T 0758/22 27-11-2024
Download und weitere Informationen:
VERFAHREN ZUR STEUERUNG KONTINUIERLICHER CHROMATOGRAPHIE UND MULTISÄULEN-CHROMATOGRAPHIE-ANORDNUNG
Bayer AG / Bayer Intellectual Property GmbH
Dr. Aechter, Bernd
I. Am Ende des erstinstanzlichen Verfahrens entschied die Einspruchsabteilung, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, und zwar auf der Grundlage eines Anspruchssatzes, der am 1. Oktober 2021 als erster Hilfsantrag eingereicht wurde.
II. Die Einsprechenden 1 haben inzwischen den Einspruch zurückgezogen.
III. Der Einsprechende 2 (im weiteren Verlauf mit "der Einsprechende" bezeichnet) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde eingelegt und beantragt, die Entscheidung aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen.
IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK, die als Anlage einer Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige und unverbindliche Meinung zu bestimmten, wesentlichen Aspekten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens mit.
V. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 27. November 2024 statt.
VI. In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer bestätigte der Einsprechende (Beschwerdeführer) seinen Antrag die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
VII. Der Patentinhaber (Beschwerdegegner) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde oder hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 6, 1a, 1b, 2a, 2b, 3a, 3b, 4a, 4b, 5a, 5b und 8, eingereicht mit Schreiben vom 29. September 2022, oder gemäß einem der Hilfsanträge 7 oder 9, eingereicht mit Schreiben vom 30. März 2023. Die Reihenfolge der Hilfsanträge ist 1, 1b, 1a, 2, 2b, 2a, 3, 3b, 3a, 4, 4b, 4a, 5, 5b, 5a, 6, 7, 8, 9.
VIII. Es wird mit 1.1 bis 1.5 bzw. 12.1 bis 12.15 auf die von der Einsprechenden vorgeschlagene Gliederung der Merkmale der unabhängigen Ansprüche 1 und 12 des von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Patents gemäß dem damaligen ersten Hilfsantrag Bezug genommen (siehe Beschwerdebegründung, Seiten 4 bis 6).
Die Eingaben des Einsprechenden werden wie folgt bezeichnet:
O1: Beschwerdebegründung, eingereicht am 23. Mai 2022,
O2: Schreiben vom 30. Januar 2022 [sic], eingereicht am 30. Januar 2023,
Die Eingaben des Patentinhabers werden wie folgt bezeichnet:
P1: Beschwerdeerwiderung, eingereicht am 29. September 2022,
P2: Schreiben vom 30. März 2023.
IX. Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag lautet:
"1.1 Verfahren zum Regeln zumindest einer Multisäulen-Chromatographie-Anordnung zum kontinuierlichen Prozess des Aufreinigens von Biopharmazeutika aufweisend Virenfragmente und/oder Viren und/oder Polypeptide und/oder Proteine und/oder Proteingemische und/oder Gemische beinhaltend Viren, wobei das Verfahren die Schritte aufweist:
- 1.2 Einbringen eines ersten Multikomponentengemisches in eine Säule (2; 26, 28, 30) der Multisäulen-Chromatographie-Anordnung,
- 1.3 Erfassen von mindestens einem multivariaten Signal mittels zumindest eines Detektors (10, 12; 32, 34, 42),
- 1.4 Berechnen von zumindest einem Prozessparameter basierend auf dem multivariaten Signal mittels zumindest eines Datenverarbeitungsprogramms einer Recheneinheit durch Anwendung eines chemometrischen Verfahrens, welches ein trainiertes und validiertes mathematisches Modell umfasst, und
- 1.5 Regeln des Aufreinigungsprozesses durch Regeln zumindest eines regelbaren Stellelements (4) auf Basis des zumindest einen Prozessparameters".
