T 0318/23 20-03-2025
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KINDERSITZ ODER BABYSCHALE ZUR ANBRINGUNG AUF EINEM KRAFTFAHRZEUGSITZ
Allison GmbH
Britax Römer Kindersicherheit GmbH
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Zurückverweisung - besondere Gründe für Zurückverweisung (ja)
I. Die Patentinhaberin legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Streitpatent zu widerrufen.
II. Im Einspruchsverfahren hatte die Einspruchsabteilung entschieden, dass
a) das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne;
b) der Gegenstand der Ansprüche in der erteilten Fassung, aber auch in der Fassung der Hilfsanträge 0 - 3, 3a, 4 - 17 über den Inhalt der Stammanmeldung EP 2 861 455 in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe; sowie
c) der Gegenstand der Ansprüche in der erteilten Fassung, aber auch in der Fassung der Hilfsanträge 0 - 3, 3a, 4 - 17 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.
Zudem verwies die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung darauf, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 in erteilter Fassung nicht neu sei gegenüber dem Dokument
D1 EP 2 384 926 A1
III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
a) Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende 2) nahm, wie mit Schreiben vom 13. Februar 2025 angekündigt, nicht an der mündlichen Verhandlung teil.
b) Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent wie erteilt aufrechtzuerhalten, hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf Basis eines der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 0, 1 - 3, 3A, 4 - 17 aufrechtzuerhalten.
c) Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende 1 in der Verhandlung und Einsprechende 2 zuvor schriftlich) beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen.
IV. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
"Kindersitz (10) oder Babyschale zur Anbringung auf einen [sic] Kraftfahrzeugsitz, insbesondere Kraftfahrzeugseitensitz, mit einer Sitzschale (20) und einem an dieser angebrachten Seitenaufprallschutz, der von einer, innerhalb einer vorgegebenen Breite, insbesondere Standardbreite, gelegenen, Ruhestellung in eine, außerhalb der vorgegebenen Breite, insbesondere Standardbreite, gelegene, Funktionsstellung und umgekehrt bringbar ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
der Seitenaufprallschutz, insbesondere beidseitig der Sitzschale (20), so positioniert ist, dass er etwaige Seitenkräfte nicht unmittelbar auf den Körper des Kindes überträgt, sondern hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei überträgt und in die Sitzschale einleitet, wobei der Seitenaufprallschutz ein Seitenelement umfasst, das an einer Seitenfläche (35) der Sitzschale (20) angebracht ist, wobei das Seitenelement (30) in Ruhestellung an einer Seitenfläche der Sitzschale (20), insbesondere im Wesentlichen flach, anliegt, wobei das Seitenelement (30) zur Benutzung in Funktionsstellung ausklappbar oder ausschwenkbar ist, wobei das Seitenelement (30)
oberhalb einer Sitzfläche (60) des Kindersitzes (10) in einem Rückenabschnitt (70), rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes (10), angeordnet ist."
V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Die Entscheidungen der Einspruchsabteilung beruhten auf einer falschen Auslegung des Wortlauts der Ansprüche.
b) Die Erfindung gemäß Hauptantrag könne ausgehend von den im Streitpatent enthaltenen Informationen von einem Fachmann ausgeführt werden.
c) Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hauptantrag werde sowohl in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen des Streitpatents, als auch der Stammanmeldung offenbart.
d) Bei der Entscheidung zur Neuheit habe die Einspruchsabteilung ebenfalls die falsche Auslegung des Wortlauts der Ansprüche verwendet, so dass auch dieser Teil der Entscheidung unter falschen Annahmen erfolgte.
VI. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerinnen lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Die Einspruchsabteilung sei auf der Grundlage ihrer Auslegung zum richtigen Ergebnis gekommen.
b) Der Fachmann könne die Erfindung gemäß Hauptantrag nicht nacharbeiten, da keines der im Streitpatent aufgezeigten Ausführungsbeispiele unter den Wortlaut des unabhängigen Anspruch des Hauptantrags fiele.
c) Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hauptantrag werde weder in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen offenbart, noch in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen der Stammanmeldung.
d) Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hauptantrag sei nicht neu gegenüber D1.
Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ
1. Die Einspruchsabteilung entschied, dass das Streitpatent die Erfindung gemäß Hauptantrag nicht so ausreichend und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
1.1 Aus Sicht der Einspruchsabteilung werden im Streitpatent zwei Gruppen von Ausführungsbeispielen offenbart: eine "Teleskoplösung" in den Figuren 1 - 4, sowie eine "Klapplösung" in den Figuren 5 - 19. Die Erfindung gehöre der zweiten Gruppe an, bei der es jedoch nicht möglich sei, dass die Seitenelemente sowohl "an einer Seitenfläche der Sitzschale angebracht", als auch "in einem Rückenabschnitt, rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes, angeordnet" seien. Dabei zeige keines der Ausführungsbeispiele eine Anbringung sowohl an der Seitenfläche, als auch im Rückenabschnitt.
