T 1816/15 (Programmierung eines Betriebsgerätes für Leuchtmittel / Tridonic) 27-09-2021
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VERFAHREN ZUR PROGRAMMIERUNG EINES BETRIEBSGERÄTES FÜR LEUCHTMITTEL
Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein)
Einspruchsgründe - mangelnde Patentierbarkeit (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hilfsantrag III (nein)
Berichtigung von Mängeln - offensichtlicher Fehler
Berichtigung von Mängeln - sofort erkennbar, dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - wesentlicher Verfahrensmangel (ja)
I. Gegen das europäische Patent EP-B-1 829 429 wurde Einspruch eingelegt.
II. In einer Zwischenentscheidung sprach die Einspruchsabteilung aus, dass das Patent unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen den Erfordernissen des EPÜ genüge.
III. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung legten zunächst die Patentinhaberin und die Einsprechende Beschwerde ein. Die Patentinhaberin nahm vor Einreichung der Beschwerdebegründung ihre Beschwerde zurück.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der Entscheidung und den Widerruf des Patents. Außerdem beantragte sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels.
V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die beschränkte Aufrechterhaltung des Patents mit Patentansprüchen gemäß einem der Hilfsanträge I, II oder III, die mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht wurden.
VI. Beide Parteien beantragten hilfsweise eine mündliche Verhandlung.
VII. Die Kammer lud zur mündlichen Verhandlung und teilte ihre vorläufige Meinung mit, zu der beide Seiten Stellung nahmen.
VIII. Die mündliche Verhandlung wurde als Videokonferenz durchgeführt.
IX. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 7 des Hauptantrags lauten (Fassung wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten):
1. Verfahren zur Programmierung eines Betriebsgeräts (1) für Leuchtmittel (LA), wie bspw. eines Elektronischen Vorschaltgeräts (EVG) für Gasentladungslampen, wobei das Betriebsgerät (1) eine Bus-Schnittstelle (5, 9) zum Empfangen externer Steuerbefehle für den Betrieb der Leuchtmittel (LA) aufweist,
wobei diese Steuerbefehle im Betrieb des Leuchtmittels über eine Busleitung zu der Bus-Schnittstelle übermittelt werden, um das Betriebsgerät zu veranlassen, die Leuchtmittel entsprechend anzusteuern,
dadurch gekennzeichnet,
dass über an dieselbe Schnittstelle (5, 9) übermittelte zusätzliche Informationen eine wenigstens teilweise Programmierung der Firmware des Betriebsgeräts (1) ausgeführt wird, und
dass durch die Programmierung eine Änderung des Befehlssatzes ausgeführt wird, den die Schnittstelle (5, 9) zur Kommunikation verwendet.
7. Bus-Schnittstelle (5, 9) für ein Betriebsgerät (1) für Leuchtmittel (LA), wobei die Bus-Schnittstelle (5, 9) zum Empfangen externer Steuerbefehle für den Betrieb des Leuchtmittels (LA) vorgesehen ist und ferner einen beschreibbaren Speicher (6) aufweist bzw. mit einem Speicher (6) verbunden ist, in dem Firmware abgelegt ist,
dadurch gekennzeichnet,
dass die Firmware über an die Bus-Schnittstelle (5, 9) übermittelte Informationen programmierbar ist, und
dass durch die Programmierung der Befehlssatz, den die Bus-Schnittstelle (5, 9) zur Kommunikation verwendet, änderbar ist.
X. Im Hilfsantrag I wurden die unabhängigen Ansprüche (nun 1 und 5) folgendermaßen ergänzt (Hervorhebung durch die Kammer):
1. ...wobei die Programmierung der Firmware in einer Phase, während der das Betriebsgerät (1) in Betrieb ist, oder in einem Standby-Zustand des Betriebsgeräts (1) ausgeführt wird ...
5. ... dass die Firmware über an die Bus-Schnittstelle übermittelte Informationen während des Betriebs des Betriebsgeräts (1) programmierbar ist ...
XI. Im Hilfsantrag II wurden die unabhängigen Ansprüche (nun 1 und 4) gegenüber Hilfsantrag 1 weiter ergänzt, indem hinzugefügt wurde:
1. ... dass der Bus (15) durch das Stromversorgungsnetz gebildet und die Schnittstelle (5) als Powerline Carrier (PLC)-Schnittstelle ausgebildet ist ...
4. ... dass die Bus-Schnittstelle (5) als PLC-Schnittstelle ausgebildet ist, ...
