T 2250/21 24-10-2024
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GUSSTEIL, PLANETENTRÄGER, HOHLWELLE UND PLANETENGETRIEBE
Siemens Aktiengesellschaft
ZF Friedrichshafen AG
Neuheit - offenkundige Vorbenutzung (ja)
Neuheit - Hauptantrag, 1. bis 3. und 5. bis 7. Hilfsantrag (nein)
Änderungen - 4. Hilfsantrag
Änderungen - zulässig (nein)
Änderung nach Zustellung der Mitteilung gem. Art. 15(1) VOBK - berücksichtigt (nein)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Streitpatent zu widerrufen.
II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass
1) der Gegenstand des Anspruchs 2 in der erteilten Fassung, des Anspruchs 2 in der geänderten Fassung gemäß den damaligen Hilfsanträgen 1 und 2, und
des Anspruchs 1 in der geänderten Fassung gemäß dem damaligen Hilfsantrag 3, nicht neu ist, und
2) der Gegenstand des Streitpatents in der geänderten Fassung gemäß dem damaligen Hilfsantrag 4 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.
III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) oder in der Fassung des 1. oder 2. Hilfsantrags (eingereicht mit Schriftsatz vom 22. August 2017), des 3. oder 4. Hilfsantrags (eingereicht mit Schriftsatz vom 29. August 2018), des 5., 6. oder 7. Hilfsantrags (eingereicht mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2021) oder des 8. Hilfsantrags (eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer). Außerdem beantragte sie, der Großen Beschwerdekammer die mit der Beschwerdebegründung und mit Schreiben vom 8. April 2024 eingereichten Fragen zur Vernehmung eines Zeugen per Videokonferenz vorzulegen.
Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende 1 und 2) beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen.
V. Patentansprüche
Hauptantrag
Die Ansprüche 1 bis 4 des Hauptantrags (erteilte Fassung) lauten wie folgt:
1. Gussteil für einen einstückigen Planetenträger,
dadurch gekennzeichnet, dass
das Gussteil einen Grundkörper umfasst, aus welchem Rohbolzen hervorstehen,
wobei die Rohbolzen jeweils eine Form aufweisen, aus welcher jeweils ein Bolzen für ein Planetenrad in verschiedenen Positionen, also in verschiedenen Radialabständen zu einer Drehachse des Planetenträgers, auf dem Grundkörper fertigbar ist,
wobei der Grundkörper scheibenförmig ausgeformt ist
wobei die Rohbolzen annähernd senkrecht oder senkrecht vom Grundkörper abstehen und
wobei die Rohbolzen und die Bolzen parallel zur Drehachse des Planetenträgers ausgerichtet sind und die Rohbolzen jeweils aus axialer Blickrichtung eine in radialer Richtung ovalförmig verlängerte Grundfläche 102 am Ansatz zum Grundkörper zeigen.
2. Planetenträger für ein Planetengetriebe, wobei der Planetenträger aus einem Gussteil nach Anspruch 1 gefertigt ist, dadurch gekennzeichnet, dass
das Gussteil für einen einstückigen Planetenträger vorgesehen ist.
3. Planetenträger nach Anspruch 2,
dadurch gekennzeichnet, dass
der Grundkörper eine zentrale kreisförmige Öffnung mit einer Innenverzahnung aufweist und um die kreisförmige Öffnung verdickt ausgeführt ist,
und der Planetenträger annähernd in den Ecken des Grundkörpers senkrecht zum Grundkörper drei Bolzen für Planetenräder aufweist, welche aus den Rohbolzen in unterschiedlichen Abständen zum Zentrum der kreisförmigen Ausnehmung herstellbar sind.
4. Rohbauteil für einen Planetenträger nach Anspruch 3 für ein Planetengetriebe, wobei der Planetenträger einstückig ausgeführt ist und Bolzen für Planetenräder an einem Grundkörper abstehen,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Bolzen in unterschiedlichen radialen Abständen zu einer Drehachse des Grundkörpers fertigbar sind, wobei bei einem minimalen Abstand des Bolzens zur Drehachse die Differenz aus einer größten radialen Ausdehnung des Grundkörpers und dem größten radialen Abstand des Bolzens zum Zentrum des Grundkörpers größer ist als der halbe Radius des Bolzens vorzugsweise als der Radius des Bolzens.
