BESCHWERDEKAMMERN
Mitteilungen der Großen Beschwerdekammer
Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer
Konsolidierte Fassung unter Berücksichtigung der in ABl. EPA 1989, 362; ABl. EPA 1994, 443 und ABl. EPA 2003, 58 veröffentlichten Änderungen.
Artikel 1
Geschäftsverteilungsplan
(1)1 Vor Beginn eines jeden Geschäftsjahres stellen die nach Artikel 11 Absatz 3 EPÜ ernannten Mitglieder der Großen Beschwerdekammer einen Geschäftsverteilungsplan für alle Rechtsfragen auf, die im Laufe des Jahres vorgelegt werden. Der Plan kann im Laufe des Jahres geändert werden.
(2) In dem Verfahren vor der Großen Beschwerdekammer dürfen mindestens vier Mitglieder nicht an dem Verfahren vor der die Rechtsfrage vorlegenden Kammer mitgewirkt haben.
Artikel 2
Vertretung der Mitglieder
(1) Vertretungsgründe sind insbesondere Krankheit, Arbeitsüberlastung und unvermeidbare Verpflichtungen.
(2) Will ein Mitglied vertreten werden, so unterrichtet es den Vorsitzenden der Kammer unverzüglich von seiner Verhinderung.
Artikel 3
Ausschließung und Ablehnung
(1) Das Verfahren nach Artikel 24 Absatz 4 des Übereinkommens ist auch anzuwenden, wenn die Kammer von einem möglichen Ausschließungsgrund auf andere Weise als von dem Mitglied oder einem Beteiligten Kenntnis erhält.
(2) Das betroffene Mitglied wird aufgefordert, sich zu dem Ausschließungsgrund zu äußern.
(3) Vor der Entscheidung über die Ausschließung des Mitglieds wird das Verfahren in der Sache nicht weitergeführt.
Artikel 4
Berichterstatter
(1) Der Vorsitzende der Kammer bestimmt für jede Rechtsfrage eines der Mitglieder der Kammer oder sich selbst als Berichterstatter. Der Vorsitzende kann einen Mitberichterstatter bestimmen.
(2) Ist ein Mitberichterstatter bestimmt worden, so werden die in den Absätzen 3 bis 5 vorgesehenen Maßnahmen vorbehaltlich einer Anordnung des Vorsitzenden gemeinsam vom Berichterstatter und dem Mitberichterstatter getroffen.
(3) Der Berichterstatter führt eine vorläufige Untersuchung der Rechtsfrage durch und kann vorbehaltlich einer Anordnung des Vorsitzenden der Kammer Bescheide an die Beteiligten abfassen. Die Bescheide werden vom Berichterstatter im Auftrag der Kammer unterzeichnet.
(4) Der Berichterstatter bereitet die Sitzungen und mündlichen Verhandlungen der Kammer vor.
(5) Der Berichterstatter entwirft die Entscheidungen.
(6) Ist der Berichterstatter oder der Mitberichterstatter der Ansicht, daß seine Kenntnisse der Verfahrenssprache für die Abfassung von Bescheiden und Entscheidungen nicht ausreichen, so kann er diese in einer anderen Amtssprache entwerfen. Die Entwürfe werden vom Europäischen Patentamt in die Verfahrenssprache übersetzt; die Übersetzungen werden von dem Berichterstatter oder von einem anderen Mitglied der Kammer überprüft.
Artikel 5
Geschäftsstelle
(1) Bei der Großen Beschwerdekammer wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, deren Aufgaben vom Leiter der Geschäftsstellen der Beschwerdekammern wahrgenommen werden.
(2)1 Die nach Artikel 11 Absatz 3 EPÜ ernannten Mitglieder der Großen Beschwerdekammer können dem Leiter der Geschäftsstellen Aufgaben übertragen, die technisch und rechtlich keine Schwierigkeiten bereiten, wie insbesondere Aufgaben betreffend Akteneinsicht, Ladung, Zustellung oder Gewährung von Weiterbehandlung.