XII. Im Hilfsantrag III wurde in den unabhängigen Ansprüchen 1 und 4 gegenüber Hilfsantrag 2 am Ende jeweils das weitere Merkmal hinzugefügt:
... wobei das Betriebsgerät (1) durch die Änderung des Befehlssatzes veranlasst wird, neuartige Steuerbefehle zu empfangen oder die Leuchtmittel (LA) in neuartiger Weise anzusteuern oder auf eine Information, die von einem anderen Geräten als einem zentralen Steuergerät (16) über den Bus (15) empfangen wird, in geeigneter Weise zu reagieren.
Inhalt des Merkmals "Änderung des Befehlssatzes [...], den die Schnittstelle (5,9) zur Kommunikation verwendet"
1. Das Merkmal
Änderung des Befehlssatzes [...], den die Schnittstelle zur Kommunikation verwendet
wird in den unabhängigen Ansprüchen 1 aller Anträge verwendet.
2. Die Einsprechende hatte bereits im Einspruchsschriftsatz (Abschnitt 12.3: "What is a command set and when does it change?") darauf hingewiesen, dass das Patent den Begriff "Befehlssatz" nur an einer Stelle der Beschreibung verwendet (Absatz [0012]), der lautet:
Über die Programmierung kann dann eine Änderung des Befehlssatzes erfolgen, den die Schnittstelle zur Kommunikation mit der zentralen Steuereinheit verwendet.
Der Begriff wird außerdem nur im ursprünglich eingereichten abhängigen Anspruch 7 benutzt, der lautet:
7. Verfahren nach einem der vorherigen Ansprüche, dadurch gekennzeichnet,
dass durch die Programmierung eine Änderung des Befehlssatzes ausführt wird, den die Schnittstelle (5, 9) zur Kommunikation verwendet.
Mehr Informationen über die "Änderung des Befehlssatzes" enthält das Patent bzw. die Patentanmeldung dazu nicht.
3. Die Einspruchsabteilung hat im Abschnitt 4.2, Seite 7, letzter Absatz der Entscheidungsgründe den Begriff folgendermaßen ausgelegt:
Der Befehlssatz ist nicht der Befehlssatz des Betriebsgeräts sondern derjenige, welcher durch die Schnittstelle zur Kommunikation verwendet wird.
4. Mit dem "Befehlssatz" nahm die Einspruchsabteilung augenscheinlich Bezug auf das Protokoll, welches die Schnittstelle über die Busleitung benutzt, von dem das Betriebsgerät seine Steuerbefehle (und gegebenenfalls zusätzliche Informationen zur Programmierung der Firmware) erhält. Eine Änderung des Befehlssatzes in diesem Verständnis wäre also beispielsweise eine Übertragungsprotokolländerung (ein "Update" eines Übertragungsprotokolls).
5. Die Patentinhaberin vertritt ebenfalls die Auffassung, dass mit dem "Befehlssatz, den die Schnittstelle zur Kommunikation verwendet" nur solche Protokolländerungen gemeint seien.
6. Eine solche - enge - Auslegung des Begriffs "Befehlssatz" ist nicht durch die Beschreibung des Patents zu begründen. Es ist nicht zu erkennen, wieso die Steuerbefehle, die beispielsweise im Merkmal des Anspruchs 1 aller Anträge
wobei die Steuerbefehle im Betrieb des Leuchtmittels über eine Busleitung zu der Bus-Schnittstelle übermittelt werden, um das Betriebsgerät zu veranlassen, die Leuchtmittel entsprechend anzusteuern
genannt sind, nicht in dem "Befehlssatz, den die Schnittstelle zur Kommunikation verwendet" enthalten sein sollten.
7. Diese Steuerbefehle werden auch von der Schnittstelle empfangen und an die interne Steuereinheit 10 gesendet. Damit werden diese Steuerbefehle auch "von der Schnittstelle zur Kommunikation verwendet".
8. Da es in der Patentbeschreibung keinen Hinweis auf eine "Protokolländerung" oder ein "Übertragungsprotokoll" gibt, gibt es für die seitens der Patentinhaberin vertretene enge Auslegung des Begriffs "Befehlssatz" keine Basis.
9. Der Patentinhaberin kann auch darin nicht gefolgt werden, dass die Verwendung unterschiedlicher Begriffe, nämlich "Befehlssatz" und "Steuerbefehl" zur Folge hätte, dass der Befehlssatz keine Steuerbefehle enthielte, denn sonst müsste er beispielsweise "Steuerbefehlssatz" heißen. Da "Befehl" der allgemeinere Begriff ist, kann ein "Befehlssatz" sowohl Steuerbefehle als auch weitere Befehle umfassen.
