T 0073/85 14-01-1988
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Verfahren zur Herstellung von thermoplastischen, verzweigten, aromatischen Polyphosphonaten
Polyphosphonate/Bayer
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
inventive step (yes)
I. Die Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung für die am 12. Juni 1980 eingegangene, die Priorität einer deutschen Voranmeldung (DE- 2 925 207) vom 22. Juni 1979 in Anspruch nehmende europäische Patentanmeldung 80 103 273.1 erfolgte am 13. April 1983 (vgl. Patentblatt 83/15). Das Patent ist auf der Grundlage von elf Ansprüchen erteilt worden. Die unabhängigen Ansprüche 1, 3 und 11 lauten:
"1. Verfahren zur Herstellung von thermoplastischen, verzweigten, aromatischen Polyphosphonaten mit mittleren Molekulargewichten (Zahlenmittel Mn ) von 11 000 bis > 200 000 durch Schmelzumesterung, dadurch gekennzeichnet, daß pro
a) 99,25 bis 99,975 Mol mindestens eines Diarylphosphonats,
b) 0,025 bis 0,75 Mol mindestens eines Triarylphosphats und/oder mindestens einer aromatischen Tri- oder Tetrahydroxiverbindung - die Summe der Mole aus a) und b), falls b) Triarylphosphat bedeutet, ist 100 - und
c) 93 bis 97 Mol mindestens einer aromatischen Dihydroxiverbindung in der Schmelze bei 90°C bis 340°C in sauerstoffreier Gasatmosphäre bei Atmosphärendruck oder vermindertem Druck in Gegenwart von 10-5 bis 5.10-2 Mol-%, bezogen auf 100 Mol-% aromatischer Dihydroxiverbindung, mindestens eines basischen Katalysators unter Abdestillieren der flüchtigen Bestandteile umgeestert werden.
3. Polyphosphonate erhältlich nach dem Verfahren gemäß Anspruch 1.
11. Verwendung der Polyphosphonate gemäß Anspruch 3 zur Herstellung von thermoplastischen Formteilen".
II. Ggen die Erteilung des europäischen Patents hat die jetzige Beschwerdeführerin am 12. Januar 1984 Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents mangels erfinderischer Tätigkeit beantragt. Die Begründung wurde u.a. auf die folgenden Dokumente gestützt:
(1) US-A- 2 682 522
(2) US-A- 2 716 101
(5) Journal of Macromolecular Science-Reviews in Macromolecular Chemistry, Band C1, Nr. 1, Seiten 109 bis 120, 1967.
III. Durch am 15. November 1984 verkündete, am 28. Januar 1985 zur Post gegebene Entscheidung wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück und führte dazu im wesentlichen aus, der Gegenstand des angegriffenen Patents sei neu und beruhe auf erfinderischer Tätigkeit. Von der Druckschrift (1) seien zehn verschiedene Schritte erforderlich gewesen, um zum Gegenstand des Streitpatents zu gelangen. Wenngleich dabei einzelne Schritte nahegelegen haben können, so sei dies nicht für deren Kombination der Fall. Ähnlich sei die Situation, wenn man von der Druckschrift (2) ausgehe.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 26. Februar 1985 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die hierfür vorgesehene Gebühr entrichtet. Die Beschwerde wurde am 5. Juni 1985 im wesentlichen etwa wie folgt begründet:
Die Beschwerdeführerin sieht die Druckschrift (1) als nächstkommenden Stand der Technik an. Um von dort zum beanspruchten Verfahren zu gelangen, habe man nur ein halogenfreies Verzweigungsmittel in geringer, leicht zu bestimmender Menge mit dem zu erwartenden Effekt einsetzen sowie den sauren Katalysator durch den bekanntermaßen wirksameren basischen Katalysator austauschen müssen. Alle anderen geringfügigen Modifikationen hätten sich für den Fachmann von selbst ergeben. Sehe man aber die Druckschrift (2) als nächstkommenden Stand der Technik an, so beruhe das beanspruchte Verfahren ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit, da im vorliegenden Fall nur die "Umesterungs-Route" in Frage komme. Die patentgemäßen Stoffe seien im Hinblick auf die erwartbaren Eigenschaften naheliegend und ihre Verwendung trivial. Zudem werden die Stoffansprüche formell beanstandet.
