T 0022/18 18-01-2024
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VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUR AUFREINIGUNG VON NITRIERPRODUKTEN
Noram International Limited
Covestro Deutschland AG
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsantrag (ja)
Änderungen - zulässig (ja)
Ausreichende Offenbarung - Hilfsantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Zurückverweisung an die erste Instanz
I. Die Beschwerden der beiden Einsprechenden richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die Einsprüche gegen das Europäische Patent EP 2 705 020 unter Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen.
II. Gegen die Erteilung des Patents wurden Einsprüche eingelegt auf der Grundlage des Artikels 100(a) EPÜ wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 54 und 56 EPÜ), sowie unter Artikel 100(b) EPÜ wegen mangelnder Ausführbarkeit.
III. Es wird auf die folgenden Dokumente verwiesen:
D3: "Solid-Solid and Liquid-Liquid Systems",
Extract from Perry's Chemical Handbook,
pages 21-57 bis 21-68, 6th edition, 2010
D7: Felix Streiff, "In-line Dispersion and Mass
Transfer using Static Mixing Equipment",
Sulzer Technical Review, 3/1997
D16: EP 0 279 312 A2
D28: Lexikon der Chemie, Eintrag "Rohrreaktor",
Copyright 1998 Spektrum Akademischer
Verlag, Heidelberg
D30a: Felix A. Streiff, "Statische Mischer als
Reaktoren in der chemischen Industrie",
Sonderdruck aus Jahrbuch Chemische
Rundschau, 1992, Deckblatt und Seiten 3-11
D31: A. Heierle, B. Müller,
Temperaturkontrollierte Reaktionsführung in
statischen Mischreaktoren, Sonderdruck aus
"cav", 10/1993
D37a: englische Übersetzung von CN 1597557 A
D38a: englische Übersetzung von CN 2729072 A
IV. Die Einspruchsabteilung erachtete keinen der von den Einsprechenden vorgebrachten Gründe durchgreifend. Dokument D30a wurde ins Verfahren zugelassen.
V. Gegen diese Entscheidung wurden von den beiden Einsprechenden Beschwerden eingelegt. Nach Auffassung der Beschwerdeführerinnen ist die Entscheidung der Einspruchsabteilung dahingehend fehlerhaft, dass der im Streitpatent beanspruchte Gegenstand nicht neu sei, und zwar insbesondere gegenüber der Offenbarung des Dokuments D16 (Artikel 100(a) und 54 EPÜ), sowie dass er nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Artikel 100(a) und 56 EPÜ). Des Weiteren brachten die Beschwerdeführerinnen vor, dass der in den Ansprüchen 1 und 12 des erteilten Patents beanspruchte Gegenstand entgegen der von der Einspruchsabteilung getroffenen Entscheidung nicht ausreichend offenbart werde (Artikel 100(b) EPC).
VI. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK informierte die Kammer die Parteien über ihre vorläufige Auffassung der Rechts- und Sachlage. Insbesondere teilte sie ihnen darin mit, dass der in den Ansprüchen 1 und 12 des Hauptantrags (erteilten Patents) beanspruchte Gegenstand ausführbar offenbart werde, sowie dass die Fragen zur Neuheit und zur erfinderischen Tätigkeit während der mündlichen Verhandlung zu diskutieren sein würden.
VII. Am 18. Januar 2024 fand eine mündliche Verhandlung in Form einer Hybridverhandlung statt.
VIII. Anspruch 1 des Hauptantrags (Patent in der erteilten Fassung) hat den folgenden Wortlaut:
"1. Verfahren zur Entfernung von Verunreinigungen aus bei der Nitrierung von nitrierbaren aromatischen Verbindungen nach Abtrennung der Nitrierendsäure anfallenden nitrierten Rohprodukten durch Behandlung mit einem Waschmedium,
dadurch gekennzeichnet,
dass (a) zunächst die nitrierten Rohprodukte mit einem Waschmedium in Kontakt gebracht werden und die nitrierten Rohprodukte und das Waschmedium ineinander verteilt werden derart, dass eine Emulsion resultiert, und
dass (b) nachfolgend die resultierende Emulsion in einen Rohrreaktor eingespeist wird, so dass während des Durchtritts der Emulsion durch den Rohrreaktor die in den nitrierten Rohprodukten anfänglich vorhandenen Verunreinigungen entweder entfernt werden und/oder so dass während des Durchtritts der Emulsion durch den Rohrreaktor die in den nitrierten Rohprodukten anfänglich vorhandenen Verunreinigungen in das Waschmedium überführt und/oder hierdurch neutralisiert werden."
IX. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 11 des für die vorliegende Entscheidung relevanten Hilfsantrags 3 haben den folgenden Wortlaut:
"1. Verfahren zur Entfernung von Verunreinigungen aus bei der Nitrierung von nitrierbaren aromatischen Verbindungen nach Abtrennung der Nitrierendsäure anfallenden nitrierten Rohprodukten durch Behandlung mit einem Waschmedium,
dadurch gekennzeichnet,
dass (a) zunächst die nitrierten Rohprodukte mit einem Waschmedium in Kontakt gebracht werden und die nitrierten Rohprodukte und das Waschmedium ineinander verteilt werden derart, dass eine Emulsion resultiert, wobei die Herstellung der Emulsion in Schritt (a) mittels einer Dispergiereinrichtung erfolgt, und
dass (b) nachfolgend die resultierende Emulsion in einen Rohrreaktor einspeist wird, so dass während des Durchtritts der Emulsion durch den Rohrreaktor die in den nitrierten Rohprodukten anfänglich vorhandenen Verunreinigungen entfernt werden und/oder so dass während des Durchtritts der Emulsion durch den Rohrreaktor die in den nitrierten Rohprodukten anfänglich vorhandenen Verunreinigungen in das Waschmedium überführt und/oder hierdurch neutralisiert werden, wobei der Rohrreaktor mit Mischelementen zum Eintrag von zusätzlicher Mischenergie ausgestattet ist, wobei die Mischelemente als Bleche, als Blenden, als statische Mischer oder als Stromteiler ausgebildet sind, wobei der Druckabfall pro Mischelement 0,1 bar bis 3,0 bar beträgt."
