T 0849/95 15-12-1998
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Verfahren zur Bearbeitung von Rundmaterial oder dergleichen im Wirbelverfahren
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr (nein)
Antrag auf Kostenverteilung (nein)
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die am 11. September 1995 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs die am 13. Oktober 1995 eingegangene Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 1. Dezember 1995 eingegangen.
II. Das gesamte Patent war im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ wegen Mangel an erfinderischer Tätigkeit angegriffen worden.
Das Vorbringen wurde in der Einspruchsabteilung auf die Druckschriften
(1) Firmendruckschrift "Wirbelinformation" und (3) DD-A-207 873
sowie auf die Behauptung einer offenkundigen Vorbenutzung gestützt. Als Beweismittel zu der offenkundigen Vorbenutzung wurden als Anlagen 1, 2a, 2b, 3a, 3b, 4a, 4b, 5 und 6 gekennzeichnete Konstruktionszeichnungen eingereicht sowie Zeugenbeweis angeboten.
Die Einspruchsabteilung war in der angefochtenen Entscheidung zu der Auffassung gekommen, daß die vorgebrachten Beweismittel das Fehlen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen könnten und somit die vorgebrachten Gründe der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegenstünden.
III. In der Beschwerdebegründung hielt die Beschwerdeführerin den Vorwurf mangelnder erfinderischer Tätigkeit aufrecht und stützte ihn, zusätzlich zu den in der Vorinstanz genannten Druckschriften und Beweismitteln, noch auf die Druckschrift
(4) EP-A-084 379
sowie auf die Behauptung von zwei weiteren offenkundigen Vorbenutzungshandlungen, zu deren Beweis die Kopie eines vom 21. Oktober 1993 datierten Prospekt "FKP-120" der Firma GFM Gesellschaft für Fertigungstechnik und Maschinenbau AG, sowie vier Skizzen eingereicht wurden. Ferner wurde auch zu diesen Vorbenutzungshandlungen Zeugenbeweis angeboten.
IV. Zur Vorbereitung auf eine für den 15. Dezember 1998 angesetzte mündliche Verhandlung teilte die Kammer in einem Bescheid mit, daß sie beabsichtige die verspätet genannte Druckschrift aufgrund ihrer Relevanz im Verfahren zu berücksichtigen. Dagegen würde beabsichtigt, die in der Beschwerdebegründung erstmals behaupteten Vorbenutzungshandlungen nicht zu berücksichtigen, da sie einerseits verspätet vorgebracht worden seien und dem Gegenstand des Streitpatents nicht näher kämen als der durch die Druckschrift (4) repräsentierte Stand der Technik und sie andererseits nicht so ausreichend substantiiert seien, daß die Überprüfung des Vorbringens ohne jegliche Sachaufklärung möglich sei. Ferner beabsichtige die Kammer nicht zu den bereits im Einspruchsverfahren geltend gemachten Vorbenutzungshandlungen Beweis zu erheben, da sich aus den dazu eingereichten schriftlichen Beweismitteln in Zusammenschau mit der Druckschrift (3) voraussichtlich kein anders zu bewertender Sachverhalt ergeben könnte als durch die Zusammenschau der Druckschriften (3) und (4).
V. Die Beschwerdeführerin nahm zu dem Bescheid sachlich nicht Stellung, sondern teilte vielmehr am Morgen der mündlichen Verhandlung per Telekopie mit, daß sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde und beantragte eine Entscheidung nach Lage der Akten. Demgemäß beantragt sie, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen sowie die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte am Ende der mündlichen Verhandlung, die Beschwerde zurückzuweisen und die ihr durch die mündliche Verhandlung entstandenen Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen.
VI. Der Anspruch 1 in der erteilten Fassung lautet wie folgt:
"Verfahren zur Bearbeitung von Rundmaterial oder dergleichen im Wirbelverfahren mit einer Einspannvorrichtung (19, 19') für das Werkstück (18) und einem Wirbelgerät (1) zur spanabhebenden Bearbeitung, wobei das Werkstück (18) bezüglich seiner Längsmittelachse (22) stationär gehalten und das als kreisringsförmiges Schneidwerkzeug mit einer innenliegenden Verzahnung (17, 33) ausgebildete Wirbelwerkzeug (16) auf einem, in einer senkrechten Ebene (38) zur Längsmittelachse (22) bewegbaren Kreuzschlitten (6) verfahrbar ist und eine Schnittbewegung des Wirbelwerkzeuges (16) aufgrund einer Verschiebung des Flugkreismittelpunkts (24, 24') auf einer Flugkreismittelpunktsbahn (27) erfolgt, dadurch gekennzeichnet, daß der linearen Einstechbewegung des Flugkreismittelpunktes (24) in das Werkstück (18) (Z-Achse) gleichzeitig eine Verschiebung des Flugkreismittelpunktes (24') längs einer Kurve (31) CNC-gesteuert überlagert ist, wobei die Kurve (31) die Flugkreismittelpunktsbahn (27) nach einem Drehwinkel trifft."