1.2 Die Kammer teilt diese Einschätzung nicht, sondern ist der Auffassung, dass das Ausführungsbeispiel der Figuren 5 - 9 eine mögliche Ausführungsform der Erfindung zeigt, die unter den Wortlaut des Anspruchs fällt.
1.2.1 Im Rahmen der mündlichen Verhandlung waren sich die Beteiligten einig, dass ein Kindersitz aus einem Sitzabschnitt (auf dem das Kind sitzt) und einem Rückabschnitt (gegen das sich das Kind mit seinem Rücken lehnt) besteht. In der in der mündlichen Verhandlung erstellten Zeichnung (siehe Protokoll) wird der Rückenabschnitt dabei von beiden Beteiligten als der gesamte grün schraffierte Bereich in der oberen Schnittdarstellung angesehen.
Zudem wird als Rückenanlagefläche übereinstimmend die dem Kind zugewandte und mit dem Rücken in Kontakt kommende Oberfläche dieses Rückenabschnitts verstanden. Die Beschwerdeführerin hatte diesen Bereich in der oberen Schnittdarstellung in rot markiert.
1.2.2 Die Seitenelemente sind dabei - entgegen der Entscheidung der Einspruchsabteilung - im Ausführungsbeispiel der Figuren 5 - 9 "im Rückenabschnitt der Sitzschale angeordnet".
a) Wie von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, kann die Sitzschale gedanklich in einen Sitzabschnitt und einen Rückenabschnitt unterteilt werden. Im Verständnis der Kammer müssen diese Abschnitte nicht zwingend eigenständige Bauteile darstellen, aus denen der Kindersitz zusammengesetzt wird, sondern können auch generische Teilbereiche einer einstückigen Sitzschale sein. Maßgeblich für den Rückenabschnitt ist lediglich, dass dieser Teil der Sitzschale den Rücken des in der Sitzschale sitzenden Kindes stützt.
b) Die Präposition "in" im Ausdruck "angeordnet in einem Rückenabschnitt" ist dabei im Verständnis der Kammer nicht als im Inneren des als Rückenabschnitts bezeichneten Teils des Kindersitzes anzusehen. Das Seitenelement soll sich ja gerade in der Funktionsstellung bis in einen Bereich außerhalb der vorgegebenen Breite des Kindersitzes erstrecken und wird dazu ausgeklappt, so wie auch in Figur 6 und 7 dargestellt. Das Seitenelement kann dabei nicht im Inneren der Sitzschale angeordnet werden, sondern muss zwingend außerhalb angeordnet sein. Der Ausdruck "in einem Rückenabschnitt" spezifiziert daher im Verständnis der Kammer nicht, dass das Seitenelement innerhalb der Wandung dieses Rückenabschnitts angeordnet sein muss.
c) Stattdessen versteht die Kammer den Ausdruck "in einem Rückenabschnitt" als eine generische Lageangabe im Sinne einer räumlichen Zuordnung, d.h. die Seitenelemente sind dem Rückenabschnitt des Kindersitzes zu- und dort angeordnet, und nicht dem Sitzabschnitt.
1.2.3 Der Bereich, in dem die Seitenelemente im Ausführungsbeispiel der Figuren 5 - 9 angeordnet sind, liegt zudem auch "rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes".
a) Entgegen der Argumentation der Beschwerdegegnerinnen bezieht sich die Lageangabe dabei nicht nur auf den Bereich des Rückenabschnitts innerhalb der Projektionsfläche der Rückenanlagefläche, sondern die Rückenanlagefläche bildet eine Referenzebene derart, dass jeder Bereich des Rückenabschnitts, der hinter dieser Referenzebene liegt, als rückwärtig der Rückenanlagefläche anzusehen ist.
b) Damit sind aber auch die in den Figuren 5 und 6 gezeigten Seitenelemente in einen Bereich angeordnet, der als "rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes" anzusehen ist, auch wenn dieser Bereich seitlich etwas versetzt hinter der Rückenanlagefläche liegt.
