugestimmt werden.
Nach Auffassung der Kammer ergibt sich aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 nur eine Verbindung zwischen den drei Temperatursensoren und der Regelvorrichtung. Anspruch 1 definiert nicht, wie die gemessenen Temperaturen der drei Sensoren von der Regelvorrichtung verwendet werden sollen, geschweige denn, dass sie zur Regelung der Flüssigkeitspumpe dienen. Denkbar ist zum Beispiel, dass die beiden zusätzlichen Temperatursensoren, d.h. zusätzlich zu dem aus D11 bereits bekannten Sensor zur Regelung der Flüssigkeitspumpe, für andere, nicht spezifizierte Zwecke im Zusammenhang mit dem Regenerationsverfahren, bzw. mit der Überwachung der Komponenten der Abgasanlage dienen können (z.B. zur Überwachung der Bedingungen für Beginn oder Abbruch bzw. Notabschaltung des Regenerationsverfahrens).
1.3 Wie in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer erörtert wurde, kann eine objektive Aufgabe somit darin gesehen werden, eine Abgasanlage zu schaffen, die die Erfassung weiterer Parameter der Abgasbehandlung ermöglicht.
1.4 Wie aus den Bildern 3 und 4 der D11 ersichtlich ist, werden in der dort untersuchten Abgasanlage verschiedene Parameter der Abgasanlage und des Regenerationsverlaufs des Partikelfilters am Motorprüfstand erfasst. Unter diesen werden auch die Temperaturen vor dem Katalysator (T_up_DOC), vor dem Partikelfilter (T_up_DPF_side, T_up_DPF_center) und nach dem Partikelfilter (T_down_PDF) ermittelt.
1.5 Der Fachmann, der sich um die Erfassung weiterer Parameter im Zusammenhang mit der Durchführung und der Überwachung des Regenerationsverfahrens bzw. der Überwachung der Komponenten der Abgasanlage bemüht, würde daher neben der Temperatur vor dem Partikelfilter oder vor dem Oxidationskatalysator, die er zur Regelung der dem Abgas für die Regeneration des Partikelfilters zuzuführenden Flüssigkeitsmenge verwendet, auch die übrigen in D11 erfassten Temperaturen in Erwägung ziehen, ohne dabei erfinderisch tätig zu werden.
1.6 Die Beschwerdegegnerin argumentierte im Hinblick auf die in der mündlichen Verhandlung erörterte objektive Aufgabe (siehe oben Punkt 1.3), dass es keinen spezifischen Hinweis auf die Verwendung der drei Temperaturen gebe. D11 beschäftige sich vielmehr mit den Kohlenwasserstoffemissionen sowie dem Druckabfall über dem Filter. Außerdem sei die Temperatur stromabwärts des Partikelfilters in den Versuchsergebnissen überhaupt nicht erwähnt.
Diese Argumente überzeugen die Kammer nicht.
Da der Anspruch, wie bereits ausgeführt, überhaupt keinen Zweck für die zwei zusätzlichen Temperatursensoren definiert (siehe auch Punkt 1.2 oben), würde der Fachmann keinen der am Motorprüfstand verwendeten Parameter ausschließen. Angesichts der Lehre von D11 hätte der Fachmann auch keinen Grund, zwischen Motorprüfstand und Normalbetrieb zu unterscheiden, und würde bei Bedarf, bzw. wenn es ihm zweckmäßig erscheint jeden der im Motorprüfstand von D11 überwachten Parameter in naheliegender Weise wählen und einen entsprechenden Sensor mit der Regelvorrichtung verbinden, um die erfassten Parameter zu irgendeinem Zweck zu verwenden.
Darüber hinaus werden in D11 im Zusammenhang mit den Versuchsergebnissen auf Seite 660, rechte Spalte, nicht nur die Kohlenwasserstoffemissionen sowie der Druckabfall über dem Partikelfilter diskutiert. Auch alle der am Motorprüfstand erfassten Temperaturen werden erörtert, siehe zum Beispiel dritter Absatz, rechte Spalte auf Seite 660 ("Diesmal wurden beim Filtereingang 600 bis 650 °C erreicht", "Zu beobachten war ein Anstieg der Gastemperatur hinter dem Filter..."), oder linke Spalte auf Seite 661, bezüglich der Diskussion der in Bild 5 dargestellten Ergebnisse.
1.7 Der Fachmann würde daher nicht nur die Kohlenwasserstoffemissionen oder den Druckabfall über dem Partikelfilter berücksichtigen, sondern auch die in D11 offenbarten Temperaturen an den verschiedenen Stellen der Abgasanlage ohne erfinderisches Zutun zur Lösung der gestellten Aufgabe in Betracht ziehen.
1.8 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ. Der Hauptantrag ist somit nicht gewährbar.
2. Hilfsantrag
2.1 Die Beschwerdegegnerin reichte während der mündlichen Verhandlung einen neuen Hilfsantrag ein, in dem die Gegenstandsansprüche 1 bis 3 gestrichen wurden.
2.2 Die Beschwerdeführerin hat keine Einwände gegen diesen Hilfsantrag erhoben, weder gegen seine Zulassung in das Verfahren noch im Hinblick auf die weiteren Erfordernisse des EPÜ. Auch die Kammer sieht unter den gegebenen Umständen keinen Grund den Antrag nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 13 VOBK 2020). Darüber hinaus sieht sie weder in den verbleibenden Verfahrensansprüchen 1 bis 11, noch in der geänderten Beschreibung einen Mangel, der der Aufrechterhaltung des Patents in dieser geänderten Fassung entgegenstehen würde.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in folgender Fassung aufrecht zu erhalten:
- Ansprüche Nr. 1 bis 11 des in der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2023 eingereichten Hilfsantrags,
- Beschreibungsseiten 2 bis 7 des in der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2023 eingereichten Hilfsantrags,
- sowie den Figuren 1, 2a, 2b, 2c und 3 der Patentschrift.