VIII. Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerdebegründung folgendes vorgetragen:
Die Lehre der Druckschrift (4) führe bereits in naheliegender Weise zur Erfindung. Die Zustellbewegung könne grundsätzlich auch durch ein anderes System als einen Doppelexzenter, insbesondere durch jenes gemäß Druckschrift (3), erfolgen.
Sie macht ferner geltend, daß die Doppelexzentersteuerung nach Druckschrift (4) eine konstruktive mögliche Verkörperung der in dem Patent beanspruchten Bewegungsverhältnisse bilde. Die Doppelexzentersteuerung ermögliche insbesondere die Einstellung auch unterschiedlicher Kurven.
In dem Beschluß der Einspruchsabteilung werde dem Begriff "Doppelexzentersteuerung" jeglicher Sinngehalt abgesprochen. Sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende hätten demgegenüber jedoch durchaus - wenngleich unterschiedliche - Begriffsinhalte verbunden. Dadurch, daß die Einspruchsabteilung bei dieser Ausgangssituation ihre Zurückweisung auf Umständen stütze, die weder von der Patentinhaberin, noch von der Einsprechenden vorgebracht worden seien, hätte sie den Verfahrensbeteiligten entsprechend Artikel 113(1) EPÜ Gelegenheit geben müssen, sich zu diesen Gründen zu äußern. Wegen dieses Verfahrensfehlers werde die Rückzahlung der Beschwerdegebühren beantragt.
Die Beschwerdegegnerin hat folgendes vorgetragen:
Druckschrift (4) offenbare die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 nicht. Eine Doppelexzentersteuerung habe auch erhebliche Nachteile gegenüber eine CNC-Steuerung, da sie ausschließlich durch vorgegebene mechanische Mittel erfolge. Demgegenüber ermögliche die vorliegende Erfindung eine beliebige Einstellung längs einer Verfahrkurve (31).
Bei der Maschine nach Druckschrift (4) gehe es darum, den Übergang der Bewegung des ersten Exzenters zum zweiten Exzenter günstig zu gestalten. Die angebotene Lösung bestehe aus einer ohne Stillstand arbeitenden Kupplung. Dieser Problemkreis sei der Erfindung völlig fremd.
Druckschrift (3) beschreibe einen Kurbelbetrieb, der auch ein Exzenter sei. Außerdem werde der Einstechvorgang mechanisch durch eine Exzentervorrichtung gesteuert.
Im Gegenteil dazu seien bei der erfindungsgemäßen Maschine nur zwei lineare Antriebe notwendig, nämlich für die Bewegung jeweils in die X- und in die Z-Richtung. Die tangentiale Bewegung beim Einstechvorgang wird durch die Überlagerung zwei linearer Bewegungen erreicht. Das stelle eine entscheidende Vereinfachung gegenüber dem Stand der Technik dar. Dort könne man dafür keine Anregung finden.
Der Antrag auf Kostenerstattung sei dadurch begründet, daß die Beschwerdegegnerin den Antrag auf eine mündliche Verhandlung zurückgenommen hätte, hätte die Beschwerdeführerin rechtzeitig mitgeteilt, daß sie an der Verhandlung nicht teilnehmen werde.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Verspätet vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel
Die in der Beschwerdebegründung erstmals behaupteten Vorbenutzungshandlungen sind verspätet vorgebracht worden und kommen auch dem Gegenstand des Streitpatents nicht näher als der durch die Druckschrift (4) repräsentierte Stand der Technik. Darüber hinaus seien sie nicht so ausreichend substantiiert, daß die Überprüfung des Vorbringens, insbesondere im Hinblick auf die Öffentlichkeit der geltend gemachten Vorbenutzungshandlungen, ohne jegliche Sachaufklärung möglich ist.
Diese erst im Beschwerdeverfahren geltend gemachten Vorbenutzungshandlungen werden deshalb, wie im Bescheid vom 18. August 1998 angekündigt, gemäß Artikel 114 (2) EPÜ nicht berücksichtigt.
Außerdem wird die unter Vorlage der Beweismittel 1 bis 6 erst im Einspruchsverfahren geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung nicht berücksichtigt und der dafür angebotene Zeuge nicht vernommen, da sich - wie in dem o. g. Bescheid angekündigt - nach der Sachlage daraus kein anders zu bewertender Sachverhalt ergibt, als durch die Zusammenschau der Druckschriften (3) und (4).
Die Druckschrift (4) wird dagegen wegen ihrer sachlichen Relevanz in Betracht gezogen.
