W 0003/87 30-09-1987
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Verfahren zur ein- oder mehrstufigen vorzugsweise simultanen SO2- und NOx-Abscheidung aus Rauchgasen in einem Naßverfahren
I. Die Anmelder haben am 29. November 1986 beim Europäischen Patentamt die internationale Anmeldung PCT/EP.... eingereicht.
II. Die Zweigstelle in Den Haag des Europäischen Patentamts hat dem Vertreter der Anmelder eine Aufforderung zur Zahlung zusätzlicher Recherchengebühren vom 6. April 1987 zugestellt, in der die internationale Recherchenbehörde die Auffassung vertritt, daß die internationale Anmeldung dem Erfordernis der Einheitlichkeit nicht entspricht. Zur Begründung werden folgende drei Erfindungen in folgenden drei Anspruchsgruppen aufgeführt:
1) Patentansprüche 1-23
Nassverfahren zur NOx, SO2 Abscheidung mit Rückgewinnung von EDTA und Beseitigung der Waschwässer.
2) Patentansprüche 24-28
Mechanische Gestaltung einer Elektrolysezelle zur Regeneration der Waschlösung.
3) Patentanspruch 29
Trockenverfahren zur Abscheidung von SO2, HC1, HF mit Kalkhydrat im Sprühabsorber.
III. Der Vertreter der Anmelder hat daraufhin eine zusätzliche internationale Recherchengebühr überwiesen, die zufolge seinem am 28. April 1987 eingegangenen Schreiben für die Patentansprüche 24 bis 28 bestimmt ist.
In diesem Schreiben legt er gleichzeitig gemäß Regel 40.2.c PCT Widerspruch gegen die Zahlung ein. Als Begründung wird angeführt, daß die erforderliche Einheitlichkeit gegeben sei, da die Merkmale der Patentansprüche 24 bis 28 durch den gezielten Einsatz von Schwingungen lediglich vorteilhafte Ausgestaltungen der in den Ansprüchen 1 bis 23 gekennzeichneten Erfindung darstellen würden.
Hilfsweise wird eine teilweise Rückzahlung der zusätzlich entrichteten Recherchengebühr mit der Begründung beantragt, daß der gezielte Einsatz von Schwingungen nur ein zusätzliches Merkmal sei.
1. Der Widerspruch entspricht der Regel 40.2.c PCT; er ist daher zulässig.
2. Aus den Angaben in der ergangenen Aufforderung zur Zahlung zusätzlicher Recherchengebühren geht klar hervor, daß die als internationale Recherchenbehörde handelnde Zweigstelle in Den Haag des Europäischen Patentamts die mangelnde Einheitlichkeit aufgrund der oben in Punkt II genannten drei Anspruchsgruppen beanstandet. Die in der Aufforderung gegebene Definition der Gegenstände dieser Anspruchsgruppen ist eindeutig und vollständig, macht ihre technischen Unterschiede verständlich und gestattet dem Fachmann in Verbindung mit den Anmeldungsunterlagen ohne zusätzliche Erläuterung zu erkennen, aufgrund welcher technischen Sachverhalte der Ansprüche eine einzige allgemeine erfinderische Idee in den drei Anspruchsgruppen nicht anerkannt wird. Damit ist nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall die bloße Auflistung der Anspruchsgruppen als Begründung der Nichteinheitlichkeit hinreichend und eine darüberhinausgehende Erörterung dieser Gründe überflüssig. Ferner läßt auch die sachlich fundierte Gegenargumentation der Anmelder erkennen, daß die Auffassung der internationalen Recherchenbehörde voll verstanden worden ist.
3.1 Gemäß Regel 13.1 PCT darf sich die internationale Anmeldung nur auf eine Erfindung oder auf eine Gruppe von Erfindungen beziehen, die so zusammenhängen, daß sie eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen.
3.2 Regel 13.4 PCT lautet: "Vorbehaltlich der Regel 13.1 ist es zulässig, in einer internationalen Anmeldung eine angemessene Zahl abhängiger Ansprüche, mit denen bestimmte Ausführungsformen der in einem unabhängigen Anspruch geltend gemachten Erfindung beansprucht werden, aufzunehmen, auch dann, wenn die Merkmale des abhängigen Anspruchs für sich genommen als unabhängige Erfindung angesehen werden könnten".