(3) Niederschriften über mündliche Verhandlungen und Beweisaufnahmen werden vom Leiter der Geschäftsstellen oder von einem anderen Bediensteten des Amts, den der Vorsitzende dazu bestimmt, angefertigt.
Artikel 6
Beteiligung von Dolmetschern
Soweit erforderlich, sorgt der Vorsitzende der Kammer bei mündlichen Verhandlungen, Beweisaufnahmen und Beratungen der Kammer für Übersetzungen.
Artikel 7
Änderung in der Zusammensetzung der Kammer
(1) Ändert sich die Zusammensetzung der Kammer nach einer mündlichen Verhandlung, so werden die Beteiligten unterrichtet, daß auf Antrag eine erneute mündliche Verhandlung vor der Kammer in ihrer neuen Zusammensetzung stattfindet. Eine erneute mündliche Verhandlung findet auch dann statt, wenn das neue Mitglied dies beantragt und die übrigen Mitglieder der Kammer damit einverstanden sind.
(2) Das neue Mitglied ist an bereits getroffene Zwischenentscheidungen wie die übrigen Mitglieder gebunden.
(3) Ist ein Mitglied der Kammer nach einer Endentscheidung verhindert, so wird es nicht ersetzt. Ist der Vorsitzende verhindert, so unterzeichnet in seinem Auftrag das im Rahmen der Kammer dienstälteste rechtskundige Mitglied der Kammer und bei gleichem Dienstalter das älteste Mitglied.
Artikel 8
Verbindung von Rechtsfragen
Liegen der Kammer mehrere Rechtsfragen gleicher oder ähnlicher Art vor, so kann die Kammer sie in einem gemeinsamen Verfahren behandeln.
Artikel 9
Mündliche Verhandlungen
(1) Ist eine mündliche Verhandlung vorgesehen, so bemüht sich die Kammer darum, daß die Beteiligten vor der mündlichen Verhandlung die erforderlichen Informationen und Unterlagen einreichen.
(2)1 Die Kammer kann eine Mitteilung erlassen, in der auf Punkte, die von besonderer Bedeutung zu sein scheinen, oder auf die Tatsache hingewiesen wird, daß bestimmte Fragen offenbar nicht mehr strittig sind; die Mitteilung kann auch andere Bemerkungen enthalten, die es erleichtern, die mündliche Verhandlung auf das Wesentliche zu konzentrieren.
(3)1 Eine mündliche Verhandlung kann nach dem Ermessen der Kammer nach Eingang eines schriftlichen und begründeten Antrags ausnahmsweise verlegt werden; der Antrag ist so früh wie möglich vor dem anberaumten Termin zu stellen und in Kopie den anderen Beteiligten zu übersenden, die der Kammer so schnell wie möglich mitzuteilen haben, ob sie damit einverstanden sind.
(4)1 Die Kammer ist nicht verpflichtet, einen Verfahrensschritt einschließlich ihrer Entscheidung aufzuschieben, nur weil ein ordnungsgemäß geladener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend ist; dieser kann dann so behandelt werden, als stütze er sich lediglich auf sein schriftliches Vorbringen.
(5)1 Der Vorsitzende leitet die mündliche Verhandlung und stellt ihre faire, ordnungsgemäße und effiziente Durchführung sicher.
(6)1 Ist eine Sache in der mündlichen Verhandlung entscheidungsreif, so stellt der Vorsitzende die abschließenden Anträge der Beteiligten fest und erklärt die sachliche Debatte für beendet. Nach Beendigung der sachlichen Debatte können die Beteiligten nichts mehr vorbringen, es sei denn, die Kammer beschließt, die Debatte wieder zu eröffnen.
(7)1 Die Kammer stellt sicher, daß die Sache am Ende der mündlichen Verhandlung entscheidungsreif ist, sofern nicht besondere Umstände vorliegen. Vor dem Ende der mündlichen Verhandlung kann der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer verkünden.
