T 2662/17 22-04-2021
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ERMITTLUNG UND LOKALISIERUNG DES SCHIMMELBEFALLS IN INNENRÄUMEN
Institut für Biologie + Nachhaltigkeit IBN /
Verband Baubiologie VB e.V.
Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierte Sachverständiger e.V.
Verein Deutscher Ingenieure e.V.
Gesamtverband Schadstoffsanierung e.V. (GVSS)
Änderung des Vorbringens - Änderung zugelassen (ja)
Änderung des Vorbringens - Hauptantrag
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Änderung nach Ladung - Hilfsantrag
I. Die Patentinhaberin hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent Nr. 2396639 zu widerrufen, Beschwerde eingelegt.
II. Gemäß der Entscheidung der Einspruchsabteilung war das Patent wie erteilt, d.h. der damalige Hauptantrag, dergestalt geändert, dass dessen Gegenstand über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausging (Artikel 100 (c) EPÜ). Die in dem Anspruch 1 der damaligen Hilfsanträge 1 bis 3 definierte Erfindung war laut der angefochtenen Entscheidung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen konnte (Artikel 83 EPÜ).
III. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020, die als Anlage einer Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige und unverbindliche Meinung zu bestimmten, wesentlichen Aspekten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens mit.
IV. In Antwort auf die Mitteilung der Kammer reichte der Patentinhaber (Beschwerdeführer) mit Schreiben vom 22. März 2021 einen neuen Hauptantrag und einen neuen Hilfsantrag ein.
V. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 22. April 2021 statt.
VI. Der Patentinhaber (Beschwerdeführer) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage der Ansprüche des Hauptantrags oder des Hilfsantrags.
VII. Die in der mündlichen Verhandlung anwesenden Einsprechenden (OP1, OP2, OP5, OP6, OP8) beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen.
VIII. Die vorliegende Entscheidung nimmt Bezug auf das folgende, aus dem erstinstanzlichen Verfahren bereits bekannte Dokument:
OP4-D1: "Schimmelpilze und Bakterien in Gebäuden", G. Hankammer et al., 2003, Seiten 187 bis 189, 209 bis 213, 222, 223, 244, 245, 249 und 250.
IX. Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag lautet:
"Verfahren zur effizienten Ermittlung des Befalls von Innenräumen oder dafür zu verwendender Baustoffe mit Schimmelpilzen und anderen Mikroorganismen durch die Entnahme von Materialproben (M) und der anschließenden Analyse dieser Proben, wobei für die Probenentnahme die Orte des Pilzbefalles ermittelt werden, indem wenigstens eine der drei nachfolgenden Prüfarten zur Anwendung kommt, dadurch gekennzeichnet, dass
- im ersten Schritt durch wenigstens zwei Prüfungen von den drei Prüfarten- Geruchsprüfung (G) und/oder- Feuchtigkeitsmessung (F) und/oder- Temperaturmessung (T) und/oder [sic]
jeweils ein räumliches Profil (P1, P2) der Abweichungen vom jeweiligen Normalwert erstellt wird, und
- im zweiten Schritt für jeden Ort der Prüfung die ermittelten Werte der Abweichung vom Normalwert aus beiden gewählten Prüfarten zu einem Gesamtprofil (Pg) addiert werden, und
- im dritten Schritt eine Materialprobe (M) zumindest an einem Ort entnommen wird, an dem die Summe der Abweichungen vom Normalwert aus beiden Prüfarten relativ groß ist."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass der zweite Schritt des Verfahrens wie folgt geändert wurde (Änderungen unterstrichen):
"im zweiten Schritt die Ergebnisse der beiden Prüfungen miteinander kombiniert werden, indem für jeden Ort der Prüfung die ermittelten Werte der Abweichung vom jeweiligen Normalwert aus beiden gewählten Prüfarten zu einem Gesamtprofil (Pg) addiert werden".
1. Hauptantrag
1.1 Zulassung
Die Kammer lässt in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 und 13 (2) VOBK 2020 den Hauptantrag in das Beschwerdeverfahren zu.
1.1.1 Mit der Beschwerdebegründung eingereichter Hauptantrag
Anspruch 1 des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags wurde dahingehend geändert, dass zwei Prüfarten aus einer Liste von drei anstatt vier Prüfarten auszuwählen sind.