Der Wortlaut des Anspruchs 12 gemäß Hauptantrag lautet:
"12.1 Multisäulen-Chromatographie-Anordnung verwendbar für einen kontinuierlichen Prozess des Aufreinigens von Biopharmazeutika aufweisend Virenfragmente und/oder Viren und/oder Polypeptide und/oder Proteine und/oder Proteingemische und/oder Gemische beinhaltend Viren, wobei die Multisäulen-Chromatographie-Anordnung aufweist:
12.2 a) mindestens eine erste Trennsäule (2; 26, 28, 30) und eine zweite Trennsäule (2; 26, 28, 30) mit jeweils mindestens einem Eingang und jeweils mindestens einem Ausgang,
12.3 b) mindestens eine erste Zufuhrvorrichtung (8), welche geeignet ist zum Befördern von mindestens einem ersten Multikomponentengemisch, wobei die mindestens erste Zufuhrvorrichtung (8) mit dem mindestens einen Eingang der ersten Trennsäule (2; 26, 28, 30) verbunden ist,
12.4 c) mindestens eine erste Abführvorrichtung, welche geeignet ist zum Ableiten eines zweiten Multikomponentengemisches, wobei die mindestens erste Abführvorrichtung mit dem mindestens einen Ausgang der ersten Trennsäule (2; 26, 28, 30) verbunden ist,
12.5 d) mindestens eine zweiten Zufuhrvorrichtung (8), welche geeignet ist zum Befördern von einem zweiten Multikomponentengemisch, wobei die mindestens zweite Zufuhrvorrichtung (8) mit dem mindestens einen Eingang einer zweiten Trennsäule (2; 26, 28, 30) verbunden ist,
12.6 e) mindestens eine zweite Abführvorrichtung, welche geeignet ist zum Ableiten eines dritten Multikomponentengemisches, wobei die mindestens zweite Abführvorrichtung mit dem mindestens einen Ausgang der zweiten Trennsäule (2; 26, 28, 30) verbunden ist,
12.7 f) mindestens einen Detektor (10, 12; 32, 34, 42) zum Detektieren eines multivariaten Signals,
12.8 g) mindestens eine Recheneinheit mit mindestens einem Datenverarbeitungsprogramm mit mindestens einem chemometrischen Rechenverfahren, welches auf einem trainierten und validierten mathematischen Modell beruht,
12.9 wobei die mindestens eine erste Abführvorrichtung mit der mindestens zweiten Zufuhrvorrichtung (8) verbunden ist,
12.10 wobei mindestens eine der ersten und zweiten Zufuhrvorrichtungen (8) und/oder mindestens eine der ersten und zweiten Abführvorrichtungen mindestens ein steuerbares oder regelbares Stellelement (4) aufweist,
12.11 wobei der mindestens eine Detektor (10, 12; 32, 34, 42) nach mindestens einem Ausgang angeordnet ist, und
12.12 wobei der mindestens eine Detektor (10,12; 32, 34, 42) mit der mindestens einen Rechnereinheit gekoppelt ist;
12.13 wobei die mindestens eine Recheneinheit mit dem mindestens einen steuerbaren bzw. regelbaren Stellelement (4) gekoppelt ist und wobei die mindestens eine Recheneinheit ausgelegt ist,
- 12.14 den zumindest einen Prozessparameter basierend auf dem multivariaten Signal zu berechnen und
- 12.15 zumindest ein regelbares Stellelement (4) auf Basis des zumindest einen Prozessparameters zu regeln".
Hilfsanträge 1 bis 7, 1b, 1a, 2b, 2a, 3b, 3a, 4b, 4a, 5b, 5a
Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 7, 1b, 1a, 2b, 2a, 3b, 3a, 4b, 4a, 5b, 5a weist das Merkmal "ein trainiertes und validiertes mathematisches Modell umfasst" auf. Der weitere Wortlaut des Anspruchs 1 ist ohne Bedeutung für diese Entscheidung.