1.2.4 Die in Figur 5 und 6 gezeigten Seitenelemente (30, 31) liegen gemäß Absatz [0033] zudem auch plan an der Seitenfläche der Sitzschale an bzw. stehen davon rechtwinklig ab. Aus den Detailzeichnungen der Figuren 7, 8 und 9 ist ersichtlich, dass das Seitenelement (30) dabei um eine Achse (32) rotiert, welche mittels einer Halterung an der Seitenwand (20) befestigt ist. Beide Seitenelement sind somit in diesem Ausführungsbeispiel an der Seitenwand der Sitzschale angebracht.
a) Im Verständnis der Kammer setzt der Anspruchswortlaut nicht voraus, dass das Seitenelement direkt und unmittelbar mit der Seitenwand verbunden sein muss, sondern auch eine mittelbare Befestigung des Seitenelements an der Seitenwand (beispielsweise über eine an der Seitenwand angebrachten Platte) fällt unter den Wortlaut des Anspruchs.
b) In diesem Zusammenhang teilt die Kammer die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass der Begriff "angebracht" nicht als in der Bedeutung gänzlich deckungsgleiches Synonym zum Begriff "befestigt" anzusehen ist.
Allerdings ist jeder an einer Oberfläche befestigte Gegenstand auch dort angebracht, d. h. das über die Halterung an der Seitenwand befestigte Seitenelement des Ausführungsbeispiels der Figuren 4 - 9 ist auch als "an der Seitenwand der Sitzschale angebracht" anzusehen.
Umgekehrt aber kann ein im Bereich der Seitenwand angeordnetes Bauteil, das aber beispielsweise über einen Arm nur an der Rückwand des Rückenabschnitts befestigt ist, nicht als an der Seitenwand angebracht angesehen werden, da es nicht mit der Seitenwand direkt oder indirekt verbunden ist.
1.2.5 Die Beschwerdegegnerinnen argumentierten ferner, dass dem Fachmann beim Nacharbeiten der Erfindung nicht klar sei, wie mit den in den Figuren 5 und 6 gezeigten Seitenelementen Seitenkräfte so übertragen werden können, dass sie nicht auf den Körper des Kindes wirken, sondern "hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei" übertragen werden könnten.
a) Die beiden Seitenelemente seien nach Auffassung der Beschwerdegegnerinnen beabstandet voneinander an der Sitzschale befestigt, so dass eine Übertragung von dem einen Seitenelement direkt auf das andere nicht möglich sei und so unweigerlich auch Kräfte auf das Kind übertragen würden.
b) Die Kammer stellt fest, dass der Wortlaut des Anspruchs nicht verlangt, dass die einwirkende Kraft von dem einen Seitenelement direkt auf das andere übertragen wird. Ganz im Gegenteil nennt bereits der unabhängige Anspruch sogar eine Krafteinleitung über das Seitenelement in die Sitzschale.
c) Des weiteren ist es aus Sicht der Kammer für den Fachmann offensichtlich, dass die in den Figuren 5 und 6 gezeigten Seitenelemente derart über die Kontur der Sitzschale seitlich vorstehen, dass bei einer seitlichen Krafteinwirkung (beispielsweise einem Unfall, bei dem ein Fahrzeug seitlich in die Tür fährt) als erstes das seitlich vorstehende Seitenelement mit der sich verformenden Seitenwand des Fahrzeugs in Kontakt kommt (und nicht das im Kindersitz sitzende Kind) und so die einwirkende Kraft über das Seitenelement in die Sitzschale geleitet wird, ohne dabei auf den Körper des Kindes einzuwirken.
d) Ob die Kraft dann in der Sitzschale flächig verteilt wird (wie von der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung angenommen) ist dabei irrelevant, da die Sitzschale im Vergleich zum Körper des Kindes wesentlich steifer ist und daher die Kraft, sobald sie in die Sitzschale eingeleitet wurde, immer hinter dem Rücken des Kindes vorbei abgeleitet und nicht wieder auf das Kind übertragen wird.
1.3 Entgegen der Entscheidung der Einspruchsabteilung fällt das in den Figuren 5 - 9 gezeigte Ausführungsbeispiel daher unter den Wortlaut des Anspruchs und offenbart dem Fachmann daher wenigstens eine Möglichkeit, die Erfindung gemäß Hauptantrag auszuführen.
Änderungen (Artikel 100 c) EPÜ) gegenüber der ursprünglich eingereichten Fassung der Stammanmeldung
2. Die Einspruchsabteilung entschied, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hauptantrag nicht in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen in der Stammanmeldung EP 2 861 455 offenbart war.
2.1 Die Einspruchsabteilung bemängelte, dass die Kombination der Merkmale "Seitenelement ist an einer Seitenfläche der Sitzschale angebracht", "Seitenelement ist ausklappbar oder ausschwenkbar" und "Seitenelement ist in einem Rückenabschnitt, rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes, angeordnet" nicht in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen der Stammanmeldung offenbart wird.