Die Kammer bemerkt einerseits, dass die Einsprechenden ausgiebig zur fehlenden Ausführbarkeit der Erfindung sowohl in ihren jeweiligen Einspruchsschriften als auch während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgetragen haben. Daher hätte der Patentinhaber eindeutige Gründe gehabt, in Reaktion auf diesen Einwand Änderungen der Ansprüche bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens einzureichen.
Andererseits ist zu berücksichtigen, dass gemäß der damaligen Mitteilung der Einspruchsabteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung die Erfindung ausreichend offenbart gewesen zu sein schien, um sie auszuführen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass durch die Streichung einer der vier Prüfarten in Anspruch 1 der in der angefochtenen Entscheidung, Punkt 20.2, angegebene Grund für die mangelnde Offenbarung beseitigt wurde. Dadurch hat sich der Umfang der Diskussion hinsichtlich der ausreichenden Offenbarung im Vergleich zu den der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Anspruchssätzen reduziert anstatt erweitert. Auch sind keine zusätzlichen Probleme durch die Streichung der vierten Prüfart entstanden.
In Abwägung dieser Faktoren kommt die Kammer zum Schluss, dass der Anspruchssatz gemäß dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrag in das Verfahren zuzulassen ist (Artikel 12 (4) VOBK 2007).
1.1.2 Mit Schreiben vom 22. März 2021 eingereichter Hauptantrag
Der Anspruchsatz des vorliegenden Hauptantrags wurde gegenüber dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anspruchssatz dahingehend geändert, dass in dem Unteranspruch 10 das Wort "gleichzeitig" hinzugefügt wurde. Somit wurde Anspruch 10 in seine der erteilten Fassung entsprechenden Form zurückgebracht.
Diese Änderung des Unteranspruchs 10 stellt eine geringfügige Änderung, offensichtlich in Reaktion auf ein irrtümliches Weglassen des genannten Worts im ursprünglichen Hauptantrag, dar. In dem vorliegendem Fall betrachtet die Kammer diese geringfügige Änderung als einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK 2020 und lässt daher den geänderten Hauptantrag in das Beschwerdeverfahren zu.
1.2 Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 weist im Hinblick auf das Dokument OP4-D1 keine erfinderische Tätigkeit auf (Artikel 56 EPÜ).
1.2.1 Aufgrund der während der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Argumente der Einsprechenden OP5/OP6 und OP1/OP2, sowie der Argumente in den Beschwerdeerwiderungen der Einsprechenden (siehe z.B. Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden OP5/OP6, Punkte 89 bis 108; Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden OP8, Seite 5, zweiter bis vierter Absatz; Seite 7, letzter Absatz bis Seite 8, letzter Absatz), ist die Kammer der Ansicht, dass das in OP4-D1, Seite 188, Abbildung 5.1, offenbarte Verfahren das Verfahren des Anspruchs 1 nahelegt.
a) Es geht nicht ausdrücklich aus OP4-D1 hervor, dass
i) durch zwei Prüfungen von den drei Prüfarten jeweils ein räumliches Profil der Abweichungen vom jeweiligen Normalwert erstellt wird, und
ii) für jeden Ort der Prüfung
iii) die ermittelten Werte der Abweichung vom Normalwert aus beiden gewählten Prüfarten zu einem Gesamtprofil addiert werden und
iv) eine Materialprobe an einem Ort entnommen wird, an dem die Summe der Abweichungen relativ groß ist.
b) Hierzu wird auf die Kästchen in der Abbildung 5.1 von OP4-D1 "Feuchtigkeitsmessungen/Einsatz-Schimmel-Spürhund", "Lokalisierung/Markierung", "Bauteilöffnung" und "mikrobiologische Materialanalyse" verwiesen.
c) Wie in der Beschwerdebegründung der Einsprechenden OP5/OP6, Punkte 96 und 97, vorgetragen, ist das Merkmal (i) aufgrund der Feuchtigkeitsmessungen und der Geruchsprüfung durch einen Schimmel-Spürhund implizit in OP4-D1 offenbart. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass der Begriff der Erstellung eines räumlichen Profils keine konkreten technischen Merkmale eines Profils aufweist. Beispielsweise fällt eine rein mentale oder auf Papier geschriebene Erstellung eines räumlichen Profils, die auf jeden Fall bei den in OP4-D1 erwähnten Feuchtigkeitsmessungen und Geruchsprüfungen stattfinden würde, unter diesen Begriff des Anspruchs 1. Ohne eine solche zumindest gedankliche Erstellung eines Gesamtprofils wäre die in Abbildung 5.1 von OP4-D1 erwähnte Lokalisierung / Markierung der Orte, an denen eine Bauteilöffnung und Materialentnahme zur mikrobiologischen Materialanalyse sinnvoll erscheint, nicht möglich.
