VERTRETUNG
Disziplinarangelegenheiten
Entscheidung des Disziplinarausschusses des Europäischen Patentamts vom 21. Oktober 1993 - DB/02/92
Gegenstand des Verfahrens:
Verstoß gegen die Wahrheitspflicht u. a.
Besetzung des Disziplinarausschusses:
Vorsitzender: | B. I. Cawthra (EPA) |
Berichterstatterin: | T. Karamanli (EPA) |
Mitglieder: | R. Cramer (EPA) |
| R. Harlé (EPI) |
| L.W. Kooy (EPI) |
I. SACHVERHALT
1. Herr X ist seit dem 25.8.1981 in der Liste der beim EPA zugelassenen Vertreter eingetragen.
2. Mit Schreiben vom 9.3.1992, eingegangen am 13. März 1992, wurde Herr X beim Institut der zugelassenen Vertreter (nachfolgend EPI genannt) angezeigt. In dieser Klage wird ausgeführt, daß Herr X in der europäischen Patentanmeldung Nr. ... nicht nur alle Fristen, auch Ausschlußfristen, gegenüber dem Europäischen Patentamt versäumt habe, sondern auch seine Mandantin, die Anmelderin, nicht über den Verfahrensstand informiert habe. Darüber hinaus sei eine Kontaktaufnahme seit dem 12.12.1991 mit Herrn X nicht möglich gewesen. Nachrichten, die auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen wurden, und an Herrn X gerichtete Schreiben seien seinerseits unbeantwortet geblieben. Deshalb habe der Anzeigeerstatter, der neue Vertreter der Anmelderin, am 23.1.1992 sich mit dem EPA telefonisch in Verbindung gesetzt und um Kopien der relevanten Aktenteile gebeten. Aufgrund dieser Kopien, die der Anzeigeerstatter am 27.1.1992 erhielt, habe sich die Sachlage wie folgt dargestellt:
Obwohl die Mandantin die Rechnung des Herrn X vom 9.10.1989 beglichen hatte, waren die Prüfungs- und Jahresgebühr für die Patentanmeldung nicht entrichtet worden. Herr X hatte 4 Mitteilungen vom EPA erhalten, jedoch weder darauf reagiert noch diese an die Mandantin weitergeleitet. Bei einem Besuch in der dem Anzeigeerstatter bekannten Kanzlei am 4.3.1992 habe sich herausgestellt, daß diese Kanzlei zum 31.12.1991 durch Kündigung aufgehoben worden war, und daß eine neue Kanzleianschrift nicht bekannt war.
3. Dem betroffenen zugelassenen Vertreter, Herrn X, wurde gemäß Artikel 8 der ergänzenden Verfahrensordnung des Disziplinarrats des Instituts der beim Europäischen Patentamt zugelassenen Vertreter mit Schreiben vom 27.3.1992 eine Kopie der Anzeige im Sinne dieses Artikels zugesandt. In demselben Schreiben wurde Herr X gebeten, sich bis zum 15.4.1992 zu dieser Anzeige zu äußern.
4. Gleichzeitig versuchte der Berichterstatter der betrauten Kammer des Disziplinarrats (nachfolgend Disziplinarkammer genannt) sich von der Richtigkeit der in der Anzeige gemachten Angaben dadurch zu überzeugen, daß er selbst versuchte, mit dem betroffenen Vertreter telefonisch Kontakt aufzunehmen. Herr X konnte telefonisch nicht persönlich erreicht werden, denn es war ausschließlich der Anrufbeantworter seines Anschlusses angeschaltet.
5. Aufgrund der Zusendung der Anzeige nahm der betroffene Vertreter im April 1992 sowohl mit dem Vorsitzenden als auch mit dem Berichterstatter der Disziplinarkammer Kontakt auf. Er erklärte, er habe seine Kanzlei geschlossen und sämtliche Klienten davon verständigt. Im Falle der Klägerin sei mit dem vorherigen Leiter der Patentabteilung lediglich vereinbart gewesen, daß Herr X die Einreichung übernehme, nicht aber die Weiterbearbeitung des Falles, da dies von der Patentabteilung der Mandantin selbst durchgeführt werde. Daher habe Herr X keine Veranlassung gesehen, beim Schließen seiner Kanzlei auch die Mandantin davon zu verständigen. Herr X versicherte, er werde unverzüglich mit der Mandantin Kontakt aufnehmen, um abzuklären, wie das in der Klage genannte Schutzrecht gerettet werden könne, und was er dazu beitragen könne. Erst dann könne er zu der Anzeige Stellung nehmen.
