C. VERFAHREN VOR DEN RECHERCHEN-, PRÜFUNGS-UND EINSPRUCHSABTEILUNGEN
C.3.1 Nutzung von Arbeitsergebnissen - Ständiges System
Mitteilung des Europäischen Patentamts vom 28. Juli 2010 über die geänderte Regel 141 EPÜ und die neue Regel 70b EPÜ - Nutzung von Arbeitsergebnissen
1. Einführung
Das Pilotprojekt zur Nutzung von Arbeitsergebnissen (UPP) (April 2007 bis August 2008) hat gezeigt, dass Arbeiten, die ein nationales Patentamt im Prioritätsjahr einer Erstanmeldung durchführt, bei der Bearbeitung einer Nachanmeldung im EPA weiter genutzt werden können und eine solche Nutzung von Arbeitsergebnissen für das europäische Patentsystem von Vorteil wäre.
Der Verwaltungsrat hat daher beschlossen, ein dauerhaftes System zur Nutzung von Arbeitsergebnissen auf der Grundlage von Artikel 124 EPÜ einzuführen und die Ausführungsordnung zum EPÜ entsprechend zu ändern (s. CA/D 18/09 vom 28. Oktober 2009, ABl. EPA 2009, 585). Die geänderte Regel 141 EPÜ und die neue Regel 70b EPÜ treten am 1. Januar 2011 in Kraft und gelten für europäische Patentanmeldungen (einschließlich Teilanmeldungen) und für internationale Anmeldungen, die ab diesem Datum eingereicht werden.
Ein Grundprinzip des Systems ist, dass die Nutzung der Arbeit der nationalen Ämter und insbesondere der nationalen Recherchenergebnisse stets im Ermessen des EPA-Prüfers liegt. Die Nutzung von Arbeitsergebnissen kann und wird nicht bedeuten, dass die Recherchenergebnisse der nationalen Ämter automatisch wiederverwendet werden.
2. Änderung der Regel 141 EPÜ (Auskünfte über den Stand der Technik)
2.1 Geänderte Regel 141 Absatz 1
Nach der geänderten Regel 141 (1) EPÜ hat ein Anmelder, der im Sinne des Artikels 87 EPÜ die Priorität einer früheren Anmeldung in Anspruch nimmt, eine Kopie der Ergebnisse der von der Behörde oder in deren Namen durchgeführten Recherche einzureichen, bei der die frühere(n) Anmeldung(en) eingereicht worden ist/sind (= Erstanmeldeamt), und zwar
- zusammen mit der europäischen Patentanmeldung oder
- im Fall einer Euro-PCT-Anmeldung bei Eintritt in die europäische Phase.
Regel 141 (1) EPÜ gilt für alle europäischen Patentanmeldungen, für die eine Priorität in Anspruch genommen wird. Werden mehrere Prioritäten in Anspruch genommen, hat der Anmelder für alle betreffenden früheren Anmeldungen Kopien der Recherchenergebnisse des Erstanmeldeamts einzureichen.
Die Verpflichtung des Anmelders nach der geänderten Regel 141 (1) EPÜ erstreckt sich auf Recherchenergebnisse aller Art, unabhängig davon, in welcher Form oder in welchem Format sie vom Erstanmeldeamt erstellt werden (z. B. Recherchenbericht, Auflistung des angeführten Stands der Technik, relevanter Teil des Prüfungsberichts). Die eingereichte Kopie der Recherchenergebnisse muss eine Kopie des vom Erstanmeldeamt vorgelegten offiziellen Dokuments sein. Eine vom Anmelder selbst erstellte Liste des angeführten Stands der Technik ist für die Zwecke der Regel 141 (1) EPÜ nicht ausreichend.
Sind die Recherchenergebnisse des Erstanmeldeamts in einer Sprache abgefasst, die keine Amtssprache des EPA ist, muss keine Übersetzung eingereicht werden.
Eine Einreichung von Kopien der in den Recherchenergebnissen des Erstanmeldeamts aufgeführten Schriftstücke ist nach Regel 141 (1) EPÜ nicht erforderlich.