Artikel 10
Unterrichtung der Beteiligten
Hält die Kammer es für zweckmäßig, den Beteiligten ihre Ansicht über die Beurteilung sachlicher oder rechtlicher Fragen mitzuteilen, so hat das so zu geschehen, daß die Mitteilung nicht als bindend für die Kammer verstanden werden kann.
Artikel 11
Beratung vor der Entscheidung
An einer Beratung nehmen nur die Mitglieder der Kammer teil; der Vorsitzende kann jedoch die Anwesenheit anderer Bediensteter zulassen. Die Beratungen sind geheim.
Artikel 11a
Äußerungsrecht des Präsidenten des Europäischen Patentamts
Die Kammer kann den Präsidenten des Europäischen Patentamts von Amts wegen oder auf dessen schriftlichen begründeten Antrag auffordern, sich zu Fragen von allgemeinem Interesse, die sich im Rahmen eines vor der Kammer anhängigen Verfahrens stellen, schriftlich oder mündlich zu äußern. Die Beteiligten sind berechtigt, zu diesen Äußerungen Stellung zu nehmen.
Artikel 11b
Stellungnahmen Dritter
(1) Im Rahmen eines Verfahrens vor der Kammer können schriftliche Stellungnahmen, die von Dritten eingereicht werden und die in diesem Verfahren zu klärende Rechtsfragen betreffen, nach dem Ermessen der Kammer behandelt werden.
(2) Die Kammer kann im Amtsblatt des Europäischen Patentamts nähere Bestimmungen betreffend diese Stellungnahmen bekanntmachen.
Artikel 12
Reihenfolge bei der Abstimmung
(1) Bei den Beratungen der Kammer äußert zuerst der Berichterstatter, dann ggf. der Mitberichterstatter und, wenn der Berichterstatter nicht der Vorsitzende ist, zuletzt der Vorsitzende seine Meinung.
(2) Die gleiche Reihenfolge gilt für Abstimmungen; auch wenn der Vorsitzende Berichterstatter ist, stimmt er zuletzt ab. Stimmenthaltungen sind nicht zulässig.
Artikel 12a
Begründung von Entscheidungen
Die Entscheidung der Kammer entspricht dem Votum der Mehrheit ihrer Mitglieder. In die Begründung der Entscheidung können auch die Erwägungen einer Minderheit aufgenommen werden, wenn die Kammermitglieder dem mehrheitlich zustimmen.
Die Namen der diese Minderheit bildenden Mitglieder oder deren Anzahl dürfen weder in der Entscheidung selbst noch in der Begründung angegeben werden.
Artikel 13
Stellungnahme zu Rechtsfragen
Für Stellungnahmen zu Rechtsfragen, die der Präsident des EPA der Kammer gemäß Artikel 112 Absatz 1 Buchstabe b des Übereinkommens vorgelegt hat, finden die vorhergehenden Vorschriften ggf. entsprechende Anwendung.
Artikel 14
Verbindlichkeit der Verfahrensordnung
Diese Verfahrensordnung ist für die Große Beschwerdekammer verbindlich, soweit sie nicht zu einem mit dem Geist und Ziel des Übereinkommens unvereinbaren Ergebnis führt.
Artikel 152
Inkrafttreten
Diese Verfahrensordnung tritt am Tage ihrer Genehmigung durch den Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation in Kraft.
1 Änderung eingefügt durch Beschluß der Großen Beschwerdekammer vom 28. Oktober 2002 und genehmigt durch den Verwaltungsrat am 12. Dezember 2002 (ABl. EPA 2003, 58).
2 Die von der Großen Beschwerdekammer am 28. Oktober 2002 beschlossenen Änderungen treten am 1. Mai 2003 in Kraft (siehe Artikel 2 dieses Beschlusses i. V. m. Artikel 2 des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 12. Dezember 2002; ABl. EPA 2003, 58).