10. Das Merkmal "Befehlssatz, den die Schnittstelle zur Kommunikation verwendet" umfasst somit auch die Steuerbefehle, die im Betrieb an die Schnittstelle zur Leuchtmittelansteuerung übermittelt werden.
Hauptantrag - Berichtigung nach Regel 139 Satz 2, Artikel 123(2) und (3) EPÜ
11. Der Hauptantrag der Patentinhaberin unterscheidet sich von der erteilten Fassung unter anderem darin, dass im unabhängigen Anspruch 7, der an die Stelle des erteilten unabhängigen Anspruch 8 tritt, eine Korrektur vorgenommen wurde, die den Begriff "Befehlssätze" (Plural) durch den Begriff "Befehlssatz" (Singular) ersetzt.
12. Die Einspruchsabteilung sah darin die erlaubte Korrektur eines offensichtlichen Fehlers nach Regel 139 Satz 2 EPÜ, da der Fehler aufgrund einer unrichtigen grammatikalischen Konstruktion (Plural statt Singular) im entsprechenden Merkmal offensichtlich zu erkennen und auch die vorgenommene Korrektur durch einen Vergleich mit dem erteilten Anspruch 1 und mit dem Text der Beschreibung (Absatz [0012]) eindeutig sei.
13. Dagegen argumentiert die Einsprechende, dass die Offensichtlichkeit des Fehlers nicht gegeben sei, da die Patentinhaberin selbst diesen Fehler bei der ursprünglichen Formulierung des Merkmals im geänderten Anspruch gemacht habe. Außerdem habe sie selbst dann noch auf dieser fehlerhaften grammatikalischen Konstruktion bestanden, als die Prüfungsabteilung bei der Übersendung der für die Erteilung vorgesehenen Fassung diesen grammatikalischen Fehler korrigiert hatte. Zudem habe die Patentinhaberin diesen Fehler auch nicht sofort im Einspruchsverfahren korrigiert, sondern zunächst versucht, die erteilte Fassung im Rahmen eines Hauptantrags zu verteidigen. Daher liege zugleich entweder ein Verstoß gegen Artikel 123(2) oder (3) EPÜ vor.
14. Bei der Beurteilung, ob ein Fehler erkennbar und dessen Berichtigung offensichtlich ist oder nicht, kommt es nur auf das "objektive" Verständnis einer unbeteiligten, neutralen Fachperson an und nicht auf ein "subjektives" (möglicherweise falsches) Verständnis der Parteien. Davon ausgehend ist der Einspruchsabteilung zuzustimmen, dass der Fehler objektiv erkennbar war und dessen Berichtigung offensichtlich nur zum Ausdruck brachte, was von Anfang an gemeint war, da außer dem Plural "Befehlssätze" alle weiteren grammatikalisch relevanten Passagen im Singular formuliert sind ("der", "den", "ist").
15. Auch die vorgenommene Korrektur ist eindeutig, da durch die im Singular formulierten Passagen klar ist, dass das Singular "Befehlssatz" gemeint war.
16. Entsprechend liegt kein Verstoß gegen Artikel 123(2) oder (3) EPÜ vor.
Hauptantrag - Mangelnde Ausführbarkeit (Artikel 83 und 100(b) EPÜ)
17. Hinsichtlich eines ersten Punkts zur Frage der mangelnden Ausführbarkeit (Beschwerdebegründung, Abschnitt 2.1) bemängelt die Einsprechende, dass ihr Einwand aus Punkt 12.4 des Einspruchsschriftsatzes in der Entscheidung nicht berücksichtigt worden sei.
18. Dabei ging es um die Frage, ob in der ursprünglichen Anmeldefassung ausreichend offenbart wurde, wie denn mit einem beliebigen Speicher (ohne Aussage darüber, ob er beschreibbar ist oder nicht) eine Programmierung der Firmware erfolgen kann.
19. In der Entscheidung wurde dieser Einwand nicht behandelt (zur Frage, ob darin ein wesentlicher Verfahrensfehler liegt, siehe unten).