"11. Produktionsanlage zur Nitrierung nitrierbarer aromatischer Verbindungen mit nachfolgender Aufreinigung der bei der Nitrierung entstehenden nitrierten Rohprodukte,
dadurch gekennzeichnet,
dass die Produktionsanlage die folgenden Einheiten umfasst:
(a) eine Nitriereinheit zur Nitrierung aromatischer Verbindungen, insbesondere mit einem oder mehreren entsprechenden Reaktionsbehältern zur Durchführung der Nitrierreaktion(en);
(b) gegebenenfalls, in Produktionslinie stromabwärts zur Nitriereinheit angeordnet, mindestens eine Abtrenneinrichtung, insbesondere eine Scheideeinrichtung (Scheider), zur Abtrennung der Nitrierendsäure von den nitrierten Rohprodukten;
(c) in Produktionslinie stromabwärts zur Nitriereinheit und zur gegebenenfalls vorhandenen Abtrenneinrichtung angeordnet, mindestens eine Wascheinrichtung zur Durchführung einer Wäsche der nitrierten Rohprodukte, wobei die Wascheinrichtung umfasst:
- mindestens eine Dispergiereinrichtung, insbesondere mindestens ein Mischorgan, zum Inkontaktbringen und Emulgieren der aufzureinigenden nitrierten Rohprodukte einerseits und dem Waschmedium andererseits und,
- stromabwärts zur Dispergiereinrichtung angeordnet, einen Rohrreaktor zur Einspeisung der in der Dispergiereinrichtung erzeugten Emulsion von aufzureinigenden nitrierten Rohprodukten einerseits und Waschmedium andererseits, wobei der Rohrreaktor derart ausgebildet ist, dass während des Durchtritts der Emulsion durch den Rohrreaktor eine Entfernung der in den nitrierten Rohprodukten anfänglich vorhandenen Verunreinigungen ermöglicht wird und/oder dass während des Durchtritts der Emulsion durch den Rohrreaktor die in den nitrierten Rohprodukten anfänglich vorhandenen Verunreinigungen in das Waschmedium überführt und/oder hierdurch neutralisiert werden, wobei der Rohrreaktor mit Mischelementen zum Eintrag von zusätzlicher Mischenergie ausgestattet ist, wobei die Mischelemente als Bleche, als Blenden, als statische Mischer oder als Stromteiler ausgebildet sind, wobei der Druckabfall pro Mischelement 0,1 bar bis 3,0 bar beträgt;
(d) gegebenenfalls, in Produktionslinie stromabwärts zur Wascheinrichtung angeordnet, einen Rührkessel, insbesondere zur Erhöhung der Kontakt- und/oder Verweilzeit zwischen nitrierten Produkten einerseits und Waschmedium andererseits;
(e) in Produktionslinie stromabwärts zur Wascheinheit und zum gegebenenfalls vorhandenen Rührkessel angeordnet, eine Abtrenneinrichtung, insbesondere eine Scheideeinrichtung (Scheider), zur Abtrennung der von den Verunreinigungen befreiten nitrierten Produkte vom Waschmedium."
X. In ihren Beschwerdebegründungen und im weiteren Verfahren brachten die Beschwerdeführerinnen im Wesentlichen folgendes vor:
Weder der vorliegende Hauptantrag, noch Hilfsantrag 3 erfülle die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ, oder der der Artikel 54 und 56 EPÜ. Insbesondere werde dem Fachmann nicht ausreichend offenbart, wie das beanspruchte Verfahren so auszuführen sei, dass die anspruchsgemäß geforderten technischen Wirkungen erreicht werden. Auch fehle eine Angabe zur genauen konstruktiven Ausgestaltung des Rohrreaktors. Ein Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags werde zumindest im Dokument D16 offenbart. Erfinderische Tätigkeit sei weder für das Verfahren, noch für die Produktionsanlage des Hilfsantrags 3 gegeben. Insbesondere werde dem Fachmann beides bereits durch die Offenbarung des Dokuments D16, zumindest aber unter Berücksichtigung der zusätzlichen technischen Lehren der Dokumente D3 oder D7 nahegelegt.
XI. In ihrer Antwort auf die Beschwerdebegründungen und im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen folgendes vor:
Das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags sei neu. Im Stand der Technik werde kein Verfahren zur Entfernung von Verunreinigungen aus bei der Nitrierung von nitrierbaren aromatischen Verbindungen anfallenden Rohprodukten unter Verwendung eines Rohrreaktors offenbart. Bei den im Stand der Technik hierfür verwendeten Anlagenbestandteilen handle es sich nicht um Rohrreaktoren, insbesondere nicht um solche, die die anspruchsgemäß geforderten technischen Wirkungen der Entfernung und/oder Neutralisation von Verunreinigungen, oder deren Überführung ins Waschmedium erreichen könnten. Durch die Aufnahme des Merkmals der im verwendeten Rohrreaktor vorhandenen Mischelemente mit einem Druckabfall pro Mischelement von 0,1 bar bis 3,0 bar ergebe sich ein weiteres Unterscheidungsmerkmal sowohl des Verfahrens gemäß Anspruch 1, als auch der Produktionsanlage gemäß Anspruch 11 des Hilfsantrags 3. Dieses Merkmal führe zu einem Verfahren bzw. zu einer Anlage, welche(s) sich durch hohe Effizienz auszeichne, nämlich insbesondere dadurch, dass eine hinreichend kurze Zeit ausreiche für die sich an den Reinigungsschritt anschließende Phasentrennung bei gleichzeitig sehr guter Entfernung von Verunreinigungen.
XII. Die Schlussanträge der Parteien sind wie folgt:
Die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 (Einsprechende 1 und 2) beantragen, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt, die Beschwerden zurückzuweisen und damit das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten (Hauptantrag). Hilfsweise beantragt sie die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Hilfsanträge 3 bis 15, eingereicht am 6. August 2018. Die gleichzeitig eingereichten Hilfsanträge Hauptantrag', 1 und 2 wurden während der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Zudem wird beantragt, das Dokument D30a nicht ins Verfahren zuzulassen.
