T 0263/86 08-12-1987
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Brillenlinse mit astigmatischer Wirkung
Naheliegende Aufgabenstellung
Naheliegendes Aufgabengebiet/naheliegende Auswahl
Obvious problem
obvious field of problems; obvious selection
I. Die Beschwerdegegnerin ist Inhaberin des europäischen Patents 0 039 498 (Anmeldenummer 81 103 321.6).
Anspruch 1 dieses Patents lautet:
"1. Brillenlinse mit astigmatischer Wirkung, die mindestens eine von der sphärischen oder torischen Form abweichende, zur Korrektur des Astigmatismus eines Auges dienende Linsenfläche aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß diese Linsenfläche aus einzeln berechneten kleinen Bereichen so zusammengesetzt ist, daß sie an jedem Punkt zweimal stetig differenzierbar ist und an verschiedenen Stellen unterschiedliche Werte der Hauptkrümmungsrichtungen und der Hauptkrümmungen aufweist, deren Werte so gewählt sind, daß Achslage und Betrag des Astigmatismus der Brillenlinse den Restastigmatismus des Systems Brillenlinse/Auge auf einen Wert reduziert, der für alle Blickwinkel w = 10° bis zum Linsenrand für alle durch den Winkel gekennzeichneten Lagen der Blickgeraden auf dem Blickkegel w = constant zwischen 0° und 360° der folgenden Beziehung genügt:
Formel
dabei ist
w der Blickwinkel in Grad
z die Zylinderwirkung in Dioptrien
s das sphärische Äquivalent und der Ausdruck min (1; 2z/3) bedeutet, daß je nach dem Wert von z der jeweils kleinere Wert von 1 oder 2z/3 einzusetzen ist."
Die Ansprüche 2-4 sind von Anspruch 1 abhängig.
II. Die Beschwerdeführerin hat gegen die Patenterteilung Einspruch erhoben. Die Einspruchsabteilung hat den Einspruch zurückgewiesen.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Beschwerde erhoben unter Hinweis auf folgende bereits im Einspruchsschriftsatz genannten Dokumente:
DE-A- 1 805 561 (D1) und
US-A- 2 878 721 (D2)
Ferner hat die Beschwerdeführerin in einem nachgereichten Schriftsatz auf das Nachschlagewerk "ABC der Optik" verwiesen und für eine spezielle elliptische Annäherung (Kappa(x) = - 0,18, Kappa(y) = - 0,48) an die aus dem Dokument D1, Seite 17, 18 bekannte korrigierte Linsenoberfläche in Verbindung mit einer torischen Gegenfläche nach der Methode schiefgekreuzter Zylinder errechnete Astigmatismuswerte (RE) im Vergleich mit dem nach Anspruch 1 zulässigen Restastigmatismus vorgelegt.
IV. Es wurde mündlich verhandelt. Dabei wurden u.a. überreicht:
Seitens der Beschwerdeführerin:
M. von Rohr: "Das Brillenglas als optisches Instrument" Verlag von Julius Springer, Berlin, 1934, Seite 169 (D4).
Seitens der Beschwerdegegnerin:
Eine Tabelle mit für eine spezielle elliptische Annäherung (k1 = - 0,16; k2 = - 0,355) nach der Methode schiefgekreuzter Zylinder berechneten Astigmatismuswerten (RP) im Vergleich mit nach Anspruch 1 zulässigen Werten für den Restastigmatismus; Eine stichwortartige Erläuterung der Schritte für die Berechnung der Krümmung in einem Punkt der Linsenoberfläche bei Berücksichtigung der Achslagenänderung des Augenastigmatismus nach der Listingschen Regel; Eine Skizze einer Anordnung zur Messung des Restastigmatismus Brillenglas-Auge; Eine Kopie der Figur 6 des Streitpatents mit eingezeichneter Grenze des nach Anspruch 1 zulässigen Restastigmatismus.
Ferner wurden je ein Brillenglas nach dem Stand der Technik und nach dem Streitpatent vorgeführt.
V. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt:
1. Die Beschwerde zurückzuweisen;
2. Hilfsweise das Patent aufgrund des in der mündlichen Verhandlung überreichten Anspruchs 1, der erteilten Ansprüche 2 bis 4 und einer hierzu anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.