1. Hilfsantrag
Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch ein zusätzliches Merkmal am Ende des Anspruchs, wonach
die Form des jeweiligen Rohbolzens bis auf die nötige Formschräge, bedingt durch den Giessprozess, als Zylinder mit der Grundfläche (102) als Basis gebildet ist, wobei die Stirnfläche des freistehenden Endes des jeweiligen Rohbolzens, bedingt durch den Giessprozess, konvex gekrümmt ist.
Anspruch 2 des 1. Hilfsantrags ist identisch zu Anspruch 2 des Hauptantrags.
Anspruch 4 des 1. Hilfsantrags ist identisch zu Anspruch 4 des Hauptantrags.
2. Hilfsantrag
Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags ist identisch zu Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags.
Anspruch 2 des 2. Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 2 des 1. Hilfsantrags bzw. Hauptantrags durch die Merkmale des erteilten Anspruchs 3, die am Ende des Anspruchs 2 eingefügt wurden.
Anspruch 3 des 2. Hilfsantrags ist identisch zu Anspruch 4 des 1. Hilfsantrags bzw. Hauptantrags.
3. Hilfsantrag
Anspruch 1 des 3. Hilfsantrags vereint die Merkmale der Ansprüche 1 und 2 des 2. Hilfsantrags (im Folgenden gekennzeichnet mit AR2:1 und AR2:2) und lautet wie folgt:
[AR2:2] Einstückiger Planetenträger für ein Planetengetriebe, wobei der Planetenträger aus einem Gussteil gefertigt ist,
[AR2:1] wobei das Gussteil einen Grundkörper umfasst, aus welchem Rohbolzen hervorstehen,
wobei die Rohbolzen jeweils eine Form aufweisen, aus welcher jeweils ein Bolzen für ein Planetenrad in verschiedenen Positionen, also in verschiedenen Radialabständen zu einer Drehachse des Planetenträgers, auf dem Grundkörper fertigbar ist,
wobei der Grundkörper scheibenförmig ausgeformt ist,
wobei die Rohbolzen annähernd senkrecht oder senkrecht vom Grundkörper abstehen und
wobei die Rohbolzen und die Bolzen parallel zur Drehachse des Planetenträgers ausgerichtet sind und
die Rohbolzen jeweils aus axialer Blickrichtung eine in radialer Richtung ovalförmig verlängerte Grundfläche (102) am Ansatz zum Grundkörper zeigen,
wobei die Form des jeweiligen Rohbolzens bis auf die nötige Formschräge, bedingt durch den Giessprozess, als Zylinder mit der Grundfläche (102) als Basis gebildet ist,
wobei die Stirnfläche des freistehenden Endes des jeweiligen Rohbolzens, bedingt durch den Giessprozess, konvex gekrümmt ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
[AR2:2] der Grundkörper eine zentrale kreisförmige Öffnung mit einer Innenverzahnung aufweist und um die kreisförmige Öffnung verdickt ausgeführt ist und der Planetenträger annähernd in den Ecken des Grundkörpers senkrecht zum Grundkörper drei Bolzen für Planetenräder aufweist, welche aus den Rohbolzen in unterschiedlichen Abständen zum Zentrum der kreisförmigen Ausnehmung herstellbar sind.
Anspruch 2 des 3. Hilfsantrags entspricht im Wesentlichen dem Anspruch 4 des Hauptantrags, wobei der Bezug auf den halben Radius des Bolzens gestrichen wurde.