V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) widerspricht diesem Vorbringen. Die erfindungsgemäße technische Aufgabe sei darin zu sehen, ein Verfahren zur Gewinnung thermoplastischer verzweigter Polyphosphonate für die Herstellung von Formkörpern von hohem mechanischem Eigenschaftsniveau vorzuschlagen. Sie macht geltend, daß in keiner der angezogenen Literaturstellen, ebensowenig wie in den Vergleichsversuchen der Beschwerdeführerin der Nachweis geführt werde, daß die beschriebenen Polyphosphonate bereits die erfindungsgemäße technische Aufgabe lösen. Dieser Nachweis werde ausschließlich im Streitpatent erbracht, wie Beispiel 1 sowie die nachgereichten Vergleichsversuche zeigten.
In ihrer Erwiderung auf einen Bescheid der Kammer verteidigt die Beschwerdegegnerin ihr Patent nur noch im Umfang der Verfahrensansprüche.
VI. In der mündlichen Verhandlung am 14. Januar 1988 haben die Beteiligten ihre oben wiedergegebenen Standpunkte bekräftigt. Die Beschwerdeführerin hat eingeräumt, daß sie in ihren beiden Versuchsberichten nur Angaben über Verfahrensprodukte gemacht hat, ohne deren mechanische Eigenschaften zu messen.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen. Die Beschwerdegegnerin beantragt, unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung das europäische Patent in geändertem Umfang mit den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen aufrechtzuerhalten.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Gegen die geltende Fassung der Ansprüche bestehen keine formalen Bedenken im Hinblick auf Artikel 123 (3) EPÜ, weil sie den Schutzbereich des Patents nicht erweitern. Die neuen Verfahrensansprüche 3 bis 9 stützen sich auf Ansprüche 4 bis 10 der erteilten Fassung.
Bei den Änderungen in der Beschreibung handelt es sich teils um Anpassungen an die neue Fassung der Ansprüche, teils um rein Redaktionelles, so daß sie ebenfalls nicht zu beanstanden sind.
3. Das Streitpatent betrifft in Übereinstimmung mit dem Oberbegriff des geltenden Hauptanspruchs ein Verfahren zur Herstellung von thermoplastischen, verzweigten, aromatischen Polyphosphonaten.
3.1. Wie bereits in der Beschreibungseinleitung zum Streitpatent erwähnt, ist aus (2) bekannt, etwa 50,0 Mol-% aromatischer Dihydroxiverbindungen, 0,1 bis 49,9 Mol-% Alkyl-oder Arylphosphonylchloride und 0,1 bis 49,9 Mol-% trifunktioneller Phosphatverbindungen in Gegenwart katalytischer Mengen wasserfreier Erdalkalimetallhalogenide in der Schmelze bei 90°C bis 300°C unter Abspaltung von Chlorwasserstoff und Phenol zu Polyphosphonaten mit Phosphatgruppen als Vorzweigungsstelle zu kondensieren (vgl. Anspruch 1). Von Nachteil ist hierbei, daß die nach diesem Verfahren hergestellten verzweigten Polyphosphonate nicht zur Herstellung von flammfesten Formkörpern mit hoher Wärmeformbeständigkeit und hohem mechanischem Eigenschaftsniveau geeignet sind (vgl. Vergleichsversuche 3 und 4 des Streitpatents und Anlage III zur Eingabe der damaligen Anmelderin vom 20. Januar 1982).
3.2. Diesem nächsten Stand der Technik gegenüber ist daher die patentgemäß bestehende technische Aufgabe darin zu sehen, ein Verfahren zur Herstellung flammfester, thermoplastischer, verzweigter, aromatischer Polyphosphonate anzugeben, die Formkörper von hoher Wärmeformbeständigkeit und hohem mechanischem Eigenschaftsniveau, insbes. hoher Zähigkeit und Zugfestigkeit liefern.
Diese Aufgabe wird - verkürzt dargestellt - dadurch gelöst, daß Diarylphosphonate, Triarylphosphate und/oder aromatische Tri- oder -Tetrahydroxiverbindungen und aromatische Dihydroxiverbindungen in der Schmelze in Gegenwart von basischen Katalysatoren zu Polyphonsphonaten umgeestert werden.
