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T 1171/21 26-03-2024
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PLANETENGETRIEBE
Hauptantrag, Hauptantrag a, Hilfsantrag 6 - Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Änderung des Vorbringens - Änderung zugelassen (nein)
I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen.
II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass der Gegenstand der Ansprüche in der erteilten Fassung neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) oder auf der Grundlage eines der folgenden Hilfsanträge:
- Hauptantrag a, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer,
- Hilfsanträge 1 bis 5, eingereicht am 9. Juli 2020,
- Hilfsanträge 1a bis 5a, eingereicht am 26. März 2021, oder
- Hilfsanträge 6 oder 7a, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 3. Februar 2022.
V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags ist identisch zu dem des Hauptantrags a und dem des Hilfsantrags 6 und lautet wie folgt (Merkmalsgliederung hinzugefügt):
M1.1 Planetengetriebe (10) mit einer ersten und einer zweiten Stufe,
M1.2 wobei ein Sonnenrad (32) der zweiten Stufe mit einem Endbereich als Mitnehmer in einen Planetenträger (26) der ersten Stufe eingreift,
M1.3 wobei das Sonnenrad (32) eine in axialer Richtung durchgehend gefertigte Verzahnung aufweist,
M1.4 wobei das Sonnenrad (32) einen mittleren Bereich aufweist, wo die durchgehende Verzahnung unterbrochen ist,
M1.5 wobei die zweite Stufe als Abtriebstufe ausgebildet ist,
M1.6 wobei ein weiterer Planetenträger (40) der Abtriebsstufe an der Abtriebsseite als Hohlwelle (42), welche vorzugsweise eine Schrumpfscheibe (44) umschließt, oder als Vollwelle (46) ausgebildet ist, wobei
M1.7 abtriebsseitig eine zylindermantelförmige Abdeckung am Planetengetriebe (10) befestigt ist, welche die Hohlwelle (42) oder Vollwelle (46) umschließt und
M1.8 die zylindermantelförmige Abdeckung aus Biegeteilen hergestellt ist, welche miteinander verschraubt sind.
VI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Entgegenhaltungen Bezug genommen:
D1: Katalog Flender "gear units - Planurex 2",
Ausgabe MD20.3, 2006/2007
D2: Ersatzteilliste EL 4190524-090 DE/EN
D3: Technische Zeichnung 5 867 733 zu Planurex 2;
erstellt 26.05.1998
D19: DE 1 575 155 A1
D20: Technische Zeichnung 6 117 767 "Haube",
erstellt 18.04.2006
D21: Technische Zeichnung 6 139 401 "eingebaute
Haube", erstellt 15.01.2007
D22: Screenshot Bestellung Haube, Belegdatum
12.04.2007
D23: Seite 2 der Stückliste Projekt "TURNA"
VII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten ist unten in den Entscheidungsgründen aufgeführt.
1. Erfinderische Tätigkeit
1.1 Die Beschwerdeführerin machte geltend, das Getriebe PLANUREX 2 P2SA in der Größe 26 sei Stand der Technik wie durch D1 und D2 belegt und offenbare die Merkmale M1.1 bis M1.6 wie aus D1, Seite 26, und der technischen Zeichnung in D3 ersichtlich.
1.1 Die Offenkundigkeit des PLANUREX 2 P2SA in der Größe 26 wurde von der Beschwerdegegnerin nicht substantiiert bestritten. Sie ergibt sich unter anderem aus dem Katalog D1 aus den Jahren 2006/2007 (Deckblatt rechts). Darin wird auf Seite 26 die Bauvariante P2SA gezeigt. Für diese Bauvariante ist die Ersatzteilliste D2 gültig (D2, erste Zeile), zu der die technische Zeichnung mit der Zeichnungs-Nr. 5 867 733 gehört (D2, dritte Zeile), die in D3 abgebildet ist (D3, Schriftfeld rechts unten).
1.2 Das Getriebe PLANUREX 2 P2SA in der Größe 26 offenbart unbestritten die Merkmale M1.1 bis M1.6 (D3). Der beanspruchte Gegenstand unterscheidet sich demgegenüber durch die Merkmale M1.7 und M1.8, wonach
M1.7 abtriebsseitig eine zylindermantelförmige Abdeckung am Planetengetriebe befestigt ist, welche die Hohlwelle oder Vollwelle umschließt, und
M1.8 die zylindermantelförmige Abdeckung aus Biegeteilen hergestellt ist, welche miteinander verschraubt sind.
