T 0381/19 (Polymerfilm / LTS LOHMANN) 14-01-2022
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VERFAHREN ZUR VERHINDERUNG DER KRISTALLISATION VON ARZNEISTOFFEN IN EINEM POLYMERFILM
AMW GmbH
Georg Kalhammer/Stephan Teipel
I. Das europäische Patent Nr. 2 498 762 (nachfolgend: das Patent) wurde mit neun Ansprüchen erteilt.
Der Anspruchsgegenstand des erteilten Patents betraf ein Verfahren zur Verhinderung der Kristallisation des Arzneistoffs Rotigotin in einem Polymerfilm, in dem eine ausgestrichene lösungsmittelhaltige Beschichtungsmasse, in der Rotigotin in Form einer festen Lösung in einem matrixbildenden Polymer dispergiert ist, getrocknet wird bei Temperaturen, die nicht länger als 15 Minuten bei 10 bis 25 °C über der Schmelztemperatur des enthaltenen Rotigotins liegen.
II. Gegen die Erteilung des Patents wurden drei Einsprüche eingelegt. Die Einspruchsgründe waren fehlende Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit, unzureichende Offenbarung sowie unzulässige Erweiterung EPÜ.
Die Beschwerden der Einsprechenden 01 (Beschwerdeführerin 01), der damaligen Einsprechenden 02 und der Einsprechenden 03 (Beschwerdeführerin 03) richteten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das Patent unter Berücksichtigung der mit dem Hauptantrag vom 3. September 2018 eingereichten Änderungen den Erfordernissen des EPÜ genügt.
Anspruch 1 dieses Hauptantrags lautete:
"Verfahren zur Verhinderung der Kristallisation des Arzneistoffs Rotigotin in einem Polymerfilm, dadurch gekennzeichnet, dass die für die Herstellung des Polymerfilms ausgestrichene lösungsmittelhaltige Beschichtungsmasse, umfassend ein matrixbildendes Polymer oder Polymergemisch und Rotigotin als Arzneistoff, der in Form einer festen Lösung in dem matrixbildenden Polymer dispergiert ist, mindestens 100 Sekunden und nicht länger als 10 Minuten bei einer 10 bis 25 °C über dem Schmelzpunkt des in der Beschichtungsmasse enthaltenen Arzneistoffs liegenden Temperatur getrocknet wird."
Im Einspruchsverfahren wurde unter anderem das folgende Beweismittel eingereicht:
D3 : WO 2004/058247A1
Die Einspruchsabteilung kam zu folgendem Ergebnis:
a) Der gemäß dem Hauptantrag beanspruchte Gegenstand des Patents ging nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus.
b) Ein Nachweis, dass das beanspruchte Verfahren nicht ausführbar war, lag nicht vor.
c) Der Anspruchsgegenstand des Hauptantrags war neu.
d) Nächstliegender Stand der Technik war Dokument D3. Der Unterschied des Anspruchsgegenstandes zu D3 betraf die Definition der Trocknungszeit und Temperatur sowie die Definition des Wirkstoffes in Form einer festen Lösung.
Die Aufgabe war in der Verhinderung der Kristallisation von Rotigotin aus einer Polymermatrix, die das Rotigotin als feste Lösung enthält und eine gute Wirkstofffreisetzung zeigt, zu sehen. Kein Dokument im Stand der Technik wies auf die Stabilisierung durch die definierte Trocknung in Zusammenhang mit dem Vorliegen einer festen Lösung des Rotigotins hin.
Der Anspruchsgegenstand des Hauptantrags beinhaltete somit eine erfinderische Tätigkeit.
III. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) als Hauptantrag den gleichen Anspruchssatz ein, der auch der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag.
IV. Die Kammer lud die Beteiligten mit der Ladung vom 7. Mai 2021 zu einer mündlichen Verhandlung.
In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 stellte die Kammer in Frage, ob aus der ursprünglichen Anmeldung für den Fachmann unmittelbar und eindeutig das Verfahren hervor geht, in dem die feste Lösung des Rotigotins in dem matrixbildenden Polymer bereits in der ausgestrichenen und bei der mit erhöhter Temperatur zu trocknenden Beschichtungsmasse vorliegt.