Hilfsantrag 8
Das Merkmal 1.4 des Anspruchs 1 des Hauptantrags wurde in Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 wie folgt geändert:
"Berechnen von zumindest einem Prozessparameter basierend auf dem multivariaten Signal mittels zumindest eines Datenverarbeitungsprogramms einer Recheneinheit durch Anwendung eines chemometrischen Verfahrens, wobei das chemometrische Verfahren ein anhand mehrerer Chromatographieläufe trainiertes und validiertes mathematisches Modell umfasst, wobei zum Training Komponentenkonzentrationen mittels analytischer Verfahren genau bestimmt werden".
Hilfsantrag 9
Das Merkmal 1.4 des Anspruchs 1 des Hauptantrags wurde in Anspruch 1 des Hilfsantrags 9 wie folgt geändert:
"Berechnen von zumindest einem Prozessparameter basierend auf dem multivariaten Signal mittels zumindest eines Datenverarbeitungsprogramms einer Recheneinheit durch Anwendung eines chemometrischen Verfahrens, wobei das chemometrische Verfahren ein anhand mehrerer Chromatographieläufe trainiertes und validiertes mathematisches Modell umfasst, wobei zum Training Komponentenkonzentrationen mittels analytischer Verfahren genau bestimmt werden, wobei das Berechnen von zumindest einem Prozessparameter mittels des einen Datenverarbeitungsprogramms mit dem folgenden chemometrischen Verfahren durchgeführt wird: Berechnungen mittels eines neuronalen Netzes".
1. Hauptantrag - Klarheit
Anspruch 1 ist nicht klar (Artikel 84 EPÜ).
1.1 Anspruch 1 enthält den Schritt des Berechnens eines Prozessparameters "durch Anwendung eines chemometrischen Verfahrens, welches ein trainiertes und validiertes mathematisches Modell umfasst" (Merkmal 1.4). Das Merkmal "welches ein trainiertes und validiertes mathematisches Modell umfasst" wurde während des erstinstanzlichen Einspruchsverfahrens in das Merkmal 1.4 des Anspruchs 1 aufgenommen und ist daher auf das Erfordernis der Klarheit zu prüfen.
1.2 Zulassung des Klarheitseinwands
Der Klarheitseinwand gegen Anspruch 1 ist zuzulassen.
1.2.1 Der Patentinhaber ist der Auffassung, dass der Einsprechende in dem erstinstanzlichen Verfahren einen Klarheitseinwand nur gegen Anspruch 12 des Hauptantrags erhob, nicht jedoch gegen Anspruch 1. Daher sei der aktuelle Klarheitseinwand gegen Anspruch 1 verspätet und nicht zuzulassen (P1, Seite 10).
1.2.2 Die Kammer kann diese Auffassung des Patentinhabers nicht nachvollziehen. Wie von dem Einsprechenden in der mündliche Verhandlung vor der Kammer erklärt, wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung der Klarheitseinwand hinsichtlich des "trainierten und validierten mathematischen Modells" von dem Einsprechenden zuerst gegen den Anspruch 12 vorgebracht. Da die Einspruchsabteilung der Auffassung war, dass das Merkmal des "trainierten und validierten mathematischen Modells" das Erfordernis des Artikels 84 EPÜ erfüllte, "war es nicht sinnvoll die gleichen Einwände zu dem gleichen Merkmal ('trainiertes und validiertes mathematisches Modell'), aber diesmal zu einem anderen Anspruch, erneut vorzubringen" (O2, die Seiten 12 und 13 überbrückender Satz). Der Einwand der mangelnden Klarheit gegen das Merkmal in Anspruch 1 "trainiertes und validiertes mathematisches Modell" wurde somit von der Einsprechenden im erstinstanzlichen Verfahren zumindest implizit erhoben. Es besteht daher kein Grund, den Klarheitseinwand gegen Anspruch 1 nicht in das Verfahren zuzulassen.
