T 1139/22 (Haarreinigungsmittel/HENKEL) 27-06-2024
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KOSMETISCHES HAARREINIGUNGSMITTEL
Dalli-Werke GmbH & Co. KG
L'OREAL
Änderung nach Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK - berücksichtigt (nein)
Erfinderische Tätigkeit - unerwartete Verbesserung
I. Das europäische Patent Nr. 3 082 959 (nachfolgend: das Patent) wurde mit neun Ansprüchen erteilt.
Der erteilte Gegenstand bezog sich auf ein kosmetisches Reinigungsmittel enthaltend a) ein anionisches oder amphoteres Tensid, b) ein kationisches Polysaccharid, c) ein Silikon, d) ein Wachs, e) ein natives Öl, und f) ein kationisches Proteinhydrolysat.
II. Gegen die Erteilung des Patents wurden zwei Einsprüche eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden fehlende Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit angeführt.
III. Die Beschwerde der Einsprechenden 2 richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das Patent unter Berücksichtigung der Änderungen gemäß dem während der mündlichen Verhandlung am 14. Dezember 2021 eingereichten Hilfsantrag 2 den Erfordernissen des EPÜ genügt.
Der unabhängige Anspruch 1 dieses 2. Hilfsantrages lautet:
"Kosmetisches Reinigungsmittel, enthaltend in einem kosmetischen Träger
a) mindestens ein anionisches und/oder amphoteres (zwitterionisches) Tensid,
b) mindestens ein kationisches Polysaccharid,
c) mindestens eine Silikon, das ausgewählt ist aus wasserunlöslichen, nicht-flüchtigen Polydimethylsiloxanen, die bei 25°C eine Viskosität im Bereich von 30.000 bis 100.000 cSt aufweisen
d) mindestens ein Wachs,
e) mindestens ein natives Öl und
f) mindestens ein kationisches Proteinhydrolysat, wobei der Gewichtsanteil des kationischen Proteinhydrolysats am Gesamtgewicht der Zusammensetzung 0,01 bis 3 Gew.-% beträgt, wobei der Gewichtsanteil des nativen Öls am Gesamtgewicht der Zusammensetzung 0,01 bis 3 Gew.-% beträgt."
Die Ansprüche 7 und 8 dieses Antrages beziehen sich auf die Verwendung dieses Mittels und ein Verfahren, in dem dieses Mittels eingesetzt wird.
IV. Im Einspruchsverfahren wurden unter anderem die folgenden Beweismittel eingereicht:
D2: Internet-Dokument ULTIMATE OIL ELIXIR, Sonnenschein 86 Blog, veröffentlicht am 22. März 2013, abgerufen am 14. April 2020
D2a: Datenblatt Mintel 2029093, März 2013
D9: Vergleichsversuche der Patentinhaberin, mit Datum vom 10. Dezember 2018, eingereicht im Prüfungsverfahren am 12.12.2018
D18: WO 2013/117464 A2
V. In der angefochtenen Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu folgendem Ergebnis:
a) Dem erteilten Gegenstand fehlte die Neuheit hinsichtlich unter anderem des aus den Dokumenten D2/D2a bekannten Produkts.
b) Die Änderungen gemäß Hilfsantrag 1 betrafen die Definition des Gewichtsanteils des kationischen Proteinhydrolysats. Dem Gegenstand des Hilfsantrags 1 fehlte die erforderliche erfinderische Tätigkeit ausgehend von Dokument D2a als nächstliegendem Stand der Technik, weil die definierten Mengen des kationischen Proteinhydrolysats dem Fachmann geläufig seien, wie beispielsweise aus Dokument D18 hervorgehe.
c) Hilfsantrag 2 erfüllte die Erfordernisse der Artikel 123 (2) und (3) sowie 54 EPÜ.