V. Mit dem Schreiben vom 27. Mai 2021 nahm die Einsprechende 02 ihren Einspruch zurück.
Die Beschwerdeführerin 01 kündigte in ihrer Eingabe vom 6. Dezember 2021 an, nicht an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen.
VI. Die mündliche Verhandlung wurde am 14. Januar 2022 als Videokonferenz durchgeführt.
VII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerinnen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die anspruchsgemäß definierte Trocknung der lösungsmittelhaltigen Beschichtungsmasse, in der das Rotigotin als feste Lösung im matrixbildenden Polymer dispergiert ist, gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus.
Die ursprüngliche Beschreibung erwähne zwar, dass in einer bevorzugten Ausführungsform der Arzneistoff in Form einer festen Lösung in dem matrixbildenden Polymer dispergiert ist. Es handele sich dabei jedoch um das resultierende getrocknete Produkt und nicht um die noch zu trocknende lösungsmittelenthaltende Beschichtungsmasse. Dies gehe daraus hervor, dass laut der ursprünglichen Beschreibung die Beschichtungsmasse als Lösung oder Suspension zur Beschichtung auf einer Unterlage ausgestrichen wird. Erst durch Entfernung des Lösungsmittels während der Trocknung bilde sich die bevorzugte feste Lösung, in der gemäß der Definition der festen Lösung der ursprünglichen Beschreibung das Rotigotin in Form einer molekular-dispersen Verteilung vorliegt. Dementsprechend würden auch die Beispiele der ursprünglich eingereichten Anmeldung die auszustreichende und zu trocknende Beschichtungsmasse als Dispersion bezeichnen.
VIII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die ursprünglich eingereichte Anmeldung erwähne ausdrücklich, dass der Arzneistoff bevorzugt in Form einer festen Lösung in dem matrixbildenden Polymer dispergiert ist. Aus der ursprünglich eingereichten Anmeldung gehe auf keiner Weise hervor, dass die bevorzugte Ausführungsform bezüglich der festen Lösung nur das finale getrocknete Produkt betreffe.
In diesem Zusammenhang sei die Definition der festen Lösung in der ursprünglichen Beschreibung maßgebend, wonach es sich um eine molekular-disperse Verteilung des Arzneistoffs im Matrixpolymer handele. Eine solche Verteilung herrsche bereits in der Beschichtungsmasse im Vorratsbehälter vor, weil auch in diesem Stadium das Polymer die gelösten Rotigotinmoleküle allseitig umgebe. Zudem würden die beschriebenen gängigen Lösungsmittel bereits beim Ausgießen der Beschichtungsmasse verdampfen, wodurch in der ausgestrichenen Beschichtungsmasse die Rotigotinmoleküle zwangsläufig nicht mehr von Lösungsmittelmolekülen, sondern von verbleibenden Polymermolekülen umgeben seien.
Die anspruchsgemäß definierte Trocknung der lösungsmittelhaltigen Beschichtungsmasse, in der das Rotigotin als feste Lösung im matrixbildenden Polymer dispergiert ist, gehe somit nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus.
IX. Die Beschwerdeführerinnen 01 und 03 beantragten, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
X. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Beschwerden zurückzuweisen und das Patent mit den der Beschwerdeerwiderung beigefügten Ansprüchen, die auch der Entscheidung zugrunde lagen, aufrechtzuerhalten.
1. Die ursprünglich eingereichte Anmeldung beschreibt ein Verfahren zur Verhinderung der Kristallisation eines Arzneistoffs in einem Polymerfilm, in dem eine ausgestrichene lösungsmittelenthaltende Beschichtungsmasse, umfassend ein matrixbildendes Polymer oder Polymergemisch sowie den Arzneistoff, bei Temperaturen getrocknet wird, die zeitweise mindestens 10°C über der Schmelztemperatur des Arzneistoffs liegen (siehe Seite 5 Zeilen 19-24 und Seite 5 Zeile 30 bis Seite 6 Zeile 6; siehe auch Anspruch 1).