3. Erfinderische Tätigkeit
Aus der den nächstkommenden Stand der Technik bildenden Druckschrift (4) ist ein Verfahren zur Bearbeitung von Rundmaterial (Kurbelwellen) im Wirbelverfahren mit einer Einspannvorrichtung für das Werkstück und einem Wirbelgerät (Wirbelkreisel (51)) zur spanabhebenden Bearbeitung bekannt, bei dem das Werkstück bezüglich seiner Längsmittelachse stationär gehalten und das als kreisringsförmiges Schneidwerkzeug mit einer innenliegenden Verzahnung ausgebildete Wirbelwerkzeug auf einer senkrechten Ebene zur Längsmittelachse bewegbar ist und bei dem die Schnittbewegung des Wirbelwerkzeuges beim Einstechvorgang aufgrund einer Verschiebung des Flugkreismittelpunkts auf einer Flugkreismittelpunktsbahn erfolgt.
Bei der Vorrichtung nach Druckschrift (4) erfolgt durch entsprechende Steuerung eines Doppelexzenters nach einer linearen Einstechbewegung direkt eine Vorschubbewegung ohne Stillstandphase.
Außerdem bewegt sich der Mittelpunkt des Flugkreises - bei festgehaltenem Außenexzenter durch bloße Drehung des Innenexzenters während des Einstechvorgangs - zwangsläufig entlang einer Kurve, die der Kurve (31) entspricht. Am Ende des Einstechvorgangs werden beide Exzenter miteinander gekoppelt und der Mittelpunkt fährt auf einer der anspruchsgemäßen Flugkreismittelpunktsbahn (27) entsprechenden Kurve.
Somit sind noch die folgenden Merkmale des Anspruchs 1 durch die Druckschrift (4) vorbekannt:
"der linearen Einstechbewegung des Flugkreismittelpunktes in das Werkstück ist gleichzeitig eine Verschiebung des Flugkreismittelpunktes längs einer Kurve überlagert, wobei die Kurve die Flugkreismittelpunktsbahn nach einem Drehwinkel trifft."
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich somit von diesem Stand der Technik dadurch, daß das Werkzeug auf einem, in einer senkrechten Ebene (38) zur Längsmittelachse (22) bewegbaren Kreuzschlitten (6) verfahrbar ist und dadurch, daß die oben beschriebenen Bewegungen des Flugkreismittelpunktes CNC-gesteuert sind.
Die Aufgabe der Erfindung ist somit darin zu sehen, die Flexibilität der Maschine zu steigern.
Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin führt Druckschrift (4) allein nicht in naheliegender Weise zur Erfindung.
Es mag zwar sein, daß der Betrieb der aus der Druckschrift (4) bekannten Maschine zu einer Einstechbewegung führt, die einer Kurve folgt, die auch mit dem patentgemäßen Verfahren einstellbar ist. Bei der bekannten Maschine ist der Verlauf der Einstichbewegung jedoch an die Exzenterkonstruktion gebunden und damit unveränderbar. Der patentgemäße Einsatz einer CNC-Steuerung in Verbindung mit einem Kreuzschlitten bringt jedoch mit sich, daß der geometrische und zeitliche Verlauf der Einstechbewegung beliebig gewählt und damit flexibel an unterschiedliche Anforderungen angepaßt werden kann.
Die aus der Druckschrift (3) bekannte Ringsägemaschine verfügt zwar über einen Kreuzschlitten, jedoch wird auch hier der Einstichvorgang starr von einem Exzenter gesteuert, so daß auch diese Druckschrift in Zusammenschau mit der Druckschrift (4) nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 führt.
Somit beruht die durch den Anspruch 1 repräsentierte Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit.
4. Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Gemäß Regel 67 EPÜ ist eine der Voraussetzungen für eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr, daß der Beschwerde stattgegeben wird. Da im vorliegenden Fall die Beschwerde zurückgeweisen wird, kommt eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht in Betracht.
5. Antrag auf Kostenverteilung (Artikel 104 (1) EPÜ)
Die Beschwerdegegnerin stellt einen Antrag auf Kostenverteilung, weil die Beschwerdeführerin nicht rechtzeitig mitgeteilt habe, daß sie an der auch von ihr beantragten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.
Im vorliegenden Fall erfolgte die Ladung zur mündlichen Verhandlung jedoch nicht nur aufgrund der Anträge beider Parteien, sondern auch weil die Beschwerdekammer eine weitere Sachaufklärung von Seiten der Beschwerdegegnerin zur Entscheidungsfindung benötigte. Die mündliche Verhandlung wäre deshalb auch dann nicht abgesetzt worden, wenn die Absage der Beschwerdeführerin rechtzeitig eingegangen wäre.
Eine Kostenverteilung zu Lasten der Beschwerdeführerin ist somit nicht gerechtfertigt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.
3. Der Antrag der Beschwerdegegnerin auf Kostenverteilung wird zurückgewiesen.