Dokument D18 stellte den nächstliegenden Stand der Technik dar, von dem sich der Anspruchsgegenstand zumindest durch das Vorhandensein eines kationischen Proteinhydrolysats unterschied. Die Vergleichsversuche des Dokuments D9 zeigten den verringerten Haarbruch, der mit dem Zusatz des kationischen Proteinhydrolysats einherging. Aus dem Stand der Technik ging kein Hinweis darauf hervor, dass das kationische Proteinhydrolysat mit einer reduzierten Haarschädigung verbunden sei. Der Gegenstand des Hilfsantrags 2 erfüllte somit auch das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit.
VI. Mit ihrer Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin die folgenden neuen Beweismittel ein:
A21: Product Information, DOW CORNING® 1664 Emulsion (2002)
A22: New Product Information, DOW CORNING® 1664 Emulsion
In der Beschwerdebegründung beanstandete die Beschwerdeführerin, dass das beanspruchte Reinigungsmittel des im Einspruchsverfahren vorgelegten 2. Hilfsantrags gegenüber dem Reinigungsmittel des Beispiels 2 aus Dokument D18 als nächstliegendem Stand der Technik keine erfinderische Tätigkeit beinhalte.
VII. In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK wies die Kammer darauf hin, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung nicht die Feststellung in der angefochtenen Entscheidung bestritten hat, gemäß derer aufgrund der Vergleichsversuche aus Dokument D9 von einem mit dem anspruchsgemäßen Zusatz des kationischen Hydrolysats verbundenen verringerten Haarbruch gegenüber dem Stand der Technik des Dokuments D18 auszugehen sei. Die Kammer teilte zudem ihre vorläufige Einschätzung mit, dass nicht ersichtlich sei, wie der Fachmann aus dem Stand der Technik eine Haarschädigung reduzierende Wirkung durch den anspruchsgemäß definierten Zusatz des kationischen Hydrolysats herleite.
VIII. Eine mündliche Verhandlung wurde am 27. Juni 2024 als Videokonferenz durchgeführt.
Während der mündlichen Verhandlung trug die Beschwerdeführerin vor, dass die Versuchsergebnisse in Dokument D9 für das beanspruchte Reinigungsmittel keinen verringerten Haarbruch durch den anspruchsgemäßen Zusatz des kationischen Hydrolysats gegenüber dem aus Beispiel 2 des Dokuments D18 bekannten Reinigungsmittel belege, weil Dokument D9 keine statistische Signifikanz der Ergebnisse ausweise. Außerdem unterscheide sich das laut Dokument D9 getestete anspruchsgemäße Reinigungsmittel nicht nur durch den Zusatz des kationischen Hydrolysats, sondern auch durch die Auswahl des Silikons sowie des nativen Öls vom getesteten Reinigungsmittel des Beispiels 2 aus Dokument D18.
IX. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Dokument D18, insbesondere das in Beispiel 2 beschriebene kosmetische Reinigungsmittel, stelle den nächstliegenden Stand der Technik dar.
Ausweislich der nachgereichten Dokumente A21 und A22 handele es sich bei der "Xiameter® MEM 1664 Emulsion" in Beispiel 2 aus Dokument D18 um ein Silikon, das eine Viskosität von 60.000 cSt aufweise und somit der anspruchsgemäßen Definition des Silikons entspreche. Das beanspruchte Reinigungsmittel unterscheide sich somit vom Stand der Technik lediglich durch den Zusatz eines kationischen Proteinhydrolysats mit einem Gewichtsanteil von 0,01 bis 3 Gew.-%.
Der Zusatz des Proteinhydrolysats begründe jedoch keine erfinderische Tätigkeit, weil Dokument D18 selbst bereits Proteinhydrolysate, einschließlich kationischer Hydrolysate, als mögliche weitere Inhaltsstoffe der beschriebenen kosmetischen Reinigungsmittel aufzeichne. Zudem sei der Zusatz des kationischen Proteinhydrolysats für ähnliche Reinigungsmittel bereits aus Dokument D2a bekannt gewesen.
Die angefochtene Entscheidung bestätige im Übrigen im Bezug auf den der Einspruchsabteilung vorgelegten Hilfsantrag 1, dass der Zusatz des Hydrolysats keine erfinderische Tätigkeit beinhalte.