2.2 Aus Sicht der Kammer beruht der unabhängige Anspruch des Hauptantrags auf einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1, 2, 3, 6 und 7, ergänzt durch die Information aus der Beschreibung, dass die Seitenelemente an der Seitenwand angebracht sind.
2.2.1 Der ursprünglich eingereichte Anspruch 2 definiert ein Seitenelement, das in Ruhestellung an einer Seitenfläche der Sitzschale anliegt und gemäß Anspruch 3 ausschwenkbar ist, d.h. das Seitenelement ist an der Seitenfläche der Sitzschale vorgesehen.
a) Die Beschwerdegegnerinnen argumentierten, dass der unabhängige Anspruch des Hauptantrags verlange, dass das Seitenelement an der Seitenfläche angebracht sei, was über die Offenbarung der Ansprüche 2 und 3 der Stammanmeldung hinausgehe.
b) Die Kammer stellt jedoch fest, dass auf Seite 14, Zeilen 10 - 13 offenbart wird, dass der erfindungsgemäße Seitenaufprallschutz "an einer Seitenfläche ... angebracht ist".
c) Zudem wird aus der gesamten Stammanmeldung in ursprünglich eingereichter Fassung deutlich, dass der erfindungsgemäße Seitenaufprallschutz durch die ausklappbaren oder teleskopierbaren Seitenelemente gebildet wird (z. B. Seite 3, Zeilen 18-20: "Gemäß einer Ausführungsform der Erfindung umfasst der Seitenaufprallschutz ein Seitenelement" oder Seite 12, Zeilen 8/9: "Der Seitenaufprallschutz besteht aus einem als Klappteil 31 ausgebildeten Seitenelement 30").
2.2.2 Der ursprünglich eingereichte Anspruch 6 der Stammanmeldung definiert, dass das Seitenelement oberhalb einer Sitzfläche des Kindersitzes angeordnet ist.
2.2.3 Der ursprünglich eingereichte Anspruch 7 der Stammanmeldung bezieht sich auf alle vorhergehenden Ansprüche zurück (und damit auch auf Ansprüche 2, 3 und 6) und definiert ferner, dass das Seitenelement "in einem Rückenabschnitt (70), insbesondere rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes (10) angeordnet ist".
a) Die Einspruchsabteilung sah diesen Rückbezug als nur theoretische Möglichkeit an, die der Fachmann aber als nicht umsetzbar ansehen würde und daher verwerfen würde, da die Anbringung an einer Seitenwand einer Anordnung des Seitenelements im Rückenabschnitt widersprechen würde.
b) Wie vorstehend zur Ausführbarkeit dargelegt, beruht diese Einschätzung auf einer nicht haltbaren Auslegung des Wortlauts des Anspruchs. Die Kammer sieht die beiden Angaben (an der Seitenwand, im Rückenabschnitt) gerade nicht als widersprüchlich an, so dass der Fachmann durchaus den Rückbezug des ursprünglich eingereichten Anspruchs 7 auf alle vorstehenden Ansprüche berücksichtigen würde.
2.2.4 Die Beschwerdegegnerin argumentiert zudem, dass die Passage auf Seite 14 der ursprünglich eingereichten Stammanmeldung Teil der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels sei. Die Aufnahme des Merkmales "Seitenelement ist an der Seitenwand des Kindersitzes angebracht" stelle daher eine unzulässig Zwischenverallgemeinerung dar.
a) Aus Sicht der Beschwerdegegnerin sei die Anbringung an der Seitenfläche des Kindersitzes nicht isoliert der Beschreibung entnehmbar, sondern die Anbringung sei untrennbar nur mit der spezifischen Befestigung des Seitenelement über eine Abdeckplatte an der Seitenwand des Kindersitzes wie in den Figuren 7 - 9 gezeigt offenbart.
b) Die Kammer kann sich dieser Argumentation nicht anschließen, da die konkrete Ausgestaltung der Befestigung aus ihrer Sicht vorliegend nicht relevant ist. Wesentlich für die Funktionsweise des Seitenaufprallschutzes ist die räumliche Anbringung des Seitenelements an der Seitenwand im Bereich des Rückenabschnitts hinter der Rückenanlagefläche, nicht jedoch wie dieser mit der Seitenwand konkret verbunden wird.
c) Dies ist letztlich auch daran zu erkennen, dass in der Beschreibung die Abdeckplatte nur dahingehend beschreiben wird, dass sie die Betätigungsmechanik zum Ausklappen des Seitenelements verdeckt (Seite 12, Zeilen 25 - 27: "... dass eine Mechanik, durch welche der Halteriegel 34 betätigt wird, durch eine Abdeckplatte 42 abgedeckt ist.")
d) Die konkreten Details, wie das Seitenelement an der Seitenwand des Kindersitzes angebracht ist, sind daher nicht untrennbar mit der in den Anspruch aufgenommenen Information verbunden. Daher liegt keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor.