4. Hilfsantrag
Anspruch 1 des 4. Hilfsantrags vereint die Merkmale der Ansprüche 1 und 2 des 3. Hilfsantrags (im Folgenden gekennzeichnet mit AR3:1 und AR3:2) und lautet wie folgt:
[AR3:2] Rohbauteil für einen Einstückigen Planetenträger für ein Planetengetriebe,
[AR3:1] wobei der Planetenträger aus einem Gussteil gefertigt ist,
wobei das Gussteil einen Grundkörper umfasst, aus welchem Rohbolzen hervorstehen,
wobei die Rohbolzen jeweils eine Form aufweisen, aus welcher jeweils ein Bolzen für ein Planetenrad in verschiedenen Positionen, also in verschiedenen Radialabständen zu einer Drehachse des Planetenträgers, auf dem Grundkörper fertigbar ist,
wobei der Grundkörper scheibenförmig ausgeformt ist,
wobei die Rohbolzen annähernd senkrecht oder senkrecht vom Grundkörper abstehen und
wobei die Rohbolzen und die Bolzen parallel zur Drehachse des Planetenträgers ausgerichtet sind und
die Rohbolzen jeweils aus axialer Blickrichtung eine in radialer Richtung ovalförmig verlängerte Grundfläche (102) am Ansatz zum Grundkörper zeigen,
wobei die Form des jeweiligen Rohbolzens bis auf die nötige Formschräge, bedingt durch den Giessprozess, als Zylinder mit der Grundfläche (102) als Basis gebildet ist,
wobei die Stirnfläche des freistehenden Endes des jeweiligen Rohbolzens, bedingt durch den Giessprozess, konvex gekrümmt ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
der Grundkörper eine zentrale kreisförmige Öffnung mit einer Innenverzahnung aufweist und um die kreisförmige Öffnung verdickt ausgeführt ist und
der Planetenträger annähernd in den Ecken des Grundkörpers senkrecht zum Grundkörper drei Bolzen für Planetenräder aufweist, welche aus den Rohbolzen in unterschiedlichen Abständen zum Zentrum der kreisförmigen Ausnehmung herstellbar sind,
[AR3:2] wobei bei einem minimalen Abstand des Bolzens zur Drehachse die Differenz aus einer größten radialen Ausdehnung des Grundkörpers und dem größten radialen Abstand des Bolzens zum Zentrum des Grundkörpers größer ist als der Radius des Bolzens.
5. Hilfsantrag
Der 5. Hilfsantrag unterscheidet sich vom 1. Hilfsantrag durch Streichung der Ansprüche 4 bis 7.
6. Hilfsantrag
Der 6. Hilfsantrag unterscheidet sich vom 2. Hilfsantrag durch Streichung der Ansprüche 3 und 4.
7. Hilfsantrag
Der 7. Hilfsantrag unterscheidet sich vom 3. Hilfsantrag durch Streichung des Anspruchs 2.
8. Hilfsantrag
Der 8. Hilfsantrag unterscheidet sich vom 5. Hilfsantrag durch Streichung der Ansprüche 2 und 3.
VI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Entgegenhaltungen Bezug genommen:
ZF3: Technische Zeichnung Nr. 1/0384/7082/1,
"Planetensteg"
ZF4: Betriebsanleitung "GPW 330 III SL 92",
Auszug
ZF5: Übergabeerklärung Betriebsanleitung
"GPW 330 III SL 92"
ZF10: Seite 44 der Betriebsanleitung
"GPW 330 III SL92"
ZF14: Montage-Bericht "GPW 330 III SL 92"
ZF18: Vergrößerter Ausschnitt aus ZF3
VII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten ist unten in den Entscheidungsgründen aufgeführt.
Entscheidungsgründe
1. Offenkundige Vorbenutzung "Space Jet 3 Almbahn"
1.1 Die geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung beruht darauf, dass im Jahr 2004 eine Almbahn namens "Space Jet 3" installiert worden sei, in welcher ein Getriebe mit der Bezeichnung "GPW 330 III SL" verbaut worden sei, das einen Planetensteg enthalte, der den Abbildungen in ZF3 und ZF4 entspreche.