d) Um die mit Schimmel befallenen Stellen genauer zu lokalisieren, ist es für den Fachmann aufgrund seiner inhärenten kognitiven Fähigkeiten naheliegend, Feuchtigkeitsmessungen und Geruchsprüfungen an mehreren unterschiedlichen Orten durchzuführen und zwar so, dass die beiden Prüfungen an dem gleichen Ort stattfinden. Es ist offensichtlich unzweckmäßig, die beiden Prüfungen nur an einem einzigen Ort oder an mehreren, aber jeweils verschiedenen Orten durchzuführen. Daher liegt dem Merkmal (ii) keine erfinderische Tätigkeit zugrunde.
e) Die beiden Begriffe "Feuchtigkeitsmessungen" und "Einsatz-Schimmel-Spürhund" sind in OP4-D1, Abbildung 5.1, durch einen Schrägstrich getrennt, d.h. die beiden Begriffe stehen einzeln und gleichwertig nebeneinander. OP4-D1 offenbart daher nicht ausdrücklich, die Ergebnisse der beiden Prüfarten zu einem Gesamtprofil zu addieren und die Summe als Hinweis für die Entnahme einer Materialprobe zu verwenden. Für den Fachmann ist es jedoch offensichtlich, diese Ergebnisse miteinander zu verknüpfen, um die Wahrscheinlichkeit, einen mit Schimmel befallenen Ort für die Entnahme von Materialproben auszuwählen, zu erhöhen. In diesem Zusammenhang wird auf die Aussage des Patentinhabers in der Beschwerdebegründung, Seite 5, letzter Absatz, verwiesen: "Der vorliegend patentierten Erfindung liegt die grundsätzliche Idee zugrunde, durch Berücksichtigung mehr als einer Prüfart die Wahrscheinlichkeit, einen tatsächlich befallenen Ort zu beproben, vorteilhaft zu erhöhen (...). In dieser Allgemeinheit ist diese grundsätzliche Idee nicht neu, denn auch der Stand der Technik schlägt unzweifelhaft und unbestritten vor, mehr als eine Prüfart in Kombination einzusetzen".
f) Gemäß Anspruch 1 werden die Ergebnisse "zu einem Gesamtprofil addiert". Anspruch 1 lässt jedoch die genaue Bedeutung des Merkmals "zu einem Gesamtprofil addiert" offen. Auch die Beschreibung gibt keine präzise Definition dieses Merkmals. Vor allem geht aus dem Patent nicht hervor, dass dem Wort "addiert" im Zusammenhang des zweiten Schritts des Anspruchs 1 die Bedeutung einer rein mathematischen Operation im Sinne einer Addition von zwei konkreten Zahlenwerten zugeteilt werden muss. In Abwesenheit einer eindeutigen Definition der Begriffe "die ermittelten Werte", "Abweichung vom Normalwert", "Gesamtprofil" und "addiert" ist die in Anspruch 1 erwähnte Addition von Abweichungswerten zu einem Gesamtprofil auch im Sinne einer allgemeinen Kombination, Verknüpfung oder Zusammenbetrachtung von qualitativen Faktoren auszulegen (siehe Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden OP5/OP6, Punkte 91 und 99). Beispielsweise fallen die von der Einsprechenden OP8 in ihrer Beschwerdeerwiderung, Seite 5, genannten, qualitativen Faktoren "relativ kühl", "relativ feucht" und "relativ muffig" unter den Wortlaut des Anspruchs 1 "räumliches Profil der Abweichungen vom jeweiligen Normalwert". Weiter beispielsweise könnte das in Anspruch 1 definierte Profil offensichtlich aus qualitativen Prüfergebnissen wie "gering", "mittelmäßig" und "stark" erstellt werden.
g) Aus den in Punkten e) und f) angegebenen Gründen fehlt es den Unterscheidungsmerkmalen (iii) und (iv) des Anspruchs 1 hinsichtlich der Kombination der beiden Prüfarten und dem Ort der Materialentnahme ebenfalls an einer erfinderischen Tätigkeit.