3.3 In Bezug auf die oben in Pkt. III. dargelegte Auffassung der Anmelder hält es die Kammer für angebracht, darauf hinzuweisen, daß aufgrund des in Regel 13.4 PCT explizit genannten Vorbehalts der Regel 13.1 PCT ein abhängiger Anspruch einer internationalen Anmeldung nicht schon aufgrund seiner formellen Rückbeziehung auf einen unabhängigen Anspruch das Erfordernis der Einheitlichkeit erfüllt. Es ist vielmehr gesondert zu untersuchen, ob die zusätzlichen Merkmale des abhängigen Anspruchs - auch wenn sie eine bestimmte Ausführungsform der Erfindung darstellen -mit den Merkmalen eines unabhängigen Anspruchs so zusammenhängen, daß sie eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen. Bei dieser Untersuchung ist von der "im unabhängigen Anspruch geltend gemachten Erfindung" auszugehen. Ferner kann die Beantwortung der Frage, ob die "allgemeine Idee", über die die vorliegenden unabhängigen und ein von diesen abhängiger Anspruch zusammenhängen, "erfinderisch" ist, im vorliegenden Fall bereits anhand der Angaben in den Anmeldungsunterlagen erfolgen (a priori Einheitlichkeit vor Recherche und Sachprüfung).
4. Gemäß Anspruch 1 betrifft die geltend gemachte Erfindung ein Verfahren zur SO2- und NOx-Abscheidung aus Rauchgasen, bei dem im wesentlichen:
a) eine Waschflüssigkeit mit folgenden Additiven benutzt wird: Kalkstein (CaCO3) bzw. Kalkhydrat (Ca(OH)2), EDTA bzw. NTA, und/oder Polycarbonsäuren und CaSO4 bzw. CaSO3, (die SO2-Wäsche mit CaCO3 und Ca(OH)2 führt zur Anreicherung der Feststoffe CaSO4 2H2O und CaSO3 im Waschkreislauf, vgl. die Beschreibung S.6, Abs.3. Die NOx-Wäsche, insbesondere mit Fe-II-EDTA- Komplexen überführt die NOx-Gase in die flüssige Phase, wo sie mit Hilfe weiterer Verfahrensschritte zu N2 reduziert werden, vgl. die Beschreibung Seiten 10 und 11.)
b) eine Teilmenge des Waschwassers über eine Feststoffflüssigkeits-Trennstufe aktiviert wird; (Entfernung der Feststoffe CaSO4 2H2O und CaSO3; vgl. die Beschreibung S.6, Abs.3.)
c) in einer mit N+S-Salzen beladenen Teilmenge an Filtratwasser EDTA gefällt und in den Waschwasserkreislauf rückgeführt wird; und
d) danach diese Teilmenge (im Rahmen der NOx-Reduktion zu N2) einem Verbrennungskessel zugeführt wird; (vgl. auch die Beschreibung, S.2, Abs.1.) sowie
e) die von der Feststofflüssigkeits-Trennstufe abgegebene inaktive Flüssigkeit in einen Reaktionsbehälter gegeben, dort durch Zugabe reduzierender Additive aktiviert und anschließend in den Waschwasserkreislauf rückgeführt wird. (Hierdurch wird das durch Sauerstoff aus dem Rauchgas zu Fe-III- Komplexen oxydierte Fe-II-EDTA wieder aktiviert für die NOx-Wäsche gemäß Schritt a); vgl. auch die Beschreibung S.12, Abs.3.)
5. Die auf Anspruch 1 direkt oder indirekt rückbezogenen Ansprüche 24 bis 28 fügen alle zu den Verfahrensschritten des Anspruchs 1 einen Schritt hinzu, bei dem eine Elektrolysezelle verwendet werden soll. Jedoch nur der Wortlaut des Anspruchs 26 läßt den Zweck der Elektrolysezelle erkennen: Sie dient dazu, das in der Waschlösung vorliegende FE-III zu FE-II zu reduzieren. Diese Funktion erfüllt aber beim Verfahren nach Anspruch 1 bereits die im Schritt e) zugebenen "reduzierenden Additive". Das Gleiche gilt bezüglich der unabhängigen Ansprüche 2 bis 4, auf die Anspruch 26 fakultativ zurückbezogen ist. Der vorliegende sachliche Widerspruch der Ansprüche läßt sich mit Hilfe der Beschreibung beheben, die auf S.12, Abs. 3, klarstellt, daß die Reduktion durch eine Elektrolysezelle und die Reduktion durch Zugabe reduzierender Additive nur alternativ eingesetzte Arbeitsmittel darstellen. Damit ist für den Fachmann nach Auffassung der Kammer erkennbar, daß die in den Ansprüchen 24 bis 28 enthaltenen Maßnahmen bei keiner der in Anspruch 1 bis 4 geltend gemachten Erfindungen zur Anwendung kommen. Ein darüberhinausgehender sachlicher Zusammenhang einer Elektrolysezelle mit der SO2- und NOx- Abscheidung ist der Beschreibung nicht zu entnehmen. Durch die in den Ansprüchen 24 bis 28 angegebenen Merkmale wird also keiner der in den Ansprüchen 1 bis 4 enthaltenen Schritte weiter spezifiziert. Somit definiert keiner der Ansprüche 24 bis 28 eine bestimmte Ausführungsform der in den unabhängigen Ansprüchen 1 bis 4 geltend gemachten Erfindungen.