2.2.5 Schließlich bemängeln die Beschwerdegegnerinnen noch, dass in der Stammanmeldung der Begriff "vorgegebene Breite" nur in Kombination mit einer Vielzahl an weiteren Merkmalen verwendet werde, so dass die isoliert aufgenommene Bedingung "Funktionsstellung liegt außerhalb der vorgegebenen Breite" eine unzulässige Änderung darstelle.
a) Die Kammer stellt fest, dass die Beschwerdegegnerinnen hier keine konkreten Merkmale nennen, mit denen das aufgenommene Merkmal strukturell oder funktional untrennbar verbunden sein soll, so dass der Einwand letztlich nur eine unsubstantiierte Behauptung ist.
b) Zudem wird auf Seite 3 der ursprünglich eingereichten Beschreibung der Stammanmeldung Bezug genommen auf die vorgegebene Breite, ohne weitere strukturelle Merkmale des Kindersitzes zu nennen, so dass der Einwand auch inhaltlich unzutreffend ist.
2.3 Der in Anspruch 1 des Streitpatents beanspruchte Gegenstand beruht daher entgegen der Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht auf einer unzulässigen Änderung gegenüber der Stammanmeldung.
Änderungen (Artikel 100 c) EPÜ) gegenüber den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen
3. Die Einspruchsabteilung entschied, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hauptantrag nicht in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen offenbart war.
3.1 Aus Sicht der Kammer beruht der unabhängige Anspruch des Hauptantrags jedoch auf einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 - 4 und 7.
Im Gegensatz zu Anspruch 2 der Stammanmeldung wird im ursprünglich eingereichten Anspruch 3 bereits definiert, dass der Seitenaufprallschutz ein Seitenelement umfasst, das an einer Seitenfläche der Sitzschale angebracht ist.
3.2 Die von der Einspruchsabteilung analog zur Frage der Erweiterung gegenüber der Stammanmeldung vorgetragene Argumentation, der Fachmann würde den theoretisch möglichen Rückbezug des ursprünglich eingereichten Anspruchs 7 auf alle vorhergehenden Ansprüche verwerfen, ist aus den gleichen Gründen wie in Abschnitt 2.2.3 angegeben nicht überzeugend.
3.3 Die Kammer teilt daher nicht die Entscheidung der Einspruchsabteilung, sondern sieht den Hauptantrag als nicht unzulässig geändert gegenüber den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen an.
Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
4. Die Einspruchsabteilung entschied, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hauptantrag nicht neu sei gegenüber D1.
4.1 Die Einspruchsabteilung sah dabei die Anbringung der Seitenelemente der D1 als "an der Seitenfläche der Sitzschale" an, wobei sie die Rückenlehne ("backrest" 5) als Teil der Seitenfläche verstand.
4.2 Wie vorstehend zur Ausführbarkeit in Punkt 1.2.4 d) ausgeführt, sieht die Kammer eine Anordnung der Seitenelement am rückseitigen Teil des Rückenabschnitts ohne physikalische Verbindung zur Seitenfläche nicht als auch an der Seitenfläche des Kindersitzes angebracht an.
4.3 Die Entscheidung der Einspruchsabteilung beruhte daher auf einer unzutreffenden Auslegung des Wortlauts des unabhängigen Anspruchs des Hauptantrags.
Zurückverweisung (Artikel 11 VOBK)
5. Die Einspruchsabteilung hat zu den weiteren von den Einsprechenden im Einspruchsverfahren vorgebrachten Neuheitseinwänden und den Einwänden der fehlenden erfinderischen Tätigkeit keine Entscheidung getroffen.
5.1 Hinsichtlich des das Dokument D1 betreffenden Neuheitseinwandes beruht die Entscheidung der Einspruchsabteilung, wie oben dargelegt, auf einer fehlerhaften Auslegung des Wortlauts des unabhängigen Anspruchs . Die Frage der Neuheit muss daher erneut unter Verwendung der korrekten Auslegung beurteilt werden.
5.2 Die Kammer sieht in diesen Umständen besondere Gründe im Sinne des Artikels 11 VOBK, die die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung rechtfertigen. Die in der mündlichen Verhandlung anwesenden Beteiligten sprachen sich explizit für eine Zurückverweisung aus.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Behandlung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.