1. Die Beschwerden sind zulässig.
2. Von der Beschwerdegegnerin wurde beantragt, Dokument D30a, das von der Beschwerdeführerin 2 bereits im Einspruchsverfahren eingereicht worden war, nicht ins Verfahren zuzulassen. Da das Dokument D30a jedoch bereits von der Einspruchsabteilung ins Verfahren zugelassen und in ihrer Entscheidung berücksichtigt wurde, ist es im Verfahren. Wie die Kammer bereits in ihrer Mitteilung ausgeführt hat (Punkt 7.2), ist für die Kammer auch nicht ersichtlich, auf welcher Rechtsgrundlage eine rückwirkende Nichtzulassung von im Verfahren zugelassenen Dokumenten erfolgen könnte. Zudem erscheint dies verfahrensrechtlich nur möglich, wenn die Entscheidung insgesamt aufgehoben und zur erneuten Prüfung zurückverwiesen würde, was im vorliegenden Fall offensichtlich unangemessen erscheint. Zu dieser Auffassung der Kammer haben sich die Parteien auch in der mündlichen Verhandlung nicht weiter geäußert.
Hauptantrag (Patent in der erteilten Form)
Neuheit (Artikel 100(a) und 54 EPÜ)
3. Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung Neuheit des Gegenstands des erteilten Patents gegenüber der Offenbarung des Dokuments D16 anerkannt. Sie hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass im Dokument D16 kein "Rohrreaktor" im Sinne des Streitpatents offenbart werde. Ein derartiger Reaktor zeichne sich nach Auffassung der Einspruchsabteilung neben seiner Bauweise auch dadurch aus, dass durch die darin herrschende Strömung eine reaktionsbehindernde Rückvermischung vermieden werden solle. Der Begriff "Rohrreaktor" impliziere eine bestimmte ziel- und zweckgerichtete Funktionsweise. Daher könne er nicht mit jeder beliebigen länglichen Apparatur gleichgesetzt werden. Aus Anspruch 1 gehe hervor, dass der verwendete Reaktor einen bestimmten Zweck erfüllen müsse. Im vorgelegten Stand der Technik hingegen werde nicht offenbart, dass die darin eingesetzten Vorrichtungen anspruchsgemäß ziel- und zweckgerichtet verwendet worden seien.
4. Dieser Auffassung wurde von den Beschwerdeführerinnen widersprochen. Ihrer Ansicht nach offenbare Dokument D16 einen Rohrrektor, und zwar auch im Zusammenhang mit den funktionellen Merkmalen des Anspruchs 1 des Hauptantrags. Die Beschwerdeführerinnen stützten ihre Argumentation zusätzlich auf die technischen Lehren der Dokumente D28, D30a und D31.
5. Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen überzeugt, und die Kammer gelangt zu der Auffassung, dass das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags gegenüber der Offenbarung des Dokuments D16 aus folgenden Gründen nicht neu ist:
5.1 Beansprucht wird ein Verfahren zur Entfernung von Verunreinigungen aus bei der Nitrierung von nitrierbaren aromatischen Verbindungen nach Abtrennung der Nitrierendsäure anfallenden nitrierten Rohprodukten. Im beanspruchten Verfahren wird eine zunächst im Schritt (a) erhaltene Emulsion aus nitriertem Rohprodukt und Waschmedium im anschließenden Schritt (b) nachfolgend in einen Rohrreaktor eingespeist. Während des Durchtritts der Emulsion durch den Rohrreaktor werden die in den nitrierten Rohprodukten anfänglich vorhandenen Verunreinigungen
- entfernt und/oder
- in das Waschmedium überführt und/oder
- neutralisiert.
5.2 Anspruchsgemäß müssen somit zunächst die nitrierten Rohprodukte und das Waschmedium beim Inkontaktbringen so ineinander verteilt werden, dass eine Emulsion entsteht.
Die Kammer schließt sich den Ausführungen der Beschwerdegegnerin dahingehend an, dass die Bildung der Emulsion vom oder von den nachfolgenden Schritt(en) getrennt stattfindet, da gemäß Merkmal "(a) zunächst" eine Emulsion gebildet wird, und dann gemäß Merkmal "(b) nachfolgend die resultierende Emulsion in einen Rohrreaktor eingespeist wird".
Die Kammer schließt sich den Ausführungen der Beschwerdegegnerin zudem auch dahingehend an, dass der verwendete Rohrreaktor dafür geeignet sein und derart betrieben werden muss, dass wenigstens eine der im Anspruch genannten technischen Wirkungen (entfernen, überführen, neutralisieren) erzielt werden. Er muss also sowohl konstruktiv dafür geeignet sein, als auch so betrieben werden, dass diese technische(n) Wirkung(en) während der Durchführung des Verfahrens eintreten.
5.3 Ein derartiges Verfahren wird jedoch im Beispiel 1 des Dokuments D16 offenbart.
5.3.1 Bei diesem Verfahren wird von rohem Dinitrotoluol ausgegangen. Nach übereinstimmender Auffassung der Parteien handelt es sich dabei um ein bei der Nitrierung von nitrierbaren aromatischen Verbindungen nach Abtrennung der Nitrierendsäure anfallendes nitriertes Rohprodukt gemäß Anspruch 1.
5.3.2 Das rohe Dinitrotoluol wird mit vollentsalztem Wasser behandelt, also einem anspruchsgemäßen Waschmedium. Auch darüber herrschte Einigkeit zwischen den Parteien.
5.3.3 Dass es sich bei dem Verfahren gemäß Beispiel 1 um ein Verfahren zur Entfernung von Verunreinigungen im Sinne des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag handelt, wurde von der Beschwerdegegnerin bestritten. Ihrer Ansicht nach verstehe der Fachmann unter dem Begriff "Entfernen" gemäß Anspruch 1 die vollständige oder im Wesentlichen vollständige Entfernung von Verunreinigungen. Dies gehe insbesondere aus den Absätzen [0043] und [0045] des Streitpatents hervor.