1.2.2 Der Patentinhaber trug die folgenden Gegenargumente vor:
a) Gemäß dem Patentinhaber werde in dem Verfahren von OP4-D1 kein Geruchsprofil erstellt.
Wie oben in Punkt 1.2.1 c) erläutert, ist zumindest eine gedankliche Erstellung eines Geruchsprofils implizit in OP4-D1 offenbart, da ansonsten die Lokalisierung der Materialentnahme aufgrund der Geruchsprüfung durch den Schimmel-Spürhund nicht möglich wäre.
b) Gemäß dem Patentinhaber offenbare OP4-D1 nicht die gleichzeitige Durchführung der beiden Prüfungen an jedem Ort der Prüfung.
Wie oben in Punkt 1.2.1 d) erläutert, ist eine Durchführung der beiden Prüfungen an dem gleichen Ort naheliegend. Anspruch 1 ist nicht eingeschränkt auf eine gleichzeitige Durchführung der Prüfungen.
c) Gemäß dem Patentinhaber sind die beiden Begriffe "Feuchtigkeitsmessungen" und "Einsatz-Schimmel-Spürhund" in OP4-D1, Abbildung 5.1, durch einen Schrägstrich getrennt, der als "oder" anstatt "und" zu verstehen sei. Auf Seite 245 von OP4-D1, Kapitel 7.3.1, dritter Unterpunkt, seien die Feuchtigkeitsmessungen und die Geruchsprüfungen als "oder-Varianten" offenbart.
Wie oben in Punkt 1.2.1 e) erläutert, weist das Merkmal einer Kombination der Feuchtigkeitsmessungen und der Geruchsprüfungen keine erfinderische Tätigkeit auf.
d) Gemäß dem Patentinhaber entspräche die in Anspruch 1 erwähnte Addition bzw. Summe der Abweichungswerte nicht einer bloßen Kombination der Feuchtigkeitsmessungen und Geruchsprüfung von OP4-D1. Es handele sich im Anspruch 1 um eine engere Auslegung im Sinne einer mathematischen Addition bzw. Summe von Zahlenwerten. Der Patentinhaber sieht sich in dieser Auffassung bestätigt durch die schriftlichen Eingaben der Einsprechenden (z.B. Schreiben der Einsprechenden OP5/OP6 vom 19. Februar 2021, Punkt 7, Seiten 5 bis 9).
Wie oben in Punkt 1.2.1 f) erläutert, ist Anspruch 1 so breit wie technisch sinnvoll auszulegen. Im Lichte sowohl der Beschreibung als auch des vagen Wortlauts des Anspruchs 1 ist die Kammer der Ansicht, dass auch eine Kombination oder Verknüpfung von Messungen im Allgemeinen unter den Begriff "Addition" bzw. "Summe" des Anspruchs 1 fällt. Die Kammer bemerkt, dass die Einsprechenden schriftlich nicht nur eine enge, sondern auch eine breite Auslegung des Begriffs "Addition" bzw. "Summe" vortrugen (siehe z.B. Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden OP5/OP6, Punkte 89 bis 108; Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden OP8, Punkt C, Seiten 4 bis 8; Schreiben der Einsprechenden OP5/OP6 vom 19. Februar 2021, Punkt 8, Seite 9)
2. Hilfsantrag - Zulassung
Die Kammer lässt den Hilfsantrag in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 nicht in das Beschwerdeverfahren zu.
2.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags wurde dahingehend ergänzt, dass nun im zweiten Schritt "die Ergebnisse der beiden Prüfungen miteinander kombiniert werden".
Diese Änderung des Hilfsantrags wurde in Antwort auf den Ladungsbescheid eingereicht. Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, es liegen außergewöhnliche Umstände vor.
Die Kammer erkennt keine außergewöhnlichen Umstände, die eine Änderung des Anspruchs 1 in diesem späten Stadium des Beschwerdeverfahrens rechtfertigen würden. Insbesondere war der in dem Anhang zur Ladung beigefügten Bescheid der Kammer dargelegte Einwand fehlender Neuheit bzw. erfinderischer Tätigkeit dem Patentinhaber bereits vorher bekannt, nämlich anhand der Einwände in der Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden OP5/OP6, Punkte 89 bis 108, und der Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden OP8, Punkt C, Seiten 4 bis 8.