Die ursprünglich eingereichte Anmeldung erwähnt für die definierte zeitweilige Trocknung bei Temperaturen von mindestens 10°C über der Schmelztemperatur des Arzneistoffs liegen bevorzugten Zeitspannen (siehe Ansprüchen 4 und 5) und einen bevorzugten Temperaturbereich (siehe Seite 6 Zeilen 8-11). Außerdem wird Rotigotin nebst Fentanyl als besonders bevorzugter Wirkstoff erwähnt (siehe Seite 8 Zeilen 4-6) und auch beispielsgemäß verwendet.
Der ursprünglich eingereichten Anmeldung zufolge werden die arzneistoffhaltigen Polymerfilme üblicherweise hergestellt, indem mindestens ein Arzneistoff und gegebenenfalls weitere Hilfsstoffe einer Lösung oder Suspension des matrixbildenden Polymers oder Polymergemisches zugesetzt werden. Die erhaltene Beschichtungsmasse wird auf einer folienförmigen Unterlage zu einer Beschichtung mit definierter Dicke ausgestrichen und die beschichtete Unterlage wird anschließend durch einen Trockenkanal geführt, in dem das Lösungsmittel oder Lösungsmittelgemisch bei erhöhter Temperatur entfernt wird, so dass nur noch geringe Restemengen an Lösungsmittel, maximal 0,5 Gew.-%, in der Beschichtung zurückbleiben (siehe Seite 6 Zeile 30 bis Seite 7 Zeile 6)
Die Beispiele 1 und 2 der ursprünglich eingereichten Anmeldung (siehe Seite 8 Zeilen 8-29 und Seite 9 Zeilen 10-26) beziehen sich auf eine zweiphasige Beschichtungsmasse bestehend aus einer Dispersion, bei der in der äußeren Phase ein Polysiloxankleber in n-Heptan und in der inneren Phase Rotigotin und Polyvinylpyrrolidon in Ethanol gelöst vorliegen. Es wird die Trocknung der Beschichtung in einem Trockenkanal mit den folgenden Temperaturprofilen beschrieben:
in Beispiel 1 zum Vergleich:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
und in Beispiel 2 für die Erfindung:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Die ursprünglich eingereichte Anmeldung beschreibt eine bevorzugte Ausführungsform wie folgt:
"In einer bevorzugten Ausführungsform ist der Arzneistoff in Form einer festen Lösung in dem matrixbildenden Polymer dispergiert. Unter "fester Lösung" wird eine molekular-disperse Verteilung des Arzneistoffs im Matrixpolymer verstanden." (siehe Seite 7 Zeilen 8-12).
2. Anspruch 1 des vorliegenden Antrags der Beschwerdegegnerin bezieht auf ein Verfahren zur Verhinderung der Kristallisation des Arzneistoffs Rotigotin in einem Polymerfilm, in dem eine ausgestrichene lösungsmittelhaltige Beschichtungsmasse, in der Rotigotin als Arzneistoff in Form einer festen Lösung in einem matrixbildenden Polymer dispergiert ist, unter spezifischen definierten Voraussetzungen getrocknet wird. Neben der Definition des Arzneistoffs Rotigotin und den spezifischen Trocknungsbedingungen unterscheidet sich der vorliegende Anspruchs 1 vom ursprünglich eingereichten Anspruch 1 durch die Definition der festen Lösung des Rotigotins in der zu trocknenden lösungsmittelhaltigen Beschichtungsmasse.
Die einzige Passage der ursprünglich eingereichten Anmeldung, die den Arzneistoff in Form einer festen Lösung in dem matrixbildenden Polymer beschreibt, betrifft den zitierten Abschnitt auf Seite 7, Zeilen 8-12.
Dieser Abschnitt beschreibt zwar explizit eine bevorzugte Ausführungsform, in der der Arzneistoff in Form einer festen Lösung vorliegt, jedoch bezieht sich dieser Abschnitt nicht ausdrücklich auf die noch zu trocknende ausgestrichene Beschichtungsmasse.