1.3 Begründung der mangelnden Klarheit des Anspruchs 1
Das Merkmal in Anspruch 1 "welches ein trainiertes und validiertes mathematisches Modell umfasst" ist unklar aus den folgenden Gründen:
Die Kammer teilt die im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgetragene Auffassung des Einsprechenden, dass "in beiden unabhängigen Ansprüchen [1 und 12] ein Zustand des mathematischen Modells beansprucht" wird (O1, Seite 12, dritter Absatz; Hervorhebung durch die Kammer). Das Trainieren und Validieren an sich eines untrainierten und unvalidierten mathematischen Modells findet nicht während des beanspruchten Verfahrens statt, sondern davor. Das mathematische Modell liegt bereits vor der Ausführung des beanspruchten Verfahrens "zum Regeln einer Multisäulen-Chromatographie-Anordnung" in einem trainierten und validierten, abgeschlossenen Zustand vor.
"Dem erstellten mathematischen Modell kann jedoch nicht 'angesehen' werden, ob es überprüft [validiert] wurde oder nicht. (...) Ähnlich verhält es sich mit einem trainierten mathematischen Modell. Liegt das mathematische Modell vor, ist nicht erkennbar, ob das mathematische Modell trainiert wurde oder nicht trainiert wurde" (O1, Seite 12, vorletzter und letzter Absatz). Wie von dem Einsprechenden weiter vorgetragen, "[i]n dem beanspruchten Zustand lässt sich ein trainiertes und validiertes mathematische Modell jedoch nicht von einem untrainierten und unvalidierten Modell unterscheiden, das durch geschickte Modellierung gefunden wurde. (...) Dadurch lässt sich der Schutzbereich nicht genau erkennen. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 12 erfüllen also nicht die Erfordernisse von Art. 84 EPÜ" (O1, Seite 16, vorletzter und letzter Absatz).
1.4 Das Merkmal in Anspruch 12 "welches auf einem trainierten und validierten mathematischen Modell beruht" ist aus den gleichen Gründen unklar, wie sie oben in Punkt 1.3 für das entsprechende Merkmal in Anspruch 1 angeführt sind.
1.5 Im schriftlichen Verfahren hat der Patentinhaber kein relevantes Gegenargument zu der vom Einsprechenden schriftlich vertretenen Auffassung vorgebracht, dass das mathematische Modell in seinem fertigen Zustand nicht erkennen lässt, ob das mathematische Modell bei seiner Herstellung tatsächlich trainiert und validiert wurde. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer trug der Patentinhaber folgende Argumente für die Klarheit des Anspruchs 1 vor:
1.5.1 Der im vorliegenden Fall in Betracht kommende Fachmann verfügt über fundierte Kenntnisse in Chemie und Mathematik sowie über umfangreiche Erfahrungen mit chemometrischen Berechnungen. Dieses Wissen sei auch in der Patentschrift beschrieben, z.B. in den Absätzen [0049], [0051], [0070], [0072] und [0077]. Aufgrund seines einschlägigen Fachwissens wisse er genau, was ein "trainiertes und validiertes mathematisches Modell" sei. Insbesondere erkenne er eindeutig den Unterschied zwischen einem "trainierten und validierten" und einem "untrainierten und unvalidierten" mathematischen Modell.
1.5.2 Der Patentinhaber verwies auf die Rechtsprechung der Beschwerdekammern, wonach die Ansprüche aus Gründen der Rechtssicherheit zwar klar sein müssten, weil sie dazu dienten, den Schutzbereich des Patents festzulegen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, II.A.1.1). Allerdings sei ein gewisser Aufwand für den Fachmann bei der Abgrenzung des Schutzbereichs in Kauf zu nehmen. Nach der Rechtsprechung müsse der Schutzbereich für den Fachmann "nur" ohne unzumutbaren Aufwand erkennbar sein. Da das "trainierte und validierte mathematische Modell" immer besser sei als das "untrainierte und unvalidierte mathematische Modell", könne der Fachmann dies ohne unzumutbaren Aufwand erkennen. Zudem sei dem Fachmann bekannt, dass mathematische Modelle dieser Art in der Regel käuflich erworben würden, so dass man sich an den Hersteller des Modells wenden könne, um zu erfahren, ob das Modell trainiert worden sei.