1.2 Die Kammer erachtet die offenkundige Vorbenutzung "Space Jet 3 Almbahn" aus folgenden Gründen für bewiesen:
1.2.1 Der Bau der Almbahn "Space Jet 3" im Jahr 2004 ist unter den Beteiligten unstreitig. Er ergibt sich auch aus dem Montagebericht ZF14 vom 11. Februar 2005, wonach unter der Auftragsnummer "260 668" für den Kunden "Bergbahnen Flachau" eine Anlage "Spacejet 3" vom Typ "GPW 330 III SL 92" im Jahr "2004" hergestellt wurde (ZF14, die ersten Zeilen; im Folgenden auszugsweise abgebildet).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Abbildung 1: ZF14 Auszug
1.2.2 Für dieses Produkt "GPW 330 III SL 92" unter der Auftragsnummer "260668" wurde am 29. April 2002 eine Betriebsanleitung mit der Nummer "4/3869/4510/0" in Form einer CD-ROM übergeben, wie aus ZF5 ersichtlich (im Folgenden auszugsweise abgebildet).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Abbildung 2: ZF5 Auszug
1.2.3 ZF4 ist ein auszugsweiser Ausdruck der als CD-ROM übergebenen Betriebsanleitung. Auf dem Deckblatt der Betriebsanleitung finden sich demgemäß die Nummer der Betriebsanleitung "4/3869/4510/0" in weißer Schrift links unten sowie die Produktnummer "GPW 330 III SL 92" und die Auftragsnummer "260668" in den Zeilen 2 und 4 (im Folgenden auszugsweise abgebildet).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
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FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Abbildung 3: ZF4 Auszug
1.2.4 Wie der letzten Seite des Inhaltsverzeichnisses der Betriebsanleitung ZF4 zu entnehmen ist, umfasste diese einen Anhang "E. Teilelisten". Die Nummer der Betriebsanleitung "4/3869/4510/0" ist in besser lesbarer Form mittig in der Fußzeile wiederholt (im Folgenden auszugsweise abgebildet).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
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FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Abbildung 4: ZF4 Auszug
1.2.5 ZF10 ist ein Ausdruck dieser "Teilelisten E." der Betriebsanleitung "4/3869/4510/0" zum Auftrag "260668" betreffend das Produkt "GPW 330 III SL 92", wie aus den Kopf- und Fußzeilen ersichtlich. Darin ist, wie im folgenden Auszug der ZF10 abgebildet, in der zweiten bis vierten Spalte unter Position "571" ein "Planetensteg" mit der Nummer "1 0384/7082 1" aufgelistet.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
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FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
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FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Abbildung 5: ZF10 Auszug
1.2.6 Die Nummer "1 0384/7082 1" dieses Planetenstegs entspricht der Zeichnungsnummer der ZF3, die in ZF18 wie folgt vergrößert abgebildet ist.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Abbildung 6: ZF3/ZF18 Auszug
1.2.7 Ferner stimmt die Zeichnungsnummer "0 3869/1202 0" in der Kopfzeile der ZF10 betreffend das Seilbahngetriebe "GPW 330 III SL 92" mit der Nummer der in ZF4 abgebildeten Zeichnungen des Seilbahngetriebes überein (ZF4, letzte und vorletzte Seite, jeweils rechts in der Ecke; im Folgenden auszugsweise abgebildet).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Abbildung 7: ZF4 Auszug
1.2.8 Der in ZF3 dargestellte Planetensteg entspricht folglich dem in der Almbahn "Space Jet 3" im Jahr 2004 verbauten Planetensteg.
1.3 Die Beschwerdeführerin argumentierte, für sämtliche oben genannten Dokumente sei nicht bewiesen, dass sie nicht nachträglich verändert wurden. Die Echtheit und Unverfälschtheit der Dokumente sei weder bezeugt noch dadurch belegt, dass diese im Original und mit einer Unterschrift versehen vorliegen. Für die ZF4 und ZF10 sei ferner aufgrund des unterschiedlichen Druckbilds der einzelnen Seiten nicht glaubhaft, dass es sich hierbei um einen Ausdruck des Inhalts der CD-ROM handle, die gemäß ZF5 übergeben wurde. Die geltend gemachte Vorbenutzung sei daher nicht zweifelsfrei bewiesen.
Darüber hinaus sei aufgrund der langjährigen Geschäftsbeziehung zwischen den beteiligten Firmen davon auszugehen, dass eine stillschweigende Geheimhaltungsvereinbarung bestanden habe. Daher sei die Almbahn "Space Jet 3" durch deren Bau im Jahr 2004 nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.