20. Die Fachperson würde die ursprüngliche Anmeldung so verstehen, dass mit dem Begriff "Speicher" ein "programmierbarer" bzw. "beschreibbarer" Speicher gemeint ist. Diese sind zum Prioritätszeitpunkt bekannt gewesen und ein nicht beschreibbarer Speicher ist im Zusammenhang mit der beanspruchten Erfindung nicht sinnvoll. Wie von der Einsprechenden ausgeführt, wäre ein Firmware-Update dann nicht durchführbar. Es gehörte zum allgemeinen Fachwissen der Fachperson zum Prioritätszeitpunkt, dass für solche Zwecke ein beschreibbarer Speicher verwendet werden musste.
21. In einem zweiten Punkt trägt die Einsprechende zur mangelnden Ausführbarkeit vor (Beschwerdebegründung, Abschnitt 2.2), dass nicht ausreichend offenbart sei, wie denn über eine Bus-Schnittstelle der Befehlssatz für diese Bus-Schnittstelle geändert werden könne (unter anderem auch während des Betriebs und im ausgeschalteten Zustand).
22. Wie oben erläutert, geben das Patent bzw. die Patentanmeldung keine Details darüber an, wie eine Änderung des Befehlssatzes der Bus-Schnittstelle über die Bus-Schnittstelle selbst erfolgen soll.
23. Eine Änderung von Kommunikationsparametern einer Schnittstelle (im Sinne einer Übertragungsprotokolländerung des obigen engen Inhalts des Begriffs "Befehlssatz") über die Schnittstelle selbst scheint nicht trivial zu sein.
24. Nach dem oben ermittelten Verständnis des Begriffs "Befehlssatz" kommt es darauf aber nicht an. Es sind keine Hinderungsgründe für die Fachperson ersichtlich, die Steuerbefehle für die Leuchtmittelansteuerung über die Schnittstelle zu ändern. Eine solche Steuerbefehlsänderung greift nicht tief in die Schnittstellenkommunikation ein, sondern betrifft das Auswerten der Steuerbefehle in der Steuereinheit des Betriebsgeräts, nachdem die Steuerbefehle von der Schnittstelle an die Steuereinheit übertragen wurden.
25. Es liegt daher kein Offenbarungsmangel vor.
Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
26. Die Einspruchsabteilung kam in ihrer Entscheidung zum Schluss, dass Dokument D6 (WO-A-2000/059100) nicht neuheitsschädlich gegenüber den unabhängigen Ansprüchen 1 und 7 des Hauptantrags sei und dass die Gegenstände dieser Ansprüche auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten, ausgehend von D6 (Entscheidungsgründe, Abschnitte 5.2 und 6.2). D6 offenbare nicht, dass durch die Programmierung eine Änderung des Befehlssatzes, den die Schnittstelle zur Kommunikation verwendet, ausgeführt werde. Es gebe auch keine Passage in D6, die explizit oder implizit zeige, dass eine Programmierung der Firmware für Datenkommunikation durch die Schnittstelle durchgeführt werden könne. Die Programmierung könne vor Lieferung des Geräts erfolgen und damit ohne Anwendung der Schnittstelle.
27. Zwar fehlt dem Dokument D6 der explizite Verweis auf "Befehlssatz" bzw. auf "Änderung des Befehlssatzes [...] den die Bus-Schnittstelle zur Kommunikation verwendet". Dokument D6 enthält aber genügend Hinweise für die Fachperson, dass die Firmware für die Steuerung der dort gezeigten Schnittstelle ("serial port 39", Fig.2) im Speicher ("memory 33", "EEPROM portion") gespeichert ist (Seite 9, Zeilen 2 bis 4: "The firmware manages a serial data link for real-time command and status communication regarding load characteristics, regulation mode, and output level.") und diese Firmware über eben diese Schnittstelle (es ist nirgendwo eine andere gezeigt) aktualisiert oder einprogrammiert werden kann (Seite 2, Zeilen 15 bis 16: "Operational software for the DSP sets operating parameters and may be downloaded from a system controller via a data link to configure the power converter."; Seite 4, Zeilen 20 bis 24: "Memory 33 is preferably a combination of random access memory (RAM) and electrically erasable programmable read-only memory (EEPROM). The operating program for DSP 31 is programmed into EEPROM. The EEPROM provides non-volatile storage, but may be reprogrammed with updated, modified or improved software.").