3.3. Daß die bestehende technische Aufgabe durch diesen Vorschlag gelöst wird, erscheint der Kammer im Hinblick auf die mechanischen Prüfwerte des Polyphosphonats gemäß Beispiel 1 des Streitpatents (vgl. Tabelle auf Seite 6) und die Ergebnisse der Vergleichsversuche 1 bis 5 in der Anlage II zur Eingabe vom 20. Januar 1982 (vgl. Tabelle 1) glaubhaft.
Diese Werte finden sich zwar nur in einigen Beispielen. Offenbar hat die Vorinstanz diese Werte für repräsentativ und über die Breite des Anspruchs für verallgemeinbar angesehen. Dieser Punkt wurde im Beschwerdeverfahren nicht aufgegriffen. Auch die Kammer hat keine Veranlassung, die Beurteilung durch die Vorinstanz in Frage zu stellen.
3.4. Die Beschwerdeführerin hat zwei Versuchsberichte vorgelegt, die belegen sollen, daß die patentgemäß bestehende Aufgabe schon durch den Stand der Technik nach (1) und (2) gelöst wurde. Das vorgelegte Zahlenmaterial rechtfertigt diesen Schluß nicht. Wie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, hat sich die Beschwerdeführerin darauf beschränkt, zu zeigen, daß auch nach dem o.g. Stand der Technik durch geringe Modifikation von Beispielen nicht nur spröde, sondern auch zähe Polyphosphonate erhältlich sind. Diese qualitative Aussage, die - wie sich gleichfalls in der mündlichen Verhandlung ergeben hat -nur eine Grobeinteilung in kristalline und amorphe Produkte ermöglicht, läßt keine quantifizierbaren Aussagen über mechanische Festigkeiten inklusive einer hohen Wärmeverformbarkeit der sich davon ableitenden Formkörper im Sinne des Streitpatents zu. Die beweispflichtige Beschwerdeführerin ist demnach der Nachweis schuldig geblieben, daß bereits nach dem Stand der Technik Polyphosphonate vergleichbar hoher Qualität bekannt waren.
3.5. Auch der Einwand der Beschwerdeführerin, wonach das geltend gemachte hohe Niveau an mechanischen Eigenschaften nur den Formkörpern, aber nicht den nach dem beanspruchten erhältlichen Polyphosphonaten selbst zukommt, geht ins Leere. Zwar erfordert die normierte Messung mechanischer Eigenschaften die Herstellung von Prüfkörpern genau festgelegten Ausmaßes, jedoch kommen hier die gemessenen wertvollen Eigenschaften nicht durch die Formgebung zustande, sondern durch die Wahl der Verfahrensparameter bei der Herstellung der Polyphosphonate.
4. Der beanspruchte Lösungsvorschlag ist keinem der angezogenen Dokumente zu entnehmen, also neu. Da die Neuheit unbestritten ist, erübrigen sich nähere Ausführungen hierzu.
5. Es ist daher zu untersuchen, ob es für den Fachmann angesichts der bestehenden technischen Aufgabe nahelag, hierfür das Verfahren nach dem Streitpatent vorzuschlagen.
5.1. Wie im Abschnitt 3.1 bereits angedeutet, betrifft die Entgegenhaltung (2) ein Verfahren zur Herstellung verzweigter, aromatischer Polyphosphonate. In Anlehnung an Beispiel 1 dieses Dokuments hat die Beschwerdeführerin Polyphosphonate mit mittleren Molekulargewichten (Zahlenmittel Mn) von ca. 20 000 erhalten (vgl. Anlage zur Eingabe vom 31. Mai 1985, Versuchsbericht, Teil B). Damit ist nur erwiesen, daß nach (2) verzweigte Polyphosphonate mit einem Molgewicht erhalten werden können, die in der gleichen Größenordnung liegen wie nach dem Streitpatent. Wenngleich nur der Einsatz aromatischer Dihydroxiverbindungen, der übrigens schon in (2) verwirklicht ist, amorphe Polyphosphonate erwarten ließ, so gab es - wie die mündliche Verhandlung ergab - auf diesem Gebiet kein Fachwissen, das Voraussagen über die Optimierung mechanischer Eigenschaften durch Strukturwandel oder gar durch Variation von Parametern des Herstellungsverfahrens zuließ. Es ist daher überraschend, daß u.a. der Übergang von der Säurechlorid-Methode zur Umesterung sowie der Austausch der sauren gegen alkalische Katalysatoren zu den angestrebten verbesserten Produkten führt.