VI. Der Anspruch 1 des Hilfsantrags weist den Wortlaut des Anspruchs 1 des Hauptantrags auf, wobei die Worte: "... Hauptkrümmungsrichtungen und der Hauptkrümmungen aufweist, deren Werte so gewählt sind, daß ..." ersetzt sind durch:
"... Hauptkrümmungsrichtungen und der Hauptkrümmungen aufweist, deren Werte unter Berücksichtigung der Listingschen Regel für die Lage des Augenastigmatismus im Raum so gewählt sind, daß ..:" VII. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) vertritt im wesentlichen folgende Auffassung:
1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei aus dem Dokument D1 bekannt;
1.1. Es sei unstrittig, daß die Oberbegriffsmerkmale des Anspruchs 1 den aus Dokument D1 bekannten Stand der Technik wiedergeben;
1.2. Ferner seien aber auch folgende Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 aus Dokument D1 bekannt:
1) "daß diese (zur Korrektur des Astigmatismus eines Auges dienende) Linsenfläche aus einzeln berechneten kleinen Bereichen zusammengesetzt ist"; vgl. die im Dokument D1, Seite 13, Absatz 4, beschriebene Berechnung der Zwischenmeridiane;
2) "daß sie (diese Linsenfläche) an jedem Punkt zweimal stetig differenzierbar ist"; vgl. die in Dokument D1, Seite 14, Abs. 3 bis Seite 15, Abs. 1 beschriebene korrigierende Oberfläche aus der Einhüllenden von sich bei einer Drehung um ihre kleine Achse zwischen zwei Extremen verformenden Ellipsen. Eine derartige Einhüllende weise eine Berührung der Ellipsen von höherer als erster Ordnung auf und sei aus diesem Grunde zwangsläufig zweimal stetig differenzierbar.
3) "und (daß diese Linsenfläche) an verschiedenen Stellen unterschiedliche Werte der Hauptkrümmungsrichtungen und der Hauptkrümmungen aufweist". Merkmal 3 folge für den Fachmann unmittelbar aus der Oberflächenform der vorstehend in Punkt 1.2.2 genannten Einhüllenden.
1.3. Der durch den restlichen Wortlaut des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 definierte Sachverhalt (Merkmal 4) sei aus folgenden Gründen ebenfalls aus Dokument D1 bekannt: Einmal würden die von der Beschwerdeführerin errechneten Werte (R.E.) des Astigmatismus für die aus Dokument D1, Seiten 17 und 18, bekannte korrigierte Linsenfläche die im Merkmal 4 enthaltene Ungleichung für den Restastigmatismus, im folgenden Güteformel genannt, erfüllen. Die von der Beschwerdegegnerin vorgelegten Rechenwerte (RP) würden nicht die Richtigkeit der Rechnungen der Beschwerdeführerin in Frage stellen, sondern nur zeigen, daß für die Annäherung an die aus Dokument D1 bekannte korrigierte Linsenfläche auch Ellipsen wählbar sind, die zu schlechteren Astigmatismuswerten führen.
Zum anderen folge aus der in Dokument D1, Fig. 1, 6 und 7 in Verbindung mit Seiten 8 bis 10 beschriebenen Durchrechnung der Strahlengänge bis zur Retina, daß der Augenastigmatismus - und damit auch die dem Fachmann nach Dokument D4 ohne weiteres zugängliche Blickwinkelabhängigkeit der Achslage des Augenastigmatismus in bezug auf ein ortsfestes Brillensystem nach der Listingschen Regel - bei der bekannten Brillenlinse mit berücksichtigt wurde. Es bestünde ansonsten keine Notwendigkeit, Zwischenmeridiane zu berechnen. Da die Beschwerdegegnerin den zuständigen Brillenfachmann für fähig hält, die Lehre des Anspruchs 1 ohne ein explizites Ausführungsbeispiel nachzuarbeiten, sei es selbstverständlich, daß ein solcher Fachmann auch die Listingsche Regel kennt und berücksichtigt. Somit sei das Merkmal (4) implizit dem Dokument D1 als bekannt entnehmbar.