1.3 Die Beschwerdegegnerin machte geltend, eine zylindermantelförmige Abdeckung weise ein besonders gutes Schwingungsverhalten auf und sei, im Vergleich zu anderen Formen, weniger anfällig für Verschleiß. Die objektive technische Aufgabe bestehe daher in der Bereitstellung einer Abdeckung, die robust gegen eine belastende Industrieumgebung ist.
Der behauptete Effekt ist aber weder im Streitpatent erwähnt, noch erschließt er sich dem Fachmann ohne Weiteres aus seinem allgemeinen Fachwissen. Die Aufgabenformulierung der Beschwerdegegnerin findet sich auch nicht im Streitpatent.
Stattdessen erwähnt das Streitpatent in Absatz [0080], der aus den Unterscheidungsmerkmalen resultierende technische Effekt liege in der Vermeidung von Verletzung. Als objektive technische Aufgabe ergibt sich somit, bei dem vorbekannten Getriebe einen Schutz vor Unfällen vorzusehen.
1.4 Die D19 betrifft gemäß Seite 1, erster Absatz eine Teleskopabdeckung für Spindeln und Wellen und adressiert die genannte Aufgabe auf Seite 1, zweiter Absatz.
1.5 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, der Fachmann hätte die Lehre der D19 nicht herangezogen, da die D19 kein Getriebe betreffe und daher gattungsfremd sei.
Tatsächlich spricht die D19 nur allgemein von einer Abdeckung für Spindeln oder Wellen und nennt Getriebe nicht ausdrücklich. Der Fachmann erkennt jedoch sofort, dass es sich bei den in D19 erwähnten Spindeln oder Wellen um rotierende Maschinenteile eines Motors, eines Getriebes oder Ähnlichem handelt, und dass sich die in D19 beschriebene Abdeckung grundsätzlich für alle diese Anwendungsfälle eignet. Daher würde der Fachmann die Lehre der D19 ohne Weiteres zur Lösung der oben genannten Aufgabe heranziehen.
1.6 Gemäß D19 waren Abdeckungen aus ineinanderschiebbaren Zylinderrohrstücken bereits bekannt. Diese hätten aber den Nachteil, dass sie axial aufgeschoben und abgezogen werden müssten, was zeitraubende Demontagearbeiten erforderlich mache, wenn die umschlossene Spindel oder Welle gereinigt oder die Abdeckung ausgewechselt werden muss (D19, Seite 1, letzter Absatz bis Seite 2, erster Absatz).
Die D19 lehrt daher die Teilung der Abdeckelemente in Längsrichtung, was jederzeit eine bequeme Montage und Demontage der Teleskopabdeckung ermögliche, ohne dass hierzu an den Maschinenelementen, zwischen welchen die Spindel bzw. Welle angeordnet ist, irgendwelche Arbeiten vorgenommen werden müssten (D19, Seite 2, letzter Absatz).
1.7 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, die D19 beschreibe auf Seite 3, zweiter Absatz die Teilung von zylinderförmigen Abdeckelementen in Längsrichtung als nachteilig, da zur Verbindung der beiden Teile Verbindungsstücke erforderlich seien, die je nach Durchmesser der Teleskopabdeckung unterschiedlich gekrümmt hergestellt und auf Lager gehalten werden müssten. Der Fachmann wäre daher davon abgehalten worden, eine zylindermantelförmige Abdeckung aus mehreren Biegeteilen herzustellen. Darüber hinaus seien bei der Verwendung solcher Verbindungsstücke die Biegeteile nicht "miteinander verschraubt". Der Fachmann habe daher selbst bei Berücksichtigung der Lehre der D19 nicht in naheliegender Weise zu einer Ausgestaltung gemäß Merkmal M1.8 gelangen können.