5.2. Aus (1) ist bereits ein Verfahren zur Herstellung von linearen, aromatischen Polyphosphonaten durch Umesterung mindestens eines Diarylphosphonats mit mindestens einer aromatischen Dihydroxiverbindung in der Schmelze in Gegenwart von katalytischen Mengen wasserfreier Erdalkalimetallhalogenide bei 100° bis 400°C bekannt (vgl. Anspruch 1). Die Nacharbeitung der Lehre dieser Patentschrift in Anlehnung an Beispiel 1 liefert Polyphosphonate mit einer rel. Viskosität von bis zu 1,25, was einem mittleren Molekulargewicht (Zahlenmittel Mn) von mehr als 15 000 entspricht (vgl. Anlage zur Eingabe der Beschwerdeführerin vom 31. Mai 1985, Versuchsbericht, Teil A). Hierdurch wird nur belegt, daß eine Umesterung, die gemäß (5) Seite 120 zu Polyphosphonaten niedrigeren Molgewichts führt als die Säurechlorid-Methode, zur Erzielung des nach dem Streitpatent angestrebten Molgewichts geeignet ist. Weitergehende Schlußfolgerungen verbieten sich aus den in 5.1 dargelegten Gründen.
5.3. In (5) wird auf Seite 109 ausgeführt, daß das wichtigste und beste Verfahren zur Hertellung von Polyphosphonaten die "Säurechlorid-Route", d.h. über die Phosphonsäuredichloride, ist. Auf Seite 120 dieser Entgegenhaltung wird angegeben, daß als zweite Methode die Umesterung, allgemein für die Herstellung von Polyphosphonaten in Betracht kommt. Zudem finden sich in der Aufzählung hierfür geeigneter Katalysatoren neben Erdalkalihalogeniden, Zinkchlorid und Zinkacetat auch basische Alkaliverbindungen. Dieses Dokument, einschließlich der dort zitierten Originalliteratur, gibt jedoch dem Fachmann keinen Hinweis zur Lösung der hier bestehenden technischen Aufgabe, ein Verfahren zur Gewinnung thermoplastischer, verzweigter, aromatischer Polyphosphonate für die Herstellung von Formkörpern von hoher Wärmeformbeständigkeit und hohem mechanischen Eigenschaftsniveau anzugeben, sich gerade des beanspruchten Verfahrens zu bedienen.
5.4. Es mag zutreffen, daß eine Vergrößerung der Polymermoleküle mittels Verzweigungsmittel wie jede Molekulargewicht erhöhung bei Polymeren eine Verbesserung der Wärmeformbeständigkeit und des mechanischen Eigenschaftsniveaus bewirkt. Dieses Wissen gestattet dem Fachmann aber keine Voraussage, wie er solche verzweigten Polyphosphonate, z.B. die nach (2) im Sinne der bestehenden technischen Aufgabe weiter optimieren kann. Vielmehr ist der Fachmann diesbezüglich regelmäßig aufs Experimentieren auf gut Glück angewiesen.
5.5. Bei solchen Versuchen hätte sich der Fachmann vom Prinzip leiten lassen, daß ein Strukturwandel etwa durch Einführung von Substituenten eine Änderung der Eigenschaften auslöst. Gerade der Umstand, daß hier die aufgabengemäß angestrebte Verbesserung der Eigenschaft nicht wie allgemein üblich - durch gezielten Wandel von Strukturparametern, sondern durch Änderung von Verfahrensparametern gelingt, muß in der Tat als überaschend bezeichnet werden.
Dabei kommt es nicht darauf an, daß die im Streitpatent beanspruchten einzelnen Reaktionsbedingungen an sich bekannt sind. Entscheidend ist vielmehr, ob der Fachmann in Erwartung der aufgabengemäß angestrebten Optimierung die hier beanspruchte Kombination an sich bekannter Maßnahmen vorgeschlagen oder - mangels möglicher Voraussagen - vorrangig versucht hätte. Beides ist - wie ausgeführt - nicht der Fall.
6. Nach allem beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Streitpatents auf erfinderischer Tätigkeit. Die Patentfähigkeit der abhängigen Ansprüche 2 bis 9 wird von derjenigen des Anspruchs 1 getragen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Unter Abänderung der angefochtenen Entcheidung wird das europäische Patent in geändertem Umfang mit den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen aufrechterhalten.