Das Vorbringen bezüglich der Relevanz der Versuchsergebnisse des Dokuments D9 während der mündlichen Verhandlung sei im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen, weil es sich auf bereits im erstinstanzlichen Verfahren erhobene Einwände beziehe.
X. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der Anspruchsgegenstand unterscheide sich vom Reinigungsmittels des Beispiels 2 in Dokument D18 zumindest durch den Zusatz eines kationischen Proteinhydrolysats mit einem Gewichtsanteil von 0,01 bis 3 Gew.-%.
Aufgrund der in Dokument D9 beschriebenen Vergleichsversuche sei von einer mit dem Zusatz des kationischen Hydrolysats verbundenen verringerten Haarbruch auszugehen. Die objektive technische Aufgabe betreffe im Hinblick auf diesen Effekt die Bereitstellung eines Pflegemittels, das die Haarschädigung reduziert.
Für die Zulassung der im Beschwerdeverfahren erstmals während der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Einwände der Beschwerdeführerin bezüglich der Relevanz der Versuchsergebnisse in Dokument D9 seien keine stichhaltigen Gründe angeführt worden. Diese Einwände würden zudem lediglich auf Annahmen stützen, die von der Einspruchsabteilung abgelehnt und von der Beschwerdeführerin nicht weiter belegt worden seien.
Der beanspruchte Gegenstand beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit, weil die Haarschädigung reduzierende Wirkung durch den anspruchsgemäß definierten Zusatz des kationischen Hydrolysats weder aus Dokument D18 noch aus Dokument D2a hervorgehe.
Im Übrigen sei die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf den ihr vorliegenden Hilfsantrag 1 lediglich zum Schluss gekommen, dass ausgehend von Dokument D2a als nächstliegendem Stand der Technik die Angabe der Menge an kationischen Proteinhydrolysat im Rahmen der Aufgabe der Bereitstellung einer Alternative keine erfinderische Tätigkeit beinhalte.
XI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Außerdem beantragte sie, dass die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente A21 und A22 in das Verfahren zugelassen werden.
XII. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, und somit die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis des von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Hilfsantrags 2, der während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 14. Dezember 2021 eingereicht wurde ("Hauptantrag" im Beschwerdeverfahren).
Sie beantragte zudem, dass weder die Dokumente A21 und A22, noch das Vorbringen der Beschwerdeführerin bezüglich mangelnder erfinderischer Tätigkeit basierend auf der Kombination des Dokuments D18 mit D2a in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden.
Außerdem beantragte sie, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu Dokument D9 und der darauf basierende Angriff mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden.
XIII. Die weitere Verfahrensbeteiligte, Einsprechende 1, hat keine Anträge im Beschwerdeverfahren eingereicht.
1. Die Beschwerdeführerin bestritt im Beschwerdeverfahren, dass der Anspruchsgegenstand des von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Hilfsantrags 2 ("Hauptantrag" im Beschwerdeverfahren) ausgehend vom Beispiel 2 in Dokument D18 (siehe D18, Seite 24, Tabelle) als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischer Tätigkeit beruht.
2. Im Beschwerdeverfahren ist unstrittig, dass das beanspruchte Reinigungsmittel sich jedenfalls durch den definierten Zusatz eines kationischen Proteinhydrolysats vom Reinigungsmittel des Beispiels 2 aus Dokument D18 unterscheidet.
3. Wie in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK angemerkt, wurde von der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung die Feststellung in der angefochtenen Entscheidung (siehe Seiten 15-16, Abschnitt 16.3.3) nicht bestritten, dass aufgrund der Vergleichsversuche aus Dokument D9 von einer mit dem anspruchsgemäßen Zusatz des kationischen Hydrolysats verbundenen verringerten Haarbruch gegenüber dem Stand der Technik des Dokuments D18 auszugehen sei.