6. Wie oben unter Punkt 3.3 dargelegt wäre selbst dann, wenn die Ansprüche 24 bis 28 eine bestimmte Ausführungsform i.S.d. Regel 13.4 PCT wären, noch zu untersuchen, ob die Merkmale des Anspruchs 1 einerseits und die zusätzlichen Merkmale der Ansprüche 24 bis 28 andererseits jeweils über eine allgemeine erfinderische Idee zusammenhängen. Ein derartiger Zusammenhang wäre anzuerkennen, wenn die in den Ansprüchen 24 bis 28 jeweils zum Ausdruck kommende technische Lehre im Rahmen der erfinderischen Idee des Anspruchs 1 liegen würde (vgl. auch die unveröffentlichte Entscheidung W 02/83 der Beschwerdekmamer 3.2.1 des EPA vom 29. Februar 1984), oder wenn die zusätzlichen Maßnahmen der Ansprüche 24 bis 28 jeweils dazu beitragen würden, die Problemlösung gemäß einem der unabhängigen Ansprüche 1 bis 4 zu verbessern (vgl. auch die unveröffentlichte Entscheidung W 04/86 der Beschwerdekammer 3.4.1 des EPA vom 9. September 1986).
6.1 Wie der Beschreibung S.2, Abs.1, wörtlich zu entnehmen ist, besteht die dem Verfahren nach Anspruch 1 innewohnende erfinderische Idee a priori darin, das Problem der wirtschaftlichen Gestaltung der SO2- und NOx- Abscheidung zu lösen, indem aus der mit N+S-Salzen beladenen Teilmenge an Filtratwasser das wertvolle Einsatzprodukt EDTA durch Fällung zurückgewonnen und in den Waschkreislauf zurückgeführt wird (vgl. Schritt c) in Punkt 4).
6.2 Die in den Zusatzmerkmalen des Anspruchs 26 zum Ausdruck kommende technische Lehre ist in Verbindung mit der Beschreibung, S.5, Abs.4 und S.6, Abs.1, im folgenden zu sehen: Der Einsatz an teuren Reduktionsmitteln (vgl. Schritt e) in Punkt 4) läßt sich minimieren, indem das in der Waschlösung vorliegende, durch den Rauchgas-Sauerstoff aufoxidierte Fe-III mit Hilfe einer in einem Bypass zum Waschlösungskreislauf angeordneten Elektrolysezelle zu Fe- II reduziert wird. Das die Ansprüche 1 und 26 verknüpfende Element ist eine ökonomische Verfahrensführung. In technischer Hinsicht besteht keinerlei Zusammenhang. Die EDTA-Fällungsreaktion gemäß Anspruch 1 und die elektrolytische Reduktion des Fe-III zu Fe-II sind ohne einen gemeinsamen Verfahrensschritt jeweils für sich getrennt durchführbar und laufen ohne jegliche gegenseitige funktionelle Wechselwirkung ab. Somit liegen in den Ansprüchen 1 und 26 zwei völlig voneinander unabhängige technische Lehren vor, denen keine Maßnahmen gemeinsam sind, welche sich zu einer beide Ansprüche verbindenden erfinderischen Idee verallgemeinern ließen. Desweiteren ist die elektrolytische Fe-III-Reduktion zu Fe-II ohne jeglichen Einfluß auf die Fällung von EDTA und vermag somit nicht der Problemlösung gemäß Anspruch 1 zu verbessern.
Die gleichen Überlegungen gelten auch bezüglich des Verhältnisses zwischen Anspruch 26 und den unabhängigen Ansprüchen 2 bis 4.