1.4 Im vorliegenden Fall ergeben sich jedoch aus den oben genannten Dokumenten keinerlei Unstimmigkeiten, die berechtigte Zweifel daran aufkommen lassen, dass diese echt und unverfälscht sind. Eine absichtliche Manipulation der Dokumente schloss selbst die Beschwerdeführerin ausdrücklich aus. Eine versehentliche Abänderung der Dokumente, die in den oben dargelegten Übereinstimmungen resultiert, ist aber schon deshalb höchst unwahrscheinlich, weil die Übereinstimmungen jeweils mehrere mehrstellige Identifikationsnummern betreffen, nämlich
- der Produktnummer "GPW 330 III SL 92" und der Auftragsnummer "260668" bei ZF14 und ZF5,
- der Produktnummer "GPW 330 III SL 92", der Auftragsnummer "260668" und der Nummer der Betriebsanleitung "4/3869/4510/0" bei ZF5, ZF4 und ZF10 sowie
- der Zeichnungsnummer "1/0384/7082/1" bei ZF10 und ZF3 und der Zeichnungsnummer "0/3869/1202/0" bei ZF10 und ZF4.
Nach der Lebenserfahrung ist es äußerst unwahrscheinlich, dass derartige mehrfache Übereinstimmungen versehentlich entstehen.
Auch ein unterschiedliches Druckbild bei mehreren Dokumenten ist kein Hinweis darauf, dass diese nicht gemeinsam auf einer CD-ROM, sei es in einer einzigen Datei oder in mehreren Dateien, gespeichert waren.
Die Beweiskette ist folglich lückenlos und die geltend gemachte Vorbenutzung nach Auffassung der Kammer zweifelsfrei bewiesen.
1.5 Ferner ergeben sich im vorliegenden Fall keine Hinweise auf eine stillschweigende Geheimhaltungsvereinbarung zwischen den beteiligten Firmen. Die Beschwerdeführerin konnte auch nicht zur Überzeugung der Kammer darlegen, dass stillschweigende Geheimhaltungsvereinbarungen bei derartigen Bauvorhaben die Regel waren.
Die Almbahn "Space Jet 3" ist daher durch ihren Bau im Jahr 2004 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.
2. Hauptantrag - Neuheit
2.1 Die Beschwerdeführerin hat die Neuheitsschädlichkeit des in ZF3 gezeigten Planetenträgers für den Gegenstand des Anspruchs 2 des Hauptantrags nicht infrage gestellt.
2.2 Die ZF3, im Folgenden abgebildet, zeigt einen Planetenträger bzw. Planetensteg 606, der aus einem Gussteil gefertigt ist (ZF3: "Gußfreimaßtoleranzen nach DIN 1683-GTB 18"), wobei das Gussteil für einen einstückigen Planetenträger vorgesehen ist.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Abbildung 8: ZF3
2.3 Das Gussteil umfasst einen Grundkörper 601, aus welchem Rohbolzen 603 ("Rohteilkontur") hervorstehen, wobei die Rohbolzen 603 jeweils eine Form aufweisen, aus welcher jeweils ein Bolzen 607 für ein Planetenrad in verschiedenen Positionen, also in verschiedenen Radialabständen zu einer Drehachse 605 des Planetenträgers, auf dem Grundkörper 601 fertigbar ist.
2.4 Der Grundkörper 601 ist scheibenförmig ausgeformt (siehe Front- und Seitenansicht), wobei die Rohbolzen 603 annähernd senkrecht oder senkrecht vom Grundkörper abstehen und wobei die Rohbolzen 609 und die Bolzen 607 parallel zur Drehachse 605 des Planetenträgers ausgerichtet sind (siehe Seitenansicht).
2.5 Die Rohbolzen 603 zeigen jeweils aus axialer Blickrichtung eine in radialer Richtung ovalförmig verlängerte Grundfläche 609 (siehe Frontansicht) am Ansatz zum Grundkörper 601.