1.5.3 Entgegen der Auffassung der Einsprechenden und der Kammer, sei das "trainierte und validierte mathematische Modell" nicht vor der Ausführung des beanspruchten Verfahrens trainiert und validiert worden. Anspruch 1 definiere nämlich keine fertige Vorrichtung, sondern ein Verfahren mit einem Verfahrensschritt in dem das mathematische Modell ausdrücklich verwendet werde. Daher seien das Trainieren und Validieren des mathematischen Modells Verfahrensschritte des beanspruchten Verfahrens.
1.6 Die Kammer ist nicht überzeugt von den Argumenten des Patentinhabers.
1.6.1 Dass der Fachmann aufgrund seines Fachwissens erkennen würde, ob das ihm vorliegende mathematische Modell bereits trainiert und validiert ist oder nicht, ist eine reine Behauptung, die nicht auf überprüfbaren Tatsachen oder sonstigen Beweisen beruht. Wie der Einsprechende in der mündlichen Verhandlung vortrug, kann der Fachmann nicht ad hoc erkennen, ob das Modell trainiert und validiert ist oder nicht. Um dies eindeutig zu erkennen, müsse er das ihm vorliegende Modell mit dem entsprechenden untrainierten und unvalidierten Modell vergleichen können. Ohne diesen Vergleich werde er im Unwissen gelassen, ob das ihm vorliegende Modell bereits trainiert und validiert ist oder ob es zwar untrainiert und unvalidiert ist, aber vom Fachmann auf der Grundlage einschlägiger Erfahrungen mit chemometrischen Berechnungen von Prozessparametern in Aufreinigungsprozessen von Biopharmazeutika ursprünglich so entwickelt wurde, dass es einem trainierten und validierten mathematischen Modell bereits sehr nahe kommt.
1.6.2 Ob das vorliegende mathematische Modell bereits trainiert und validiert ist, ist keine Frage des Ausmaßes oder der Zumutbarkeit des Aufwands, sondern der Kenntnis des ursprünglichen, untrainierten und unvalidierten Zustands des mathematischen Modells. Genau dieser Anfangszustand ist in Anspruch 1 jedoch nicht definiert. Das chemometrische Verfahren, das gemäß Merkmal 1.4 in dem beanspruchten Verfahren verwendet wird, umfasst somit ein mathematisches Modell in einem bestimmten Zustand, der einfach vorliegt und auch nicht mit hohem Aufwand mit einem Anfangszustand des Modells verglichen werden kann. So ist insbesondere aus keinem der technischen Merkmale in Anspruch 1 ersichtlich, dass das mathematische Modell erworben wurde, geschweige denn, wer der Hersteller des mathematischen Modells sein sollte.
1.6.3 Anspruch 1 definiert zwar keine Vorrichtung sondern ein Verfahren. Nichtsdestotrotz definiert der Wortlaut des Merkmals 1.4 "... durch Anwendung eines chemometrischen Verfahrens, welches ein trainiertes und validiertes mathematisches Modell umfasst ..." lediglich den Verfahrensschritt der "Anwendung eines chemometrischen Verfahrens". Dieses verwendete chemometrische Verfahren umfasst eindeutig ein Produkt (das mathematische Modell) in einem bestimmten, fertigen und abgeschlossenen Zustand. Dieses "Umfassen" ist kein Verfahrensschritt, da der Anspruch 1 keine aktive Verbindung zwischen dem chemometrischen Verfahren und dem mathematischen Modell definiert. Das mathematische Modell hängt, wie von dem Einsprechenden während der mündlichen Verhandlung vorgetragen, sozusagen "in der Luft". Es ist einfach nur vorhanden und von dem chemometrischen Verfahren umfasst.