Dieses Vorbringen überzeugt jedoch nicht. Im Anspruch 1 wird kein konkreter Wert angegeben, welcher Anteil an Verunreinigungen durch das beanspruchte Verfahren entfernt wird. Auch der Verweis der Beschwerdegegnerin auf die Absätze [0043] und [0045] der Beschreibung kann diesen Mangel nicht beseitigen. Die Angaben in den genannten Absätze finden sich nicht im Anspruch 1, und schränken daher das beanspruchte Verfahren nicht ein. Zudem wird im Absatz [0092] offenbart, dass mehrere Waschschritte durchgeführt werden können, und somit also nicht zwangsläufig alle Verunreinigungen im Wesentlichen vollständig in einem einzigen Verfahrensschritt entfernt werden.
Im Beispiel 1 des Dokuments D1 wird der Gehalt an Salpetersäure und Schwefelsäure von 1,07% und 5,15% auf 0,3% und 0,21% reduziert. Mit dem Verfahren werden somit zweifelsohne Verunreinigungen entfernt.
5.3.4 Von der Beschwerdegegnerin wurde vorgebracht, dass im Verfahren gemäß Beispiel 1 des Dokuments D1 keine organischen Verunreinigungen entfernt würden.
Die Entfernung organischer Verunreinigungen ist jedoch weder ein Merkmal gemäß Anspruch 1, noch ist es Teil der Offenbarung des Streitpatents. Vielmehr können streitpatentgemäß Verunreinigungen auch anorganischer Natur sein, wie beispielsweise insbesondere gelöste Schwefelsäure oder Salpetersäure (siehe Absatz [0033]).
Gerade diese Verbindungen werden jedoch im Verfahren gemäß Beispiel 1 von D1 entfernt (siehe die Zeilen 45 bis 46 und 48 bis 49 der Spalte 3).
5.3.5 Von der Beschwerdegegnerin wurde bestritten, dass im Verfahren gemäß Beispiel 1 von D1 das nitrierte Rohprodukt und das Waschmedium so ineinander verteilt werden, dass eine Emulsion resultiert.
Der Begriff "Emulsion" wird im Anspruch 1 des Hauptantrags nicht weiter spezifiziert. Im Beispiel 1 des Dokuments D16 werden nitriertes Rohprodukt Dinitrotoluol und Waschmedium Wasser zunächst in Kontakt gebracht. Das entstehende Gemisch wird dann mit einer Kreiselpumpe über einen statischen Mischer umgepumpt, über einen statischen Mischer einem Koaleszenzfilter als Scheideflasche zugeführt und die Phasen anschließend getrennt (siehe die Zeilen 20 bis 30). Gemäß Anspruch 3 des Streitpatents wird ebenfalls eine Kreiselpumpe bevorzugt zur Bildung einer Emulsion eingesetzt. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Behandlung mit der Kreiselpumpe gemäß Beispiel 1 des Dokuments D16 nicht zur Bildung einer Emulsion führt.
5.3.6 Strittig zwischen den Parteien war im Weiteren insbesondere, ob im Verfahren gemäß Dokument D1 das Einspeisen in einen "Rohrreaktor" offenbart wird, und ob während des Durchtritts durch einen Rohrreaktor die im Anspruch 1 des Hauptantrags angeführten technischen Wirkungen auftreten.
Auch diese Merkmale sind jedoch nach Ansicht der Kammer im Dokument D1 offenbart.
5.3.7 Der Begriff "Rohrreaktor" wird im Streitpatent selbst hinsichtlich seiner konstruktiven Merkmale nicht allgemein definiert, sondern lediglich in einer bevorzugten Ausführungsform (siehe Absatz [0077]). Anspruch 1 ist jedoch nicht auf diese Ausführungsform beschränkt.
Gemäß Dokument D28 dient ein Rohrreaktor zur Durchführung von chemischen Reaktionen mit vernachlässigbarer axialer Durchmischung, der aus einem leeren oder gefüllten Rohr besteht. Weitere strukturellen Einschränkungen sind nicht erforderlich.
Dokument D16 offenbart im Beispiel 1, dass das aus Dinitrotoluol und Wasser gebildete Gemisch mit einer Kreiselpumpe über einen statischen Mischer umgepumpt wird (siehe die Zeilen 23 bis 25). Gemäß Dokument D30a handelt es sich bei statischen Mischern in der Regel um ideale Rohrreaktoren (siehe Seite 3, linke Spalte, Zeilen 16 bis 17). Daher ist der im Dokument D16 offenbarte statische Mischer mit Blick auf die Offenbarung des Dokuments D30a zunächst als Rohrreaktor aufzufassen.
5.3.8 Von der Beschwerdegegnerin wurde argumentiert, dass sich ein Rohrreaktor dadurch auszeichne, dass keine Rückvermischung stattfinde. Da dieses Merkmal Dokument D16 nicht zu entnehmen sei, könne nicht davon ausgegangen werden, das der Fachmann den darin offenbarten statischen Mischer als Rohrreaktor auffassen würde.
Auch dieses Vorbringen überzeugt nicht. Zunächst geht aus der Beschreibung des Streitpatents hervor, dass ein Rohrreaktor ohne Rückvermischung lediglich eine bevorzugte Ausführungsform darstellt (siehe Absatz [0077]). Zudem offenbart Dokument D31, dass der Mischeffekt in statischen Mischern dadurch erreicht wird, dass der Längsströmung Querströmungen überlagert werden (siehe Spalte 3, vorletzter Absatz). Das Auftreten einer Rückvermischung wird im Zusammenhang mit statischen Mischreaktoren nicht offenbart.
5.3.9 Von der Beschwerdegegnerin wurde im Weiteren vorgebracht, dass ein anspruchsgemäß verwendeter Rohrreaktor materialtechnisch für den beabsichtigten Zweck geeignet sein müsse. Dies treffe nicht auf alle Rohrreaktoren zu.
Auch dieses Vorbringen kann kein Unterscheidungsmerkmal begründen. Der im Dokument D16 verwendete statische Mischer erfüllt zweifelsfrei die materialtechnischen Anforderungen, da er ebenfalls zur Reinigung bei der Nitrierung anfallender Rohprodukte eingesetzt wird.