2.6 Der Gegenstand des Anspruchs 2 des Hauptantrags ist folglich nicht neu gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung "Space Jet 3 Almbahn".
2.7 Somit steht der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a), 54 EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung entgegen (Artikel 101 (2) Satz 1 EPÜ).
3. 1. Hilfsantrag - Neuheit
3.1 Die Beschwerdeführerin hat auch für den Gegenstand des Anspruchs 2 des 1. Hilfsantrags nicht infrage gestellt, dass dieser durch den in ZF3 gezeigten Planetenträger neuheitsschädlich vorweggenommen wird.
3.2 Anspruch 2 des 1. Hilfsantrags ist identisch zu Anspruch 2 des Hauptantrags. Der von Anspruch 2 in Bezug genommene Anspruch 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch das zusätzliche Merkmal am Ende des Anspruchs, wonach
die Form des jeweiligen Rohbolzens bis auf die nötige Formschräge, bedingt durch den Giessprozess, als Zylinder mit der Grundfläche (102) als Basis gebildet ist, wobei die Stirnfläche des freistehenden Endes des jeweiligen Rohbolzens, bedingt durch den Giessprozess, konvex gekrümmt ist.
3.3 Diese Eigenschaft des Rohbolzens hat aber keinen Einfluss auf den in Anspruch 2 beanspruchten fertigen Planetenträger. Der Bolzen des fertigen Planetenträgers wird nämlich aus dem Rohbolzen erst durch weitere Bearbeitung wie beispielsweise ein spanabtragendes Verfahren herausgebildet (Patent, Absatz [0028]).
Daher gelten bezüglich Anspruch 2 des 1. Hilfsantrags die obigen Ausführungen hinsichtlich mangelnder Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 2 des Hauptantrags unverändert.
3.4 Der 1. Hilfsantrag ist daher aufgrund mangelnder Neuheit nicht gewährbar.
4. 2. Hilfsantrag - Neuheit
4.1 Anspruch 2 des 2. Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 2 des Hauptantrags bzw. des 1. Hilfsantrags durch folgendes Merkmal am Ende des Anspruchs:
wobei der Grundkörper eine zentrale kreisförmige Öffnung mit einer Innenverzahnung aufweist und um die kreisförmige Öffnung verdickt ausgeführt ist, und der Planetenträger annähernd in den Ecken des Grundkörpers senkrecht zum Grundkörper drei Bolzen für Planetenräder aufweist, welche aus den Rohbolzen in unterschiedlichen Abständen zum Zentrum der kreisförmigen Ausnehmung herstellbar sind.
4.2 In der angefochtenen Entscheidung wurde diesbezüglich festgestellt, der Grundkörper 601 des Planetenträgers 606 der ZF3 weise eine zentrale kreisförmige Öffnung 611 mit einer Innenverzahnung 613 auf und sei um diese kreisförmige Öffnung, an der Stelle 615 in der Seitenansicht, verdickt ausgeführt.
4.3 Die Beschwerdeführerin argumentierte, die axiale Dicke des Bauteils nehme bei 615 nicht zu, sondern sei konstant, da dort, wo in der Seitenansicht links eine Materialanhebung 615 vorhanden sei, auf der anderen Seite, also in der Seitenansicht rechts, eine Stufe ausgeführt sei.
4.4 Die Seitenansicht des Planetenträgers 606 in ZF3 ist im Folgenden auszugsweise vergrößert abgebildet.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Abbildung 9: ZF3 Auszug
4.5 Der Grundkörper 601 des Planetenträgers 606 weist auf der linken Seite bei 615 eine Materialanhebung auf.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Grundkörpers 601, in obiger Abbildung rechts oben, befindet sich eine Materialvertiefung in Form einer Stufe.