2. Hilfsanträge 1 bis 7, 1b, 1a, 2b, 2a, 3b, 3a, 4b, 4a, 5b, 5a
Die Kammer teilte dem Patentinhaber in der mündlichen Verhandlung ihre vorläufige Meinung mit, dass auf der Grundlage, dass der Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 7, 1b, 1a, 2b, 2a, 3b, 3a, 4b, 4a, 5b, 5a ebenfalls das Merkmal "ein trainiertes und validiertes mathematisches Modell umfasst" aufweist, der Anspruch 1 dieser Hilfsanträge aus denselben Gründen unklar sei wie Anspruch 1 des Hauptantrags. Der Patentinhaber verwies lediglich allgemein auf seinen schriftlichen Vortrag. Da die Kammer jedoch in den Schriftsätzen des Patentinhabers keine weiteren relevanten Argumente zur Frage der Klarheit des Merkmals "trainiertes und validiertes mathematisches Modell" fand, gab es für die Kammer keinen Grund, von ihrer vorläufigen Meinung abzuweichen, die somit endgültig ist.
Infolgedessen ist Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 7, 1b, 1a, 2b, 2a, 3b, 3a, 4b, 4a, 5b, 5a aus denselben Gründen unklar wie Anspruch 1 des Hauptantrags.
3. Hilfsantrag 8
3.1 Zulassung des Hilfsantrags 8
3.1.1 Der Einsprechende beantragte während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, den Hilfsantrag 8 nicht in das Verfahren zuzulassen, weil der Hilfsantrag 8 zu einem sehr späten Zeitpunkt in das Verfahren eingereicht wurde und weil er prima facie nicht den vorliegenden Einwand der mangelnden Klarheit behebe.
3.1.2 Die Kammer kann die Argumente des Einsprechenden nicht nachvollziehen. Da die Einspruchsabteilung in dem erstinstanzlichen Verfahren einen höherrangigen Antrag für gewährbar hielt, bestand für den Patentinhaber kein zwingender Grund, den vorliegenden, weiter eingeschränkten Hilfsantrag 8 bereits im erstinstanzlichen Verfahren zu stellen. Da zudem Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 hinsichtlich des Merkmals des "trainierten und validierten mathematischen Modells" weiter präzisiert wurde, kann nicht behauptet werden, dass die Änderung des Anspruchs 1 den Klarheitseinwand prima facie nicht ausräumt. Daher wird der Hilfsantrag 8 in das Verfahren zugelassen.
3.2 Klarheit
Anspruch 1 ist nicht klar (Artikel 84 EPÜ).
3.2.1 Anspruch 1 enthält wie Anspruch 1 des Hauptantrags das Merkmal, dass das chemometrische Verfahren ein "trainiertes und validiertes mathematisches Modell umfasst". Die im Vergleich zum Anspruch 1 des Hauptantrags hinzugefügte Information, wonach das mathematische Modell ein "anhand mehrerer Chromatographieläufe trainiertes und validiertes mathematisches Modell" ist, ändert nichts an der Tatsache, dass das mathematische Modell sich in einem abgeschlossenen Zustand befindet anhand dessen nicht erkennbar ist, ob das mathematische Modell trainiert und validiert ist. Daher ist Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 aus den gleichen Gründen unklar, wie sie oben in Punkt 1.3 für das entsprechende Merkmal in Anspruch 1 des Hauptantrags angeführt sind.
3.2.2 Gemäß des Patentinhabers gebe Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 eine klare Anweisung wie das mathematische Modell zu verwenden sei, nämlich soll es anhand mehrerer Chromatographieläufe trainiert und validiert werden. Aufgrund des Zusatzes "anhand mehrerer Chromatographieläufe" sei das mathematische Modell jetzt spezifisch auf das beanspruchte Verfahren zugeschnitten, nämlich auf ein Verfahren zur Aufreinigung von Biopharmazeutika. In diesem speziellen Bereich der Herstellung von Biopharmazeutika müssten alle Details des Verfahrens sehr präzise und vollständig angegeben werden, insbesondere ob das in dem chemometrischen Verfahren verwendete mathematische Modell trainiert und validiert sei. Ein untrainiertes und unvalidiertes mathematisches Modell sei nämlich für die Anwendung eines chemometrischen Verfahrens zur Berechnung eines Prozessparameters nicht sinnvoll. Daher erkenne der Fachmann in dem speziellen Bereich der Herstellung von Biopharmazeutika notwendigerweise, dass das mathematische Modell trainiert und validiert ist.