5.3.10 Die Beschwerdegegnerin hat argumentiert, dass nicht jeder Rohrreaktor die anspruchsgemäß geforderten technischen Wirkungen hervorrufe. Auch wenn im Stand der Technik ein rohrförmiges Gebilde offenbart werde, sei dies daher noch kein Rohrreaktor im Sinne des Streitpatents. Vielmehr müsse ein im Stand der Technik offenbarter Reaktor so ausgestaltet sein, dass auch die funktionellen Merkmale erfüllt würden. Beispielsweise sei der Eintrag einer bestimmten Mischenergie im Rohrreaktor notwendig, um eine Emulsion mit damit verbundenem Phasentransfer aufrechtzuerhalten, ohne den die anspruchsgemäß geforderten technischen Wirkungen nicht zu erreichen seien. Hierzu seien beispielsweise sowohl Fließgeschwindigkeit als auch Verweilzeit einzustellen, wie aus den Absätzen [0054], [0075] sowie [0060] des Streitpatents hervorgehe.
5.4 Zwar werden in der Beschreibung des Streitpatents bevorzugte Werte für die Fließgeschwindigkeit sowie die Verweilzeit angegeben, jedoch sind diese Merkmale im Anspruch 1 nicht enthalten. Auch muss anspruchsgemäß nur eines der genannten funktionellen Merkmale erfüllt werden.
5.5 Augenscheinlich werden im Beispiel 1 des Dokuments D16 durch das offenbarte Verfahren aus Salpetersäure und Schwefelsäure bestehende Verunreinigungen entfernt (siehe die Zeilen 42 bis 49 der Spalte 3). Damit offenbart das Dokument auch das Merkmal, wonach "... während des Durchtritts durch den Rohrreaktor die in den nitrierten Rohprodukten anfänglich vorhandenen Verunreinigungen entfernt werden ...". Eine Eignung des in D16 offenbarten statischen Mischers zum Erreichen eines der im Anspruch 1 geforderten funktionellen Merkmale ist daher zweifelsfrei gegeben.
5.6 Somit werden im Dokument D16 sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags in Kombination offenbart. Das beanspruchte Verfahren ist somit nicht neu, und der Antrag nicht gewährbar (Artikel 100(a) und 54 EPÜ).
Hilfsantrag 3
6. Im Hilfsantrag 3 wurden gegenüber dem erteilten Patent die Ansprüche 1, 6 und 11 geändert, sowie die Ansprüche 2 und 16 gestrichen. Eine Basis für die Ansprüche 1, 6 und 11 des Hilfsantrags 3 findet sich in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1, 2, 9 und 10 (Anspruch 1), 10 (Anspruch 6) und 27, 31 sowie den Zeilen 23 bis 25 auf Seite 13 der ursprünglich eingereichten Beschreibung (Anspruch 11). Zudem wurde durch die durchgeführten Änderungen der beabsichtigte Schutzumfang eingeschränkt. Die Änderungen erfüllen daher die Erfordernisse der Artikel 123(2) und (3) EPÜ. Dies wurde von den Beschwerdeführerinnen nicht beanstandet.
Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)
7. Von den Beschwerdeführerinnen wurde in ihren Beschwerdebegründungen zunächst vorgebracht, die Entscheidung der Einspruchsabteilung sei fehlerhaft, da festgestellt wurde, sowohl das im Streitpatent beanspruchte Verfahren gemäß Anspruch 1, als auch die Produktionsanlage gemäß Anspruch 12 würden für den Fachmann ausführbar offenbart. Die Beschwerdeführerinnen hielten diesen Einwand auch für den Gegenstand der Ansprüche 1 und 11 des Hilfsantrags 3 aufrecht.
8. Insbesondere brachten sie hierzu in Bezug auf beide unabhängige Ansprüche im Wesentlichen folgendes vor:
- Durch die Formulierung "und/oder" an verschiedenen Stellen der genannten Ansprüche bestehe eine Anspruchsvariante darin, Verunreinigungen zu entfernen, es fehle jedoch an Informationen, wie dies zu bewerkstelligen sei.
- Durch die Verwendung der Formulierung "und/oder" seien auch Gegenstände beansprucht, bei denen lediglich eine der in den möglichen Varianten genannten Wirkungen erzielt werde; der Fachmann erhalte jedoch keine Information darüber, wie jede dieser Wirkungen auch unabhängig von den anderen erreicht werden könne.
- Der Fachmann erhalte keine Information darüber, wie ein Rohrreaktor strukturell auszuführen sei, der die in den Ansprüchen angeführten Wirkungen erziele, die zudem lediglich aufgabenhaft definiert seien.
- Die Ansprüche seien so breit gefasst, dass die in der Beschreibung enthaltenen Beispiele nicht als hinreichende Stütze dienen könnten.
- Anspruch 1 erfordere weder die Anwesenheit einer Dispergier- oder Emulgiereinrichtung, noch von Mischelementen; diese seien jedoch nach den Angaben der Beschreibung unerlässlich.
- Es sei dem Fachmann unmöglich, ohne unzumutbaren Aufwand alle Rohrreaktoren und deren Ausgestaltungen zu identifizieren, die geeignet seien, die in den Ansprüchen angeführten Wirkungen zu erzielen.
- Es sei fraglich, ob die in den Ansprüchen angegebenen gewünschten Wirkungen auch erreicht werden könnten, wenn andere Ausgestaltungen der Reaktoren verwendet würden, als die in den streitpatentgemäßen Beispielen beschriebenen.
- Aufgrund der funktionalen Definition in den Ansprüche umfassten diese auch Gegenstände, die erst durch spätere Erfindungen realisiert werden könnten, da strukturelle Merkmale möglicher verwendeter Rohrreaktoren erst im Nachhinein bereitgestellt werden könnten; somit würden gegenüber dem Streitpatent erfinderisch anzusehende, später realisierte Alternativen bereits von den Ansprüchen umfasst; derartige Alternativen seien aber nicht offenbart.