Die im Beschwerdeverfahren erstmals während der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Einwände bezüglich der Relevanz der Versuchsergebnisse des Dokuments D9 stellen somit eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin dar, die laut Artikel 13 (2) VOBK grundsätzlich nicht zu berücksichtigen ist, es sei denn, die Beschwerdeführerin hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
Die Beschwerdeführerin hat in Bezug auf die Frage der Berücksichtigung ihrer Bedenken bezüglich der Relevanz der Versuchsergebnisse des Dokuments D9 lediglich darauf hingewiesen, dass ähnliche Einwände bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen wurden. Gemäß Artikel 12 (3) VOBK müssen die Beschwerdebegründung und gegebenenfalls die Erwiderung jedoch das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten. Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf vorher nur im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragene Einwände zeigt damit keine stichhaltigen Gründe für das Vorliegen irgendwelcher außergewöhnlichen Umstände auf und bestätigt gerade, dass das betreffende Vorbringen der Beschwerdeführerin erst während der mündlichen Verhandlung eine unter Artikel 13 (2) VOBK grundsätzlich unzulässige Änderung ihres Beschwerdevorbringens darstellt.
Im Beschwerdeverfahren ist deswegen von dem mit dem Zusatz des kationischen Hydrolysats verbundenen verringerten Haarbruch auszugehen, wie dieser aufgrund der Versuchsergebnisse in Dokument D9 in der angefochtenen Entscheidung festgestellt wurde.
Entsprechend der angefochtenen Entscheidung sieht die Kammer im Hinblick auf diesen Effekt die objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung eines Haarpflegemittels, das Haarschädigung, insbesondere Haarbruch, reduziert.
Angesichts dieser Formulierung der objektiven technischen Aufgabe ist eine Entscheidung über die Zulassung der Dokumente D21 und D22 hinfällig, weil laut der Beschwerdebegründung diese Dokumente lediglich bestätigen sollten, dass das für das Reinigungsmittel des Beispiels 2 in Dokuments D18 beschriebene Silikon dem anspruchsgemäßen Silikon entspricht.
4. Die Kammer teilt die Auffassung der Einspruchsabteilung, dass sich aus dem Stand der Technik für den Fachmann nicht auf naheliegenderweise herleiten lässt, dass der anspruchsgemäß definierte Zusatz des kationischen Proteinhydrolysats mit einer reduzierten Haarschädigung einhergeht.
Dokument D18 beschreibt zwar Proteinhydrolysate, einschließlich kationischer Proteinhydrolysate, in einer Reihe zusätzlicher fakultativer Wirkstoffe (siehe D18, Seite 15 und 19-20), jedoch ohne Hinweis auf eine Haarschädigung reduzierende Wirkung durch den anspruchsgemäß definierten Zusatz des kationischen Hydrolysats.
Dokument D2a beschreibt zwar ein die Haarstruktur stärkendes Mittel, das mit hydrolysiertem Keratin ein kationisches Proteinhydrolysat enthält, jedoch geht für den Fachmann aus der Auflistung der Inhaltsstoffe des Mittels in Dokument D2a nicht hervor, dass gerade dieses hydrolysierte Keratin eine Reduzierung der Haarschädigung bewirkt.
5. Die Kammer hält im Übrigen die Feststellung in der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf die fehlende erfinderische Tätigkeit des im Einspruchsverfahren vorgelegten Hilfsantrags 1 schon deswegen für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit bezüglich des im Beschwerdeverfahren vorliegenden Hauptantrags für unerheblich, weil diese Feststellung sich auf die Definition der Menge des Hydrolysats als unterscheidendes Merkmal gegenüber Dokument D2a als nächstliegendem Stand der Technik bezog, während es sich bei der Beurteilung des vorliegenden Hauptantrags um den Zusatz des Hydrolysats als Unterschied zum Beispiel 2 des Dokuments D18 als nächstliegendem Stand der Technik handelt.
6. Die Kammer gelangt somit zu dem Schluss, dass der gemäß dem vorliegenden Hauptantrag beanspruchte Gegenstand das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit erfüllt.
Dementsprechend erübrigt sich eine Entscheidung über die Zulassung des Vorbringens der Beschwerdeführerin basierend auf der Kombination des Dokuments D18 mit D2a.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.