28. Wie oben gezeigt, hat die Einspruchsabteilung unter dem Merkmal "Änderung des Befehlssatzes" eine ganz besondere Firmware-Änderung (mit einer engen Auslegung als Übertragungsprotokoll-Änderung) für den Betrieb der Schnittstelle verstanden, die allenfalls neu gegenüber einer generischen "Firmware-Änderung" sein könnte. Wie oben ebenfalls gezeigt, ist der Begriff der "Änderung des Befehlssatzes der Schnittstelle", so wie er im Streitpatent verwendet wird, allerdings so breit, dass nicht ersichtlich ist, wodurch sich eine "Änderung des Befehlssatzes einer Schnittstelle" von einer Änderung der Firmware einer Schnittstelle technisch unterscheidet. In der Offenbarung des Streitpatents wird auch kein Problem bei der Änderung des Befehlssatzes diskutiert (siehe auch die obigen Ausführungen zur Frage der mangelnden Ausführbarkeit).
29. Eine Firmware-Änderung wird in der Regel immer zu dem Zweck durchgeführt, dass die Befehle eines Prozessors oder einer Steuereinheit, die diese Firmware verwenden, verändert werden. Und sobald ein einzelner Befehl eines Befehlssatzes sich ändert, hat sich auch der Befehlssatz selber geändert. Es ist nicht ersichtlich, in welcher Form Firmware-Änderungen ohne eine irgendwie geartete Anpassung - und damit Änderung - eines Befehlssatzes erfolgen kann.
30. Die Patentinhaberin argumentiert, dass die Firmware in D6 speziell dafür vorgesehen sei, unterschiedliche logische Kanäle für unterschiedliche Lasten zu bereitzustellen (D6, Seite 10, Zeilen 22 bis 25; Seite 4, Zeilen 26 bis 30).
31. Dokument D6 beschreibt zwar "logische Kanäle" in den seitens der Patentinhaberin zitierten Passagen. Diese logischen Kanäle ("Channel 1, Channel 2") werden allerdings auch über Befehle ("commands") gesteuert (siehe beispielsweise Seite 9, Zeilen 25 bis 28), die von der Systemsteuereinheit ("system controller 42") an die zu steuernden elektrischen Leistungskonvertermodule ("electric power converter module 10") über die Schnittstelle übertragen werden. Wie oben erläutert, gehören aber auch diese Steuerbefehle zum Befehlssatz, den die Schnittstelle zur Kommunikation verwendet, der durch ein Firmware-Update in naheliegender Weise geändert werden kann. Das Vorhandensein von logischen Kanälen ändert daher nichts am Ergebnis einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit.
32. Der Hauptantrag beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
Hilfsantrag I
33. Hilfsantrag I nimmt die Merkmale der erteilten Patentansprüche 4 und 5 alternativ zueinander in den Anspruch 1 und die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 11 in den neuen unabhängigen Anspruch 5 auf. Dabei geht es um die Programmierung der Firmware im Betrieb (erteilte Ansprüche 4 und 11) bzw. im Standby-Betrieb (erteilter Anspruch 5).
34. D6 schildert zwar nicht explizit, wann genau und in welchem Zustand des Betriebsgeräts die Firmware-Änderung erfolgt. Da für eine solche Änderung bei einer Kommunikation über ein Bussystem das Betriebsgerät allerdings mit Energie versorgt sein muss, muss das Betriebsgerät im Betrieb oder in einem Standby-Betrieb (also nicht vollständig ausgeschaltet) sein.
35. Die zusätzlichen Merkmale des Hilfsantrags 1 sind daher nicht geeignet, den Gegenstand gegenüber der Lehre des Dokuments D6 weiter zu differenzieren.
36. Hilfsantrag I beruht daher ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
Hilfsantrag II
37. In den Hilfsantrag II sind zusätzlich zum Hilfsantrag I die Merkmale der erteilten Ansprüche 2 und 9 (Powerline Carrier (PLC)-Schnittstelle als Bus-Schnittstelle) in die jeweiligen unabhängigen Ansprüche aufgenommen worden.
38. Es gehört zum allgemeinen Fachwissen, dass Powerline Carrier (PLC)-Bussysteme und dazugehörige Powerline-Busschnittstellen entwickelt wurden, damit über Stromversorgungsleitungen neben der elektrischen Energie auch Daten übertragen werden können. Das führt zu bekannten Vorteilen wie geringerem Verkabelungsaufwand und damit möglicherweise zu schnelleren Installationen von Anlagen.