8.1 Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen überzeugt aus folgenden Gründen nicht:
8.2 Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 bezieht sich auf ein "Verfahren zur Entfernung von Verunreinigungen aus bei der Nitrierung von nitrierbaren aromatischen Verbindungen nach Abtrennung der Nitriersäure anfallenden Rohprodukten ...". Das beanspruchte Verfahren erfolgt durch Behandlung der besagten nitrierten Rohprodukte mit einem Waschmedium. Es ist gekennzeichnet durch einen Schritt (a) und einen nachfolgenden Schritt (b). Gemäß Schritt (a) werden zunächst die nitrierten Rohprodukte mit einem Waschmedium in Kontakt gebracht und derart ineinander verteilt, dass eine Emulsion resultiert. Die Herstellung der Emulsion erfolgt mit einer Dispergiereinrichtung.
Im nachfolgenden Schritt (b) wird die resultierende Emulsion in einen Rohrreaktor eingespeist. Während des Durchtritts durch den Rohrreaktor müssen bestimmte technische Wirkungen erzielt werden. Es müssen nämlich die in den nitrierten Rohprodukten anfänglich vorhandenen Verunreinigungen entfernt und/oder in das Waschmedium überführt und/oder neutralisiert werden. Der Reaktor weist Mischelemente zum Eintrag von zusätzlicher Mischenergie auf. Der Druckabfall pro Mischelement beträgt 0,1 bar bis 3,9 bar.
Der Anspruch bezieht sich somit auf ein Verfahren, das den Verfahrensschritt umfasst, dass eine zunächst gebildete Emulsion in einen Rohrreaktor eingespeist wird. Bei dem beanspruchten Verfahren müssen während des Durchtritts durch den Reaktor die genannten technischen Wirkungen erzielt werden.
8.3 Um das beanspruchte Verfahren durchzuführen, muss der Fachmann zunächst in die Lage versetzt werden, mit Verunreinigungen belastete, bei einer Nitrierung von nitrierbaren aromatischen Verbindungen anfallende Rohprodukte bereitzustellen, die bereits aus der Nitrierung abgetrennt wurden. Dann muss er in der Lage sein, die nitrierten Rohprodukten mit einem Waschmedium in Kontakt zu bringen und diese ineinander zu verteilen, so dass daraus eine Emulsion resultiert, die in einen Rohrreaktor eingespeist wird. Zwischen den Parteien bestand Einigkeit darüber, dass der Fachmann hierzu in der Lage ist.
Des Weiteren muss der Durchtritt durch den Rohrreaktor so erfolgen, dass wenigstens eine der genannten technischen Wirkungen hervorgerufen wird, dass also die in den nitrierten Rohprodukten anfänglich vorhandenen Verunreinigungen entfernt und/oder in das Waschmedium überführt und/oder neutralisiert werden. Bezüglich des Erreichens dieser technischen Wirkungen vertraten die Parteien unterschiedliche Auffassungen.
8.4 Zu der hierzu von den Beschwerdeführerinnen vorgebrachte Argumentation stellt die Kammer folgendes fest:
- Verwendung der Formulierung "und/oder" - Entfernung von Verunreinigungen:
In der Beschreibung des Streitpatents werden Beispiele offenbart, aus denen hervorgeht, dass bei einem anspruchsgemäß durchgeführten Verfahren die Menge an Verunreinigungen (Nitrophenole) verringert wird (siehe beispielsweise Absatz [0132]). Diese Verringerung scheint durch Waschen mit dem Waschmedium zu erfolgen. Daher wird dem Fachmann zumindest eine Ausführungsform offenbart, bei der Verunreinigungen entfernt werden. Von den Beschwerdeführerinnen wurde nicht vorgebracht, inwiefern dieses Vorgehen für den Fachmann nicht nacharbeitbar ist, bzw. welche vom Anspruch umfassten konkreten Ausführungsformen aus welchen Gründen nicht nacharbeitbar sind.
- Verwendung der Formulierung "und/oder" - Ausschließen alternativer Ausführungsformen:
Nach Ansicht der Beschwerdeführerin 2 dürfen für den Fall, dass bei dem beanspruchten Verfahren eine der genannten Anspruchsvarianten eintritt, die anderen im Anspruch genannten Möglichkeiten nicht eintreten. Die Kammer vermag jedoch nicht zu erkennen, dass diese Auslegung aus dem Anspruchswortlaut hervorgeht.
- Strukturelle Ausführung des aufgabenhaft definierten Rohrreaktors:
Das beanspruchte Verfahren wird unter anderem dadurch charakterisiert, dass eine zunächst gebildete Emulsion in einen Rohrreaktor eingespeist wird. Während des Durchtritts durch diesen Rohrreaktor muss wenigstens eine der angeführten technische Wirkungen erreicht werden. Unstreitig zwischen den Parteien war, dass es sich bei dem im Rohrreaktor ablaufenden Vorgang um eine Extraktion handelt. Nach Ansicht der Kammer bereitet es dem Fachmann keine Schwierigkeiten, Bedingungen für eine Extraktion einzustellen, unter denen eine Entfernung und/oder eine Neutralisation und/oder ein Überführen einer oder mehrerer zunächst in einer Phase enthaltenen Substanz(en) in die andere Phase erfolgt. Von den Beschwerdeführerinnen wurde diesbezüglich auch nicht vorgetragen, inwiefern der Fachmann hierbei mit unlösbaren Problemen konfrontiert wird. Insbesondere wird in den Ansprüchen 1 und 11 des Hilfsantrags 3 der Rohrreaktor hinsichtlich der konstruktiven Merkmale dahingehend spezifiziert, dass er mit Mischelementen ausgestattet ist, die als Bleche, als Blenden, als statische Mischer oder als Stromteiler ausgebildet sind.
- Anspruchsbreite:
Von den Beschwerdeführerinnen wurde weder vorgebracht oder gar nachgewiesen, welche konkreten Ausführungsformen und insbesondere aus welchen konkreten Gründen derartige etwaige Ausführungsformen durch den Fachmann nicht nacharbeitbar sein sollen.
