Urteile der Cour d'appel de Paris, Abteilung 5, 1. Kammer vom 14. April 20101
Vorsitzender:
Herr Pimoulle
Stichwort:
"Übersetzung eines im Einspruchsverfahren geänderten europäischen Patents"
Artikel:
Art. L. 614-7 Gesetz über geistiges Eigentum; Gesetz Nr. 2007-1544 vom 29. Oktober 2007; Art. 65 EPÜ
Schlagwort:
"Londoner Übereinkommen - Einreichung einer Übersetzung - Übergangsbestimmungen"
Zusammenfassung
Die Cour d'appel de Paris (Berufungsgericht Paris) erließ am selben Tag 24 gleichlautende Urteile zu ein und derselben Rechtsfrage. Diese betrifft die Übergangsbestimmungen für die Anwendung der Übersetzungsregelung nach dem Londoner Übereinkommen auf europäische Patente, für die der Hinweis auf die Erteilung zwar vor dem 1. Mai 2008 bekannt gemacht wurde, die aber später im Rahmen eines Einspruchsverfahrens geändert wurden.
Bei verschiedenen europäischen Patenten, die vor dem 1. Mai 2008 erteilt worden waren, hatte sich das Schutzrecht durch ein erst nach diesem Datum abgeschlossenes Einspruchsverfahren vor dem EPA geändert. Die Patentinhaber hatten dem französischen Patentamt (INPI) daraufhin eine französische Übersetzung des geänderten und in Frankreich wirksamen europäischen Patents übermittelt.
Das INPI wies diese Übersetzungen mit der Begründung zurück, dass Frankreich seit dem 1. Mai 2008, d. h. seit dem Inkrafttreten des Londoner Übereinkommens durch das einschlägige französische Gesetz vom 29. Oktober 2007 auf das Erfordernis einer Übersetzung eines europäischen Patents verzichtet habe.
Die Patentinhaber machten geltend, dass die geänderte Fassung eines vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes erteilten europäischen Patents immer noch dem alten Artikel L. 614-7 des Gesetzes über geistiges Eigentum (CPI) unterliege und das Übersetzungserfordernis fortbestehe.
Der Richter an der Cour d'appel entschied anders. Nach seiner Auffassung ist der aus dem Gesetz vom 29. Oktober 2007 hervorgegangene Artikel L. 614-7 Absatz 1 CPI dahin gehend auszulegen, dass mit sofortiger Wirkung jegliches Übersetzungserfordernis entfällt, auch in Bezug auf europäische Patente, für die der Hinweis auf die Erteilung vor dem besagten Tag des Inkrafttretens bekannt gemacht wurde. Die neuen Vorschriften betreffen nämlich nicht die Substanz des Patentrechts, sondern ein Formerfordernis und sind somit unmittelbar anzuwendendes Verfahrensrecht.
Urteilsbegründung (Auszüge)
(...)
"Die Firma UNILEVER NV ist Inhaberin eines am 19. März 2001 in englischer Sprache eingereichten und unter der Nummer 1 278 687 veröffentlichten europäischen Patents, auf dessen Erteilung vor einem Einspruch im Europäischen Patentblatt vom 25. Mai 2005 hingewiesen wurde. Am 30. Juni 2005 wurde beim INPI eine erste französische Übersetzung eingereicht. Im Einspruchsverfahren wurde der Wortlaut des Patents geändert und nach dem Einspruch im Europäischen Patentblatt vom 6. August 2008 veröffentlicht.
Gemäß dem alten Artikel L. 614-7 des Gesetzes über geistiges Eigentum hat die Firma UNILEVER NV dem Generaldirektor des INPI am 5. September 2008 die Übersetzung des im Einspruchsverfahren geänderten Patents vorgelegt.
Dieser hat in der angefochtenen Entscheidung die Übersetzung mit der Begründung zurückgewiesen, dass Frankreich seit dem 1. Mai 2008 auf die Übersetzungserfordernisse gemäß Artikel 65 Absatz 1 des Europäischen Patentübereinkommens verzichte.
Die Beschwerdeführerin ist hingegen der Ansicht, dass das Übersetzungserfordernis fortbesteht, wenn eine geänderte Fassung eines vor dem 1. Mai 2008 erteilten europäischen Patents veröffentlicht wird, und dass sie aufgrund der Ablehnung der neuen Übersetzung durch den Generaldirektor des INPI Gefahr läuft, dass ihr Schutzrecht gemäß Artikel L. 614-7 des Gesetzes über geistiges Eigentum in der vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 29. Oktober 2007 geltenden Fassung unwirksam wird.
In seiner Stellungnahme erhält der Generaldirektor des INPI seinen Standpunkt aufrecht und beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
Die Staatsanwaltschaft beantragt ebenfalls die Zurückweisung der Beschwerde.