38.1 Es ist nicht ersichtlich, warum eine Fachperson den Einsatz eines bekannten PLC-Bussystems mit dazugehörigen Schnittstellen nicht mit der Lehre des Dokuments D6 kombinieren würde, um die bekannten Vorteile zu erzielen. Auch der Patentschrift sind weder ein besonderer Effekt noch irgendwelche technischen Schwierigkeiten zu entnehmen, die einer Anwendung von PLC-Systemen für Lampenbetriebsgeräte wie in der D6 entgegenstehen würden. Eine Kombination der Lehre von D6 mit PLC-Systemen ist daher für die Fachperson naheliegend.
39. Der Hilfsantrag II beruht daher gleichfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
Hilfsantrag III
40. Im Hilfsantrag III werden "neuartige" Steuerbefehle definiert oder dass die Leuchtmittel in "neuartiger" Weise angesteuert werden können.
41. Der Begriff "neuartig" ist nicht klar (Artikel 84 EPÜ), da nicht definiert ist, gegenüber was die "Neuartigkeit" besteht und was "neuartig" von beispielsweise "neu" unterscheidet.
42. Die Patentinhaberin argumentiert, dass damit gemeint sei, zusätzliche Funktionalitäten zur Verfügung zu stellen, beispielsweise Dimmen gegenüber vorher nur Ein-/Ausschalten, oder neue Lichtprofile wie ein verzögertes Ausschalten statt vorher nur ein sofortiges Ausschalten.
43. Unter der Annahme, dass mit dem Begriff "neuartig" im Sinne der Argumentation der Patentinhaberin gemeint ist, eine zusätzliche Funktionalität zur Verfügung zu stellen, liegt allerdings auch keine erfinderische Tätigkeit vor. Die Fachperson weiß, dass jedes Firmware-Update zu einer Änderung von Befehlssätzen führt (siehe auch die obige Diskussion), die damit automatisch zu zusätzlichen Funktionen führt. Selbst das Vermeiden von Fehlern, wie es durch viele bekannte Firmware-Updates beabsichtigt ist, führt dazu, dass nun zusätzliche ("neuartige") Funktionalität zur Verfügung gestellt wird, die vorher wegen der Fehler nicht vorhanden war.
44. Anspruch 1 des Hilfsantrags III ist nicht klar (Artikel 84 EPÜ) und beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
Zusammenfassung
45. Da keiner der vorliegenden Anträge der Patentinhaberin gewährbar ist, ist das Patent zu widerrufen.
Wesentlicher Verfahrensmangel - Rückzahlung der Beschwerdegebühr
46. Nach Regel 103(1)a) EPÜ wird die Beschwerdegebühr in voller Höhe zurückgezahlt, wenn der Beschwerde stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.
47. Das Thema ,,wesentlicher Verfahrensmangel" wird in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern eingehend erörtert (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Aufl. 2019 V.A.9.5. m.w.N). Unter diesem Begriff versteht man einen das gesamte Verfahren beeinträchtigenden objektiven Fehler, der eine vollständige Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache verhindert und damit möglicherweise zu einer unrichtigen Entscheidung führt. Die mangelnde Begründung einer erstinstanzlichen Entscheidung ist grundsätzlich ein wesentlicher Verfahrensmangel, der die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigt. Der Nachweis, dass der Mangel auch im konkreten Fall eine unrichtige Entscheidung herbeigeführt hat, ist aber nicht notwendig; es genügt, dass der Fehler für die Entscheidung ursächlich gewesen sein oder sie auch nur beeinflusst haben konnte (entsprechende Formulierungen finden sich auch in § 496(1) Ziffer 2 österr. ZPO; Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO 5. Aufl. 2019, Rzz. 9 zu § 471 und 6 zu § 496; Göertz in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, 78. Aufl. 2020, ZPO § 538 Rn. 6, je m.w.N.).
48. Hier liegt ein Verfahrensmangel vor, da sich die Einspruchsabteilung - wie von der Einsprechenden in ihrer Beschwerde zurecht moniert - in den Entscheidungsgründen zum Einspruchsgrund nach Artikel 100(b) EPÜ nicht mit dem Punkt 12.4 des Einspruchsschriftsatzes auseinandergesetzt hat.
49. Der vorliegende Verfahrensmangel ist auch als wesentlich einzustufen, da er jedenfalls geeignet war, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen. Da die Einsprechende auch nicht wissen konnte, ob der Einwand von der Einspruchsabteilung berücksichtigt wurde oder nicht, war sie schon deshalb gehalten, Beschwerde einzulegen und dazu die Beschwerdegebühr zu entrichten.
50. Deren Rückzahlung ist daher geboten (Regel 103(1)a) EPÜ).
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.
3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.