2. Die Patentschrift enthalte keinerlei Angaben, wie die eine reine Wirkungsangabe darstellende Restastigmatismusbedingung gemäß Merkmal 4 des Anspruchs 1 zu realisieren sei.
VIII. Die Beschwerdegegnerin trägt im wesentlichen folgendes vor:
1. Dokument D1 seien nicht alle Merkmale des Anspruchs 1 als bekannt zu entnehmen.
1.1. Eine Zusammensetzung der Linsenfläche aus einzeln berechneten Bereichen (Merkmal 1) sei Dokument D1 nicht entnehmbar, da in Dokument D1, insbesondere auf Seiten 10 und 13, nur für die Hauptmeridiane Oberflächenlagen berechnet seien, für die der Betrag des Astigmatismus gegen Null ginge. Alle Zwischenlagen seien interpoliert.
1.2. Dokument D1 sei weder explizit noch implizit zu entnehmen, daß neben dem Brillenlinsenastigmatismus schiefer Bündel und dem Betrag des Augenastigmatismus auch die Blickwinkelabhängigkeit der Achslage des Augenastigmatismus, insbesondere mit Hilfe der Listingschen Regel, bei der Berechnung der bekannten Oberfläche berücksichtigt werde. Die Dokument D1, Fig. 7 entnehmbare Berechnung von Zwischenmeridianen habe fertigungstechnische Gründe. Die vorgelegten berechneten Astigmatismuswerte (RP) für eine Annäherung an die aus Dokument D1, Seite 18, bekannte Linsenoberfläche zeigten, daß diese Linse die im Merkmal 4 des Anspruchs 1 enthaltene Güteformel bei größeren Blickwinkeln nicht erfülle.
2. Es sei das Verdienst der Erfinder, erkannt zu haben, daß neben dem Betrag auch die Achslage des Augenastigmatismus eine Rolle spiele. In Dokument D4 sei hingegen nur die Wirkung der Listingschen Regel beschrieben, nicht aber eine Umgestaltung einer Linsenfläche mit Hilfe dieser Regel, d.h. Dokument D4 weise nur auf einen Fehler hin, ohne anzugeben, wie er zu beseitigen sei.
3. Während im Dokument D1, insbesondere Seite 10, so gerechnet wird, daß der Restastigmatismusbetrag des Systems Linse-Auge Null wird, lasse die Lehre gemäß Anspruch 1 des Streitpatents bewußt einen gewissen Restastigmatismus zu, was sich günstig auf den Einstellfehler und die Kontrastübertragung auswirke; vgl. das Streitpatent, Seite 1, Zeilen 54 bis 58. Schon aus diesem Grunde werde der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht durch den den Dokumenten D1 und D4 entnehmbaren Stand der Technik nahegelegt.
4. Die vorgelegte Erläuterung der Berechnungsschritte einer Linsenfläche unter Einbezug der Listingschen Regel zeige, daß es zum normalen Können des Brillenfachmanns gehöre, zur Berücksichtigung der Blickwinkelabhängigkeit der Achslage des Augenastigmatismus geeignete Linsenflächen zu berechnen. Ein Einwand gemäß Art. 100b sei deshalb unberechtigt. Ferner zeige die überreichte Meßanordnungsskizze die Möglichkeit einer vom Brillenträger unabhängigen Überprüfung des Schutzbereiches mit Hilfe einer das fehlsichtige Auge in bezug auf seine sphärische und zylindrische Brechkraft und deren Achslage simulierenden Linse.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Aufgrund ihres engen sachlichen Zusammenhanges - Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag beschränkt die Berücksichtigung der gegenüber der ortsfesten Brillenlinse blickwinkelabhängigen Achslagen des Augenastigmatismus auf mit Hilfe der Listingschen Regel ermittelte Werte - können Haupt- und Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin gemeinsam abgehandelt werden.
3. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist der Anspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung. Sein Inhalt ist durch die ursprüngliche Offenbarung gedeckt.
In den Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag ist zusätzlich das in der ursprünglichen Beschreibung Seite 4, Absatz 6, offenbarte Merkmal: "unter Berücksichtigung der Listingschen Regel für die Lage des Augenastigmatismus im Raum" aufgenommen.