Zusätzlich ist zu bemerken, dass sowohl die breite Auslegung des Begriffs "Addition" als auch der Einwand fehlender Neuheit bzw. erfinderischer Tätigkeit sogar bereits in dem erstinstanzlichen Einspruchsverfahren von den Einsprechenden OP5/OP6 vorgebracht wurden (siehe Schreiben der Einsprechenden OP5/OP6 vom 4. Juli 2017, Punkte 5 bis 30 sowie Punkte 31 bis 47).
Der Patentinhaber hatte somit bereits vor Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer Kenntnis über die Möglichkeit einer breiten Auslegung des Begriffs "Addition" sowie des darauf basierenden Einwands fehlender Neuheit bzw. erfinderischer Tätigkeit. Aufgrund dieser Kenntnis hätte der Hilfsantrag so früh wie möglich eingereicht werden sollen, spätestens jedoch vor der Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer.
Da in dem Ladungsbescheid der Kammer keine neuen Ansichten oder Einwände enthalten sind, liegen keine außergewöhnlichen Umstände vor, die eine Änderung des Anspruchs 1 rechtfertigen würden.
2.2 Der Patentinhaber rechtfertigt das späte Einreichen des Hilfsantrags wie folgt:
2.2.1 Die breite Auslegung des Begriffs "Addition" gemäß der Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden OP5/OP6 sei für den Patentinhaber so "abwegig" gewesen, dass er keine Notwendigkeit sah, einen geänderten Anspruch 1 aufgrund dieser breiten Auslegung einzureichen. Diese Ansicht des Patentinhabers sei durch die Einsprechende OP5/OP6 selber in ihrem Schreiben vom 19. Februar 2021, Punkt 7, Seiten 5 bis 9, bestätigt worden. Die in dem Ladungsbescheid der Kammer mitgeteilte Auslegung des Begriffs "Addition" sei daher überraschend gewesen und veranlasste den Patentinhaber erstmalig einen geänderten Hilfsantrag einzureichen.
Die Kammer kann das Argument des Patentinhabers nicht gelten lassen, wonach erst durch die Übernahme der Kammer in ihrem Ladungsbescheid eines Einwands der Einsprechenden der Patentinhaber die Notwendigkeit sah, einen geänderten Anspruchssatz einzureichen. Durch das Einreichen eines neuen Hilfsantrags erst nach dem Ladungsbescheid sehen sich die Kammer und die Einsprechenden mit einem neuen Sachverhalt konfrontiert, der erstmalig in der mündlichen Verhandlung zur Diskussion stünde. Dies entspricht nicht einer effizienten Verfahrensführung durch den Patentinhaber und widerspricht zudem dem vorrangigen Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen.
2.2.2 Die Änderung sei eine geringfügige Änderung eines einzigen Merkmals des Anspruchs 1. Sie diene lediglich der Klarstellung, wonach die "Addition" in Anspruch 1 eine "rein mathematische Addition" sei.
Die Änderung ist nicht so geringfügig, dass sie unter den Begriff "außergewöhnliche Umstände" fällt und allein wegen ihrer Geringfügigkeit zuzulassen ist. Im Gegenteil ist die Änderung laut Patentinhaber so wesentlich, dass der beanspruchte Gegenstand erstmalig eine erfinderische Tätigkeit aufweise.
2.2.3 Der Hilfsantrag sei gemäß dem Ladungsbescheid fristgerecht einen Monat vor der mündlichen Verhandlung eingereicht worden.
Aus dem Ladungsbescheid geht nicht hervor, dass Änderungen, welche fristgerecht einen Monat vor der mündlichen Verhandlung eingereicht werden, zugelassen werden. Im Gegenteil wird in Punkt 11 des Ladungsbescheids ausdrücklich auf die Vorgaben des Artikels 13 VOBK 2020 aufmerksam gemacht.
2.2.4 Die Änderung sei geeignet, den Einwand der fehlenden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hauptantrags zu beheben.
Dieses Argument ist nicht nachvollziehbar. Die Änderung betrifft die Ergänzung des Anspruchs 1 anhand des Begriffs "kombiniert". Dieser Begriff ist dem in Anspruch 1 bereits verwendeten Begriff "addiert" gleichzusetzen (siehe oben Punkt 1.2.1 f)). Wie die Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, ist sowohl die Klarheit als auch die erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 fraglich. Somit liegen keine "außergewöhnlichen Umstände" im Sinne des Vorhandenseins eines eindeutig gewährbaren Anspruchs 1 vor.
3. Aus den oben dargelegten Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass keiner der Anträge des Patentinhabers gewährbar ist.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.