Der Berichterstatter der Disziplinarkammer gewährte einen Monat Frist für einen neuerlichen Bericht seitens des betroffenen Vertreters, die Ende April ablief. Er gab Herrn X auch zu bedenken, daß, falls die Anmeldung gerettet werden könne, der Anzeigeerstatter möglicherweise die Anzeige zurückziehe.
6. Nach fruchtlosem Ablauf der o. g. Frist wurde mit Herrn X nochmals telefonisch Kontakt aufgenommen. Anläßlich dieses Telefonats berichtete Herr X, daß er bereits mit dem Vorsitzenden der Kammer gesprochen habe, und daß dieser die Frist bis Mitte Mai verlängert habe. Diese Behauptung erwies sich nachträglich als unrichtig.
7. Nachdem der Berichterstatter Mitte Mai noch nichts von Herrn X gehört hatte, versuchte er erneut telefonisch Kontakt mit ihm aufzunehmen. Wiederum meldete sich nur der Anrufbeantworter, so daß der Berichterstatter nur eine Nachricht mit der Bitte um Kontaktaufnahme und neuerlichen Bericht hinterlassen konnte.
8. Da Herr X sich in der folgenden Woche in keiner Weise beim Berichterstatter meldete, versuchte der Berichterstatter bei der Mandantin festzustellen, wie weit die Gespräche mit Herrn X bereits gediehen seien. Dabei mußte er feststellen, daß Herr X trotz seiner Zusicherung nie Kontakt mit der Mandantin aufgenommen hatte und keinerlei Anstalten getroffen hatte, das in der Anzeige erwähnte gefährdete Schutzrecht zu retten oder zur Rettung in irgendeiner Weise beizutragen. Der Berichterstatter erfuhr außerdem, daß aus diesen Gründen von einer Zurückziehung der Anzeige keine Rede sein könne.
9. In der Entscheidung des Disziplinarrates des EPI vom 17.6.1992 (AZ. CD 2/92) wurde die Klage gegen Herrn X gemäß Artikel 6 (2) Buchstabe c der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten (ABl. EPA 1978, 91 ff.) dem Disziplinarausschuß des Europäischen Patentamts überwiesen.
10. In der Begründung der o. g. Entscheidung wird dargelegt, daß nach Ansicht der Kammer des Disziplinarrates das Verhalten des Herrn X gegenüber der Kammer kaum Artikel 1 der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern (VDV) entspricht, da die gemachten Angaben hinsichtlich Kontaktaufnahme und Fristverlängerung sich bei Überprüfung als unrichtig herausgestellt haben. Außerdem liege ein Verstoß gegen Artikel 3 der VDV nach dem Klagevorbringen vor.
11. Da Herr X seine Kanzlei geschlossen hatte und als einzige Adresse eine Postfachadresse in Zürich bei seinem Telefonat vom 2.4.1992 mit dem Berichterstatter angegeben hatte, bat die Berichterstatterin des Disziplinarausschusses des Europäischen Patentamtes Herrn Y am 13.1.1993 telefonisch um die Privatadresse von Herrn X, die ihr am selben Tag per Fax mitgeteilt wurde.
12. Mit Schreiben vom 10.3.1993 an Herrn X legte die Berichterstatterin des Disziplinarausschusses des Europäischen Patentamts den Sachverhalt nochmals zusammenfassend dar. Sie wies auch darauf hin, daß, sollte der Disziplinarausschuß zu demselben Schluß wie der Disziplinarrat kommen, nämlich daß das Verhalten des Herrn X gegenüber seiner Mandantin einen Verstoß gegen Artikel 3 VDV und sein Verhalten gegenüber der Kammer des Disziplinarrats einen Verstoß gegen Artikel 1 VDV darstellt, dies höchstwahrscheinlich zur Folge habe, daß der Disziplinarausschuß eine in Artikel 4 VDV vorgesehene Disziplinarmaßnahme gegen ihn verhängen werde. Bei so schweren Verstößen wie im vorliegenden Fall könne durchaus eine Löschung in der Liste der zugelassenen Vertreter für unbefristete Dauer (Art. 4 (1), Buchst. e VDV) in Betracht kommen.
In demselben Schreiben wurde Herrn X gemäß Artikel 12 VDV die Gelegenheit gegeben, sich bis zum 30.4.1993 zu den oben dargelegten Vorwürfen zu äußern.