Somit sind beide Ansprüche im Hinblick auf Art. 123(2) und 123(3) EPÜ formell nicht zu beanstanden.
4. Das in der mündlichen Verhandlung überreichte Dokument D4 ist, wie unter Punkt 6.2 näher dargelegt, entscheidungserheblich. Es ist deshalb gemäß Art. 114 (1) und (2) EPÜ auch bei verspäteter Vorlage zu berücksichtigen; vgl. T 271/84, ABl EPA 87, 405, Punkt 3 und T 156/84, Punkt 3 (wird veröffentlicht).
In Anbetracht der besonderen Kürze dieser Entgegenhaltung und der Einfachheit ihres Inhalts bedurfte es keiner Vertagung der Verhandlung.
5. Neuheit
5.1.1. Die Kammer vertritt die Auffassung, daß aus Dokument D1, Figuren 6, 7, 11 in Verbindung mit der Beschreibung Seite 13 und Seite 17, Absatz 3 bis Seite 18, Absatz 2 eindeutig zu entnehmen ist, daß diese bekannte Astigmatismus- korrigierende Linsenfläche aus einzeln berechneten kleinen Bereichen zusammengesetzt ist" (Merkmal 1). Die explizite Angabe in Dokument D1, Seite 13, Zeilen 21 und 22, daß die Zwischenmeridiane "wie oben beschrieben bestimmt werden", weist den Fachmann eindeutig auf eine Berechnung der Zwischenmeridiane nach dem auf S. 13, Absatz 1, in Verbindung mit Seite 10, Absatz 3, beschriebenen Iterationsverfahren zur Beseitigung des Linsenastigmatismus schiefer Bündel hin. Ferner ist Seite 13, Zeile 22, entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin, explizit zu entnehmen, daß nicht die Zwischenmeridiane selbst, sondern die "dazwischenliegenden Werte interpoliert werden". Darüberhinaus werden auch interpolierte Werte einzeln berechnet und legen die Form der Oberfläche in "kleinen (die für die Interpolation ausgewählten Punkte umgebenden) Bereichen" fest.
5.1.2. Daß die Astigmatismus-korrigierende Linsenfläche "an jedem Punkt zweimal stetig differenzierbar ist und an verschiedenen Stellen unterschiedliche Werte der Hauptkrümmungsrichtungen und der Hauptkrümmungen aufweist" (Merkmale 2 und 3) folgt nach Auffassung der Kammer für den Fachmann unmittelbar aus der Oberflächenform der in Dokument 1, Seite 14, Absatz 3 bis Seite 15, Absatz 1 beschriebenen korrigierten Oberfläche aus der Einhüllenden von sich bei einer Drehung um ihre kleine Achse zwischen zwei Extremen verformenden Ellipsen; vgl. auch Punkt VII-1.2.2 und 1.2.3.
5.1.3. Die Merkmale im Oberbegriff der Ansprüche 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag sind unstrittig aus Dokument D1 bekannt. Somit ist aus Dokument D1 eine Brillenlinse bekannt, die über die Merkmale im Oberbegriff der Ansprüche 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag hinaus auch die vorstehend genannten Merkmale 1 bis 3 ihrer kennzeichnenden Teile umfaßt.
Hingegen unterscheiden sich - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - die Gegenstände der Ansprüche 1 gemäß Haupt- bzw. Hilfsantarg von der aus Dokument D1 bekannten Brillenlinse durch folgende zwei Unterscheidungsmerkmale:
a) daß die Werte der Hauptkrümmungsrichtungen und Hauptkrümmungen der Astigmatismus-korrigierenden Linsenoberfläche - gemäß Hilfsantrag zusätzlich "unter Berücksichtung der Listingschen Regel für die Lage des Augenastigmatismus" im Raum - so gewählt sind, daß Achslage und Betrag des Astigmatismus der Brillenlinse den Restastigmatismus des Systems Brillenlinse/Auge auf einen (Rest)wert reduziert", und
b) daß dieser (Rest)wert des Astigmatismus des Systems Brillenlinse/Auge für alle Blickwinkel >10° bis zum Linsenrand der im Anspruch 1 definierten Güteformel genügt.