Die jeweilige radiale Erstreckung der Materialanhebung und der Materialvertiefung, also deren jeweilige Ausdehnung in radialer Richtung, ist dabei nicht identisch. Tatsächlich beginnt die Materialanhebung 615 radial weiter außen als die auf der gegenüberliegenden Seite befindliche Vertiefung. Es existiert also ein Bereich, in dem links die Materialanhebung bereits vorhanden ist, rechts aber noch keine Vertiefung. In diesem Bereich ist der Grundkörper verdickt ausgeführt. Diese Verdickung verläuft um die kreisförmige Öffnung 611 herum. Der Grundkörper 601 des Planetenträgers 606 in ZF3 ist folglich, wie vom Anspruchswortlaut gefordert, um die kreisförmige Öffnung 611 verdickt ausgeführt.
4.6 Da es sich bei der ZF3 um eine technische Zeichnung mit Bemaßungen handelt, ist diese Detailinformation der ZF3 auch unmittelbar und eindeutig zu entnehmen.
4.7 Auch der Gegenstand des Anspruchs 2 des 2. Hilfsantrags ist daher nicht neu gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung "Space Jet 3 Almbahn", sodass auch der 2. Hilfsantrag nicht gewährbar ist.
5. 3. Hilfsantrag - Neuheit
5.1 Bei Anspruch 1 des 3. Hilfsantrags handelt es sich um eine Kombination der Merkmale der Ansprüche 1 und 2 des 2. Hilfsantrags.
5.2 Daher gelten die obigen Ausführungen zum 2. Hilfsantrag (siehe oben Punkt 4.) analog.
5.3 Die Beschwerdeführerin trat dem nicht entgegen.
5.4 Auch der 3. Hilfsantrag ist folglich aufgrund mangelnder Neuheit nicht gewährbar.
6. 4. Hilfsantrag - Änderungen
6.1 Anspruch 1 des 4. Hilfsantrags ist auf ein "Rohbauteil für einen einstückigen Planetenträger für ein Planetengetriebe" gerichtet.
6.2 Durch die weiteren Merkmale des Anspruchs wird zunächst der Planetenträger näher spezifiziert, beispielsweise dass er aus einem Gussteil gefertigt ist und einstückig ausgeführt ist. Im weiteren Verlauf des Anspruchs wird das Gussteil näher spezifiziert, beispielsweise dass es einen Grundkörper umfasst, aus welchem Rohbolzen hervorstehen etc. Alle diese Merkmale schränken aber das beanspruchte Rohbauteil strukturell nicht ein.
6.3 Die Beschwerdeführerin argumentierte, der Fachmann verstehe unter einem Rohbauteil das Bauteil, das spanabtragend bearbeitet wird. Im Fachwissen sei dies bei Planetenträgern stets ein Gussteil.
6.4 Der Begriff "Rohbauteil" ist jedoch breit. Er umfasst nicht nur ein Bauteil, das spanabtragend bearbeitet wird, sondern auch ein Bauteil im Zustand davor, also beispielsweise vor einem (Um-)Gießen, wie von der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung unter Punkt 19 der Entscheidungsgründe zutreffend festgestellt.
6.5 Für ein solches Rohbauteil enthält die ursprünglich eingereichte Anmeldung keine Offenbarung.
6.6 Anspruch 1 des 4. Hilfsantrags verstößt daher gegen Artikel 123 (2) EPÜ, sodass der Antrag nicht gewährbar ist.
7. 5. Hilfsantrag - Neuheit
7.1 Die Ansprüche 1 und 2 des 5. Hilfsantrags sind identisch zu den Ansprüchen 1 und 2 des 1. Hilfsantrags.
7.2 Folglich gelten obige Ausführungen zur Neuheit des 1. Hilfsantrags unverändert (siehe oben Punkt 3.), sodass der 5. Hilfsantrag aus denselben Gründen wie der 1. Hilfsantrag nicht gewährbar ist.
8. 6. Hilfsantrag - Neuheit
8.1 Die Ansprüche 1 und 2 des 6. Hilfsantrags sind identisch zu den Ansprüchen 1 und 2 des 2. Hilfsantrags.
8.2 Folglich gelten obige Ausführungen zur Neuheit des 2. Hilfsantrags unverändert (siehe oben Punkt 4.), sodass der 6. Hilfsantrag aus denselben Gründen wie der 2. Hilfsantrag nicht gewährbar ist.