In Artikel 65 Absatz 1 des Münchner Übereinkommens vom 5. Oktober 1973 über die Erteilung europäischer Patente heißt es: "Jeder Vertragsstaat kann für den Fall, dass die Fassung, in der das Europäische Patentamt für diesen Staat ein europäisches Patent zu erteilen oder in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten beabsichtigt, nicht in einer seiner Amtssprachen vorliegt, vorschreiben, dass der Anmelder oder Patentinhaber bei der Zentralbehörde für den gewerblichen Rechtsschutz eine Übersetzung der Fassung ... in einer der Amtssprachen dieses Staats ... einzureichen hat."
Das französische Recht hat von dieser Möglichkeit in Artikel L. 614-7 des Gesetzes über geistiges Eigentum Gebrauch gemacht, wo es in der vor dem Gesetz vom 29. Oktober 2007 geltenden Fassung hieß: "Liegt die Fassung, in der das durch das Münchener Übereinkommen errichtete Europäische Patentamt ein europäisches Patent erteilt oder in geänderter Fassung aufrechterhält, nicht in französischer Sprache vor, so hat der Patentinhaber beim Nationalen Amt für gewerbliches Eigentum eine Übersetzung dieser Fassung ... einzureichen ... Wird diese Verpflichtung nicht eingehalten, so ist das Patent unwirksam."
Dem oben zitierten Wortlaut nach gibt Artikel 65 Absatz 1 des Münchner Übereinkommens den Staaten zwar die Möglichkeit, vom Anmelder oder Patentinhaber die Einreichung einer Übersetzung zu verlangen, implizit, aber zwangsläufig enthält er jedoch auch die Möglichkeit, auf dieses Erfordernis zu verzichten. Das Londoner Übereinkommen, das in Frankreich seit 1. Mai 2008 in Kraft ist, sieht in Artikel 1 vor: "Jeder Vertragsstaat dieses Übereinkommens, der eine Amtssprache mit einer der Amtssprachen des Europäischen Patentamts gemein hat, verzichtet auf die in Artikel 65 Absatz 1 des Europäischen Patentübereinkommens vorgesehenen Übersetzungserfordernisse". Dass Artikel 9 des Londoner Übereinkommens bei europäischen Patenten, für die der Hinweis auf die Erteilung im Europäischen Patentblatt nach diesem Datum bekannt gemacht wurde, den Verzicht auf das Übersetzungserfordernis verbindlich vorschreibt, hat aber nicht zur Folge, dass ein fakultativer Verzicht bei europäischen Patenten, für die der Erteilungshinweis im Europäischen Patentblatt vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens bekannt gemacht wurde, ausgeschlossen wäre.
Diese Möglichkeit ist vielmehr ausdrücklich in Artikel 1 Absatz 4 des Londoner Übereinkommens verankert: "Dieses Übereinkommen ist nicht so auszulegen, als schränke es das Recht der Vertragsstaaten dieses Übereinkommens ein, auf ein Übersetzungserfordernis ganz zu verzichten ..."
In Anbetracht sämtlicher bisher angeführten Vorschriften muss Artikel L. 614-7 Absatz 1 des Gesetzes über geistiges Eigentum, der in seiner aus dem Gesetz Nr. 2007-1544 vom 29. Oktober 2007 hervorgegangenen und am 1. Mai 2008 in Kraft getretenen Fassung vorsieht, dass "der Wortlaut der europäischen Patentanmeldung oder des europäischen Patents in der Verfahrenssprache vor dem durch das Münchner Übereinkommen errichteten Europäischen Patentamt maßgebend" ist, als unmittelbar gültiger Verzicht auf jegliches Übersetzungserfordernis ausgelegt werden und gilt auch in Bezug auf europäische Patente, für die der Erteilungshinweis vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes im Europäischen Patentblatt bekannt gemacht wurde.
Die neuen Vorschriften sind eine Rückkehr zum ursprünglichen, im Geiste des Europäischen Patentübereinkommens verankerten Prinzip der Gültigkeit und der Schutzwirkung eines Patents in der Sprache der Einreichung, unabhängig von jeglicher Übersetzung. Sie betreffen nicht die Substanz des Patentrechts, sondern ein Formerfordernis - nämlich die Einreichung einer Übersetzung -, sind also Verfahrensrecht und somit unmittelbar anzuwenden. Wie der Generaldirektor des INPI und die Staatsanwaltschaft zu Recht geltend machen, hat infolgedessen das Erfordernis einer Übersetzung für bestimmte Kategorien von Patenten künftig keine Rechtsgrundlage mehr.
Die Anwendung der neuen Vorschriften stellt auch nicht das in Artikel L. 614-10 des Gesetzes über geistiges Eigentum vorgesehene und in der Fassung des Gesetzes Nr. 2007-1544 vom 29. Oktober 2007 aufrechterhaltene Recht Dritter infrage, sich im Streitfall auf die französische Übersetzung des europäischen Patents zu berufen, wenn diese dem Patentinhaber einen engeren Schutz verleiht als der Wortlaut in der Sprache der Einreichung.
Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Beschwerde zurückzuweisen ist.
Die Beschwerde wird deshalb zurückgewiesen (...) "
FR 1/10
1 Übersetzung des offiziellen Textes. Die Redaktion des Amtsblatts hat die Zusammenfassung erstellt und den Wortlaut des Urteils für diese Veröffentlichung gekürzt.