Die Kammer ist aus folgenden Gründen überzeugt, daß die aus Dokument D1 bekannte Astigmatismus-korrigierende Linsenfläche ohne irgendeine Berücksichtigung der in bezug auf die ortsfeste Brillenlinse blickwinkelabhängigen Achslage des Augenastigmatismus (Unterscheidungsmerkmal a)) berechnet ist. Das gilt umso mehr für die Erfassung dieser Blickwinkelabhängigkeit speziell mit Hilfe der Listingschen Regel, gemäß Hilfsantrag. Zwar sind in Fig. 1 des Dokuments D1 die Strahlengänge bis zur Retina durchgezeichnet, doch durchsetzen sie das Auge geradlinig. Nur der Strahlengang durch die Brillenlinse ist abgeknickt. Diese Darstellung ist in Übereinstimmung mit der Beschreibung, die auf S. 10, Zeilen 10-23 eindeutig erkennen läßt, daß ausschließlich die Refraktionswirkung des Brillenglases in das in Dokument D1 verwendete Iterationsverfahren einbezogen ist, nicht aber eine Wechselwirkung mit den aus Hornhaut, Kammerwasser und Kristallinse bestehenden optischen Elementen des Auges. Der zu korrigierende Augenastigmatismus gibt in Dokument 1 nur die zusätzlich erforderliche zylindrische Brechkraft der Brillenlinse in bezug auf einen Hauptmeridian vor, vgl. Seite 13, Absatz 1 und 3, wobei es das Iterationsziel ist, diese zylindrische Brechkraft konstant, d.h. blickwinkelunabhängig zu machen; vgl. Seite 13, Absatz 1.
Die Güteformel gemäß Unterscheidungmerkmal b) ist in Dokument D1 nicht erwähnt.
5.2. Dokument D4 beschreibt keine spezielle astigmatische Brillenlinse, sondern weist darauf hin, daß sich bei der Bewegung des Auges die Lage seiner Hauptschnitte und damit die Achslage des Augenastigmatismus in bezug auf das Brillenglas ändert, vgl. Seite 169, Zeilen 17-20, und gibt als eine Möglichkeit zur trigonometrischen Erfassung dieser Achslagenveränderung die Listingsche Regel an; vgl. Seite 169 Zeilen 30-39.
5.3. Die übrigen im Verfahren befindlichen oder im Recherchenbericht genannten Druckschriften liegen vom Gegenstand des Streitpatents weiter ab und können deshalb unerörtert bleiben.
5.4. Die Gegenstände des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag und des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag sind somit neu.
6. Erfinderische Tätigkeit
6.1. Ausgehend von Dokument D1 ist die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe objektiv darin erkennbar, bei der bereichsweisen Berechnung der Hauptkrümmungen und Hauptkrümmungsrichtungen einer Brillenlinsenoberfläche, die die astigmatische Wirkung des Auges über die gesamte Brillenfläche unter Zulassung eines tolerierbaren Restwertes aufheben soll, neben dem Betrag des Augenastigmatismus auch seine in bezug auf die Brillenlinse blickwinkelabhängige Achslage insbesondere mit Hilfe der Listingschen Regel zu berücksichtigen; vgl. das Streitpatent Seite 1, Zeilen 18 bis 21, 31 bis 35 und 43 bis 45.
6.2. Diese Aufgabe ist identisch mit dem sachlichen Inhalt des Unterscheidungsmerkmals a), vgl. oben Punkt 5.1.3. Betrag und Blickwinkelabhängigkeit der Achse des Augenastigmatismus stellen durch die Praxis vorgegebene Randbedingungen eines zu verbessernden Systems dar. Sie gehören nicht zu den Elementen der technischen Lösung, die die Verbesserung bewirkt. Somit hat nach Auffassung der Kammer das Unterscheidungsmerkmal a) den Charakter einer Aufgabenstellung.
