MITTEILUNGEN DES EPA
RECHTSAUSKUNFT DES EUROPÄISCHEN PATENTAMTS Nr. 8/80
Zurücknahme der europäischen Patentanmeldung
Der Anmelder ist an die Zurücknahme der europäischen Patentanmeldung gebunden.
1. An das Europäische Patentamt ist die Frage gerichtet worden, ob eine zurückgenommene Anmeldung auf Antrag des Anmelders wieder in Behandlung genommen werden kann.
2. Die Frage ist dahin zu beantworten, daß der Anmelder an eine wirksame, beim Europäischen Patentamt eingegangene Zurücknahmeerklärung gebunden ist.
Das EPÜ knüpft verschiedene unmittelbare Rechtsfolgen an die Zurücknahmeerklärung des Anmelders. Nach Artikel 67 Absatz 4 EPÜ gelten die Schutzwirkungen der europäischen Patentanmeldung als von Anfang an nicht eingetreten, wenn die europäische Patentanmeldung zurückgenommen worden ist. Der Tag, an dem die europäische Patentanmeldung zurückgenommen worden ist, muß nach Regel 92 Absatz 1 Buchstabe n EPÜ in das Patentregister eingetragen und nach Artikel 129 Buchstabe a im Patentblatt veröffentlicht werden. Nach Regel 48 Absatz 2 EPÜ entscheidet der Zeitpunkt der Zurücknahme darüber, ob eine europäische Patentanmeldung veröffentlicht wird. Jahresgebühren nach Artikel 86 EPÜ können nur fällig werden, solange die europäische Patentanmeldung anhängig ist.
3. Ein geordnetes Erteilungsverfahren und das öffentliche Interesse an Rechtssicherheit erfordern es, daß eindeutig feststeht, in welchem Zeitpunkt die genannten Rechtswirkungen durch die Zurücknahmeerklärung verursacht werden. Ein Schwebezustand, während dessen unsicher bleibt, ob der Anmelder seine Zurücknahmeerklärung nicht etwa widerruft, ist hiermit nicht vereinbar. So würde der Widerruf einer vor Veröffentlichung der Anmeldung erklärten Zurücknahme in die Rechte eines Anmelders eingreifen, gegenüber dessen jüngerer Anmeldung die ältere Anmeldung nach ihrer Zurücknahme nicht mehr zum Stand der Technik nach Art. 54 Abs. 3 EPÜ werden konnte. Auch die Rechte eines Wettbewerbers, der den Gegenstand der Anmeldung nach deren Zurücknahme in Benutzung genommen hat, werden durch einen Wideruf beeinträchtigt, ohne daß das Übereinkommen hierfür einen Ausgleich schaffen würde, wie dies für den Fall des Wiederauflebens einer Anmeldung durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Art. 122 Abs. 6 EPÜ vorgesehen ist. Das Fehlen einer entsprechenden Regelung für den Widerruf der Zurücknahme steht in Einklang damit, daß das Übereinkommen einen solchen Widerruf nicht vorsieht.
4. Die Bindung des Anmelders an die Zurücknahme ergibt sich auch daraus, daß im Übereinkommen an verschiedenen Stellen vorgesehen ist, daß eine Anmeldung als zurückgenommen gilt (z.B. Art. 90 Abs. 3, 91 Abs. 5, 94 Abs. 3, 96 Abs. 3). Abgesehen von den ausdrücklich vorgesehenen Fällen der Weiterführung des Verfahrens (Artikel 121 und 122 EPÜ) ist der Eintritt der Zurücknahmefiktion für den Anmelder bindend, da der eingetretene Rechtsverlust vom Europäischen Patentamt lediglich festgestellt wird (Regel 69 EPÜ). Die Fiktion der Zurücknahme kann aber nicht umfassendere Wirkungen haben als die Zurücknahme selbst. Dies zeigt, daß das Übereinkommen von der Unwiderruflichkeit der Zurücknahmeerklärung ausgeht.
5. Im Fall einer versehentlichen Rücknahme ist die Anwendung der Regel 88 EPÜ in Betracht zu ziehen.1 So kann etwa ein in der Zurücknahmeerklärung durch einen Schreibfehler unrichtig angegebenes Aktenzeichen auf Antrag berichtigt werden. Auf eine Praxis der zuständigen Organe des Europäischen Patentamts kann hinsichtlich der Anwendung der Regel 88 EPÜ auf Zurücknahmeerklärungen noch nicht verwiesen werden.
1 Zur Anwendung der Regel 88 im allgemeinen, insbesondere zu den Anforderungen an den Nachweis eines Fehlers, vgl. die Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer vom 18. Juli 1980, Amtsblatt 9/80, S. 293, J 08/80.