Für die Beurteilung des vorliegenden Anspruchs 1 hinsichtlich des Erfordernisses des Artikels 123(2) EPÜ stellt sich somit die Frage, ob sich dennoch aus der ursprünglichen Anmeldung unmittelbar und eindeutig das beanspruchte Verfahren ableiten lässt, in dem die feste Lösung des Rotigotins in dem matrixbildenden Polymer bereits in der ausgestrichenen und bei den erhöhten Temperatur zu trocknenden Beschichtungsmasse vorliegt.
3. Die Beschwerdegegnerin hat argumentiert, dass die beschriebene Beschichtungsmasse bereits vor dem Ausstreichen der Definition einer festen Lösung gemäß der ursprünglichen Anmeldung entspricht, weil schon in der Beschichtungsmasse im Vorratsbehälter das Polymer die gelösten Rotigotinmoleküle allseitig umgibt.
Die Kammer stellt jedoch fest, das die ursprünglich eingereichte Anmeldung die feste Lösung als eine molekular-disperse Verteilung des Arzeistoffs im Matrixpolymer definiert. Diese Definition entspricht dem gängigen Verständnis einer festen Lösung, in der ein oder mehrere Feststoffe, wie zum Beispiel ein Arzneistoff, in einem oder mehreren weiteren Feststoffen, wie zum Beispiel einem matixbildenden Polymer, gelöst vorliegen. Die von der Beschwerdegegnerin vertretene Auffassung, dass die Definition der festen Lösung gemäß der ursprünglichen Anmeldung auch die noch auszustreichende und somit noch flüssige Beschichtungsmasse umfasst, hält die Kammer für widersprüchlich und deswegen abwegig.
4. Die Beschwerdegegnerin hat außerdem argumentiert, das die in der ursprünglichen Anmeldung beschriebenen gängigen Lösungsmittel bereits beim Ausgießen der Beschichtungsmasse verdampfen und dementsprechend die Rotigotinmoleküle in der ausgestrichenen Beschichtungsmasse zwangsläufig nicht mehr von Lösungsmittelmolekülen, sondern von verbleibenden Polymermolekülen umgeben sind und somit in fester Lösung vorliegen.
Die Kammer weist jedoch darauf hin, dass laut der ursprünglich eingereichten Anmeldung die Trocknung der lösungsmittelhaltigen ausgestrichenen Beschichtungsmasse üblicherweise in einem Trockenkanal durchgeführt wird, wobei das Lösungsmittel oder Lösungsmittelgemisch bei erhöhter Temperatur entfernt wird, so dass nur noch geringe Restemengen an Lösungsmittel in der Beschichtung zurückbleiben (siehe die oben in Abschnitt 1 erwähnte Passage auf Seite 6 Zeile 30 bis Seite 7 Zeile 6). Dementsprechend wird gemäß den Beispielen eine zweiphasigen Beschichtungsmasse ausgestrichen und anschließend die Trocknung in einem Trockenkanal vorgenommen. In diesem Zusammenhang ist von einer mit der trocknungsbedingten Entfernung des Lösungsmittels einhergehenden Verfestigung der Beschichtungsmasse auszugehen. Damit lässt sich jedoch aus der ursprünglich eingereichten Anmeldung keineswegs ableiten, dass sich durch eine Verdampfung des Lösungsmittel bereits beim Ausstreichen der Beschichtung und noch vor der beschriebenen Entfernung des Lösungsmittel während der Trocknung bei erhöhter Temperatur zwangsläufig eine feste Lösung des Rotigotins im Polymer ergibt.
Das gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 beanspruchte Verfahren, in dem die feste Lösung des Rotigotins in dem matrixbildenden Polymer bereits in der ausgestrichenen und bei der mit erhöhter Temperatur zu trocknenden Beschichtungsmasse vorliegt, geht somit nicht unmittelbar und eindeutig aus der ursprünglichen Anmeldung hervor.
5. Die Kammer kommt dementsprechend zu dem Schluss, dass Anspruch 1 des vorliegenden Antrags der Beschwerdegegnerin dem Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ nicht genügt und das Patent somit zu widerrufen ist.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.