9. 7. Hilfsantrag - Neuheit
9.1 Der Anspruch 1 des 7. Hilfsantrags ist identisch zu Anspruch 1 des 3. Hilfsantrags.
9.2 Folglich gelten obige Ausführungen zur Neuheit des 3. Hilfsantrags unverändert (siehe oben Punkt 5.), sodass der 7. Hilfsantrag aus denselben Gründen wie der 3. Hilfsantrag nicht gewährbar ist.
10. 8. Hilfsantrag - Zulassung in das Verfahren
10.1 Der 8. Hilfsantrag wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Er umfasst - als einzigen Anspruch - den Anspruch 1 des 5. Hilfsantrags, der identisch mit Anspruch 1 des 1. und 2. Hilfsantrags ist. Die übrigen Ansprüche wurden gestrichen.
10.2 Der Gegenstand des verbleibenden Anspruchs 1, der auf ein Gussteil für einen einstückigen Planetenträger gerichtet ist, wurde weder in der angefochtenen Entscheidung noch im Verfahren vor der Beschwerdekammer diskutiert. Die Streichung der übrigen Ansprüche führt daher zu einer völligen Neugewichtung des Verfahrensgegenstandes und macht erstmalig eine Diskussion hinsichtlich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit des Anspruchs 1 erforderlich. Schon deshalb stellt der 8. Hilfsantrag eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK dar.
10.3 Da die Beschwerdeführerin keine stichhaltigen Gründe dafür aufgezeigt hat, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, bleibt der 8. Hilfsantrag gemäß Artikel 13 (2) VOBK unberücksichtigt.
10.4 Der 8. Hilfsantrag wurde demgemäß nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen.
11. Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer
11.1 Die Beschwerdeführerin hatte ursprünglich beantragt, der Großen Beschwerdekammer die mit der Beschwerdebegründung und mit ihrem Schreiben vom 8. April 2024 eingereichten Fragen zur Vernehmung eines Zeugen per Videokonferenz vorzulegen.
11.2 Die Beschwerdeführerin hatte im Wesentlichen beanstandet, dass die Zeugenvernehmung nicht geeignet gewesen sei, die behaupteten Tatsachen zu beweisen, da das gewählte Format der Vernehmung, nämlich per Videokonferenz, vielfältige Möglichkeiten einer Einflussnahme oder Manipulation eröffnet hätten. Daher sollten der Großen Beschwerdekammer Fragen hinsichtlich der Obliegenheitspflichten der Einspruchsabteilung vorgelegt werden, insbesondere ob sich die Einspruchsabteilung "versichern muss
- ob der Zeuge kein deepfake ist,
- ob der Zeuge eine wirkliche (reale) menschliche Person ist,
- ob der vernommene Zeuge die angegebene Identität vollständig und nicht nur teilweise aufweist,
- ob der Ausweis echt ist und/oder physisch existent ist und/oder kein deepfake ist,
- ob der Zeuge unbeeinflusst ist, beispielsweise durch einen 360° Kameraschwenk zur Einsichtnahme in den gesamten Raum,
oder ob die bloße Aussage des Zeugen physisch ungeprüft hingenommen werden müsse (z.B. mit dem Risiko, dass der Zeuge ein deepfake ist, welcher durch eine andere Person geschauspielert wird)" (Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 8. April 2024, Seite 3).
11.3 Wie oben unter Punkt 1. dargelegt, und im Laufe der mündlichen Verhandlung von der Vorsitzenden erläutert, ist die beanstandete Zeugenvernehmung jedoch für den Beweis der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung "Space Jet 3 Almbahn", und damit die vorliegende Entscheidung, nicht relevant (Artikel 112 (1) a) EPÜ). Demgemäß erklärte die Vorsitzende während der mündlichen Verhandlung, dass eine Vorlage diesbezüglicher Fragen an die Große Beschwerdekammer nicht in Betracht komme.
11.4 Die Patentinhaberin widersprach dieser Feststellung nicht und erklärte, dass die Vorlage angesichts der Auffassung der Kammer keinen Sinn mehr ergeben würde.
11.5 Die Kammer wertet dies als implizite Rücknahme des Antrags.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.