3.2.3 Die Kammer ist nicht überzeugt von dem Argument des Patentinhabers. Entgegen der Auffassung des Patentinhabers definiert auch Anspruch 1 des Hilfsantrag 8 nicht, wie das mathematische Modell in dem chemometrischen Verfahren verwendet wird. Wie Anspruch 1 des Hauptantrags, definiert Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 lediglich, dass das chemometrische Verfahren das mathematische Modell umfasst. Ob und wie das chemometrische Verfahren das mathematische Modell tatsächlich verwendet, bleibt auch im Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 offen. Die Aussage des Patentinhabers, dass auf dem Gebiet der Aufreinigung von Biopharmazeutika, der Fachmann immer und automatisch Kenntnis davon hat, ob das mathematische Modell trainiert und validiert ist, ist eine reine Behauptung, ohne dass eine nachvollziehbare Begründung erfolgt oder ein Beweis erbracht wird.
4. Hilfsantrag 9 - Klarheit
Unbeschadet der Frage, ob der Hilfsantrag 9 in das Verfahren zugelassen werden sollte, ist der Anspruch 1 des Hilfsantrags 9 nicht klar (Artikel 84 EPÜ).
4.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 9 enthält wie Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 das Merkmal, dass das chemometrische Verfahren ein "trainiertes und validiertes mathematisches Modell" umfasst. Die im Vergleich zum Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 hinzugefügte Information, dass das Berechnen eines Prozessparameters nicht nur durch Anwendung eines beliebigen chemometrischen Verfahrens, sondern mittels eines neuronalen Netzes erfolgt, ändert nichts daran, dass auch dieses nun näher spezifizierte chemometrische Verfahren ein "trainiertes und validiertes mathematisches Modell" umfasst. Der genaue Zusammenhang (der Einsprechende benutzte das Wort "Brücke" in der mündlichen Verhandlung) zwischen dem neuronalen Netz und dem mathematischen Modell ist weiterhin undefiniert. Wie der Einsprechende in der mündlichen Verhandlung vortrug, ist das zusätzliche Merkmal des neuronalen Netzes "losgelöst" von dem "trainierten und validierten mathematischen Modell" und kann das mathematische Modell daher nicht klarstellen.
Infolgedessen ist Anspruch 1 des Hilfsantrags 9 aus den gleichen Gründen unklar, wie sie oben in Punkt 1.3 für das entsprechende Merkmal in Anspruch 1 des Hauptantrags angeführt sind.
4.2 Der Patentinhaber machte geltend, dass es sich bei dem chemometrischen Verfahren des Hilfsantrags 9 nicht mehr um ein beliebiges chemometrisches Verfahren, sondern um ein auf einem neuronalen Netz basierendes Verfahren handele. Der Fachmann erkenne das Vorhandensein des neuronalen Netzes strukturell. Es sei allgemein bekannt, dass sich ein neuronales Netz nur in einem trainierten Zustand befinden könne, wenn es in einer Berechnung verwendet wird. Daher sei das Merkmal des "trainierten und validierten mathematischen Modells" klar.
4.3 Die Argumente des Patentinhabers überzeugen die Kammer nicht. Wie von dem Einsprechenden vorgetragen, definiert Anspruch 1 des Hilfsantrags 9 keine Verknüpfung zwischen dem "trainierten und validierten mathematischen Modell" und dem neuronalen Netzes. Insbesondere definiert Anspruch 1 weder, dass das "trainierte und validierte mathematische Modell" ein neuronales Netz ist, noch dass das neuronale Netz trainiert und validiert wird.
5. Aus den oben dargelegten Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass keiner der Anträge der Patentinhaberin gewährbar ist.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.