- Identifikation aller geeigneter Rohrreaktoren:
Für das Erfordernis der Ausführbarkeit des vorliegend beanspruchten Verfahrens ist es nicht erforderlich, dass dem Fachmann mit dem Streitpatent eine abschließende Liste an möglichen Rohrreaktoren zur Hand gegeben wird, die geeignet sind, die in den Ansprüchen angeführten Ergebnisse zu erzielen.
- Erreichen der anspruchsgemäß angeführten Ergebnisse durch die Verwendung von Rohrreaktoren, die eine gegenüber den im Streitpatent verwendeten Reaktoren unterschiedliche Ausgestaltung aufweisen:
Die diesbezüglich von den Beschwerdeführerinnen lediglich vorgebrachten Zweifel können keinen Mangel an Ausführbarkeit belegen. Auch ist nicht ersichtlich, warum der Fachmann Reaktoren wählen sollte, die nicht zum gewünschten Ergebnis führen.
- Gegenstände, die erst durch spätere Erfindung realisierbar würden:
Die Ausführbarkeit des beanspruchten Verfahrens erfordert nicht, dass der Fachmann in die Lage versetzt werden muss, mögliche, gegebenenfalls in der Zukunft realisierbare Ausführungsformen von Rohrreaktoren zu kennen bzw. diese Ausführungsformen bereits zum Zeitpunkt der Einreichung des Streitpatents realisieren zu können.
8.5 In Bezug auf den unabhängigen Anspruch 11 werden von den Beschwerdeführerinnen keine weiteren Argumente vorgebracht.
8.6 Daher ist das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen nicht geeignet, einen Mangel an Ausführbarkeit für den in den Ansprüchen 1 und 11 des Hilfsantrags 3 beanspruchten Gegenstand zu belegen (Artikel 83 EPÜ).
Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
9. Von den Beschwerdeführerinnen wurde argumentiert, die Produktionsanlage zur Nitrierung nitrierbarer aromatischer Verbindungen gemäß Anspruch 11 sei nicht neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D16.
Dieses Vorbringen überzeugt jedoch aus folgenden Gründen nicht:
10. Anspruch 11 des Hilfsantrags 3 bezieht sich auf eine Produktionsanlage zur Nitrierung nitrierbarer aromatischer Verbindungen. Unstrittig zwischen den Parteien war, dass im Beispiel 1 des Dokuments D16 generell eine Nitrieranlage implizit offenbart wird. Strittig zwischen den Parteien war, ob das Merkmal dass "... der Rohrreaktor mit Mischelementen zum Eintrag von zusätzlicher Mischenergie ausgestattet ist, wobei die Mischelemente als Bleche, als Blenden, als statische Mischer oder als Stromteiler ausgebildet sind, wobei der Druckabfall pro Mischelement 0,1 bar bis 3,0 bar beträgt" im Dokument D16 offenbart wird.
Die Kammer gelangt zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall ist.
11. Auch wenn, wie von den Beschwerdeführerinnen vorgebracht, der tatsächlich auftretende Druckabfall pro Mischelement von den jeweiligen Verfahrensbedingungen abhängt, und daher zunächst ein Verfahrensmerkmal darstellt, so muss eine Anlage zumindest dafür geeignet sein, einen anspruchsgemäß geforderten Druckabfall pro Mischelement von 0,1 bar bis 3,0 bar erreichen zu können. Im Dokument D16 wird eine derartige Eignung, und damit das beanstandete Merkmal, nicht offenbart.
12. Die Produktionsanlage gemäß Anspruch 11 des Hilfsantrags 3 ist daher neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D16 (Artikel 54 EPÜ).
Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
Anspruch 1
13. Von den Beschwerdeführerinnen wurde das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit für das Verfahren gemäß Anspruch 1 ausgehend von Dokument D16 als nächstliegendem Stand der Technik verneint. Nach Ansicht der Beschwerdeführerinnen führe das Unterscheidungsmerkmal des Druckabfalls pro Mischelement nicht zu einer besonderen technischen Wirkung. Die gelöste technische Aufgabe sei demnach lediglich in der Bereitstellung eines weiteren Verfahrens zur Reinigung von nitrierten Rohprodukten zu sehen. Das Unterscheidungsmerkmal sei einerseits sehr breit definiert, und willkürlich aus dem Stand der Technik ausgewählt. Zudem würden die Dokumente D3 und D7 einen Druckabfall pro Mischelement bei statischen Mischern im anspruchsgemäßen Bereich offenbaren (D3: Seite 21-58, rechte Spalte, Zeile 20: 0,689 bar; D7: Abbildung 9: 0.2 bar). Daher werde dem Fachmann die anspruchsgemäße Änderung eines aus Dokument D16 bekannten Verfahrens nahegelegt. Erfinderische Tätigkeit sei auch ausgehend von der technischen Lehre der Dokumente D37 oder D38 nicht gegeben, da sich der beanspruchte Gegenstand hiervon ebenfalls lediglich durch das Merkmal des Druckabfalls pro Mischelement unterscheide.
14. Die Beschwerdegegnerin erachtet Dokument D16 nicht als nächstliegenden Stand der Technik geeignet, da es keine vollständige Reinigung offenbare. Unabhängig davon sei jedoch mit der Auswahl des anspruchsgemäßen Bereichs für den Druckabfall pro Mischelement auch eine unerwartete technische Wirkung verbunden. Dies führe nämlich einerseits zu einer effizienten und innig-intensiven Verteilung von aufzureinigenden Rohnitroaromaten und Waschmedium, erlaube aber andererseits auch bei Verwendung möglichst weniger Mischelemente eine hinsichtlich Verweilzeit effiziente, sich anschließende Phasentrennung. Somit werde die Gesamteffizienz des Verfahrens erhöht, auch weil die Verunreinigungen in einem einzigen Verfahrensschritt ohne Notwendigkeit einer gesonderten Apparatur im Wesentlichen vollständig entfernt werden könnten. Dies werde im Streitpatent in den Absätzen [0043] bis [0046] sowie [0077], [0079], [0095] und [0096] erläutert. Aus den Beispielen 2 und 3 des Streitpatents sei ersichtlich, dass bereits durch einstufige Waschverfahren eine deutliche Reduzierung der Verunreinigungen erzielt werden könne. Dahingegen verweise Dokument D16 im Beispiel 1 darauf, dass weitere Waschschritte notwendig seien. Die tatsächlich gelöste technische Aufgabe sei daher in der Bereitstellung eines hinsichtlich Effizienz verbesserten Verfahrens zu sehen. Da der Zusammenhang zwischen Druckabfall pro Mischelement und Verfahrenseffizienz aus dem Stand der Technik nicht ersichtlich sei, liege erfinderische Tätigkeit vor.