Liegen die Recherchenergebnisse des Erstanmeldeamts bei Einreichung der europäischen Patentanmeldung oder im Fall einer Euro-PCT-Anmeldung bei Eintritt in die europäische Phase nicht vor, muss der Anmelder die Recherchenergebnisse unverzüglich nach Erhalt beim EPA einreichen. Je früher die Ergebnisse der nationalen Recherche dem EPA zugänglich sind, umso besser ist dies für die Effizienz. Idealerweise liegen sie dem EPA-Prüfer bei der Erstellung des erweiterten europäischen Recherchenberichts bereits vor.
Die Verpflichtung nach Regel 141 (1) EPÜ besteht, solange die europäische Patentanmeldung vor dem EPA anhängig ist.
Bei Euro-Direkt-Anmeldungen und internationalen Anmeldungen, für die das EPA als Bestimmungsamt oder ausgewähltes Amt (Euro-PCT-Anmeldungen) tätig ist, ist das Erstanmeldeamt, bei dem die frühere Anmeldung eingereicht wurde, normalerweise ein nationales oder regionales Amt. Deshalb müssen hier in der Regel Recherchenergebnisse eingereicht werden, die ein nationales Amt zu einer nationalen Patentanmeldung oder einer sonstigen prioritätsbegründenden Anmeldung für ein gewerbliches Schutzrecht (Gebrauchsmuster, Gebrauchszertifikat; s. Art. 87 EPÜ) erstellt hat. Möglich ist auch, dass die Priorität einer internationalen Anmeldung nach dem PCT beansprucht wird. In diesem Fall müssen die Recherchenergebnisse der zuständigen Internationalen Recherchenbehörde eingereicht werden.
Bei europäischen Teilanmeldungen muss die Kopie der Recherchenergebnisse nicht erneut eingereicht werden, wenn sie bereits in Bezug auf die Stammanmeldung eingereicht worden ist. Siehe hierzu auch die Erläuterungen zur neuen Regel 70b EPÜ unten.
2.2 Geänderte Regel 141 Absatz 2
Nach der geänderten Regel 141 (2) EPÜ gilt eine Kopie der Recherchenergebnisse nach Regel 141 (1) EPÜ als ordnungsgemäß eingereicht, wenn sie dem Europäischen Patentamt zugänglich ist und unter den vom Präsidenten des Europäischen Patentamts festgelegten Bedingungen in die Akte der europäischen Patentanmeldung aufzunehmen ist.
Gemäß dieser Vorschrift kann der Präsident des EPA bestimmen, in welchen Fällen die Recherchenergebnisse des Erstanmeldeamts als dem EPA zugänglich gelten und automatisch in die Akte der europäischen Patentanmeldung aufgenommen werden. In solchen Fällen ist der Anmelder von der Verpflichtung befreit, eine Kopie der Recherchenergebnisse einzureichen.
Derzeit ist vorgesehen, die Anmelder in den Fällen von der Verpflichtung zu befreien, eine Kopie der in Regel 141 (1) EPÜ genannten Recherchenergebnisse einzureichen, in denen das EPA bereits einen früheren Recherchenbericht zu einer Anmeldung erstellt hat, deren Priorität in Anspruch genommen wird.
Außerdem beabsichtigt das EPA, zusammen mit interessierten nationalen Ämtern die für den Zugang zu den vom Erstanmeldeamt erstellten Recherchenergebnissen erforderliche elektronische Umgebung zu schaffen. Anmelder, die die Priorität einer bei einem Erstanmeldeamt eingereichten Anmeldung beanspruchen, das an ein solches elektronisches System angeschlossen ist, sind von der Verpflichtung befreit, eine Kopie der Recherchenergebnisse nach Regel 141 (1) EPÜ einzureichen. In diesem Zusammenhang wird derzeit auch geprüft, inwieweit bereits vorhandene Dokumentenaustauschsysteme genutzt werden können.
Das EPA wird baldmöglichst vor dem Inkrafttreten der neuen Bestimmungen einen Beschluss des Präsidenten des EPA nach Regel 141 (2) EPÜ veröffentlichen.