Der in D19 beschriebene Nachteil der Herstellung und Lagerhaltung unterschiedlicher Verbindungsstücke ist jedoch nicht derart gravierend, dass er den Fachmann von vornherein davon abgehalten hätte, diesen Weg zu beschreiten. Darüber hinaus war es für den Fachmann vor dem Hintergrund seines allgemeinen Fachwissens sofort ersichtlich, dass mehrere Teile, die zusammen einen Zylindermantel ausbilden, auch direkt miteinander verschraubt werden können. Damit entfällt aber nicht nur der in D19 beschriebene Nachteil der Herstellung und Lagerhaltung unterschiedlicher Verbindungsstücke, sondern der Fachmann gelangt auch unmittelbar zu einer Ausgestaltung gemäß Merkmal M1.8.
1.8 Die Beschwerdegegnerin argumentierte weiter, es habe für den Fachmann nicht nahegelegen, die Abdeckung am Getriebe zu befestigen, wie von Merkmal M1.7 gefordert. Stattdessen hätte der Fachmann die Abdeckung am Boden oder am Motor befestigt.
Natürlich muss die Abdeckung irgendwo befestigt werden, damit sie überhaupt zum Einsatz kommen kann. Dabei wählt der Fachmann den Ort der Befestigung aber nach den jeweiligen Begebenheiten. Eine Befestigung am Getriebe zieht er dabei ebenso in Betracht wie eine Befestigung an anderer Stelle, wie beispielsweise am Boden oder am Motor. Daher ergab sich die Ausgestaltung gemäß Merkmal M1.7 für den Fachmann in naheliegender Weise aus seinem allgemeinen Fachwissen.
1.9 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag, dem Hauptantrag a und dem Hilfsantrag 6 beruht folglich nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der offenkundigen Vorbenutzung PLANUREX 2 P2SA in der Größe 26 in Verbindung mit D19 und dem allgemeinen Fachwissen.
2. Zulassung weiterer Anträge in das Verfahren
2.1 Die Hilfsanträge 1 bis 5 wurden mit Schreiben vom 9. Juli 2020 und die Hilfsanträge 1a bis 5a mit Schreiben vom 26. März 2021 jeweils im Verfahren vor der Einspruchsabteilung eingereicht. Der Hilfsantrag 7a wurde mit der Beschwerdeerwiderung vom 3. Februar 2022 eingereicht.
2.2 Die Berücksichtigung dieser Hilfsanträge im Beschwerdeverfahren, die jeweils eine Änderung des Streitpatents darstellen, unterliegt den Bestimmungen der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK). Gemäß Artikel 12 (4) Satz 4 VOBK hat der Beteiligte im Falle einer Änderung des Patents die Grundlage der Änderung in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung anzugeben sowie Gründe anzuführen, warum mit der Änderung die erhobenen Einwände ausgeräumt werden.
2.3 Im schriftlichen Verfahren vor der Kammer nahm die Beschwerdegegnerin zu keinem der Hilfsanträge inhaltlich Stellung. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer machte die Beschwerdegegnerin geltend, insbesondere durch den in den Hilfsanträgen verwendeten Fettdruck sei offensichtlich, welche Änderungen in dem jeweiligen Hilfsantrag vorgenommen wurden und welche Einwände damit ausgeräumt werden sollen.
2.4 Zunächst ist festzustellen, dass der in den Hilfsanträgen 1 bis 5, 1a bis 5a und 7a jeweils verwendete Fettdruck offensichtlich nicht in einem Zusammenhang mit den vorgenommenen Änderungen steht.
Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die in den Hilfsanträgen vorgenommenen Änderungen jeweils (anderweitig) kenntlich gemacht wurden. In keinem einzigen Fall wurde nämlich dargelegt, wo die Änderungen ihre Grundlage finden und welcher Einwand dadurch ausgeräumt werden soll. Somit hätte die Kammer selbst, während der mündlichen Verhandlung, diese Fragen klären müssen, was schon dem Grundsatz der Verfahrensökonomie zuwiderläuft.
2.5 Das Vorbringend der Beschwerdegegnerin erfüllt daher nicht die Bestimmung des Artikels 12 (4) Satz 4 VOBK, sodass die Kammer in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel Artikels 12 (4) Satz 2 und 5 VOBK entschieden hat, die Hilfsanträge 1 bis 5, 1a bis 5a und 7a nicht in das Verfahren zuzulassen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.