6.3 Da in den Anmeldungsunterlagen keinerlei weitere Einsatzmöglichkeiten einer Eleltrolysezelle offenbart sind, ist zunächst zu unterstellen, daß auch die in den Ansprüchen 24, 25, 27 und 28 genannte Elektrolysezelle mit der SO2-und NOx-Abscheidung nach Anspruch 1 sachlich nur über die Fe-III-Reduktion zu Fe-II zusammenhängt. Wie aus der Beschreibung, S.13, Abs.5 bis S.14, Abs.3 hervorgeht, verkörpern die Zusatzmerkmale der Ansprüche 24, 25, 27 und 28 im wesentlichen folgende technische Lehre: Die durch ihren Feststoffgehalt bedingte schlechte elektrische Leitfähigkeit der Waschlösung und die auf den Membranen der Elektrolysezelle auftretende Inkrustierung sollen durch den Einsatz von Ultraschall im Bereich der Elektrolysezelle vermieden werden. Der Ultraschall beschleunigt das Agglomerieren und Absetzen der Feststoffe in der Waschlösung und läßt die Inkrustationen von den Membranen der Elektrolysezelle abfallen. Die in den Ansprüchen 24, 25, 27 und 28 enthaltenen zusätzlichen Maßnahmen weisen also keine mit der EDTA-Fällung gemäß Anspruch 1 gemeinsamen Verfahrensschritte auf. Es ist dem Fachmann ohne weiteres gegeben, daß der von der Anmelderin geltend gemachte gezielte Einsatz von Schwingungen nur das Agglomerieren und Absetzen der Feststoffe: CaSO4 2H2O und CaSO3 (vgl. Schritt a)) in der von der Feststoffflüssigkeits- Trennstufe abgegebenen inaktiven Flüssigkeit (Schritt e)) im Bereich der Elektrolysezelle fördert, nicht aber die außerhalb des Einflußbereichs der Elektrolysezelle durchgeführte EDTA-Fällungsreaktion in dem mit N+S-Salzen beladenen Filtratwaser (Schritt c)). Die für den Fachmann in den Anmeldungsunterlagen erkennbare Wirkung der Zusatzmaßnahmen der Ansprüche 24, 25, 27 und 28 besteht also ausschließlich darin, die Funktionsfähigkeit der Elektrolysezelle zu verbessern und aufrecht zu erhalten. Damit führen die zusätzlichen Merkmale dieser Ansprüche allein zu einer Verbesserung der Fe-III-Reduktion zu Fe- II, die aber ihrerseits in keinen funktionellen Zusammenhang mit der EDTA-Fällung gemäß Anspruch 1 gebracht werden kann, wie oben in Punkt 6.2 näher ausgeführt ist.
6.4 Aus den vorstehend in Punkt 6.2 und 6.3 genannten Gründen ist die Kammer überzeugt, daß die Ansprüche 24 bis 28 gegenüber den Ansprüchen 1 bis 23 nicht die gemäß Regel 13.1 PCT- und 13.4 PCT erforderliche Einheitlichkeit der Erfindung aufweisen.
7. Es folgt somit, daß die Aufforderung vom 6. April 1987 zur Zahlung zusätzlicher Recherchengebühren zu Recht ergangen und der Widerspruch gegen die Zahlung einer zusätzlichen Recherchengebühr für die Ansprüche 24 bis 28 nicht begründet ist.
8. Zum Hilfsantrag der Anmelder auf teilweise Rückzahlung der für eine einzige zusätzliche Erfindung gezahlten zusätzlichen Recherchengebühr ist folgendes zu bemerken: Der in Regel 40.2 c PCT vorgesehene Widerspruch gegen einen "überhöhten" Betrag der geforderten zusätzlichen Gebühr sowie die hierin vorgesehene "teilweise Rückzahlung der zusätzlichen Gebühr" ist in Verbindung mit dem Erfordernis der Einheitlichkeit auszulegen. Gemäß der mit dem Sinn der Vorschriften der Regel 13 PCT in Einklang stehenden ständigen Praxis der als internationale Recherchenbehörde tätigen Zweigstelle in Den Haag des EPA ist für jede einzelne in einer internationalen Anmeldung enthaltene zusätzliche Erfindung eine eigene zusätzliche Recherchengebühr zu zahlen. Unter dem Begriff "zusätzliche Gebühr" in Regel 40.2 c) PCT ist der insgesamt zu zahlende Betrag also das Produkt aus der Anzahl der zusätzlichen Erfindungen mal der zusätzlichen Gebühr für eine zusätzliche Erfindung zu verstehen. Eine teilweise Rückzahlung der zusätzlichen Gebühr kann somit nur erfolgen, wenn bei der Prüfung des Widerspruchs festgestellt wird, daß die internationale Anmeldung weniger zusätzliche Erfindungen umfaßt als der Gebührenberechnung zugrundegelegt würde. Dieser Sachverhalt ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Ein Antrag auf Unterschreitung der zusätzlichen Recherchengebühr für eine einzige zusätzliche Erfindung, insbesondere bei mangelnder Einheitlichkeit einer Gruppe abhängiger Ansprüche, findet in den Vorschriften des PCT keine Stütze. Darüberhinaus sieht Regel 40.2.c PCT auch eine teilweise Rückzahlung der zusätzlichen Gebühr nur vor, soweit - anders als im vorliegenden Fall; vgl. oben Pkt.7 - der Widerspruch begründet ist.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
Die vollständige oder teilweise Rückzahlung der zusätzlich entrichteten Recherchengebühr an die Anmelder wird abgelehnt.