Dem Brillenfachmann ist aus Dokument D4 bekannt, daß in die Gesamtwirkung des Systems Brillenlinse/Auge nicht nur der Betrag sondern auch die relative Achslage des Augenastigmatismus eingeht (vgl. Pkt. 5.2). Deshalb ist die Kammer überzeugt, daß der Brillenfachmann den Mangel, daß im Lösungsansatz des Dokuments D1 die Augenastigmatismusachsänderung fehlt, ohne weiteres zu erkennen vermag. Jeder Fachmann ist stets bemüht, alle ihm bekannten Einflußgrößen zu berücksichtigen. Es kann daher keine erfinderische Leistung darin erblickt werden, den aus Dokument D1 bekannten Lösungsansatz aufgrund der aus Dokument D4 bekannten vollständigen Einflußgrößen im Hinblick auf die Blickwinkelabhängigkeit der Achslage des Augenastigmatismus und deren Erfassung mit Hilfe der Listingschen Regel zu ergänzen.
Somit ergibt sich im vorliegenden Fall die Stellung der zu lösenden Aufgabe als eine Folge von aus der Praxis bekannten Mängeln, die für den Fachmann ohne weiteres erkennbar sind. Unter solchen Umständen hätte eine derartige Aufgabe von jedem beliebigen Fachmann gestellt werden können. Die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe und somit das diese Aufgabe zum Ausdruck bringende Unterscheidungsmerkmal a) sind deshalb als für den Fachmann naheliegend zu betrachten; vgl. auch T 109/82, ABl. EPA 1984, 47, Punkt 5.1.
Die Lösung dieser Aufgabe, die zu Strukturelementen der Brillenlinse führt, ist nicht Gegenstand der Ansprüche 1 gemäß Haupt- und Hilfantrag. Sie ist überdies von der Beschwerdegegnerin selbst als eine im Rahmen des normalen fachmännischen Könnens liegende Maßnahme beurteilt worden.
Vollständigkeitshalber sei darauf hingewiesen, daß die Kammer in dem langen Zeitraum zwischen den Veröffentlichungsdaten der Dokumente D1, D4 und dem Anmeldetag des Streitpatents kein Beweisanzeichen für erfinderische Tätigkeit, sondern eine Folge der nunmehr hinreichend weiterentwickelten Herstellungstechniken von Linsenoberflächen sieht.
6.3. Somit bleibt zu untersuchen, ob der durch die Güteformel abgegrenzte Bereich des zulässigen Restastigmatismus gemäß Unterscheidungsmerkmal b) in Punkt 5.1.3 eine erfinderische Tätigkeit bedingt.
6.3.1. Es ist weder dem Streitpatent zu entnehmen, noch von der Beschwerdegegnerin geltend gemacht worden, daß die im Unterscheidungsmerkmal b) enthaltene Güteformel einen Bereich mit einem nur dort auftretenden Effekt abgrenzt, den der Fachmann nicht erwartet, etwa im Sinne einer gezielten Auswahl; vgl. T 198/84, ABl EPA 1985, 209, Punkt 7. Vielmehr stellt nach Auffassung der Kammer das Unterscheidungsmerkmal b) nur eine willkürliche, im Belieben des Fachmanns liegende Auswahl aus dem in Dokument D1 zugelassenen Restastigmatismus dar; vgl. insbesondere die stärkere Abnahme der sagittalen Brennweite Fs gegenüber der transversalen Brennwerte FT bei größeren Blickwinkeln in Fig. 11 des Dokuments D1. Einer solchen Auswahl kann keine erfinderische Tätigkeit zuerkannt werden.
6.3.2. Die Beziehungen zwischen Restastigmatismus, Einstellfehler und Kontrastübertragung sind einem Brillenfachmann als bekannt zu unterstellen. Daher sieht die Kammer entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin in der Güteformel nur das Ergebnis der gleichzeitigen Optimierung mehrerer Linseneigenschaften, die zu einem im Ermessen des Fachmanns liegenden Kompromiß führt. Derartige Kompromisse bei Parameteroptimierungen gelten nicht als überraschend und ihr Auffinden somit nicht als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend; vgl. auch T 36/82, ABl EPA 1983, 269, Punkt 3.
6.4. Die Gegenstände des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag und des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag genügen somit nicht den Erfordernissen der Art. 52 (1) i.V.m. Art. 56 EPÜ. Das Patent kann deshalb mit keinem dieser Ansprüche aufrechterhalten werden. Mit den Ansprüchen 1 fallen auch jeweils die von diesen abhängigen Ansprüche 2 bis 4.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Europäische Patent 0 039 498 wird widerrufen.