13. Das unter Punkt 12 genannte Schreiben wurde sowohl an die Privatadresse des Herrn X als auch an die von ihm angegebene Postfachadresse in Zürich geschickt. Der Brief an die Postfachadresse in Zürich wurde als unzustellbar wieder an das Europäische Patentamt zurückgesandt. Das Schreiben an die Privatadresse wurde am 27. März 1993 zugestellt, indem die Briefsendung an einen Empfangsberechtigten ausgeliefert worden war.
14. Herr X ließ auch die im Schreiben vom 10.3.1993 gesetzte Frist zur Stellungnahme ablaufen, ohne sich zu den ihm gegenüber geäußerten Vorwürfen zu äußern.
15. Eine mündliche Verhandlung wurde nicht beantragt.
II. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
1. Ein zugelassener Vertreter darf nicht bewußt falsche oder irreführende Erklärungen abgeben (Art. 1 (1) Satz 2 VDV). Diese Wahrheitspflicht bezieht sich nicht nur auf die Berufsausübung, sondern auch auf Aussagen in einem Disziplinarverfahren (Entscheidung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten D 08/82 vom 24.2.1983 (ABl. EPA 1983, 378)).
Herr X ist dieser Wahrheitspflicht nicht nachgekommen, denn er hat sowohl gegenüber dem Vorsitzenden als auch dem Berichterstatter der Disziplinarkammer des EPI nicht wahrheitsgemäße Erklärungen abgegeben. Er hat beiden Mitgliedern der Disziplinarkammer gegenüber geäußert, daß er sich mit der Mandantin in Verbindung setzen werde um abzuklären, wie das in der Anzeige genannte Schutzrecht gerettet werden könne, und was er dazu beitragen könne. Anläßlich eines vom Berichterstatter veranlaßten Telefongesprächs mit der Mandantin stellte sich heraus, daß Herr X selbst sechs Wochen, nachdem er versichert hatte, sich mit der Mandantin in Verbindung zu setzen, noch keinerlei Kontakt aufgenommen hatte.
Anläßlich eines anderen Telefonats mit dem Berichterstatter behauptete Herr X, daß er bereits vom Vorsitzenden der Kammer eine Fristverlängerung erhalten habe. Diese Behauptung erwies sich nachträglich ebenfalls als unrichtig.
Es liegt somit nach Ansicht des Disziplinarausschusses ein Verstoß gegen die in Artikel 1 Absatz 1 Satz 2 VDV festgelegte Wahrheitspflicht vor.
2. Gemäß Artikel 3 (1) VDV ist der zugelassene Vertreter verpflichtet, seinem Auftraggeber unverzüglich mitzuteilen, wenn er einen beruflichen Auftrag nicht annehmen oder sein Mandat niederlegen möchte. In letzterem Fall ist er auch verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, um den Auftraggeber in Stand zu setzen, Nachteile zu vermeiden.
Im vorliegenden Fall wurde die Mandantin nicht von Herrn X darüber informiert, daß er seine Kanzlei geschlossen und somit sein Mandat niedergelegt hat.
Der Antragsteller legt in seiner Anzeige dar, daß davon ausgegangen wurde, daß Herr X in der genannten europäischen Patentanmeldung die Mandantin vertritt. Zwar behauptete Herr X gegenüber dem Berichterstatter in einem Telefonat im April 1992, daß er im Falle der Mandantin mit dem vorherigen Leiter der Patentabteilung vereinbart hätte, daß er nur die Einreichung übernehme, nicht aber die Weiterbearbeitung des Falles. Aus diesem Grund habe er keine Veranlassung gesehen, beim Schließen seiner Kanzlei auch die Mandantin davon zu verständigen. Aufgrund der Tatsache, daß Herr X gegenüber der Disziplinarkammer mehrere unrichtige Angaben gemacht und sich auch nicht weiter zu diesem Punkt geäußert hat, geht der Disziplinarausschuß davon aus, daß die Angaben des Herrn X auch in diesem Punkt nicht wahrheitsgemäß sind. Demzufolge nimmt der Disziplinarausschuß an, daß die Mandantin davon ausgehen durfte, daß Herr X sie in der betreffenden europäischen Patentanmeldung vertritt, und deshalb auch von der Schließung der Kanzlei hätte unterrichtet werden müssen.