2.3 Geänderte Regel 141 Absatz 3
Gemäß der neuen Regel 141 (3) EPÜ kann das Europäische Patentamt unbeschadet der Absätze 1 und 2 den Anmelder auffordern, innerhalb einer Frist von zwei Monaten Auskünfte zu erteilen über den Stand der Technik im Sinne des Artikels 124 (1) EPÜ.
Regel 141 (3) EPÜ gestattet es dem EPA, Auskünfte zum Stand der Technik anzufordern, der nationalen oder regionalen Patentverfahren zugrunde lag und eine Erfindung betrifft, die Gegenstand der europäischen Patentanmeldung ist. Darunter fallen insbesondere Recherchenergebnisse zu Anmeldungen, deren Priorität in der europäischen Patentanmeldung nicht beansprucht wird. Außerdem ermöglicht dieser Absatz dem EPA, unter anderem die in Regel 141 (1) EPÜ genannte Kopie in Fällen anzufordern, in denen das Recherchenergebnis dem Anmelder zum Zeitpunkt der Anforderung nach der neuen Regel 70b EPÜ nicht vorlag (s. die Erläuterungen zu R. 70b EPÜ unten). Die nicht verlängerbare Frist von zwei Monaten wurde an die Frist in der neuen Regel 70b EPÜ angepasst.
Die Aufforderung nach Regel 141 (3) EPÜ ergeht nur in der Prüfungsphase und nur in Einzelfällen.
3. Neue Regel 70b EPÜ
3.1 Anforderung einer Kopie der Recherchenergebnisse
Die neue Regel 70b (1) EPÜ ergänzt die geänderte Regel 141 EPÜ: Stellt das EPA zum Zeitpunkt, an dem die Prüfungsabteilung zuständig wird, fest, dass eine gemäß Regel 141 (1) EPÜ erforderliche Kopie der relevanten Recherchenergebnisse vom Anmelder nicht eingereicht worden ist und nicht nach Regel 141 (2) EPÜ als ordnungsgemäß eingereicht gilt, so fordert es den Anmelder auf, innerhalb einer nicht verlängerbaren Frist von zwei Monaten
- eine Kopie der Recherchenergebnisse nach Regel 141 (1) EPÜ einzureichen
oder
- eine Erklärung abzugeben, dass diese Recherchenergebnisse nicht vorliegen (z. B. in Fällen, in denen die Recherchenergebnisse dem Anmelder noch nicht vorliegen oder das Erstanmeldeamt keine Recherche zu der früheren Anmeldung durchführt, deren Priorität beansprucht wird).
Unterlässt es der Anmelder, auf die Aufforderung nach Regel 70b (1) EPÜ rechtzeitig zu antworten, so gilt die europäische Patentanmeldung als zurückgenommen (R. 70b (2) EPÜ). Gilt die europäische Patentanmeldung nach der neuen Regel 70b (2) EPÜ als zurückgenommen, weil die nicht verlängerbare Frist von zwei Monaten versäumt wurde, kann Weiterbehandlung beantragt werden.
3.2 Teilanmeldungen
Genießt eine Teilanmeldung ein Prioritätsrecht, erlässt das EPA gegebenenfalls (d. h. wenn für die Teilanmeldung keine Kopie der relevanten Recherchenergebnisse eingereicht wurde) automatisch eine Aufforderung nach Regel 70b (1) EPÜ. Wurden jedoch alle relevanten Recherchenergebnisse bereits in Bezug auf die Stammanmeldung eingereicht, so muss der Anmelder auf die in Bezug auf die Teilanmeldung ergangene Mitteilung nach Regel 70b EPÜ nicht reagieren. Auf diesen Punkt wird der Anmelder in der Aufforderung nach Regel 70b EPÜ ausdrücklich hingewiesen.
Hat der Anmelder hingegen in Bezug auf die Stammanmeldung in Erwiderung auf die Aufforderung nach Regel 70b (1) EPÜ eine Erklärung abgegeben, dass die Recherchenergebnisse nicht vorliegen, so muss er in Bezug auf die Teilanmeldung eine Kopie der relevanten Recherchenergebnisse oder eine neue Erklärung einreichen, dass ihm die Ergebnisse nicht vorliegen.