15. Die Kammer gelangt aus folgenden Gründen zu dem Ergebnis, dass der beanspruchte Gegenstand auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht:
Nächstliegender Stand der Technik
15.1 Dokument D16 eignet sich, wie von den Beschwerdeführerinnen vorgeschlagen, als nächstliegender Stand der Technik. Es offenbart im Beispiel 1 ein Verfahren zur Entfernung von Verunreinigungen gemäß Oberbegriff des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3.
Unterscheidungsmerkmal und technische Aufgabe
15.2 Im Einklang mit dem Vorbringen der Parteien unterscheidet sich das beanspruchte Verfahren vom Verfahren gemäß Beispiel 1 aus D6 zumindest dadurch, dass der Druckabfall pro Mischelement 0,1 bar bis 3,0 bar beträgt. Im Dokument D16 wird dies, wie vorstehend erläutert, nicht offenbart.
15.3 Nach den Angaben im Streitpatent (siehe insbesondere die Absätze [0079], [0044] und [0045]) führt der beanspruchte Druckabfall pro Mischelement dazu, dass unter Verwendung weniger Mischelemente eine niedrige Verweilzeit in der Phasentrenneinrichtung, trotzdem jedoch eine effiziente Reinigung pro Reinigungsschritt erreicht werden kann.
15.4 Von den Beschwerdeführerinnen wurde hierzu zwar behauptet, dass mit der Auswahl des Druckabfalls pro Mischelement keine technische Wirkung verbunden sei, allerdings wurde die Offenbarung des Streitpatents nicht widerlegt. Auch ist Beispiel 2 zu entnehmen, dass bei anspruchsgemäß geführtem Verfahren und einem Druckabfall von ca. 0,3 bar pro statischem Mischelement (siehe die Zeilen 53 und 55 im Absatz [0132]) eine Verringerung der Verunreinigung Nitrophenol von 1910 ppm (siehe Zeile 49) zu 2 ppm (siehe Zeile 57) erreicht werden kann. Im Beispiel 1 des Dokuments D16 wird der Gehalt der anorganischen Verunreinigungen Salpetersäure und Schwefelsäure von 1,07% und 5,15% auf 0,3% und 0,21% verringert. Zudem wird die bereits gereinigte Dinitrotoluol enthaltende Phase gemäß D16 anschließend weiteren Reinigungsschritten unterzogen. Weitere Reinigungsphasen sind nach den Angaben gemäß Streitpatent jedoch nicht notwendig (siehe die Absätze [0033] und [0045]).
15.5 Die gelöste technische Aufgabe besteht daher in der Bereitstellung gegenüber Beispiel 1 des Dokuments D16 insbesondere hinsichtlich Effizienz verbesserten Verfahrens.
Lösung der technischen Aufgabe
15.6 Anspruchsgemäß wird dieses Problem gelöst durch ein Verfahren, das sich dadurch auszeichnet, dass der zur Entfernung der in den nitrierten Rohprodukten anfänglich vorhandenen Verunreinigungen verwendete Rohrreaktor mit Mischelementen ausgestattet ist, wobei der Druckabfall pro Mischelement 0,1 bar bis 3,0 bar beträgt.
Nicht-Naheliegen der vorgeschlagenen Lösung
15.7 Die von den Beschwerdeführerinnen herangezogenen Dokumente enthalten keine Hinweise auf die anspruchsgemäße Lösung. Dokument D16 offenbart keinen Druckabfall pro Mischelement (siehe Erläuterungen zur Neuheit des Gegenstands von Anspruch 11). Zwar wird im Dokument D3 ein Druckabfall von 0,689 bar pro statischem Mischelement im allgemeinen Zusammenhang mit Mischern offenbart, allerdings stellt das Dokument keinen Zusammenhang her insbesondere zwischen Druckabfall pro Mischelement und Verweilzeit in der nachfolgenden Phasentrenneinrichtung. Im Dokument D7 wird in Abbildung 7 lediglich der Gesamtdruckabfall eines statischen Mischers von 0,2 bar offenbart, nicht jedoch ein Druckabfall pro Mischelement von 0,1 bar bis 3,0 bar. Auch lässt sich dieser nicht aus der Abbildung errechnen. Somit enthält keines der genannten Dokumente einen Hinweis auf die anspruchsgemäße Lösung des genannten Problems.
15.8 Die Bereitstellung eines Verfahrens gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 ist somit ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D16 das Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit.
Anspruch 11
16. Die Produktionsanlage gemäß Anspruch 11 des Hilfsantrags 3 enthält ebenfalls das Merkmal, dass "... der Rohrreaktor mit Mischelementen zum Eintrag von zusätzlicher Mischenergie ausgestattet ist, wobei die Mischelemente als Bleche, als Blenden, als statische Mischer oder als Stromteiler ausgebildet sind, wobei der Druckabfall pro Mischelement 0,1 bar bis 3,0 bar beträgt; ...". Die Bereitstellung einer Produktionsanlage nach Anspruch 11 beruht daher aus den hinsichtlich Anspruch 1 genannten Gründen ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit. Hierzu wurden von den Beschwerdeführerinnen keine weiteren Argumente vorgetragen.
17. Hilfsantrag 3 erfüllt daher aus den vorstehend genannten Gründen die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.
Zurückverweisung
18. Da keine der vorgebrachten Einwände gegen die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hilfsantrags 3 sprechen ist der Antrag mit einer daran angepassten Beschreibung gewährbar. Die Parteien brachten keine Einwände gegen die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur Anpassung der Beschreibung vor.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche 1-14 eingereicht als Hilfsantrag 3 mit der Beschwerdeerwiderung vom 6 August 2018.