Doch selbst wenn Herr X davon ausging, daß sein Mandat nur die Einreichung der Anmeldung umfaßte, hätte er nach Erhalt der Mitteilungen des EPA Zweifel an der von ihm angenommenen Vereinbarung zwischen ihm und seiner Mandantin bekommen müssen. Da diese Mitteilungen an ihn zugestellt wurden, hätte er, wenn er der Meinung war, daß sein Mandat mit Einreichung der Anmeldung beendet war, z. B. diese Mitteilungen an die Mandantin weiterleiten müssen. Somit hätte die Mandantin ihrerseits die notwendigen Schritte unternehmen können, um die Fristen bezüglich der Patentanmeldung einzuhalten. Herr X hat jedoch nichts dergleichen unternommen.
Herr X hat keinerlei geeignete Maßnahmen getroffen, um die Mandantin in Stand zu setzen, Nachteile zu vermeiden. Nach Ansicht des Disziplinarausschusses hat Herr X daher auch gegen Artikel 3 (1) VDV verstoßen.
3. Gemäß Artikel 1 (1) Satz 1 VDV hat der zugelassene Vertreter seinen Beruf gewissenhaft in einer Weise, die der Würde seines Berufs entspricht, auszuüben. Darüber hinaus hat sich der Vertreter gemäß Artikel 1 (2) VDV so zu verhalten, daß das Vertrauen, das für die Ausübung des Berufs notwendig ist, nicht beeinträchtigt wird.
Im vorliegenden Fall hat Herr X alle Fristen, auch Ausschlußfristen, gegenüber dem EPA versäumt und seiner Mandantin keine Gelegenheit gegeben, selbst tätig zu werden. Er hat seine Mandantin auch nicht über die versäumten Fristen und die notwendigen Handlungen in Kenntnis gesetzt.
Da die Mandantin darauf vertraute, daß der zugelassene Vertreter sein Mandat ordnungsgemäß ausführen werde, ging sie davon aus, daß Herr X sie gewissenhaft vor dem EPA vertreten werde.
Außerdem hat Herr X im Disziplinarverfahren eine Postfachadresse angegeben, an die nicht zugestellt werden kann. Nur aufgrund der von der Berichterstatterin recherchierten Privatadresse konnte das Schreiben vom 10.3.1993 an Herrn X überhaupt zugestellt werden. Eine der Grundlagen für eine gewissenhafte Berufsausübung ist die Angabe einer Adresse, an die dem zugelassenen Vertreter zugestellt werden kann. Auch in dieser Hinsicht hat Herr X seinen Beruf nicht gewissenhaft ausgeübt.
Das Verhalten des betroffenen zugelassenen Vertreters entsprach keinesfalls einer gewissenhaften Berufsausübung. Auch wurde das Vertrauen seitens der Mandantin ihm gegenüber stark beeinträchtigt.
Aus diesen Gründen sieht der Disziplinarausschuß in dem Verhalten des betroffenen zugelassenen Vertreters einen Verstoß gegen Artikel 1 (1) Satz 1 und (2) VDV.
4. Zusammenfassend ist festzustellen, daß Herr X mit seinem Verhalten die beruflichen Regeln aus Artikel 1 (1) Satz 1 und 2 und (2) sowie Artikel 3 (1) VDV verletzt hat.
Daher kann gegen ihn gemäß Artikel 4 (1) VDV eine der folgenden Disziplinarmaßnahmen verhängt werden:
a) Warnung,
b) Verweis,
c) Geldbuße bis zu 20 000 Deutsche Mark,
d) Löschung in der Liste der zugelassenen Vertreter für die Dauer von höchstens 6 Monaten,
e) Löschung in der Liste der zugelassenen Vertreter für unbefristete Dauer.
Es handelt sich vorliegend um eine schwerwiegende Verletzung mehrerer beruflicher Regeln. Das Verhalten des betroffenen zugelassenen Vertreters begründet den berechtigten Zweifel, ob er überhaupt in der Lage ist, den Beruf des zugelassenen Vertreters ordnungsgemäß auszuüben. Nicht nur, daß er sich gegenüber der Mandantin in mehrfacher Weise unprofessionell verhalten hat, er hat sich auch im Disziplinarverfahren nicht so verhalten, wie es von einem zugelassenen Vertreter erwartet werden kann.
III. ENTSCHEIDUNG
Aus diesen Gründen hat der Disziplinarausschuß des EPA die folgende Entscheidung getroffen:
Gemäß Artikel 4 (1) Buchstabe e VDV wird der Name des zugelassenen Vertreters X in der Liste der zugelassenen Vertreter für unbefristete Dauer gelöscht.